Tiefkühlindustrie warnt vor Versorgungsengpässen - „Einer schiebt es auf den anderen, und am Ende macht keiner was"

Die Tiefkühlbranche sieht die Versorgungssicherheit bei Lebensmitteln angesichts der stark gestiegenen Energiekosten stark gefährdet. Sabine Eichner, Präsidentin des Deutschen Tiefkühlinstituts, fordert von der Bundesregierung schnelle Maßnahmen, um einen Kollaps der Branche zu verhindern.

Auch die Grundzutaten für Tiefkühlpizzen sind teurer geworden / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

So erreichen Sie Rainer Balcerowiak:

Anzeige

Sabine Eichner ist Geschäftsführerin des Deutschen Tiefkühlinstituts. 

Ihr Verband hat als Dachorganisation der deutschen Tiefkühlwirtschaft eine Art Brandbrief an die Bundesregierung geschrieben. Darin beklagen sie die „schwerste Krise der Lebensmittelwirtschaft seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs“ und warnen vor „erheblichen Versorgungslücken bei der täglichen Lebensmittelversorgung“ der Menschen in Deutschland. Ist die Lage wirklich so dramatisch, dass man mit diesen Superlativen arbeiten muss? 

Man muss sich Aufmerksamkeit verschaffen in diesen Zeiten, das war unsere Antriebsfeder für diesen Brief. Wir haben schon einige Briefe geschrieben, an Cem Özdemir, den für die Lebensmittelwirtschaft zuständigen Fachminister. Und natürlich auch an Wirtschaftsminister Robert Habeck. Aber wir haben eben zunehmend den Eindruck gewonnen, dass wir mit unseren Sorgen und Nöten, die unsere Mitglieder uns tagtäglich schildern, nicht durchdringen.

Deswegen haben wir es jetzt mit dem Offenen Brief versucht, um möglichst viele hinter uns zu versammeln, die gekühlte oder tiefgekühlte Lebensmittel anbieten. Die Branchen umfassen ja eine große Palette des täglichen Bedarfs, nicht nur Tiefkühlprodukte, sondern auch Milch und Milchprodukte, Wurst und auch Obst. Überall muss die Kühlkette eingehalten werden, von der Produktion bis zum Verkauf an den Endverbraucher oder der Auslieferung an gastronomische Betriebe. Für diese gesamte Wertschöpfungskette braucht man sehr viel Energie, und die ist jetzt erheblich teurer geworden. Das wollten wir in aller Deutlichkeit zum Ausdruck bringen.

Können Sie die krisenbedingten Mehrbelastungen für ihre Branche ungefähr beziffern? Betrifft das nur die Energiekosten oder auch andere Teile der Wertschöpfungskette?

Es sind auch die Rohstoffkosten. Nehmen sie die Grundzutaten, die man für eine Tiefkühlpizza braucht: Mehl, Tomaten, Salami, Käse – das ist alles deutlich teurer geworden und es gibt auch Engpässe, etwa bei Verpackungsmaterialien. Aber genau beziffern für die ganze Branche kann man die Mehrkosten nicht so ohne weiteres. Jeder Betrieb verhandelt anders mit seinen Lieferanten, jeder hat eine andere Struktur.

Wir stellen auch keine überzogenen Forderungen. Wir brauchen aber vernünftige Energiepreise für unsere Unternehmen, damit die wirtschaftlich arbeiten können. Die Betriebe tun ja schon viel, damit Energie eingespart oder effizienter genutzt wird, die warten ja nicht auf Olaf Scholz oder Robert Habeck, damit sie gerettet werden. Aber wir erwarten, dass unsere akuten Probleme ernst genommen werden, damit die Lebensmittelversorgung sicher und bezahlbar bleibt.

Welchen wirtschaftlichen Stellenwert hat denn die Branche? 

Der Jahresumsatz der Tiefkühlindustrie liegt bei rund 16 Milliarden Euro pro Jahr. Damit ist sie der fünftgrößte Bereich innerhalb der Ernährungsindustrie. Noch deutlicher wird die Bedeutung aus Sicht der Konsumenten. Praktisch jeder Mensch nutzt auch Tiefkühlkost, die Käuferreichweite liegt bei 97 Prozent. Die Anteile sind während der Corona-Krise gestiegen, denn Bevorratung ist ein verbreitetes Kaufmotiv, gerade in unsicheren Zeiten.   

Von der Politik fordern Sie, die angekündigten Energiebeihilfen jetzt kurzfristig auf den Weg zu bringen, um Liquiditätsengpässe bis hin zu Betriebsschließungen zu verhindern. Ferner soll das bereits existierende Energiekosten-Dämpfungsprogramm  für die mittelständischen Unternehmen in der Kühl- und Tiefkühlbranche geöffnet werden. Wieso sind die bislang denn außen vor?

Da gibt es bestimmte Vorgaben, wer daran überhaupt teilhaben kann und eine entsprechende Branchenliste. Gehört man nicht zu den förderfähigen Branchen, kann man keinen Antrag auf Hilfen aus diesem Programm stellen. Die Kühlhäuser sind demnach keine Industriebetriebe, da sie keine Lebensmittel produzieren. Es gibt auch noch weitere Kriterien, wie etwa den Anteil der Energiekosten an den Gesamtproduktionskosten, wo unsere Betriebe aufgrund hoher Energieeffizienz ebenfalls durch den Rost fallen.

 

Das könnte Sie auch interessieren:

 

Wie soll es denn jetzt weitergehen?

Die ganze Debatte entwickelt sich sehr dynamisch. Am Wochenende haben die Regierungsparteien Signale gesendet, dass die Gasumlage nicht in Kraft gesetzt werden soll. Das wäre natürlich nicht nur für die Bürger, sondern auch für die Wirtschaft ein wichtiger Punkt, wenn das jetzt schnell vom Tisch käme. Und bei der Frage einer Strom- und Gaspreisbremse gibt es ebenfalls Bewegung, in Richtung auf einen subventionierten Grundbedarf. Das wäre sicherlich wesentlich einfacher zu realisieren, als komplizierte Beihilfen mit aufwändigen Antragsverfahren.

In ihrem offenen Brief wurde angekündigt, dass direkte Gespräche mit den zuständigen Ministern stattfinden werden. Was ist denn dabei herausgekommen?

In der Tat konnte ich persönlich mit Cem Özdemir sprechen, der ja für unsere Branche zuständig ist. Özdemir hat aber auf Christian Lindner verwiesen, der die entsprechenden Gelder freigeben müsse. Das zieht sich wie ein Roter Faden durch die Politik dieser Bundesregierung: Einer schiebt es auf den anderen und am Ende macht keiner was. Dabei müssten jetzt Entscheidungen gefällt werden, um die Substanz unserer Volkswirtschaft zu erhalten und vor allen Dingen unsere mittelständischen Unternehmen nicht zugrunde zu richten. Leider gibt es bis jetzt keine konkreten Zusagen.

Sabine Eichner

Ihre Branche ist nicht die einzige, die jetzt schnelle Hilfe in durchaus erheblichem Umfang fordert, um schwere ökonomische Verwerfungen zu vermeiden. Viele, auch zweifelsfrei  systemrelevante Bereiche gehören dazu. Wie etwa Verkehrsunternehmen, Kliniken und die Landwirtschaft. Ist das überhaupt zu bewältigen?

Es geht doch um die Systematik der notwendigen Entlastungen. Bisher wurde immer am Ende der Belastungskette angesetzt, bei den Bürgern, bei den Verbrauchern, unter anderem mit den Energiepauschalen. Aus unserer Sicht wäre es sinnvoller, diejenigen zu entlasten, die lebensnotwendige Waren produzieren, um damit auch die Preiserhöhungen zu dämpfen – etwa  bei Lebensmitteln. 

Und wie soll das alles finanziert werden? 

Ja, das kostet alles Geld, aber nicht die Summen, die mitunter kolportiert werden. Niemand kann ernsthaft fordern oder erwarten, dass alle Mehrbelastungen kompensiert werden können und der Energiepreis irgendwann wieder auf das Vorkrisenniveau sinkt. Auch ein Strom- und Gaspreisdeckel sollte so bemessen sein, dass entsprechende Anreize zum Energiesparen erhalten bleiben. Die Industrie hat in den vergangenen Monaten erhebliche Anstrengungen in dieser Richtung unternommen, aber bei den privaten Verbrauchern ist da noch Luft nach oben. Das geht eindeutig aus den aktuellen Statistiken der Bundesnetzagentur hervor. Das wird sich sicherlich ändern, wenn die Abrechnungen jetzt kommen und die Heizperiode beginnt.

Aber viel Geld kostet das den Staat trotzdem. Wo soll das herkommen? Vielleicht doch Steuererhöhungen?

Das wäre in einer Krise inmitten von ohnehin starken Belastungen und einer drohenden Rezession wohl keine gute Idee. Aber die Bundesregierung könnte sich ja mal Gedanken machen, bei welchen Ausgaben man derzeit kürzen könnte. Da habe ich bislang noch keinen Vorschlag gehört, von keinem Ressort.

In ihrem Brandbrief fordern sie allgemein „die Sicherung der Energieversorgung mit höchster Priorität voranzutreiben“. Kann man das als Kritik an der Sanktionspolitik der Bundesrepublik verstehen? 

Wir stehen hinter der Position der Bundesregierung. Die Sanktionen sind beschlossen, und das stellen wir auch nicht in Frage. Die Situation, die wir jetzt im Energiebereich haben, ist die Folge von Putins Entscheidung, kein Gas mehr über die Pipeline zu schicken. Aber deshalb kritisieren wir nicht die Sanktionen oder fordern, dass sie zurückgenommen werden. Uns geht es bei der Versorgungssicherheit eigentlich um etwas anderes. Wir haben jetzt zwar volle Gasspeicher, aber reicht das wirklich, um durch den Winter zu kommen? Und auch durch den nächsten? Zwar steht außer Frage, dass die Lebensmittelproduktion und -verteilung systemrelevant sind, aber bislang gibt es keine Aussagen der Politik oder der Bundesnetzagentur, was denn im Falle von ernsten Engpässen priorisiert werden würde. Ob etwa unsere Mitgliedsunternehmen in vollem Umfang weiterhin mit Gas versorgt werden würden. Darauf wollten wir hinweisen.

Das Gespräch führte Rainer Balcerowiak. 

Anzeige