Russland auf der Suche nach neuen Allianzen - Moskau wirbt um neue Freunde

Wegen der Wirtschaftssanktionen des Westens ist der Kreml sehr darum bemüht, neue Verbündete zu finden. Insbesondere die BRICS-Staaten Brasilien, Indien, China und Südafrika werden derzeit von Russland umworben – sie sollen als „südliche“ Alternative zu den G7 etabliert werden. Doch die Reaktionen sind verhalten. Auch andere Entwicklungen deuten darauf hin, dass Moskau kein leichtes Spiel hat.

Wladimir Putin am Mittwoch während eines Treffens der Anrainerstaaten des Kaspischen Meeres in Aschgabat / dpa
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Antonia Colibasanu ist Analystin bei Geopolitical Futures und Dozentin an der rumänischen National Defence University mit Sitz in Bukarest.

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Die erste Hälfte des Jahres 2022 endet mit einer Reihe von wichtigen Gipfeltreffen. Die Treffen der Staats- und Regierungschefs sind normalerweise keine schicksalhaften Ereignisse, aber beim G7-Gipfel in Bayern und beim BRICS-Gipfel in Peking war es diesmal anders. Inmitten des russisch-ukrainischen Krieges, einer weltweit steigenden Inflation und einer drohenden Nahrungsmittelkrise haben die Staats- und Regierungschefs ernsthaft damit begonnen, ihre wirtschaftlichen Allianzen neu zu schmieden und die Weltordnung für die kommenden Jahre neu zu gestalten.

Die Gruppe der Sieben besteht aus den reichsten Demokratien der Welt – Kanada, Frankreich, Deutschland, Italien, Japan, Großbritannien und den Vereinigten Staaten – sowie der Europäischen Union. Seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine am 24. Februar haben sich diese Länder koordiniert, um Kiew auf verschiedene Weise zu unterstützen und gleichzeitig einen Wirtschaftskrieg gegen den Kreml zu führen. Die Sanktionen und die russischen Gegenmaßnahmen haben jedoch dazu beigetragen, die Energiepreise in die Höhe zu treiben, was die ohnehin schon hohe Inflation noch verschärft und in weiten Teilen Europas, das in hohem Maße von russischer Energie abhängig ist, zu ernsthaften sozialen und wirtschaftlichen Risiken führt.

Der Krieg hat auch die ukrainische Getreideproduktion und -ausfuhr stark beeinträchtigt, während die hohen Energie- und Düngemittelpreise die Produktion in anderen Ländern beeinflussen. Das Ausmaß dieser Krisen erfordert koordinierte Lösungen auf hoher Ebene. Die G7 hoffen, die wirtschaftlichen Schwierigkeiten für alle (außer Russland) zu mildern und gleichzeitig den Druck auf Moskau zu erhöhen, um den Krieg zu beenden.

Goldembargo gegen Russland

Ein Element dieses Druckaufbaus ist ein Goldembargo, das am Dienstag beschlossen wurde. Russland hat seine enormen Goldvorräte genutzt, um die Auswirkungen der Sanktionen abzuschwächen und seine Währung zu stützen. Da der Westen nach neuen Möglichkeiten sucht, um den Rubel und die russische Wirtschaft ohne europäische Energiesanktionen unter Druck zu setzen, ist das Verbot russischer Goldimporte ein logischer Schritt. Die USA haben bereits seit März Goldtransaktionen mit Russland verboten.

Eine weitere Maßnahme, die noch lange nicht abgeschlossen ist, betrifft die Deckelung des russischen Ölpreises. Die Einnahmen aus den russischen Energieexporten haben zur Finanzierung des Krieges beigetragen, und die Sanktionen haben den Preis bisher nur in die Höhe getrieben. Die Vereinigten Staaten und andere Länder haben die Einfuhr von russischem Öl bereits untersagt, aber ein Großteil Europas ist zu sehr von russischen Lieferungen abhängig, um ähnliche Verbote zu erlassen. Eine Preisobergrenze würde theoretisch dafür sorgen, dass die Ölströme weiter fließen (wenn Russland es will) und gleichzeitig Russlands Einnahmen schmälern.

 

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Stilllegung droht nicht nur bei Nord Stream 1

Es bleiben jedoch viele Fragen zur Umsetzung offen, und Moskau verfügt über einen bedeutenden Einfluss. So könnte es sich beispielsweise weigern, sein Öl zum vorgeschriebenen Preis zu verkaufen, oder es könnte weitere Erdgaspipelines nach Europa unter dubiosen Vorwänden stilllegen, wie es dies bei Nord Stream 1 nach Deutschland androht. Diese Gegenmaßnahmen wären für Russland mit eigenen Kosten verbunden, und es ist kaum herauszufinden, welche Seite den Schmerz länger ertragen könnte. Klar ist, dass sich der Westen bei der Sicherung alternativer Energielieferungen schwergetan hat und sich daher in einer misslichen Lage befindet.

Bei näherem Hinsehen geschieht jedoch etwas Wichtigeres. Die G7 und der sogenannte Westen im Allgemeinen brauchen Verbündete, die sie bei der Verteidigung bestehender internationaler Regeln und Normen unterstützen und ihnen helfen, ihre Abhängigkeit von russischer Energie zu verringern. Sie brauchen auch Verbündete gegen die potenzielle Nahrungsmittelkrise, die von Russland – selbst ein großer Nahrungsmittelproduzent – durch die Zerstörung ukrainischer Getreidelager und eine Blockade des Schwarzen Meeres ausgelöst wird.

Zu diesem Zweck haben die deutschen Gastgeber des G7-Gipfels Argentinien, Indien, Indonesien, Senegal und Südafrika zur Teilnahme eingeladen. In einer Erklärung kündigten die G7-Staaten ihre Absicht an, mit den Gastländern sogenannte „Just Energy Transition Partnerships“ zu schließen, was darauf hindeutet, dass alle oder einige von ihnen dem Westen helfen könnten, sich von der russischen Energieversorgung abzukoppeln. In der Zwischenzeit erörtern Deutschland und Senegal Möglichkeiten zur gemeinsamen Erkundung und Erschließung der senegalesischen Erdgasreserven. Argentinien bot offiziell an, „ein stabiler und zuverlässiger Ersatzlieferant für russisches Gas nach Europa und für Lebensmittel in der Welt“ zu werden. Und Indien kündigte die Wiederaufnahme von Freihandelsgesprächen mit der Europäischen Union an, nachdem diese fast zehn Jahre lang eingefroren waren.

Viel Grund zur Vorsicht

Gleichzeitig gibt es viel Grund zur Vorsicht. So sind beispielsweise die meisten argentinischen Gasreserven noch nicht erschlossen, und es bedarf erheblicher Investitionen, um die Versprechen zu erfüllen. Indien seinerseits hat Russland wegen seines Einmarsches in der Ukraine noch nicht verurteilt. Harte Diskussionen liegen noch vor uns. Nicht alle Akteure haben sich für eine Seite entschieden, und um die Überzeugungsfähigen auch wirklich zu überzeugen, bedarf es eines Ausgleichs.

Während der Westen Verbündete rekrutiert, scheint der Kreml Probleme zu haben, seine Partner zusammenzuhalten. Anfang dieses Monats veranstaltete Russland sein Internationales Wirtschaftsforum in St. Petersburg, bei dem Regierungs- und Wirtschaftsführer zusammenkamen, die an einer Zusammenarbeit mit Russland interessiert waren. Die Zahl der Teilnehmer ist seit dem Beginn der russischen Operationen in der Ukraine im Jahr 2014 deutlich zurückgegangen, aber dennoch waren führende Persönlichkeiten aus der Eurasischen Wirtschaftsunion sowie aus China, Indien, Venezuela, Kuba und Serbien bei dem Forum anwesend.

Während der Veranstaltung machte der kasachische Präsident Kassym-Jomart Tokajew Schlagzeilen, als er erklärte, Kasachstan werde die abtrünnigen ukrainischen Republiken Donezk und Luhansk nicht anerkennen. Er sagte auch, dass die meisten Nicht-G7-Länder es vorzögen, sich nicht für eine Seite zu entscheiden, während er argumentierte, dass Russland „befreundeten“ Ländern viel zu bieten habe. Am Wochenende versuchte Tokajew offenbar, den Schaden zu begrenzen, der durch eine Abweichung vom Drehbuch des Kremls entstehen könnte, indem er Russland als einen wichtigen Verbündeten bezeichnete und sagte, er habe ein „nettes Treffen“ mit Präsident Wladimir Putin gehabt. Tokajew fügte hinzu, dass die russischen Reparaturen an einer kasachischen Ölpipeline wahrscheinlich noch in dieser Woche abgeschlossen sein werden. (Westliche Beamte bezweifeln, dass die Pipeline tatsächlich einer notwendigen Wartung unterzogen wird.)

Das Forum in St. Petersburg fand im Anschluss an das 14. jährliche Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) statt, einer „südlichen“ Konkurrenz zu den G7-Staaten und den US-geführten Blöcken im Allgemeinen. Auf dem Gipfel am 23. Juni bat Putin seine Amtskollegen um Unterstützung und um engere wirtschaftliche Beziehungen, um den westlichen Sanktionen entgegenzuwirken.

Aufrufe stoßen auf taube Ohren

Bislang sind seine Aufrufe auf taube Ohren gestoßen. Obwohl nur Brasilien bei einer UN-Abstimmung im März für die Verurteilung des russischen Angriffs auf die Ukraine gestimmt hat, haben die anderen BRICS-Mitglieder auf Zeit gespielt und eine klare Parteinahme vermieden. Sie haben sich Russlands Bereitschaft, Geschäfte zu machen, zunutze gemacht und sich gleichzeitig für westlichen Handel und Investitionen geöffnet. Indien hat seit Beginn des Krieges seine Käufe von russischer Energie deutlich erhöht, war aber auch beim G7-Gipfel dabei und nahm die Handelsgespräche mit der EU wieder auf. Südafrika steht normalerweise auf der Seite Russlands, nahm aber ebenfalls am G7-Treffen teil, wo es Energieprojekte mit Deutschland besprach. Und Argentinien bemühte sich, wie erwähnt, um Energie- und Agrarinvestitionen der G7.

Putin warb auch für die Idee einer auf einem BRICS-Währungskorb basierenden Währung und einer Alternative zum SWIFT-Interbankensystem und wies darauf hin, dass der russische Handel mit der BRICS-Gruppe im ersten Quartal 2022 um 38 Prozent gestiegen sei. Die Bemühungen sollen den russischen Handelspartnern dabei helfen, nicht von westlichen Sanktionen betroffen zu sein, was für sie nach wie vor ein großes Problem darstellt. So müssen beispielsweise Spediteure in China, die Waren nach Europa schicken wollen, wählen, ob sie dies über russisches oder kasachisches Gebiet tun wollen.

Den verfügbaren Daten zufolge entscheiden sich immer mehr für Letzteres. Die staatliche kasachische Eisenbahngesellschaft berichtet, dass der Handelshafen Aktau, der Hafen Kuryk und das Aktau Marine North Terminal ihr Frachtaufkommen seit Anfang des Jahres verdoppelt haben. Die chinesische „Belt and Road“-Initiative sah Kasachstan bereits als Transitzone für den Handel von und nach Europa vor. Der Krieg in der Ukraine beschleunigt diesen Prozess und steigert die regionale Bedeutung Kasachstans. Auch die strategische Partnerschaft zwischen Kasachstan und der Türkei unterstützt diese neue Verkehrskarte. Am 10. Mai trafen Tokajew und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan zusammen, um die Diversifizierung der Ölexportrouten nach China und Europa zu erörtern, „einschließlich der Nutzung der türkischen Transportkorridore“.

Flexibilität über alles

Dies ist ein wichtiger Kontext für Tokajews Äußerungen in St. Petersburg. Der kasachische Präsident hat mehr denn je ein wichtiges Druckmittel in seinen Beziehungen zu Putin. Dies erklärt auch, warum Putin am Mittwoch am Kaspischen Gipfel in Aschgabat teilnahm, auf dem weitere Investitionsprojekte erörtert werden sollten. Der Kreml glaubt nicht, dass die vorgeschlagenen neuen Korridore effektiv sein werden – der Kaukasus ist zu instabil –, zeigt sich aber besorgt über die Entwicklung regionaler Initiativen ohne seine Beteiligung.

In der abschließenden Erklärung der BRICS-Staaten wurde auf die Positionen verwiesen, die die Mitglieder im UN-Sicherheitsrat und in der UN-Generalversammlung zum Ausdruck gebracht hatten, und ihre Unterstützung für die humanitäre Hilfe der Vereinten Nationen in der Region bekräftigt. Solche nebulösen Erklärungen bestätigen nur das Zögern der Länder, sich offen auf die Seite Russlands zu stellen. Allerdings sind sie auch nicht darauf erpicht, sich auf die Seite des Westens zu stellen. In einem von Unsicherheit geprägten wirtschaftlichen Umfeld ist Flexibilität unbezahlbar.

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