
- Wer jetzt kein Haus hat
Kolumne: Morgens um halb sechs. Verzweifelt suchen Familien landesweit nach einem Zuhause. Es zu finden, erweist sich jedoch als schwierig bis unmöglich. Wo können wir noch leben?
Ein kleiner Garten, eine Küche, in der man einmal um den Tisch gehen kann, ein Flur mit etwas Stauraum für Fußballschuhe. Die Ansprüche an ein neues Zuhause sind nicht hoch, dennoch lassen sie sich kaum erfüllen. In Deutschland wird der Platz knapp. Die Suche nach einer Unterkunft entpuppt sich zunehmend als Alptraum. Bezahlbare Wohnungen und Häuser finden sich immer seltener, selbst Bungalows mit uralten Ölheizungen werden für eine halbe Million Euro verscherbelt. Bald hat der oder die Suchende ganze Städte durchkämmt. Eine Drei- bis Vierzimmerwohnung kostet im Schnitt so viel wie ein kleines Schloss in der Normandie. Wozu noch in Deutschland leben? Es mangelt an Ärzten und Kitaplätzen und in den Schulen mangelt es an Qualität. Haben wir vor Expansionshunger den Blick aufs eigene Land verpasst?
Keine Immobilie ohne Haken
Im Ungewitterweg Nr. 0 wäre noch Platz. Oder mitten an der Hauptstraße, in stickstoffversetzter Luft, die weit über dem Grenzwert liegt. Da wäre auch ein kleines Reihenhaus für glatte 700.000 Euro, mit schuhkartongroßem Garten, direkt in der Flughafenschusslinie. Oder man zieht gleich ins friesische Grabstede in ein renovierungsbedürftiges nasses Bauernhaus. Kaum eine Immobilie, die keinen Haken hat. Von Harmonie ist gar nicht zu sprechen, man kann froh sein, überhaupt etwas gefunden zu haben und nimmt Mängel in Kauf. Familien verschulden sich, um nicht von der Last hoher Mieten erdrückt zu werden.
Bald gibt es nur noch Sozialbauwohnungen und Luxuslofts. Die Mitte bricht unter der Miete zusammen. Welche Familie kann sich eine reguläre Monatsmiete von fast zweitausend Euro leisten? Für das Geld kann man auch dauerhaft im Hotel wohnen. Es muss ja nicht das Hotel Atlantik sein, dort wohnt schon Udo Lindenberg.
Die zermürbende Suche
Wohnungsknappheit ist nicht allein ein deutsches Phänomen. Im Vereinigten Königreich hat sich der Markt schon lange auf ein millionenhohes Niveau eingependelt. Doch selbst in Lettland steigen die Preise im Schnelltempo. Eine Datsche auf dem Land kostet inzwischen bis zu 100.000 Euro. Der Trend ist überall derselbe: Preissteigerungen, sinkende Lebensqualität, schwierige Bedingungen für Normalverdiener.
So mancher Sommer wird mit chronischer Wohnungssuche verbracht. Den Immobilienmarkt durchklicken bis die Finger nachts schattenhaft nachzucken? Dreihundert Objekte am Tag sind zu schaffen. Mit kleinen Verschnaufpausen sind das achttausend im Monat – und nichts dabei, das wirklich stimmt. Alte Schrottbuden mit giftgrünen Bädern, vermoosten Terrassen, fahrigen Markisen und vergammelten Garagen. Neben verwahrlosten Siebzigerjahrebunkern findet man an den Stadtrand geklotzte Fertighäuser aus kurzlebigem Material. Die restlichen Wohnstätten sind kaputtgedämmt.
Ohne Erbe geht nichts mehr
Wer ein wenig Erbschaft hat, sichert derzeit den Bestand. Die einzige Möglichkeit für Normalverdiener, eine Unterkunft zu kaufen und der Miete zu entgehen, bleibt oft nur das Familienerbe. Gerade das aber soll uns zukünftig – im Wahlkampf kräftig angekündigt – auch noch gekürzt werden. Was ist so schlimm daran, dass Familien sich auf das Familienerbe stützen, wenn die Lebensbedingungen im eigenen Land unerschwinglich geworden sind?
In Großbritannien geht es kaum mehr ohne Familienerbe. Nur reicht auch das oft nicht aus. Viele Einwohner lassen das Heizen weg. Rentner findet man tagsüber im Museumscafé und in Bibliotheken, da es dort schön warm ist. Airbnb hilft jenen, die ein Haus haben, die Grundkosten zu decken. Allerdings werden auch die Airbnb Zimmer nicht geheizt. Wenn draußen der Wind pfeift, bibbern die Gäste unter den Decken. Sehr schnell weiß man, weshalb ein Fenster „window“ heißt. Der Wind geht hindurch und hinterlässt ein leises Heulen, wie von einer „owl“, einer Eule. Wer friert, übertreibt zuweilen. Noch können wir uns in Deutschland das Heizen leisten. Dennoch rechnet, wer sich heutzutage ein Haus oder eine Wohnung mit Erbe oder auf Kredit kauft, das vermietete Gästezimmer oder die Einliegerwohnung gleich mit ein.
Schließlich kann man, wenn man gar nichts findet, mit der Familie dauerhaft Spazieren gehen. Dann ist der Himmel das Dach überm Kopf und der Kantstein das Maß für den Tag. Hausaufgaben werden dann abends gemacht, mit Klapptisch unter der Laterne.