„Kamin-Gate“ - Heiko Geues Doppellüge

Interne Dokumente, die Cicero vorliegen, zeigen: Heiko Geue hat das Schweriner Parlament zweimal angelogen. Manuela Schwesigs Finanzminister hat sich verzettelt – seine Rechtfertigungsversuche werden immer dünner.

Heiko Geue (SPD), Finanzminister von Mecklenburg-Vorpommern, legt im November 2021 seinen Amtseid ab / dpa
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Ulrich Thiele ist Politik-Redakteur bei Business Insider Deutschland. Auf Twitter ist er als @ul_thi zu finden. Threema-ID: 82PEBDW9

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Die verwaltungstechnischen Vorgänge um „Kamin-Gate“ muten vielleicht kompliziert an, doch dieser politische Skandal ist simpel: Justizministerin Jacqueline Bernhardt (Linke) und Finanzminister Heiko Geue (SPD) wissen seit fast einem Jahr, dass eine Finanzbeamtin die Steuererklärungen der „Klimastiftung“ verbrannt hat. Und Heiko Geue hat diesen rechtswidrigen Vorgang dem Parlament nicht nur verschwiegen, er hat das Parlament unmissverständlich angelogen. Und zwar zwei Mal.

Die erste Lüge

Laut Handelsblatt soll Geues Finanzministerium auf Anfrage bestätigt haben, dass es bereits Ende April 2022 „über die Vernichtung der Steuererklärungen“ informiert worden sei. Wenige Tage später, am 5. Mai, tagte der Finanzausschuss unter Ausschluss der Öffentlichkeit im Plenarsaal des Schweriner Landtags. Geues Staatssekretärin musste sich den Fragen des Ausschusses stellen – zu diesem Zeitpunkt wusste die Öffentlichkeit nur, dass die Steuererklärungen laut Angaben der Stiftung verloren gegangen sein sollen, aber nicht, dass sie verbrannt wurden. Das Finanzministerium gab zu Protokoll, dass es sich aufgrund des Steuergeheimnisses nicht zu einzelnen Steuerverfahren äußern könne.

Also stellte der CDU-Politiker Marc Reinhardt laut dem Sitzungsprotokoll, das unserer Redaktion vorliegt, eine allgemeine Frage, um herauszufinden, ob die Behauptung der Stiftung stimmt: „[…] Deshalb mal die Frage an Sie – im Durchschnitt in einem Jahr: Wie viele Steuererklärungen gehen im Finanzamt Ribnitz-Damgarten verloren oder auch – einmal Ribnitz-Damgarten – und einmal in der gesamten Finanzverwaltung? […]. Wenn die Antwort null ist, bin ich damit auch einverstanden. […]“. Dies darf zulässig in die Richtung interpretiert werden, dass jeder logisch dann wohl Bescheid wüsste, dass die Behauptung von den verloren gegangenen Dokumenten unwahr gewesen sei. Auf erneute Cicero-Nachfrage bestätigt der CDU-Abgeordnete, dass seine Fragestellung genau darauf zielte: „Es war für alle Teilnehmenden klar, dass alles im Zusammenhang mit der Steuerproblematik der Klimastiftung stand“, so Reinhardt. „Aus heutiger Sicht müssen wir feststellen, dass dem Finanzausschuss offensichtlich relevante Tatsachen vorenthalten wurden.“

Denn Geues Staatssekretärin versprach, die Antwort dem Ausschuss schriftlich nachzureichen – was sie am 13. Mai tat. Und darin schreibt das Finanzministerium: In der Ausschusssitzung sei die Frage gestellt worden, „wie viele Fälle von verschwundenen bzw. verschollenen Vorgängen es in der Vergangenheit in der Steuerverwaltung MV gegeben hätte“. Die Antwort: „Dem Finanzministerium liegen keine Informationen diesbezüglich vor.“

Die nachgereichte Antwort des Finanzministeriums

Das war die erste Lüge.

Die zweite Lüge

Eine Regel lautet: Politiker stolpern nicht über den Skandal, sondern über ihren Umgang mit dem Skandal. Vergangene Woche log Geues Ministerium ein zweites Mal, nämlich in Hinsicht auf die erste Lüge. Nachdem Cicero über die verbrannten Steuerunterlagen berichtet hatte, erhob der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag, Harald Terpe, den Vorwurf, das Finanzministerium habe dem Finanzausschuss im Mai 2022 mitgeteilt, dass keine Informationen über verloren gegangene oder verschwundene Steuerunterlagen vorliegen würden. Am 24. Februar nahm das Finanzministerium in einer Pressemitteilung zu dem Vorwurf Stellung:

„Die Erklärung des Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Landtag, Dr. Harald Terpe, das Finanzministerium habe den Finanzausschuss im Mai 2022 darüber informiert, dass keine Informationen über verloren gegangene oder verschwundene Steuerunterlagen vorliegen würden, ist falsch. Richtig ist: Aufgrund des Steuergeheimnisses konnten weder das Finanzministerium noch der Finanzminister einzelfallbezogene Informationen zum Besteuerungsfall herausgeben.“

Das war die zweite Lüge. Unsere Bitte um Stellungnahme ließ das Finanzministerium bisher unbeantwortet. Nachtrag: Mittlerweile liegt eine Stellungnahme vor:

„Die schriftliche Antwort des FM vom 13.05.22 bezog sich auf die Frage eines Abgeordneten, ob im Finanzministerium Informationen darüber vorliegen, wie viele Steuererklärungen im Durchschnitt in einem Jahr in der Steuerverwaltung verloren gehen. Die Frage des Abgeordneten bezog sich explizit nicht auf den im Finanzausschuss erörterten Einzelfall, sondern auf allgemeine Verwaltungsabläufe in der gesamten Steuerverwaltung.“

Presseauskunft verweigert

Ihr Verschweigen begründen Geue und Justizministerin Bernhardt mit dem Steuergeheimnis. Die Stiftung habe das Finanzministerium „nicht umfassend ohne Beschränkungen vom Steuergeheimnis befreit“.

Das ist nur die halbe Wahrheit. Das Finanzministerium hat große Anstrengungen unternommen, um keine Auskunft geben zu müssen – nicht einmal dem Steuerpflichtigen selbst, der Stiftung. Diese hat beim Finanzamt Ribnitz-Damgarten einen Antrag auf Akteneinsicht gestellt, um Einblicke in die ungeklärten Umstände der Steuerprüfung zu bekommen. Der Antrag wurde abgelehnt – laut Stiftung mutmaßlich auf Anweisung des Finanzministeriums.
 

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Ende August teilte die Stiftung Cicero mit, dass man dem Finanzministerium eine Befreiung vom Steuergeheimnis schicken werde, damit es Pressefragen zu den Vorgängen beantworten könne. Wir schickten dem Finanzministerium einen umfangreichen Fragebogen mit über 30 Fragen. Bei der Antwort gab man sich in Geues Behörde große Mühe: Mit 30.000 Anschlägen und zahlreichen Paragraphen erklärte man uns, dass man den Großteil der Fragen so oder so nicht beantworten werde. Unter anderem, weil eine Auskunftserteilung angeblich das noch laufende Steuerverfahren gefährden oder verzögern würde.

Streit vor Gericht

Wir reichten daraufhin Klage vor dem Verwaltungsgericht Schwerin ein. Das Finanzministerium beauftragte eine externe Anwaltskanzlei, die auf 54 Seiten darlegte, warum die Fragen ihrer Meinung nach weitgehend nicht beantwortet werden müssen. Die Fragen nach den verloren gegangenen Dokumenten wiesen die Anwälte ebenfalls zurück. Die Begründung ist angesichts der neuen Enthüllungen schlecht gealtert:

„Würde man jede Behauptung eines Verfahrensfehlers zum Anlass nehmen, Einzelheiten eines Steuerverfahrens zu offenbaren, würde das Steuergeheimnis praktisch ausgehöhlt und leerlaufen. Damit ein zwingendes Offenbarungsinteresse im Sinne des § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO vorliegt, müssen weitaus gewichtigere Anhaltspunkte sprechen, etwa der begründete Verdacht eines systemischen Versagens, die dann schwere Nachteile für das Gemeinwohl nach sich zögen.“

Das Finanzministerium verweigerte die Antwort auch mit Verweis darauf, dass die Stiftung das Ministerium nicht vollumfänglich vom Steuergeheimnis und somit von § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO befreit habe. Hier ein Auszug aus dem Befreiungsschreiben, in dem die Stiftung „nochmals daran erinnert, dass auch wir als Betroffene großes Interesse an dem Inhalt der Verwaltungsvorgänge haben. Es ist bedauerlich, dass wir dafür den Gerichtsweg beschreiten müssen“:

Aus dem Schreiben der Stiftung an das Finanzministerium zur Befreiung vom Steuergeheimnis

Doch die Einschränkung („unter Wahrung der gesetzlichen Vorschriften“) würde auch § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO inkludieren, so die Anwälte des Finanzministeriums. Selbst wenn man dieses Argument durchgehen lässt – das Finanzministerium hat in seinen umfangreichen Antworten klar gemacht, dass man die Fragen so oder so nicht beantworten würde, um „verwaltungsinterne Vorgänge“ zu schützen.

Eine Entscheidung des Gerichts steht noch immer aus.

Steuergeheimnis als Argument greift nicht

Darüber hinaus darf aus guten Gründen bezweifelt werden, dass § 30 AO überhaupt als Argument für eine Auskunftsverweigerung über die verbrannten Akten valide ist. Die Kanzlei Partsch & Partner vertritt Cicero in dem Verfahren. Rechtsanwalt Christoph Partsch sagt:

„Das durch § 30 AO geschützte Steuergeheimnis soll den Steuerpflichtigen schützen und korrespondiert mit dessen Pflicht, alles offenzulegen. Nicht vom Schutzbereich des Steuergeheimnis nach § 30 AO gedeckt ist es, wenn der Verdacht besteht, dass Finanzbeamte nicht ihre Aufgabe erfüllen, Straftaten begehen oder öffentliche Mittel zu Unrecht verausgabt oder nicht vereinnahmt werden. Selbst wenn es sich um ein Steuergeheimnis handelte, so sieht § 30 Abs. 4 in Verbindung mit § 30 Abs. 5 AO ein zwingendes öffentliches Interesse bestehen. Die Offenlegung ist hier erforderlich, um das erschütterte Vertrauen der Öffentlichkeit in die Finanzverwaltung wieder herzustellen.“

Geue kann es drehen und wenden, wie er will: Aus dieser Affäre kann er sich ohne massiven Glaubwürdigkeitsverlust nicht herausziehen.

Änderungshinweis, 02.03.23: In einer vorherigen Version wurde der CDU-Politiker Marc Reinhardt bezüglich seiner Aussage in der Finanzausschussitzung vom 5. Mai 2022 nicht korrekt zitiert. Wir haben dies korrigiert. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

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