AfD-Chefin Frauke Petry vor einem Plakat mit der Aufschrift „Merkel muss weg“. Bild: picture alliance

AfD, CDU und CSU - So prägen Konfessionen die Politik

Der Erfolg der AfD ist auf eine religiöse Krise zurückzuführen. Während Merkel und die zumeist protestantisch geprägte CDU aus einer Ohnmacht heraus getrieben werden, fehlt es dem katholischen Lager an Führungsfiguren und Courage. Es ist dringend nötig, das religiös-politische Selbstbild der Nation zu schärfen

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Die derzeit in Deutschland rege geführte Diskussion über das Verhältnis der Parteien zur Religion ist in eine Sackgasse geraten. Das Dilemma besteht dabei hauptsächlich darin, dass die Auseinandersetzung zwischen den Beteiligten maßgeblich bestimmt ist durch bewusst provozierende Abgrenzungsversuche.

Vor allem ein zentrales Problem wird notorisch ignoriert: der grundsätzliche Umgang der politischen Öffentlichkeit mit dem Eigenen, das bisweilen fremd geworden zu sein scheint. Und jenem Fremden, das man sich entweder unerschrocken anzueignen oder verängstigt abzuwehren beabsichtigt.

Ein Hauptgrund für diese neue Unübersichtlichkeit in der immer wieder gern verdrängten religiös-politischen Identitätsfrage liegt wohl in der besonderen, geschichtlich bedingten Situation, in der sich Deutschland seit Beginn der Reformation und der damit verbundenen Trennung in evangelisch und katholisch befindet. Damit eng verbunden ist auch das Wirken zweier unterschiedlicher politischer Stile, deren weltanschauliche Prämissen auf verschiedenen Ebenen auseinanderstreben.

Wesenszüge des Protestantismus
 

So ist der Protestantismus traditionell eher der säkularen Option verpflichtet, weil er weiß, dass die nicht-säkulare Option von der katholischen Kirche größtenteils bereits besetzt ist. Als eine eher auf innerliche Subjektivität setzende Religion ist der Protestantismus damit auch stärker dem Prinzip des Folgens von unsichtbaren Regeln verpflichtet. Diese erzwingen eine Durchsetzung von sich aus, das heißt ohne Prüfung eines Lehramtes. Die Notwendigkeit soll dabei als öffentliche und vom Menschen frei zu ergreifende Vernunft erscheinen und das eigene Handeln anleiten.

So scheint auch das politische Vorgehen unserer Bundeskanzlerin für dieses Modell ein gutes Beispiel zu geben: Merkels pragmatischer Fideismus ist dabei das Unterpfand einer sozialliberalen Politik, die auf den ersten Blick niemanden ausschließen und verprellen möchte. Denn Vernunft ist für sie einerseits Mittel zur Durchsetzung überindividueller Interessen, soll andererseits aber auch einen unnachgiebigen Glauben repräsentieren, der Grund eines unerschütterlichen Vertrauens in eben diese Vernunft ist.

Macht, die sich aus einer Ohnmacht speist
 

Dieses Vertrauen gewinnt seine Kraft aber vornehmlich aus der gefühlten Ohnmacht gegenüber einer größeren Kraft beziehungsweise Macht, die traditionell in der unerreichbaren Übermacht Gottes gesehen wurde. Diese Ohnmacht ist wiederum Quelle großer Gestaltungskraft, egal ob man in sie einstimmt oder sich ihr widersetzt.

Während Angela Merkel also versucht, diese in handlungswirksame Notwendigkeit zu transformierende Ohnmacht geschickt für sich und andere einzusetzen, versammeln sich ihre Gegner in der AfD, deren intellektuelle Köpfe interessanterweise größtenteils ebenso aus einem protestantischen Milieu entstammen, um dieser Ohnmacht gerade nicht zu verfallen.

Man könnte also meinen, dass wir es derzeit bezüglich der religiös-politischen Frage in Deutschland vorwiegend mit einem innerprotestantischen Problem zu tun haben: eine in der Spitze durch den Einfluss von Angela Merkel zumeist protestantisch geprägte CDU auf der einen und eine ebenfalls protestantisch sozialisierte Führungsriege der AfD auf der anderen Seite, die glaubt, einen religionsindifferenten politischen Konservatismus wiederbeleben zu können. Gestützt wird diese Konstellation durch einen Bundespräsidenten und ehemaligen Pastor, der seine Vermittlungsrolle darin sieht, die Zusammengehörigkeit dieser inneren Gegensätze rhetorisch zu überspielen.

Der innerprotestantische Kampf: Merkel vs. AfD
 

Die CDU um Angela Merkel nutzt dabei Politik und christliches Bekenntnis vornehmlich dazu, ein liberales, auf formaler Gleichberechtigung, nicht Gleichbeachtung, fußendes System von Interessen zu installieren. Dass soll vielmehr einer höheren Vernunft folgen als den Ängsten und Befürchtungen eines großen Teils der eigenen Bevölkerung.

Demgegenüber ist die AfD bestrebt, gerade diese Ängste aufzugreifen und in ein politisches Programm umzumünzen. Sie möchte jenes Prinzip eines pragmatisch prozeduralisierten Vertrauens in eine höhere Vernunft, „die es schon richten wird“, lieber durch eine auf Selbsterhaltung setzende Politik der nationalen Vergewisserung nach innen und der aktiven kulturellen Abgrenzung nach außen ersetzen.

Allerdings, so zeigt die derzeitige Situation, wird hier wie dort der tatsächliche Inhalt des postulierten Vertrauens beziehungsweise der gewünschten Selbstvergewisserung nicht deutlich. Das liegt unter anderem daran, dass die nicht zu garantierenden Voraussetzungen, von denen eine Gesellschaft laut Ernst-Wolfgang Böckenförde lebt, entweder verleugnet oder als Moment der gesellschaftlichen Entwicklung selbst, das heißt des Säkularisierungsprozesses, begriffen werden.

Der katholischen Kirche fehlt es an Führungsfiguren
 

Und bei alldem fragt man sich auch: Wie steht es eigentlich um die katholische Kirche beziehungsweise den politischen Katholizismus, der doch vorgibt, jene Voraussetzungen garantieren zu können?

Nun, auf der politischen Hauptbühne hat die katholische Kirche in Deutschland in den letzten Jahren und Jahrzehnten erheblich an Einfluss verloren. Ihr fehlt schlicht und ergreifend das politische Führungspersonal. Konnte man Politikern wie Konrad Adenauer und Franz Josef Strauß noch attestieren, ihren katholischen Glauben als Fundament ihres politischen Handelns zu verstehen, so finden wir heute kaum noch Politiker dieses Formats.

Die vortreffliche Fähigkeit der erwähnten Personen bestand unter anderem darin, Macht gerade nicht aus dem Gefühl der Ohnmacht zu gewinnen, sondern sie allein um ihrer selbst willen auszuüben. Also im geprüften Vertrauen darauf, dass vernünftig getroffene Entscheidungen genug Durchsetzungskraft haben, um dem Gemeinwohl auf lange Sicht zu dienen.

Die fehlende politische Mitte
 

Dieser adäquate Einsatz politischer Handlungsmacht konnte sogar dafür sorgen, dass große politische Gegensätze überwunden werden konnten, indem deren Zentrifugalkräfte in das Zentrum einer nicht-totalitären Macht eingebunden und neutralisiert wurden. Dass eine solche politische Mitte, die in aktiver Weise Extreme zu binden versucht, hierzulande gerade zu erodieren droht, ist offensichtlich.

Wir befinden uns in einem Land, in dem die Volksparteien immer mehr an Zustimmung verlieren, weil sie den Bürgern nicht mehr das Gefühl geben, tatsächlich politische Handlungsmacht zu besitzen. Der berühmte Satz von Franz Josef Strauß, wonach es rechts von der CSU keine demokratisch legitimierbare Partei geben dürfe und den Angela Merkel in jüngster Zeit relativiert hat, bringt dabei das ganze Problem auf den Punkt.

Die AfD ist hierbei bloß ein Symptom dieser Konstellation. Denn sie zeigt auf, wo sich katholisches Machtbewusstsein bereits verflüchtigt hat und wo sich protestantisches Freiheitsverständnis auf Kosten einer freigestellten Verpflichtung, sich um das Gemeinwohl eines großen Teils seiner Bürger zu sorgen, bereits durchsetzen konnte.

Das Selbstbild der Nation schärfen
 

Zwar versucht die CSU gerade, jenes überlieferte katholische Machtverständnis, welches eben den Blick für das Ganze nicht aufzugeben bereit ist, aufrecht zu erhalten: Sie tritt als Integrationsinstanz auf, die sowohl religiöse als auch politische Lagervorstellungen unter Einhaltung demokratischer Grundsätze in und an sich zu binden versucht. Diese Bindekraft ist allerdings zu schwach, weil Seehofer und Co. anscheinend Angst vor der eigenen Courage haben und dabei immer wieder an konfessionelle Grenzen stoßen werden, auch und vor allem bei ihrer ehemals katholisch geprägten Schwesterpartei CDU.

Angela Merkel, die dieser neuen CDU, zumindest für ihre Amtszeit, ein unauslöschliches Konterfei verliehen hat, umgibt dabei weiterhin eine besondere Aura der Macht. Die hat sie jedoch nicht selbst geschaffen, was aber gerade die Quelle ihrer tatsächlichen Macht zu sein scheint. Diese janusköpfige Macht entsteht dabei aus der Empfänglichkeit der „deutschen Seele“ für die geistige Stärke eines nüchtern vorgetragenen, aber in seiner Konsequenz sich unerschütterlich gebenden Plädoyers für das konkret Unbestimmte.

Allerdings ist die AfD dabei zum Schatten Angela Merkels geworden, den sie wohl nicht so leicht losbekommen wird. Es wäre daher eine dringliche, vor allem auch kulturelle Aufgabe, das Selbstbild einer Nation wieder zu schärfen, damit endlich klar werden kann, ob und inwieweit dieser Schatten zu unserem religiös-politischen Selbstverständnis gehört.

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