Bidens Rede in Warschau - „Das westliche Bündnis ist stärker als jemals zuvor“

In seiner Warschauer Rede hat US-Präsident Joe Biden der Ukraine uneingeschränkte Unterstützung zugesagt und gleichzeitig die Polen des Nato-Beistands versichert. Dabei war das Verhältnis zwischen Polen und den USA in den vergangenen Jahren nicht immer spannungsfrei.

Die Rede von Joe Biden wurde in Polen mit Spannung erwartet / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Thomas Urban ist Journalist und Sachbuchautor. Er war Korrespondent in Warschau, Moskau und Kiew. Zuletzt von ihm erschienen: „Lexikon für Putin-Versteher“.

So erreichen Sie Thomas Urban:

Anzeige

Vor der Kulisse des Warschauer Königsschlosses hat US-Präsident Joe Biden am Dienstagabend die Ukraine der uneingeschränkten Unterstützung der Vereinigten Staaten versichert und bekräftigt, dass die Nato jeden Fußbreit des Territoriums ihrer Mitgliedstaaten verteidigen werde. In seiner 20-minütigen temperamentvollen Rede legte Biden dar, wie sehr sich Kremlchef Wladimir Putin verschätzt habe, als er vor einem Jahr den Befehl zum Angriff auf die Ukraine gab: Putin habe die Nato „finnlandisieren“, also politisch neutralisieren wollen, doch sei das Gegenteil eingetreten, denn Finnland habe sich „natoisiert“. Das westliche Bündnis sei nun stärker als jemals zuvor. Er nannte Putin einen Diktator, der ein Imperium wiederaufbauen wolle, dessen Truppen Bahnhöfe, Krankenhäuser und Schulen bombardierten. 

Vor den in den ukrainische Nationalfarben blau-gelb ausgeleuchteten Schlossarkaden, vor denen sich mehrere Tausend Warschauer eingefunden hatten, wiederholte Biden seine Ankündigung, die er am Vortag bei seinem überraschenden Besuch in Kiew gemacht hatte: Die USA werden den Ukraine weiterhin alle Mittel zur Verfügung stellen, um die russischen Aggressoren abzuwehren und besetzte Territorien wiederzuerlangen. „Die Ukraine wird niemals Opfer Russlands sein“, rief er aus. Er erinnerte daran, dass unmittelbar nach dem russischen Überfall vor einem Jahr viele Politiker in der Welt meinten, Kiew werde sich nur wenige Tage oder gar Stunden halten können. Doch der Tapferkeit der ukrainischen Soldaten und auch der Hilfe aus der freien westlichen Welt sei zu verdanken, dass Kiew „weiterhin stolz dasteht“. Dem polnischen Volk dankte er für die Aufnahme mehrerer Millionen Flüchtlinge aus der Ukraine. 

Der Ort der Rede Bidens war bewusst gewählt: Das Warschauer Königsschloss gilt als Symbol für den Überlebenswillen der polnischen Nation. Im Zweiten Weltkrieg wurde es von den deutschen Besatzern gesprengt, nach dem Krieg blockierten die sowjetischen Besatzer lange den Wiederaufbau, doch schließlich gab die kommunistische Führung nach. Kurz vor dem Wendejahr 1989 war auch die prachtvolle Inneneinrichtung wiederhergestellt, das Schloss wurde somit auch Symbol für die Wiedererlangung der Unabhängigkeit. In Polen sieht man heute die Ukraine in derselben Lage wie das eigene Land im Zweiten Weltkrieg, angegriffen von einer brutalen imperialistischen Macht.

Es ist Bidens zweiter Besuch an der Weichsel innerhalb eines Jahres: Bereits im vergangenen März war er gekommen, vier Wochen nach dem russischen Überfall auf die Ukraine. Er unterstrich die Bedeutung Polens als Drehscheibe für die militärische Unterstützung Kiews durch den Westen. Polen ist somit ins Zentrum dieses geopolitischen Konflikts geraten, es wurde zum Frontstaat, so wie die Bundesrepublik während des Kalten Krieges.

Warschau war skeptisch, als Joe Biden 2020 die Präsidentschaftswahlen gewann

Damals war es Biden gelungen, alle Zweifel an der Vertragstreue der USA zu zerstreuen, die als Erster Barack Obama gesät hatte, als er 2014 die Annexion der Krim tatenlos hinnahm. Dabei waren die USA eine der Garantiemächte für die Unversehrtheit der Grenzen der Ukraine gewesen, wie sie der Kreml im Budapester Memorandum genau 20 Jahre zuvor bekräftigt hatte. Damals hatten die Ukraine, Belarus und Kasachstan unter UN-Vermittlung die aus Sowjetzeiten stammenden Atomwaffenarsenale auf ihrem Territorium an Russland übergeben; im Gegenzug gelobte Moskau, die staatliche Unabhängigkeit der drei ehemaligen Sowjetrepubliken zu garantieren. Mit dem Bruch des Abkommens durch Putin 2014 sah sich die polnische Führung mit ihren Warnungen vor dem russischen Imperialismus bestätigt, fand damals aber weder in Washington noch in Berlin Gehör.

 

Mehr zum Thema:

 
So war die nationalkonservative Regierung in Warschau sehr skeptisch, als Joe Biden 2020 die Präsidentschaftswahlen gewann, war er doch Obamas Vize gewesen. Der überstürzte Abzug der Amerikaner aus Afghanistan im Sommer 2021 schien diese Skepsis zu bestätigen. Umso angenehmer war man quer durch alle Parteien im Sejm überrascht, als Biden keinen Zweifel an der Haltung Washingtons ließ, die Ukraine massiv zu unterstützen. Auch die polnische Linke, die im Gegensatz zur deutschen Linken traditionell nicht pazifistisch ist, unterstützt diesen Kurs. Der linke Vordenker Sławomir Sierakowski organisierte mit Erfolg sogar eine Geldsammlung für eine Kampfdrohne des türkischen Typs Bayraktar, die den Ukrainern zur Verfügung gestellt wurde.

Noch Ende 2021 waren die Beziehungen zwischen Washington und Warschau überaus gespannt. Mitglieder der von der nationalpopulistischen Partei PiS geführten Regierung hatten während des letzten US-Wahlkampfs nicht verhehlt, dass sie auf einen Sieg Donald Trumps hofften, vor allem, weil dieser auf Konfrontationskurs zur EU gegangen war, die laut PiS-Chef Jarosław Kaczyński von den Deutschen kontrolliert wird. Präsident Andrzej Duda hatte sogar angekündigt, dass das bei Posen entstehende US-Hauptquartier für Mittelosteuropa „Fort Trump“ heißen solle.

Nicht zuletzt dank Putin herrscht wieder amerikanisch-polnische Harmonie

Zudem hatte die PiS versucht, den Fernsehsender TVN, der zur wichtigsten oppositionellen Stimme in Polen geworden ist, durch eine fragwürdige Änderung des Medienrechts unter Kontrolle zu bringen. Da TVN aber zum amerikanischen Discovery-Konzern gehört, griff US-Botschafter Mark Brzezinski massiv in den Konflikt ein. Sein Wort zählt, er ist der Sohn des früheren US-Sicherheitsberaters Zbigniew Brzezinski, der seit Jahrzehnten eine der höchsten Autoritäten für das politische Warschau ist. Duda wollte keinen Konflikt mit Washington riskieren, er verweigerte dem Gesetzesprojekt die Unterschrift – und verärgerte Kaczyński damit.

So herrscht nicht zuletzt dank Putin wieder amerikanisch-polnische Harmonie, Kommentatoren schreiben von den historischen Sonderbeziehungen zum Weißen Haus, die auf den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg zurückgehen. Damals hatten mehrere Polen zum engsten Kreis der Freiheitskämpfer um George Washington gehört. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs hatte US-Präsident Woodrow Wilson erheblich Anteil daran, dass Polen nach 123 Jahren der Teilungen als Staat wiederentstand. Ein Denkmal in Warschau bekam auch Ronald Reagan für seine Rede vor der Berliner Mauer von 1987: „Mister Gorbatschow, reißen Sie diese Mauer ein!“ Reagan und sein Nachfolger George H. Bush gelten in Polen als Väter des Zusammenbruchs des Sowjetblocks. Aus diesem Grunde ließ sich Polen, was heute allgemein in Warschau als Fehler angesehen wird, vom zweiten Bush im Weißen Haus 2003 als Besatzungsmacht im Irak einspannen und überließ der CIA sogar ein Schulungsheim des eigenen Geheimdienstes in Masuren für Verhöre und Folter mutmaßlicher Mitglieder von Al Kaida.

Nun läuft über das Land, in dem rund 10.000 US-Soldaten permanent stationiert sein werden, das Gros des Nachschubs für die Ukrainer; der bislang unbedeutende Provinzflughafen Rzeszów in der Südostecke Polens ist dabei zum Dreh- und Angelpunkt geworden. Hier landete auch am Sonntagabend die Airforce One, ohne dass dies die internationale Presse bemerkt hätte. Von hier brach Biden zu seiner historischen Reise nach Kiew auf.

Anzeige