
- Die Macromanie
Die EU sei „zu langsam, zu schwach, zu ineffizient“ klagt Emmanuel Macron. Seit seinem Amtsantritt will er die Europäische Union weiterentwickeln. Aber welche von seinen Ideen sind umsetzbar und was ist reine Symbolpolitik?
Europa ist verliebt. Nicht wie in der griechischen Mythologie in die junge, hübsche Tochter des Phönix und Perimede, sondern in das „alte Europa” – wie es der ehemalige US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld bezeichnete. Die Verzauberung begann, als Emmanuel Macron im Mai beziehungsweise Juni 2017 mit seiner ein Jahr zuvor gegründeten Bewegung “En Marche" die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen gewann.
Seinen Triumph feierte Macron vor der Kulisse des Königschlosses in Paris. Mit dem umjubelten Auftritt im Court Napoleon kündigte der designierte Präsident eine Rückkehr zur republikanischen Wahlmonarchie de Gaullscher Prägung an, die Francois Hollande nach dem „Hyperpräsidenten“ Nicolas Sarkozy nicht verkörpern wollte. Der Sozialist musste jedoch feststellen, dass die Franzosen keinen „normalen“ Mann als Präsidenten wollen.
Willensstärke und Wagemut
Mit der Inszenierung machte Macron noch am Wahlabend klar, dass er für eine Rückkehr zur der von Charles de Gaulle gestalteten Republik steht. Er nimmt die „Versachlichung und Normalisierung der Nationalgeschichte“ zurück, die Nicolas Sarkozy eingeleitet und François Hollande fortgesetzt hatte. Mit seinem selbstsicher-stolzen Auftreten lässt der jüngste Präsident der Fünften Republik, die unter den Nachfolgern François Mitterrands in Vergessenheit geratene Geste der historischen Größe, ja den „Kult der großen Persönlichkeit“ wieder aufleben, versteht Macron sein Amt doch in erster Linie als ein symbolisches.
Mit dieser Amtsauffassung bewegt sich der französische Staatspräsident auch auf internationalem Parkett. Bei seinem ersten Zusammentreffen mit US-Präsident Donald Trump auf dem Nato-Gipfel Ende Mai 2017 verschaffte sich Emmanuel Macron mit einem kräftigen Handschlag Respekt: „Mein Händedruck mit ihm war nicht ohne Hintergedanken“, sagte Macron der französischen Zeitung Le Journal du Dimanche. Ein solcher Händedruck sei zwar nicht das Wichtigste in der Politik, aber „ein Moment der Wahrheit“, fügte der Präsident hinzu. „Man muss zeigen, dass man keine kleinen Zugeständnisse macht, nicht einmal symbolisch“, sagte der Staatschef nach dem Händeringen mit dem US-Präsidenten. „Donald Trump, der türkische oder der russische Präsident agieren in einer Logik der Stärke – das stört mich nicht. Ich glaube nicht an eine Politik der öffentlichen Beschimpfung, aber in meinen bilateralen Kontakten lasse ich nichts einfach passieren.“
In diesem Sinne lud der französische Staatspräsident auch seinen russischen Amtskollegen nach Versailles ein. Dort unternahm er mit Wladimir Putin einen nächtlichen Spaziergang durch den mit Fackeln beleuchteten Park. Mit solchen Machtinszenierungen folgt Macron der Linie des ehemaligen französischen Präsidenten Francois Mitterrand, der schon 1982 seine G-7-Partner mit einem Gipfel in Versailles beeindruckte. Mit der Rückkehr zur französischen Status- und Symbolpolitik zeigt Emmanuel Macron laut seinem Premierminister Edouard Philippe „Willensstärke und Wagemut“.
Die „Neugründung“ Europas
Macron betonte bei seiner Amtseinführung, dass er den Franzosen wieder Selbstvertrauen geben will und „Lust auf die Zukunft und Stolz auf Frankreich“ geben. Europa sei dann wieder ein Instrument der französischen Macht. Macron erklärte: Wir haben alles, was uns zu einer großen Macht des 21. Jahrhunderts machen wird und bereits macht.“ Zu dem Zweck werde alles, was zur Stärkung Frankreichs und seinem Wohlstand beiträgt, umgesetzt. Nicht weil Europa das wolle, sondern Frankreich das brauche, erklärte der Staatspräsident am Tag nach seiner Amtseinführung in Berlin.
Auf der gemeinsamen Pressekonferenz steckten Präsident und Bundeskanzlerin das gemeinsame Aktionsfeld ab, das vor allem auf europapolitischem Gebiet liegt. Solange die Bundestagswahl bevorstand und keine neue Bundesregierung gebildet war, beackerte Emmanuel Macron im Alleingang das Feld. Der erste Staatsbesuch führte ihn nach Griechenland, wo der französische Staatspräsident über die „Neugründung“ Europas redete. Angesichts der globalisierten Welt mit den bekannten Herausforderungen Klimawandel, Migrationsströme und Unterentwicklung werde mehr europäische Souveränität gebraucht.
Das Bedürfnis sollen institutionelle Reformen befriedigen, die unter Beteiligung der Bevölkerungen ins Werk gesetzt werden sollen. Auf sogenannten Bürgerkonventen soll in den nächsten Monaten über die Zukunft des Kontinents beraten und über die Weiterentwicklung der EU entschieden werden. Ziel ist es, eine größere soziale und fiskalpolitische Konvergenz zu erreichen, einen Euro-Zonen „Verantwortlichen“, mit eigenem Budget und Parlament zu haben.
„Industrie-Champions“
Dass die präsidialen Vorschläge auf ungeteilte Gegenliebe stießen, kann nicht behauptet werden. Sie bedeuten nämlich eine Entmachtung des EU-Parlaments und eine teilweise Verdoppelung bestehender Strukturen. Emmanuel Macron präzisierte seine Vorstellungen in einer fast schon legendären Rede an der Sorbonne, die ein Sammelsurium der europapolitischen Vorschläge der vergangenen 25 Jahre ist. Dass die EU „zu langsam, zu schwach, zu ineffizient“ sei, ist bekannt. Ob die bekannten Defizite mit den französischen Vorschlägen zu beheben sind, steht in den Sternen, zumal die Umsetzung nicht nur auf verteidigungspolitischen Gebiet mehr als fraglich ist. Wie soll denn zum Beispiel eine „gemeinsame Doktrin“ für eine europäische Interventionstruppe zustandekommen?
Aber wie soll das klappen? Die wirtschaftspolitischen Vorschläge des Präsidenten stehen in bester Tradition französischer Industriepolitik: Zum Schutz der Wirtschaft und der Arbeitnehmer sollen europäische „Industrie-Champions“ geschmiedet werden. Die Idee ist nicht neu. Jetzt wird sie auf die digitale Welt übertragen. In der Vergangenheit waren diese „Champions“ in der Regel ein Argument, um französische Interessen zu schützen. Nun fusionieren aber die Siemens und Alstom-Bahnsparten. Das ist ein gutes Zeichen für den Zustand der deutsch-französischen Beziehungen.
Europa liegt Macron zu Füßen
Diese Beziehungen stehen im Zentrum der europapolitischen Überlegungen von Macron. Deutschland und Frankreich müssten „Pioniergeist“ zeigen und Europa voranbringen, die Unternehmenssteuer und das Insolvenzrecht harmonisieren sowie die steuerlichen Bemessungsgrundlagen auf einen Nenner bringen. Darüber hinaus schlug der französische Staatspräsident Deutschland die Erneuerung des Freundschaftsvertrages von 1963 vor. Die langwierige Regierungsbildung in Deutschland hat dieses Vorhaben jedoch zunichte gemacht. Angesichts der europapolitischen Vorschläge aus Paris „merkelt“ Berlin. Die deutsche Antwort auf die französischen Vorschläge steht immer noch aus, die Ausarbeitung gemeinsamer Positionen lässt auf sich warten.
Der Anfangszauber, von dem Merkel im Mai vor einem Jahr gesprochen hat, ist verflogen. Auch weil die Politik der neuen Bundesregierung im Grunde von der Angst vor der AfD mitbestimmt wird. Aus Furcht vor weiteren Wählerverlusten bleiben die führenden Koalitionäre in der europapolitischen Defensive. Das passt nicht zur Offensive des französischen Staatspräsidenten. Ob die von Emmanuel Macron vertretene Methode des „plus du mal“, also mehr von Liberalisierung, Globalisierung und Europäsierung, auch langfristig von Erfolg gekrönt ist, bleibt abzuwarten. Sie ist auf jeden Fall attraktiver als die Berliner Politik. Kein Wunder, dass Westeuropa dem Modernisierer Emmanuel Macron zu Füßen liegt.