Rüstungsindustrie - „Wir sind nicht die Bösen!“ 

In Kriegszeiten bekommt die Rüstungsindustrie einen gänzlich neuen Stellenwert. Im Interview spricht Stefan Stenzel, Chef des Panzerzulieferers Vincorion, über bürokratische Schwächen und das schlechte Image seiner Industrie.

Aufgereihte Leopard-2-Panzer bei einem Großmanöver der Nato / picture alliance
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Bettina Röhl ist Journalistin und lebt in Timmendorfer Strand.

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Stefan Stenzel ist Chef des Panzerzulieferers Vincorion.

Herr Stenzel, was macht Vincorion, und was ist das Besondere, das Sie liefern? 

Wir bei Vincorion stellen hybride Systeme für die Energieerzeugung her, Elektronik und Komponenten wie den Anlasser für den Leopard-2-Panzer. Für ein solches Fahrzeug benötigen Sie nicht nur den Motor, den fertigt ein anderer Zulieferer, nämlich MTU, für die Hersteller des Panzers, für Rheinmetall und KMW. Sondern Sie brauchen auch einen Elektromotor, damit der Turm und auch das Waffensystem sich bewegen, und den Anlasser, der natürlich bei einem Panzer größer ist als bei einem Auto. Kampfpanzer wie der Leopard 2 haben Dieselmotoren mit rund 1500 PS. Man könnte sagen, wir bei Vincorion sind in der Militärindustrie das, was Bosch für die Autoindustrie ist. Unser Leitbild ist: Extrem sichere und ausfallsichere Produkte retten Leben! 

Ausfallsicherheit bei einem Panzer, der sich in einem Kriegsgebiet befindet – das macht Sinn. Wie sicher sind die Produkte?  

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Es geht darum, den Kampfpanzer Leopard 2 gegen Schocks und Vibrationen und auch gegen elektromagnetische Strahlung (EMV) oder sogar nukleare Strahlung abzusichern. Die Panzer müssen sowohl 40 Grad minus als auch 40 Grad plus aushalten können. Ein plakatives Beispiel: Wir statten den Leopard-2-Panzer mit einer Technologie aus, sodass man mit ihm aus voller Fahrt, etwa bei Schaukelbewegungen, aus vier Kilometern Entfernung einen Bierdeckel anvisieren kann und auch trifft. Das kann kein anderer Panzer auf der Welt, kein russischer Panzer, kein britischer und auch kein amerikanischer. Unsere Waffenstabilisierung ist, soweit wir informiert sind, die beste der Welt, und insofern liefern wir Spitzentechnologie.  

Wie setzt sich diese Spitzentechnologie zusammen? 

Diese Sicherheit erreichen Sie nur mit einem sehr reaktionsschnellen Elektromotor für den Turm und das Rohr und natürlich mit einer einem sehr präzisen Algorithmus. Dahinter steht ja ein Computerprogramm, das die verschiedenen Bewegungsdaten der Bewegungssensoren koordiniert. Gyros nennt man diese Sensoren, die wir auch herstellen. Und damit diese Daten in Lichtgeschwindigkeit verarbeitet werden und in Bewegungsimpulse umgesetzt werden, benötigt man sehr viel Energie in einem kurzen Moment, um ein Drei-Tonnen-Rohr permanent hoch- und runterzubewegen. Und diese Leistungselektroniken, die sehr groß sind, stellen wir auch her. Das heißt: Es wird viel Strom, viel Sensorik und viel Intelligenz benötigt, damit ein Turm sich dreht und eine Waffe sich hebt und senkt. 

Sie fertigen auch Komponenten für den Puma-Panzer. Allerdings gab es Ende letzten Jahres eine Bundeswehrübung, bei dem 18 Puma-Panzer ausgefallen sind und nicht funktionstüchtig waren.  

Der Puma-Panzer ist ein hochmoderner, aber auch komplexer Schützenpanzer. Bei den Ausfällen der Puma-Panzer während der Militärübung handelte es sich ganz wesentlich nicht um Herstellerfehler. Wir konnten lesen, dass diese Panzer nicht genügend gewartet wurden. Oder dass es nur eine unzureichende Ausbildung an diesen Panzern gab. Um es mal so zu sagen: In der Bundeswehr wurde noch nicht überall begriffen, dass der Puma ein sehr aufwendiges und komplexes Fahrzeug ist und von der Bedienkomplexität schon eher in Richtung Flugzeug oder Hubschrauber geht und nicht mehr so in Richtung „einfacher Panzer“ oder „Lastwagen“. Aus diesem Grund muss da natürlich auch mehr in die Ausbildung des Bedienpersonals investiert werden als in der Vergangenheit.  

Was sind die Vorteile des Puma-Panzers? 

Der Puma-Panzer kann nun einmal Sachen, die andere Panzer nicht können. Da wäre zum Beispiel die Hunter-Killer-Kapazität bei der Feuerleitung: Dabei ist die Zielerkennung von der Zielbekämpfung getrennt. Unter der Besatzung gibt es den Kommandanten, der sucht die Ziele aus. Er gibt dann das Ziel weiter an den Richtschützen, der den Schuss mit der geeigneten Munition auslöst. Sie können mit dem Puma-Panzer bis zu drei Ziele nebeneinander bekämpfen – während der Richtschütze also das Ziel bekämpft, sucht der Kommandant bereits das nächste aus. Mit dieser Technik ist der Puma ein viel effektiveres Fahrzeug, als es ein klassischer Schützenpanzer war, zum Beispiel der ältere Marder-Panzer, der auch schon gut war und jetzt an die Ukraine geliefert wird. Der Puma wird seit 17 Jahren gebaut, und seitdem kommt eben auch die Leistungselektronik aus unserem Haus.  

Zurzeit arbeiten wir an der sogenannten Härtung von Komponenten bei allen Puma-Panzern, nicht nur für die Panzer, die da bei der Übung ausgefallen waren. Es geht darum, ein Upgrade der Leistungselektronik durchzuführen, um die Feuerkraft der Panzer noch ausfallsicherer zu machen.  

Kurz nach dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine sprach Olaf Scholz von einer „Zeitenwende“. Dem Verteidigungsministerium wurde vor einem Jahr ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr zugesagt. Wie haben Sie da überhaupt Zeit für ein Interview? Sie müssen doch jetzt wahrscheinlich viele Komponenten für den Leopard-2-Panzer bauen und können sich vermutlich vor Aufträgen kaum retten. Bis Ende März sollten 18 Leopard-2-Panzer aus den Beständen der Bundeswehr an die Ukraine geliefert werden. Die Bestände der Bundeswehr müssen doch schnellstmöglich aufgestockt werden. 

(lacht) Leider ist bei unseren Auftraggebern, und das heißt daher auch bei uns als Zulieferer, noch kein einziger Auftrag für den Bau eines Leopard 2 angekommen, geschweige denn, dass wir begonnen hätten zu bauen. 

Wie ist das zu verstehen?  

(zögert etwas mit seiner Antwort) Meiner Ansicht nach hat der Kanzler darauf gebaut, dass seine Verwaltung die Mittel, die er zur Verfügung stellt, schnell bearbeiten und entsprechend schnell die Aufträge ausschreiben kann. Wenn man aber das Bundesverteidigungsministerium nimmt, als Behörde, die jetzt 30 Jahre lang mit dem Verwalten von wenig bis gar keinem Budget beschäftigt war, dann ist es meiner Meinung nach naiv zu glauben, dass diese Behörde, selbst wenn man ihr 100 Milliarden Euro mehr gibt, diese 100 Milliarden schnell und unbürokratisch in die Beauftragung gibt
 

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Man stelle sich vor, die russischen Truppen wären vor einem Jahr bis nach Polen durchmarschiert. Das wäre vielleicht so ein Fall gewesen, wo es dann auch im Verteidigungsministerium etwas schneller und effizienter gegangen wäre. Aber so, wie es jetzt ist, denkt man da vermutlich, man hat viel Zeit oder nimmt sich die Zeit. Und das Ganze hat dazu geführt, dass wir heute – ein Jahr nach dem Ausruf der Zeitenwende des Bundeskanzlers – bei der Bundeswehr schlechter dastehen als noch vor einem Jahr.  

Die Bundesregierung hatte angekündigt, bis Ende März 18 Leopard-2-Panzer aus eigenen Beständen an die Ukraine zu liefern. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius versprach bereits im Januar, an die Ukraine zwei Panzerbataillone von Leopard-2-Panzern aus der gesamten EU liefern zu wollen, insgesamt 62 Stück. Ältere und neuere Leopard-2-Panzer kommen aus Portugal, Polen, Spanien, Norwegen und anderen Ländern der EU, aber Deutschland muss die Genehmigung für die Lieferung an die Ukraine geben, da der Leopard 2 in Deutschland gebaut wird, ein ehrgeiziges und ein heftig diskutiertes Projekt, denn bisher hieß es ja in Deutschland: Keine Kampfpanzer in Kriegsgebiete.  

Zu der Gesamtdiskussion möchte ich sagen: Wir können froh sein, dass wir die Bundeswehr haben. Wir aus der Rüstungsindustrie sind nicht „die Bösen“! Wenn ich vor einem Jahr etwa zu politischen Veranstaltungen in Berlin gekommen bin und sagte, was ich mache, dann rangierte ich als Manager der Rüstungsindustrie irgendwo zwischen Pelzhändler und Drogenmafia. Das Image der Rüstungsindustrie ist katastrophal. Aber wenn man die Panzer und die Munition in einem Kriegsfall plötzlich braucht, dann ist man ziemlich froh, über die besten und sichersten Panzer zu verfügen.

Sehen Sie sich die Situation einmal genauer an: Es ist jetzt von Seiten der Bundesregierung von 19 Leopard-2-Panzern die Rede, die als Ersatz für eine zukunftssichere Aufstockung der Bundeswehr in den nächsten zwei Jahren gebaut werden sollen. Zum Vergleich: Polen hat gerade 1000 Kampfpanzer in Korea bestellt und will zusätzlich 1000 Schützenpanzer in eigener Produktion bauen. Natürlich haben die Polen auch Angst vor einer russischen Invasion. 

19 Leopard-2-Panzer! 18 Panzer zur Aufstockung der Bestände, und einer ist dann zusätzlich für die Verteidigung der Bundesrepublik in zwei Jahren vorgesehen? 

Richtig, ein Leopard-2-Panzer ist übrig. Und ich sage es auch in Richtung der Steuerzahler, das wird sehr teuer, wenn man Panzer in so geringen Stückzahlen bestellt. Es wäre viel günstiger, wenn auf einmal 100 Panzer bestellt werden würden.  

Reichen denn die 100 Milliarden Sondervermögen für den Verteidigungshaushalt, um die Defizite der letzten Jahrzehnte und das, was die Bundesrepublik im letzten Jahr an die Ukraine schon geliefert hat, wieder aufzustocken? 

Die 100 Milliarden Euro Sondervermögen reichen gerade einmal, um große Leerstände und altes Gerät, fehlende Munition usw. teilweise zu ersetzen. So hatte die Bundeswehr praktisch keine schweren Transporthubschrauber mehr. Als Ersatz sind nun 53 Stück in den USA bestellt worden. Es ist aus meiner Sicht klar, dass man den Verteidigungshaushalt um 20 bis 30 Milliarden pro Jahr aufstocken muss, um die inflationsbedingt ansteigenden Kosten der Armee, allein an Sprit und Sold, bezahlen zu können. Boris Pistorius sprach neulich immerhin von 10 Milliarden jährlich, das ist schon gut. Es sind aber 20 bis 30 Milliarden Euro nötig, um die Bundeswehr wehrtüchtig zu halten. 

Sie sind 2022 von einem Finanzinvestor aus London gekauft worden. Ist das in Kriegszeiten nicht gefährlich? Gehen da nicht Militärgeheimnisse verloren? Werden Sie von Ihrem Investor politisch gegängelt oder kontrolliert? 

Nein, es handelt sich um Finanzinvestoren, die sind primär an der Rendite interessiert. Und Militärgeheimnisse erfahren die schon deshalb nicht, weil ich als Manager dieser Firma die Militärgeheimnisse von Vincorion selbst nicht kenne, die kennen nur ein paar ausgewählte Ingenieure bei uns. Zudem haben wir für die Übernahme der Anteile eine Zustimmung aus dem Wirtschafts- und dem Verteidigungsministerium. Die hätten wir bei einem Verkauf an einen russischen oder chinesischen Investor in diesen Zeiten sicher nicht gekriegt.  

Zuletzt meine Frage zur grünen Bundeswehr, zu Green Military, einem Projekt der Nato, das Sie unterstützen. Gibt es das: grüne, CO2-freundliche Panzer? 

Oh ja, da kann man schon eine Menge machen. Wir stehen als Firma auch voll dahinter, insbesondere mit unserer neuen hybriden Technologie konnten wir zum Beispiel bei den Patriot-Abwehrsystemen bei der Stromherstellung eine Reduktion von 40 bis 50% des CO2-Ausstoßes erreichen. Die Bundeswehr ist einer der größten CO2-Emittenten der Bundesrepublik. Und es ist gut, dass sich auch die Bundeswehr Ziele setzt, ihren CO2-Ausstoß zu senken. Klar ist aber, dass es den vollelektronischen Panzer auf absehbare Zeit nicht geben wird. Dazu wäre eine Batterie einfach viel zu schwer und zu groß. Das wird auch in den nächsten 50 Jahren nicht funktionieren. 

Das Gespräch führte Bettina Röhl. 

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