Kompromiss beim Gebäudeenergiegesetz - „Wir müssen alles nutzen, was geht“

Das Bundesverfassungsgericht hat die Abstimmung über das Heizungsgesetz noch vor der Sommerpause gestoppt. Eine „Lehrstunde in Demokratiepraxis“, sagt die Bauingenieurin Lamia Messari-Becker. Im Cicero-Interview erklärt sie, was sie von dem neuen Gesetzesentwurf hält und warum das Potential von Wasserstoff für die Wärmewende unterschätzt wird.

Robert Habeck und Klara Geywitz – die Urheber des Gesetzes / dpa
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Lukas Koperek ist Journalist und lebt in Mannheim und Berlin.

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Lamia Messari-Becker ist Bauingenieurin, Professorin für Gebäudetechnologie und Bauphysik an der Universität Siegen, Politikberaterin und Mitglied im Club of Rome International.

Frau Messari-Becker, bei unserem letzten Gespräch im April haben Sie den damals geleakten Entwurf für das neue Gebäudeenergiegesetz scharf kritisiert. Nun haben sich die Parteien der Ampelkoalition auf einen Kompromiss geeinigt. Wie blicken Sie auf das Ergebnis?

Ich habe die Leitplanken begrüßt, da sie grundlegende Verbesserungen beinhalten, etwa die Kopplung des Gebäudeenergiegesetzes an die kommunale Wärmeplanung, da die Kommunen die lokale Situation im Blick haben. Das würde Klarheit über die Optionen vor Ort schaffen und auf dieser Basis können dann Menschen entscheiden, welche Heiztechnologie sie einbauen wollen. Insofern ist der Gesetzentwurf offener und lokal-sensibler geworden. Der Eingriff ins Eigentum wird weitgehend abgewehrt und eine gestaffelte finanzielle Förderung vorgesehen. Es gibt aber auch Defizite, etwa im Hinblick auf Fernwärme und grüne Gasnetze oder Vermieter- und Mieter-Fragen.

Das Gesetz sollte ursprünglich noch vor der Sommerpause beschlossen werden. Doch das Bundesverfassungsgericht hat die Abstimmung gestoppt. Als externe Sachverständige des Bundestags waren auch Sie von dem Zeitdruck der Ampel betroffen.

Das stimmt. Anhörungen bringen konstruktive Kritik und Vorschläge ein. Sie helfen mit Umsetzungs- und Vollzugsexpertise den Gesetzentwurf zu verbessern. Solche Prozesse sind das Wesen unserer Demokratie. Ich halte eine Verabschiedung auch nach August für völlig in Ordnung. Wichtiger ist, ein stimmiges und abgewogenes Gesetz zu verabschieden. Für uns alle sollte das Urteil eine Lehrstunde in Demokratiepraxis sein. Die Politik darf nicht unnötig und unbegründet Gesetze im Dauer-Krisenmodus verabschieden.

Wäre es besser gewesen, das ganze Gesetz fallen zu lassen, als einen Kompromiss zu erzwingen? Oder stellt das Gesetz in der neuen Form tatsächlich eine Bereicherung dar?

Das Gesetz ist definitiv viel besser als der erste Entwurf, aber es ist immer noch mit zu vielen kleinteiligen Details versehen und zu eng geführt. Und wie gesagt, es gibt noch Defizite, die in Anhörungen betont wurden. Die Fristen für Fernwärme müssen praktikabler werden, der Ausbau grüner Gasnetze darf nicht erschwert werden, Vermieter-Mieter-Fragen sind weiter zu verbessern. Das halte ich aber für lösbar.

Eine der wichtigsten Unterschiede zum ersten Entwurf ist, dass der Starttermin für das Gesetz nach hinten verschoben wird. Die Kommunen sollen bis 2028 Zeit bekommen, Wärmepläne zu erstellen. Erst danach wird der Heizungstausch forciert. Ganz grundsätzlich: Was sind Wärmepläne?

Lamia Messari-Becker / Foto: Thomas Müller

Wärmepläne sind koordinierte Planungen, wie vor Ort eine erneuerbare Wärmeversorgungs-Struktur aussehen kann. Es werden einerseits Situation und Energiebedarfe, andererseits Potentiale erneuerbarer Energien und Abwärme erfasst und dann beide Teile, also Energiebedarf und Energiebereitstellung, zusammengebracht und vernetzt.

Im ersten Schritt werden also Situation und Energiebedarfe erfasst. Dazu gehören Daten über Flächennutzungen, Bebauung, Gebäudetypen, Energieversorgungslasten, Gewerbestruktur und so weiter. Im zweiten Schritt werden die lokalen Potentiale für erneuerbare Energien festgestellt. Hier geht es darum zu schauen, ob und welche Energiequellen erschlossen werden können. Beispielsweise Biomasse, Biogas, Geothermie, Solarthermie, Abwasser- und industrielle Abwärme. Schließlich bleibt die Frage, wie hoch die Erträge sind. Dafür werden Potentialanalysen und Modellierungen durchgeführt.

Und nun kann man beide Teile vernetzen: Wer braucht welche Energieform in welchen Mengen? Wo entsteht Abwärme und wo lässt sie sich sinnvoll nutzen? Wo gibt es Geothermie und wie lässt sie sich etwa als Fernwärme nutzen? Wo sind Wärmenetze und wo grüne Gasnetze sinnvoll? Wo sind neue Netze nötig, wo nutzt oder baut man bestehende aus? Wo sind Quartierslösungen wie Fernwärme sinnvoll und wo Einzellösungen wie Wärmepumpen und Holzpellets?

Warum sind kommunale Wärmepläne eine wichtige Voraussetzung für die Energiewende?

Aus mehreren Gründen. Zum einen weil sie automatisch den eklatant geringen Anteil erneuerbarer Energien im Wärmesektor adressieren. Laut den Daten der AG Energiebilanzen des Bundestags liegen wir hier aktuell bei jämmerlichen 17,4 Prozent. Kommunale Wärmepläne helfen dabei, Energiebedarfe und Energiepotentiale lokal zu denken und zu vernetzen, und so ermöglichen sie überhaupt eine urbane Energiewende. Wärmepläne helfen auch, sektorübergreifend zu agieren, zum Beispiel durch Nutzung von industrieller Abwärme für Heizungen. Und sie ermöglichen Energiekooperationen zwischen Landwirtschaft und Energieversorgern durch Biomasse und Biogas. Das Ganze eröffnet einfach lokale Optionen und auch ihre Kombinationen.

Ist es realistisch, dass die Kommunen bis 2028 Wärmepläne aufstellen können?

Aufstellen grundsätzlich ja, aber Umsetzen ist eine völlig andere Dimension. Dafür brauchen die Kommunen finanzielle Unterstützung, mehr Personal und weniger Bürokratie.

Ist der Umstieg auf andere Heizungen ab 2028 für Bestandsgebäude eine realistische Aussicht? Oder ist auch diese Frist zu knapp?

Grundsätzlich greifen die Vorgaben des Gebäudeenergiegesetzes erst nach Aufstellung der kommunalen Wärmepläne, also erst wenn der Staat seine Hausaufgaben gemacht hat und die Optionen für die Bürger klarer sind. Es gibt dabei zwei Fristen: 2026 für Kommunen mit mehr als 100.000 Einwohnern und 2028 für kleinere Kommunen. Je nachdem, was Kommunen dann anbieten, lässt sich diese Frage beantworten.

Gasheizungen dürfen in Bestandsgebäuden auch nach dem Inkrafttreten des Gesetzes eingebaut werden, wenn sie auf Wasserstoff umrüstbar sind. Allerdings ist es unklar, ob Wasserstoff, zu dessen Herstellung es viel Strom braucht, wirklich eine realistische Aussicht für Heizungen darstellt. Ist Wasserstoff nur ein „Märchen“, wie manche behaupten?

Allgemein gesprochen: Der Einsatz von Wasserstoff wird in Deutschland emotional und unsachlich diskutiert. Niemand, ich als Ingenieurin am allerwenigsten, bezweifelt ernsthaft, dass Wasserstoff in der Herstellung energieintensiv und daher ein knappes Gut ist, das in einigen Bereichen schon zwingend gebraucht wird. Aber ich denke Wasserstoff in der Energiewende groß.

Erstens gibt es bereits autarke Lösungen für Gebäude, die im Sommer aus PV-Strom am Gebäude Wasserstoff herstellen, lagern und im Winter damit heizen. Das ist Realität, bisher existieren aber nur Pilotprojekte und die Technologie muss günstiger werden. Diese Option stellt keine Konkurrenz für andere Sektoren dar. Im Gegenteil, autarke Lösungen entlasten die Netze. Wer soll etwas dagegen haben? Zweitens wird es Gebiete geben, wo die Industrie Wasserstoff in großen Mengen herstellt und vorhält. Da kann es durchaus Sinn machen, Gebäude oder Quartiere an der Strecke mit Wasserstoff zu versorgen, wenn Netze vorliegen und die Mengen ausreichen. Das ist eine regionale Option, die, wie erwähnt, die Mengen voraussetzt und beispielsweise bei schwer sanierbaren Bestandsgebäuden helfen kann. Drittens: Bei der groß-industriellen Wasserstoffherstellung selbst entsteht Abwärme, die man wiederum in die Wärmenetze integrieren und nutzen könnte.

Das alles muss man immer situativ bewerten und abwägen. Es bleibt aber nur eine Option, sicher keine flächendeckende, genauso wie Geothermie, Biomasse oder strombasierte Wärmepumpen auch keine flächendeckenden Lösungen sind. Wir müssen alles nutzen, was eben geht.

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Welche Zukunft haben Ölheizungen noch laut Gesetz und Ihrer Einschätzung nach?

Schon das gültige Gebäudeenergiegesetz 2019 sieht vor, dass fossile Heizungen ein Verfallsdatum von 30 Jahren haben und neue Ölheizungen ab 2026 nicht mehr eingebaut werden dürfen. Es geht also auch hier eher darum, welche Optionen man hat, erneuerbar zu heizen. Konkret: Wenn ein Gebäude heute mit Öl beheizt wird und die Kommune weder Fernwärme noch grüne Gasnetze in ihrem Wärmeplan vorsieht, bleiben immer noch drei Optionen: Wärmepumpe, Biomasse oder notfalls sogar E-Fuels. Welche Option sinnvoll ist, entscheidet sich wieder nach mehreren Kriterien, etwa nach spezifischen technischen Eigenschaften des Gebäudes, regionaler Infrastruktur, Verfügbarkeit des Energieträgers und Kosten. Nischenlösungen bleiben aber erforderlich.

Neu ist auch, dass alle preistreibenden Auflagen für Holz- und Pelletheizungen gestrichen wurden. Ursprünglich war vorgesehen, dass die entsprechenden Technologien aufgerüstet und durch solarthermische Anlage unterstützt werden müssten. Dadurch wären Holzheizungen unwirtschaftlich geworden. Aber sind Holzheizungen überhaupt effizient oder liegt ihr Vorteil allein in der persönlichen Präferenz?

Na ja, es ist vernünftig, sowohl Biomasse als auch Solarthermie als Unterstützung zu ermöglichen. Aber es gilt das gleiche für alle Optionen. Jeder Energieträger, jede Heiztechnologie hat ihre Vor- und Nachteile und muss zum Gebäude und zur Gesamtsituation passen. Es gibt eben nicht die eine Lösung, die für alle gleich gut funktioniert. Das erkennt das Gesetz inzwischen grundsätzlich, aber nicht konsistent an. So wie wir bei strombasierten Lösungen darauf achten sollten, woher der Strom kommt und was er kostet, sollten wir uns auch bei Fernwärme fragen, wie erneuerbar sie ist und was sie kostet. Und natürlich auch bei Biomasse – wie nachhaltig und teuer ist sie? Diskriminierende Regeln sollten gestrichen werden. Wir brauchen die Breite, um alle Gebäude, alle Menschen in ihrer Situation, alle Regionen in ihren Stärken mitzunehmen und auch ein breites technisch und energetisch diversifiziertes Angebot abzurufen.

Auch die Ökonomin Veronika Grimm übt Kritik an dem neuen Gesetz: Es sei nicht ambitioniert genug und verfehle die Klimaschutzziele, außerdem seien die angekündigten Förderprogramme anfällig für Missbrauch. Sie fordert stattdessen eine stärkere Nutzung marktwirtschaftlicher Instrumente wie einen wirksamen Emissionshandel, da die angestrebten Regelungen zu kleinteilig und kompliziert seien. Was halten Sie von Grimms Sicht?

Das Gesetz ist in der Tat immer noch zu kompliziert. Es wird immer noch versucht, Technik zu regulieren, und die Umsetzung wird einen monströsen Bürokratieaufwand verursachen, den man kaum stemmen kann, zumal mit Blick auf den Fachkräftemangel und die Defizite in der Digitalisierung. Der CO2-Emissionshandel im Wärmesektor steht 2027 ohnehin an, und es wäre gut, wenn wir den Gebäudesektor darauf vorbereiten.

Gibt es etwas, was die Politik noch hätte berücksichtigen sollen?

Konkret wurde das Gebäudeenergiegesetz mit lokalen Lösungen rückgekoppelt – durch die kommunalen Wärmepläne. Es gibt längere Fristen für den Bestand und die Ausnahmereglung für über 80-Jährige wurde revidiert. Stand heute gibt es auch keinen Unterschied zwischen privaten und öffentlichen Gebäuden. Allgemein wäre das Gesetz natürlich viel wirksamer, wenn es das Ziel der CO2-Minderung mit Meilensteinen und Evaluierungen festhielte, den technischen Weg zur Gesetzeserfüllung aber maximal offen ließe und das Ingenieuren und Energieberatern überließe. Quartierslösungen sollten im Gesetz und in der Förderung Berücksichtigung finden. Das Gesetz ist zudem unübersehbar skeptisch gegenüber erneuerbarer Wärme und grünen Gasen. Das ist unsachlich und konterkariert die Klimaschutzziele. Wenn wir mehr Klimaschutz wollen, dann kann das meines Erachtens so nicht bleiben.

Das Gespräch führte Lukas Koperek.

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