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Kriegserbe - Deutschland lässt Ägypten mit Minen allein

Deutschland liefert Waffen an den Irak, will aber anderswo in der Region seiner militärischen Verantwortung nicht nachkommen. Im Nordwesten Ägyptens liegen noch Millionen deutscher Landminen aus dem Zweiten Weltkrieg. Immer wieder sind Opfer zu beklagen

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Elisabeth Lehmann ist freie Journalistin in Kairo.

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Wer es nicht weiß, sieht nicht sofort, dass Ragib Issa ein Fuß fehlt. Der 42-Jährige kommt gut klar mit seiner Prothese. Doch das Leben sei schwierig geworden seit seinem Unfall vor 23 Jahren. Issa war damals mit seiner Herde in der Wüste nahe der libyschen Grenze unterwegs. „Dort war nichts markiert, ich wusste nicht, dass es dort Minen gibt.“

Die Schätzungen einer amerikanischen Delegation gehen von 20 Millionen Landminen aus, die in der Wüste im Nordwesten Ägyptens auf einem Gebiet dreimal so groß wie Berlin liegen. Das entspricht einem Fünftel der vergessenen Sprengsätze weltweit. Vergessen von den einstigen Kriegsgegnern Deutschland, Italien und Großbritannien, die sich hier 1942 in der Schlacht von Al Alamein gegenüberstanden. Sie ging als einer der Wendepunkte des Zweiten Weltkriegs in die Geschichte ein. Für die Menschen in der Region sind die Folgen dieser Schlacht bitterer Alltag.

Deutschland hat Opferhilfe eingestellt

 

Das Nazi-Regime von 1942 hat sich keine Gedanken über die Langzeitfolgen seines militärischen Handelns gemacht. Deutschland versucht heute, anders als vor 72 Jahren, die Konsequenzen seines militärischen Eingreifens abzuwägen und trifft Entscheidungen wie die Waffenlieferungen an die Kurden im Irak nicht leichtfertig. Trotzdem interessiert es sich offenbar nur wenig für die Folgen aus der Vergangenheit.

Abdallah Shahiby streckt seinen rechten Arm zur Begrüßung aus. Doch statt einer Hand bekommt man nur einen vernarbten Stumpf zu fassen. Da, wo das rechte Auge sitzen sollte, klafft ein Loch. Er sei mit Freunden in der Wüste gewesen, erzählt Shahiby. Abends haben sie Tee machen wollen. An den Rest könne er sich nicht mehr erinnern. Er weiß nur: „Die Menschen sehen dich plötzlich als minderwertig an.“ Viele der Opfer, so weiß Shahiby, fallen in ein tiefes Loch. Sie können plötzlich nicht mehr arbeiten, können ihre Familien nicht mehr ernähren. Für die ägyptische Gesellschaft sind sie damit nutzlos. Shahiby ist ein stolzer Mann, nutzlos zu sein, erträgt er nicht. Deswegen hat er gemeinsam mit anderen Opfern einen Verein gegründet, damit sie endlich ihr Recht bekommen. „Natürlich kann man heute niemanden mehr zur Rechenschaft ziehen wegen etwas, das andere vor 60 Jahren gemacht haben“, sagt Shahiby und ergänzt: „Aber wir fordern trotzdem, dass die verantwortlichen Staaten uns helfen, unsere Probleme zu lösen.“

Ägypten verweigert Abkommen zur Minenächtung


Neben Deutschland meint er damit auch Großbritannien. Und das kommt seiner Verantwortung nach: London zahlt jedes Jahr Geld in einen Fonds der Vereinten Nationen ein. Diesen verwaltet Shahibys Verein und vergibt Mikrokredite. 51 der über 700 Minen-Opfer haben schon davon profitiert. Ragib Issa und seine Frau Karima etwa haben umgerechnet 300 Euro Startkapital bekommen und konnten sich so eine Schaf- und Mauleselzucht aufbauen. 20 Euro müssen sie pro Monat zurückzahlen.

Deutschland hingegen hat seine finanzielle Unterstützung Ende 2012 eingestellt. Offizielle Begründung: „Das Auswärtige Amt konzentriert die Förderung von Hilfsmaßnahmen im Bereich des humanitären Minen- und Kampfmittelräumens auf Länder, die dem Anti-Personen-Minen-Übereinkommen beigetreten sind.“ Ägypten hat das Abkommen bislang abgelehnt. Der sogenannten Ottawa-Konvention, die in der kanadischen Hauptstadt vereinbart wurde, sind seit 1997 weltweit 162 Länder beigetreten.

Ägypten aber begründet seine Weigerung mit der schwierigen Sicherheitslage in der Region. Auch die Nachbarländer Libyen, Sudan und Israel haben den Vertrag gegen Landminen nicht ratifiziert. Ägypten handelt damit zwar selbst kaum besser als seine Nachbarn.

Öl unterm Minenfeld
 

Trotzdem ist die ägyptische Regierung verärgert über die deutsche Haltung in der Minenfrage. „Ja, Deutschland ist leider sehr zurückhaltend, wenn es um Unterstützung geht“, sagt der Minister für internationale Zusammenarbeit, Fathy El Shazly. Er koordiniert die Minenräumprogramme im Nordwesten des Landes. 400 Soldaten sind dort derzeit im Einsatz und durchkämmen jeden Quadratkilometer. Doch bisher wurde nicht einmal ein Zehntel der betroffenen Fläche geräumt.

„Die Massen an Sprengsätzen sind ein großes Hindernis, nicht nur für die Menschen dort, sondern für das ganze Land.“ El Shazly meint damit auch die wirtschaftliche Entwicklung. Er setzt seine Lesebrille auf und zieht einen Zettel aus einem Ordner mit einem Minenwarnschild auf dem Deckel: „Es wird vermutet, dass dort oben mehr als ein Prozent der weltweiten Erdgasvorkommen liegen. Und 4,8 Millionen Barrel Öl.“ Würden die geborgen, könnte Ägypten etwa genauso viel Öl wie das OPEC-Mitglied Angola fördern, schätzen Experten. Doch Investoren trauten sich nicht auf vermintes Gebiet, sagt El Shazly.

Während Großbritannien hilft, weisen sich Deutschland und Ägypten gegenseitig die Schuld zu. Es ist ein diplomatisches Ringen, das vor allem zu Lasten der Opfer geht

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