Der Soziologie-Professor Theodor Adorno am 28.05.1968 bei einer Veranstaltung gegen die Notstandsgesetzgebung im Großen Sendesaal des Hessischen Rundfunks in Frankfurt am Main bei seinem Vortra
Setzte einen folgenreichen Merksatz in die Welt: Der Philosoph Theodor W. Adorono / picture alliance

68er - Im richtigen Leben

Die Antibürgerlichkeit der 68er hat eine neue herrschende Klasse hervorgebracht, die die liberale Demokratie infrage stellt. Seitdem hat Politik in Deutschland Moral zu sein. Eine freimütige und freisinnige Debatte ist so seit 50 Jahren nicht möglich

Autoreninfo

Frank A. Meyer ist Journalist und Kolumnist des Magazins Cicero. Er arbeitet seit vielen Jahren für den Ringier-Verlag und lebt in Berlin.

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Vielleicht sind die folgenden Worte ja mehr als nur Worte eines Parteivorsitzenden. Vielleicht sind sie ja das Wort zum Jahr 2018: „In Deutschland gibt es einen verbreiteten Glauben, widersprüchliche Wahlprogramme von Parteien seien im Grunde schädlich. Widersprüche zwischen den Parteien seien falsch für das Gemeinwohl. Und müssten deshalb irgendwie auf angenehme Weise verbunden werden, damit dann gute gemeinwohlorientierte Politik rauskommt. Das ist eine spezifisch deutsche und im Übrigen auch vordemokratische Form der politischen Romantik, meine Damen und Herren.“

Die Sätze stammen von Christian Lindner. Er formulierte sie bei der Dreikönigskundgebung der FDP in Stuttgart. Sieben Wochen, nachdem er die Sondierungsverhandlungen für eine schwarz-grün-gelbe Regierungskoalition hatte platzen lassen. Die Gründe, die Lindner für den Gang seiner Partei in die Opposition anführte, also die Unvereinbarkeit liberaler Politik mit schwarzen und grünen Regierungsabsichten, wurden binnen Stunden umgedeutet: in Flucht vor der Verantwortung, in Angst davor, die Bundesrepublik mitzuregieren. Lindner habe sich aus dem Staub gemacht, war zu hören und zu lesen. Im „heute-journal“, dem Nachrichten-Hochamt des ZDF, wurde der FDP-Vorsitzende ob seiner Pflichtvergessenheit mit pfäffischer Strenge angeherrscht.

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Joachim Wittenbecher | Do., 15. Februar 2018 - 08:33

Dieser Artikel von Herrn Meyer geht unter die Haut, weil er direkte Verbindungen offenlegt zu den heutigen Fehlentwicklungen - politische Korrektheit, Hypermoralismus und - damit verbunden - Verlust an öffentlichem Diskurs. Den 68-ern und ihren Nachfolgern, den Öko-Moralisten, ist es also gelungen, das gesamte Feld der Gesellschaft umzupflügen. Sie sind jetzt Elite. Unerträglich ist jedoch, dass diese Elite gegenüber der Mehrheitsgesellschaft geistig ihren Oppositionshabitus weiter pflegt, als seien sie im Zustand der Unterdrückung. In Wirklichkeit handelt es sich dabei jedoch um ein Machtmittel.

Manfred Steffan | Do., 15. Februar 2018 - 09:17

der 68er war, aber das Ergebnis stimmt: Die herrschende Klasse stellt die liberale Demokratie infrage . Seitdem hat Politik in Deutschland Moral zu sein. Eine freimütige und freisinnige Debatte ist so nicht möglich.

Dorothee Sehrt-Irrek | Do., 15. Februar 2018 - 11:36

dem sehr viel mehr gebührt als ein Kommentar oder mehrere.
Ich glaube, es ist ein bisschen geschrieben für die Ewigkeit, für das Immer-wieder-NEU, das Nietzsche im Zarathustra beschwört und es wäre doch nie etwas ganz anderes.
Dennoch möchte ich zu Ehren Adornos sprechen, obwohl ich ihn für mich sehr kritisch sah.
Er war ein großer Denker, der sich nach den Grauen des 3.Reiches, die "sein Herkommen" in besonderer Form betrafen, weiter dem Denken verpflichtet sah.
Das ist auch ein Auftrag, dem sich vielleicht zuwenige heutzutage verschreiben.
Marcuse darf man doch auch nicht 1:1 lesen und umsetzen.
Denken setzt meist und dies besonders bei Adorno enorme Arbeit voraus.
Streicht man die einfach durch, kann man es gut handhaben, aber auch daran scheitern.
Ich glaube, dass Sie, Herr Meyer diese Arbeit nicht leugnen wollen, sondern auf ein anderes Denken verweisen, das ich auch eher schätze.
Dennoch, die Fragen nach dem "Absoluten" sind dadurch nicht vom Tisch.
Zu lang ist`s her...

Jürgen Keil | Do., 15. Februar 2018 - 14:28

Der Aussage dieses Artikels stimme ich zu.
Und ich habe ihn genossen, weil er gut, also sachlich, mit Witz und Biß, und in feinem Deutsch geschrieben wurde.

Harro Meyer | Do., 15. Februar 2018 - 15:51

Das hat mit Politik nichts zu tun. Das ist angewandtes Christentum, das hier durch die Hintertür den moralischen Anspruch des Kirchenlehrers Augustinus, den der aus dem Griechischen von Sokrates und Platon falsch übersetzt und mit der orientalische Sexauffassung vermischt hatte, wieder in den Vordergrund zu ziehen. Das klare Denken eines Kant ist im Christentum nie angekommen. Da benutzt man lieber die Hintertür. Probleme löst ein Dogma; das fehlt uns in der Politik.

Helga Raun | Do., 15. Februar 2018 - 18:02

trotzdem gebe ich Ihnen recht, daß diese 68-er haben den Anfang für unser Untergang den Grundstein gelegt, was die Groko jetzt endlich besiegeln wird....

Eberhard Thamm | Fr., 16. Februar 2018 - 06:45

mit Moral der leeren Worte
Es ist daher müßig Kant oder Hegel heranzuziehen, um festzustellen dass Sittlichkeit und Moral längst in völliger Egalität und puren Egoismus eines Individuum entglitten ist. All inklusive only me ist Motto, kranke Denkweise und Beziehungslosigkeit zum Nächsten. Hingeworfener Dreck überall, Vandalismus, massenhafte Körperverletzungsdelikte, Opfer u. Verbrechen mit Dashcam und Handy filmen und rücksichtsloses Verhalten auf Plätzen, Straßen und Autobahn infolge auch eingewanderter anderer Mentalität, mangelnder Überwachung und genau so unangepasster „labbelicher“ Bestrafung dafür, zeigen dass unserer Gesellschaft dekadent, verlottert wie unsere gewählten Vertreter haben diesen Staat und damit das Recht durch „nicht erkennen wollen-können“ seit langen in die Handlungsunfähigkeit getrieben. Fazit: Die schwarze NULL nebst Mitläufer haben zu lange regiert statt agieren!

Yvonne Walden | Fr., 16. Februar 2018 - 10:33

Wenn hier von einer neuen "Herrschenden Klasse" die Rede ist, sollte diese Begrifflichkeit nicht unwidersprochen bleiben.
Unter der "Herrschenden Klasse" ist gemeinhin - und zwar seit Jahrzehnten, wenn nicht gar seit der Begründung der Weimarer Republik - die Rede, wenn es sich um die politische Herrschaft des Großkapitals und der Hochfinanz handelt, die diese Herrschaft über ihr Kapital an den Produktionsmitteln begründeten.
Die behauptete Antibürgerlichkeit der 68er führte bekanntlich nicht dazu, daß sich die Machtverhältnisse in der BRD grundlegend änderten - im Gegenteil.
Nach dem Zusammenbruch des Staatskapitalismus und den Erziehungsdiktaturen in der DDR und den übrigen Staaten des Warschauer Paktes können wir die große Restauration beobachten, nämlich eine massive Steigerung der finanziellen und materiellen Umverteilung von unten nach oben. Die Reichen und Superreichen durften jubeln.
Ich denke, daß auch Frank A. Meyer dies in gleicher Weise beobachten und bewerten konnte.

Axel Kreissl | So., 18. Februar 2018 - 03:02

Im richtigen Leben lernt man zuerst Laufen. Die 68er und ihre jüngeren Geschwister, die jetzt die Geschicke des Staates bestimmen, können alles theoretisch, aber nichts praktisch. Sie müssen ganz unten anfangen oder ganz von vorne und erst einmal Laufen lernen. Vorher steht man auf zwei Beinen. Die jetzige Generation besteht aber aus Hochseiltänzern. Sie werden abstürzen ohne Netz und sich das Genick brechen!