EU-Bürokratismus - Innovation? Nein danke!

Große Unternehmen verlagern ihre Forschungsaktivitäten immer mehr in Länder außerhalb der EU. Ihre Begründung ist eine Ohrfeige für die hiesigen Zustände – das von überbordender Bürokratie und grünem Fundamentalismus geprägte Klima ist ihnen zu innovationsfeindlich.

Es waren die grünen Fundis aus der Schröder-Ära, die ein Gentechnik-Verbot in Medizin und Forschung wollten / dpa
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Autoreninfo

Ludger Weß schreibt seit den 1980er Jahren über Wissenschaft, vorwiegend Gen- und Biotechnologie. Davor forschte er als Molekularbiologe an der Universität Bremen. 2017 erschienen seine Wissenschaftsthriller „Oligo“ und „Vironymous“ und 2020 das Sachbuch „Winzig, zäh und zahlreich - ein Bakterienatlas“.

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Anfang Januar gab das Mainzer Biotechnologie-Unternehmen BioNTech bekannt, dass es in Großbritannien ein Forschungs- und Entwicklungszentrum zur Krebstherapie aufbauen will. Dort sollen im Lauf der nächsten Jahre bis zu 10.000 Krebspatienten mit personalisierten mRNA-Immuntherapien behandelt werden.

Die Begründung dafür, dass das in Großbritannien und nicht in Deutschland oder der EU geschieht, ist eine Ohrfeige für die kontinentaleuropäischen Zustände, die noch immer von überbordender Bürokratie und dem angstbesetzten Vorsorgeprinzip beherrscht werden: „Das Vereinigte Königreich konnte Covid-19-Impfstoffe so schnell bereitstellen, weil der Nationale Gesundheitsdienst, akademische Forschungseinrichtungen, die Aufsichtsbehörde und der Privatsektor beispielhaft zusammengearbeitet haben“, bilanzierte Firmenchef Ugur Sahin seine Erfahrungen. „Wir haben gesehen, dass die Entwicklung von Arzneimitteln beschleunigt werden kann – ohne dabei Abkürzungen zu nehmen –, wenn alle nahtlos zusammen auf das gleiche Ziel hinarbeiten.“

„Innovationsfeindlich“

BioNTech ist nicht das einzige forschungsintensive Unternehmen, das sich für eine Verlagerung von Forschungsaktivitäten an Standorte mit besseren Bedingungen entschieden hat. Bayer zum Beispiel gab – ebenfalls im Januar – bekannt, dass es noch mehr seiner Pharmaaktivitäten in die USA verlagern wird. Pharmachef Stefan Oelrich bezeichnete die EU in einem Interview mit der Financial Times ausdrücklich als „innovationsfeindlich“ – auch wegen der Preispolitik bei Arzneimitteln.

Aber nicht nur Firmen, auch akademische Einrichtungen beklagen seit Jahren das innovationsfeindliche Klima. Forschungsinstitute, die sich mit Pflanzenbiotechnologie beschäftigen, können seit Jahren keine Freilandversuche mehr durchführen. Staatlich protegierte und zum Teil sogar aus öffentlichen Haushalten geförderte Vereine hatten durch Vandalismus und andere Aktionen dafür gesorgt, dass in Deutschland keine Pflanzen mehr in freier Natur angebaut werden dürfen, die durch moderne Methoden gezüchtet wurden. Grüne Ministerinnen begrüßten danach ausdrücklich die Konsequenzen, etwa den Rückzug der Pflanzenforschung der BASF aus Deutschland. Noch heute müssen Forschungsinstitute ihre Gewächshäuser sichern und bewachen, um sie vor selbsternannten „Feldbefreiern“ zu schützen. Viele Nachwuchsforscher aus der Pflanzenforschung sehen daher kaum noch Perspektiven in Deutschland und wandern ab.

Hemmender Datenschutz

In der biomedizinischen Forschung ist es ähnlich. Klinische Studien sind inzwischen so aufwändig und teuer geworden, dass Universitätskliniken sie sich selbst nicht mehr leisten können und kleine und mittelständische Biotechnologiefirmen sie vorzugsweise im Ausland durchführen. Der bürokratische Aufwand ist gewaltig. Der Verband forschender Arzneimittelhersteller (VFA) nennt ein Beispiel: Firmen, deren Studien eine über die übliche Praxis hinausgehende Röntgen- oder PET-Diagnostik erfordern, müssen eine separate strahlenschutzrechtliche Genehmigung einholen. Auf diese Erlaubnis mussten sie 2018 ca. 12 Monate warten.

Ein großes Hindernis für die klinische Arzneimittelforschung in Deutschland ist zudem die Interpretation und Anwendung des Datenschutzrechts. Es be- oder verhindert die Erhebung von Gesundheitsdaten ebenso wie die Verwendung vorhandener und oft schon digitalisierter Daten. Es existiere immer noch „ein grundsätzliches Missverständnis zwischen Datensicherheit, also der Verhinderung missbräuchlicher Nutzung, und dem eigentlichen Datenschutz, der in erster Linie Patientenschutz ist“, gab 2022 Prof. Dr. Christof von Kalle, Chair des Berlin Institute of Health und Mitglied des Gesundheitssachverständigenrates, zu Protokoll. Versäumnisse bei der Digitalisierung und Datenschutz behindern auch die Rekrutierung. Länder wie Israel, die baltischen Staaten oder Skandinavien, deren Gesundheitswesen hochgradig digitalisiert sind, rekrutieren wesentlich mehr Patienten für klinische Studien als Deutschland, wo die Rekrutierung dem Zufall überlassen ist, über Anzeigen erfolgt oder in zeitraubender Fleißarbeit durch Ärzte und Kliniken geschieht.

Ursprung in der Schröder-Ära

Selbst die Grundlagenforschung und Ausbildung wird gegängelt: Beschäftigt sich ein Genetikkurs mit der Vererbung der Fruchtfliege Drosophila, dürfen die Teilnehmer die Fliegen nach Herzenslust in ganz normalen Labors mit Chemikalien und energiereicher Bestrahlung behandeln und mutieren. Dabei entstehen Fliegen mit hunderten oder tausenden Mutationen, die sich im Sommersemester bei geöffneten Fenstern und Türen gern im ganzen Institut verteilen. Aber wehe, im Kurs werden gentechnische Verfahren genutzt, um gezielt ein einzelnes Gen der Fruchtfliegen zu verändern! Dann handelt es sich um gefährliche Gentechnik, die nur in einem zugelassenen Sicherheitslabor stattfinden darf.

Dabei werden bei der Inspektion gern auch schon mal Risse im Putz oder zu weite Schlüssellöcher bemängelt, denn es sei nicht auszuschließen, dass eine genmanipulierte Frankenstein-Fliege sich in den Ritzen versteckt oder durch das Schlüsselloch entkommt, mit potenziell entsetzlichen Folgen für Natur und Mensch. Und wenn die Fliegen nicht mehr am Leben sind, dürfen sie nicht einfach in den Abfall, sondern müssen mitsamt den Nährböden, von denen sie sich ernährt haben, bei einer Temperatur von 121 Grad Celsius für die Dauer von 20 Minuten autoklaviert werden.

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Um den Grund für das Kujonieren der biomedizinischen Forschung zu finden, muss man in die Zeit der rot-grünen Schröder-Kabinette zurückgehen. Es waren die grünen Fundis Jürgen Trittin und Renate Künast, die von 1998 bis 2005 als Minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit bzw. für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft für die Gentechnik zuständig waren. Zu diesem Zeitpunkt waren die Grünen noch stramm auf dem Ablehnungskurs für jede Art von Gentechnik, deren Anwendung man nicht nur bei der Pflanzenzucht, sondern auch in Medizin und Forschung verhindern wollte. Noch am 12.10.1997 hatte die Partei beschlossen: „Bündnis 90/Die Grünen lehnen Gentechnik grundsätzlich und für alle Anwendungsbereiche ab. Wir wollen deshalb die Gentechnik zurückdrängen.“ Zwar gab Schröder im Jahr 2000 bekannt, dass er das Thema zur „Chefsache“ machen wolle und „ideologische Scheuklappen und grundsätzliche Verbote“ ablehne, aber die Grünen hintertrieben seine Politik, indem sie auf administrativer Ebene die Hürden so hoch wie möglich setzten, um Gentechnik aufwändig, teuer und unattraktiv machten.

Fundamentale Ablehnung der Gentechnik

Die damals entlassenen Verordnungen und Verschärfungen des Gentechnikgesetzes von 1990 sind leider nach wie vor in Kraft und sie sind, da ihre Überwachung Ländersache ist, vor allem von rot-grünen Landesregierungen nach Kräften genutzt worden, um der Gentechnik auch in der Grundlagenforschung und Ausbildung beständig Hürden in den Weg zu legen. Erinnert sei etwa an das Aus des mobilen Genlabors für Schülerinnen und Schüler in Niedersachsen – es diene nur der „Akzeptanzbeschaffung für Gentechnik“.

Auch die parlamentarischen Anfragen und das Abstimmungsverhalten der grünen Partei zeigen, dass die fundamentale Ablehnung der Gentechnik entgegen allen Bekundungen noch immer virulent sind: Seit Jahren bemühen sich die Grünen, die Verwendung gentechnisch veränderter Tiere in der Grundlagenforschung („Tiermodelle“) ebenso zu skandalisieren wie die Förderung der Erforschung gentechnisch veränderter Pflanzen; sie polemisierten gegen den HPV-Impfstoff, der Gebärmutterhalskrebs verhindert und unterstellten im Bundestag, die Pharmaindustrie habe für die Verleihung des Nobelpreises an den Erfinder, Prof. Dr. Harald zur Hausen gesorgt. Als zur Beschleunigung der Entwicklung der COVID-Impfstoffe über den Wegfall der vorgeschriebenen, zeitaufwändigen Umweltschutzprüfung abgestimmt wurde, waren es die grünen Abgeordneten, die (mit einer rühmlichen Ausnahme) dieser Beschleunigung nicht zustimmen mochten.

Leider ist die CDU/CSU den Grünen in der Ablehnung der Gentechnik gefolgt, um sich als „Bewahrer der Schöpfung“ zu positionieren. Noch 2006 feierte die CSU-Forschungspolitikerin Ilse Aigner die grüne Gentechnik als „wichtige Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts“, aber schon zwei Jahre später, als sie Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz geworden war, sorgte CSU-Chef Seehofer dafür, dass sie den „Genmais“ MON810 verbieten ließ. Kurze Zeit später erklärte Seehofer Bayern stolz zum „gentechnikanbaufreien“ Land. Auch an der Kennzeichnung aller Lebensmittel, die irgendwie „mit Gentechnik in Verbindung gekommen sind“, hielten CDU/CSU lange fest.

Nicht mehr als Lippenbekenntnisse

Als 2012, unter der schwarz-gelben Koalition, das Münchener Biotechunternehmen Micromet  für 1,16 Milliarden Dollar vom US-Konzern Amgen übernommen wurde, hätten im Kabinett alle Alarmglocken läuten müssen. Doch statt die Ursachen dieses Weggangs zu untersuchen und Maßnahmen zu8 ergreifen, um solche Verluste zukünftig zu verhindern, wurde einfach weitergewurstelt.

Auch bei der SPD, die lange mit Wolf-Michael Catenhusen einen streitbaren Verfechter für Innovationen wie etwa der Anwendung der Gentechnik hatte, sieht es nicht besser aus: Sie plädiert seit Jahren für „mehr gentechnikkritische Forschung“ und setzt sich vehement für ein Aus der grünen Gentechnik ein.

So ist zu konstatieren, dass dieses Land weder unter rot-grün noch unter schwarz-gelb, schwarz-rot oder rot-gelb-grün die Kraft aufgebracht hat, mehr als Lippenbekenntnisse zur Innovation aufzubringen. Schaut man sich in den USA oder Asien um, in denen gerade angesichts der Klimakrise eine riesige Aufbruchstimmung herrscht und in denen sich junge Leute für Wissenschaft und Forschung begeistern, statt sich auf Straßen zu kleben, zu blockieren und Verzicht und Umkehr zu predigen, muss man erschrocken feststellen, dass Deutschland gerade unter einem dichten Geflecht von Mehltau und Pessimismus erstickt. Solange niemand die Kraft findet, das zu ändern, werden noch sehr viel mehr vielversprechende Unternehmen ihre hiesigen Zelte abbrechen und dorthin gehen, wo sie Luft zum Atmen finden.

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