Chef der Finanzaufsicht - „Wir dürfen keine Hemmungen haben, uns unbeliebt zu machen“

Mark Branson kam aus der Schweiz nach Deutschland, um die vom Wirecard-Skandal gebeutelte Finanzaufsicht zu stärken. Im Interview erklärt er, warum die Bafin bei der Bilanzkontrolle Mut zum Risiko braucht und warum Geldwäschebekämpfung eine so schwere Aufgabe ist.

Bafin-Präsident Mark Branson beim NRW-Bankentag im März 2023 / dpa
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Ulrich Thiele ist Politik-Redakteur bei Business Insider Deutschland. Auf Twitter ist er als @ul_thi zu finden. Threema-ID: 82PEBDW9

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Als Finanzminister hat Olaf Scholz auch in diesem Finanzskandal keine gute Figur gemacht: Der Zahlungsdienstleister Wirecard hatte in großem Stil Bilanzen gefälscht, doch die dem Finanzministerium unterstellte Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) hatte Hinweise auf den Milliardenbetrug jahrelang ignoriert und das Unternehmen geschützt. Wie sich herausstellte, hatten Bafin-Mitarbeiter sogar privat mit Wirecard-Aktien gehandelt. Und die Öffentlichkeit wunderte sich, dass der Minister von all den Vorgängen nichts gewusst haben will. Im Frühjahr 2021 verkündete Scholz dann nicht ohne Stolz, dass Mark Branson, Chef der Schweizer Finanzaufsicht, im Sommer den Posten des geschassten Bafin-Leiters Felix Hufeld übernehmen werde. Branson, der sich in der Schweiz einen Ruf als „Watchdog“ erarbeitet hat, stand in Deutschland vor der Mammutaufgabe, die Finanzaufsicht zu refomieren und „bissiger“ zu machen. Die Bafin, wegen ihrer formaljuristischen Bilanzkontrollen als „zahnloser Papiertiger“ verspottet, hatte zu wenig Zuständigkeiten, zu wenig Personal, darunter zu viele Juristen und zu wenige Finanzexperten – und die enge Verbindung zum Finanzministerium galt als Einfallstor für politische Einflussnahme.

Herr Branson, im Frühjahr 2021 war der Ruf der Bafin im Keller. Wie hat Olaf Scholz es geschafft, Sie ausgerechnet in dieser Zeit nach Deutschland zu locken?

Es waren gerade die Umstände, die mich gelockt haben. Nur etwas Erfolgreiches zu verwalten, wäre mir nicht spannend genug gewesen. Die Bafin ist eine wichtige Behörde – die Aufgabe, einen Modernisierungsprozess zu steuern und die Reputation wiederherzustellen, kam für mich zur richtigen Zeit. Ich hatte bereits sieben Jahre als Chef der Schweizer Finanzaufsicht hinter mir.

Sie sind bald zwei Jahre im Amt. Welches Zwischenfazit ziehen Sie?

Die Bafin ist mutiger geworden, aber der Umbau ist noch nicht abgeschlossen. Es gibt einen breiten politischen Konsens, dass Deutschland eine moderne, wirkungsvollere Finanzaufsicht braucht. Durch die politische Rückendeckung entstand ein Momentum, durch das wir wichtige Änderungen schnell auf den Weg bringen konnten. Wir arbeiten heute innerhalb der Behörde enger und damit effizienter zusammen und haben zudem mehr Befugnisse. So können wir, zum Beispiel, in der Bilanzkontrolle nicht nur wirkungsvoller, aber auch viel transparenter vorgehen. Finanzaufsicht ist aber auch eine Frage der Führung: Das oberste Leitungsgremium der Bafin ist mindestens zur Hälfte mit neuen Gesichtern bestückt, und wir steuern die Behörde ganz anders als früher.

In anderen Interviews haben Sie gesagt, wir müssten mehr beim Thema Geldwäsche tun. Wo steht die Bafin hier diesbezüglich?

Geldwäschebekämpfung ist eine schwierige Aufgabe, weil wir es mit organisierter Kriminalität zu tun haben. Die Akteure versuchen alles, um einen Weg zu finden, das Finanzsystem auszutricksen und das schmutzige Geld reinzuwaschen. Und Geldwäsche ist ein Wachstumsmarkt. Leider. Die Hauptsache ist, dass wir bei der Bafin tun, was wir können, um die Risiken zu senken. Und wir haben unsere Tätigkeiten diesbezüglich intensiviert – wir prüfen Geldwäschekontrollprozesse zum Beispiel nicht mehr vorwiegend bei Banken, sondern auch in anderen Bereichen der Finanzwirtschaft, wie Zahlungsdienstleister. Was die Bafin leistet in diesem Bereich, wird immer wirkungsvoller und ist absolut angemessen, auch im internationalen Vergleich. Aber es geht nicht nur um konkrete Projekte, sondern auch um die Frage, was für eine Kultur wir als Aufsichtsbehörde brauchen.

Was bedeutet das?

Wir brauchen eine mutige Behörde, die sich nicht scheut, schwierige Entscheidungen zu treffen, die manchmal mit Risiken verbunden sind. Wir dürfen keine Hemmungen haben, uns unbeliebt zu machen. Auch wenn wir noch keine 100-prozentig abgesicherte Analyse vorliegen haben, sollten wir keine Angst vor schnellen Entscheidungen haben, wenn wir Missstände sehen und ein schnelles Eingreifen nötig ist. Die Risiken nicht ernst genommener Warnsignale sind letztendlich fataler für die Stabilität oder Integrität des Finanzmarkts.

Dem Immobilienkonzern Adler wirft die Bafin vor, im Jahr 2019 vier Milliarden Euro zu viel bilanziert zu haben.

Ich möchte nicht detailliert auf Einzelfälle eingehen. Aber der Fall, den Sie nennen, ist ein gutes Beispiel dafür, dass unsere Bilanzkontrolle schneller und transparenter geworden ist. Wenn wir einen Verdacht haben, setzen wir die Öffentlichkeit früher über unsere Bilanzprüfungen in Kenntnis, anstatt zu warten, bis alle Prüfungen durch sind. Wir vertreten im Fall der Adler Group die Meinung, dass in der Vergangenheit falsch bilanziert wurde, und es ist wichtig, solche Information an den Markt zu bringen.

Der Konzern streitet Ihren Vorwurf aber ab.

Das stimmt, unseren Entscheidungen kann immer widersprochen und sie können vom Gericht überprüft werden. Das muss so sein.

Seit Anfang 2022 ist allein die Bafin für die Kontrolle der Bilanzen kapitalmarktorientierter Unternehmen verantwortlich. Vorher gab es ein zweistufiges Verfahren – mit der Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR) auf Stufe 1 und der BaFin auf Stufe 2. Dafür braucht die Bafin deutlich mehr Personal mit Finanzmarktexpertise als noch vor zwei Jahren, damals gab es nur um die fünf Personen mit Wirtschaftsprüferexamen. Wie ist das heute?

Wir haben das Personal stark aufgestockt. Das Team der Bilanzkontrolle zählt mittlerweile 52 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, 20 davon sind Wirtschaftsprüfer.
 

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Sie haben vorhin das Thema „Kultur“ angesprochen. Eine Kernkritik an der deutschen Finanzaufsicht war die in anderen Ländern so nicht vorhandene Nähe zum Finanzministerium, also zur Politik. Kritiker sahen das, vor allem im Wirecard-Skandal, als Einfallstor für politische Einflussnahme. Früher soll sich die Bafin selbst über Kleinigkeiten mit dem Ministerium ausgetauscht haben. Haben Sie inzwischen mehr Beinfreiheit?

Der Austausch ist entschlackt und konzentriert sich auf wesentliche Fragen. In Deutschland liegt die Oberaufsicht nun einmal beim Finanzministerium, aber ohne Beinfreiheit für die Finanzaufsicht hat man keine gute Basis für den Dialog. Die Politik weiß das inzwischen und durch die Einführung einer besseren Führungsdisziplin und einer klaren Zielsetzung, konzentriert sich der Austausch mit dem Finanzministerium auf die Zielerreichung. In konkreten Prüfungsfällen darf es keine Vermischung der Verantwortlichkeiten geben. Der Austausch funktioniert jetzt sehr gut.

Ein Kritikpunkt, den Sie bereits in Ihrer Zeit bei der Schweizer Finanzaufsicht zu hören bekommen haben, ist, dass Sie Strafen für Banken verhängen, nicht für einzelne Verantwortliche. Als Bafin-Chef wurde Ihnen vorgeworfen, eine Millionenstrafe gegen die Deutsche Bank wegen unzureichender Kontrollen bei Zinsmanipulationen verhängt zu haben, was laut Kritikern kaum Wirkung zeige. Was spricht gegen Strafen für Manager, um sie zu disziplinieren?

Wenn es eine kausale Verantwortung für Fehlverhalten von Einzelnen gibt, dann muss das Konsequenzen für diese Personen haben. Solche Konsequenzen gibt es sehr wohl in Deutschland wie in der Schweiz für Mitglieder des Managements, wenn diese Verbindung nachweisbar ist. Es ist wichtig, dass Verantwortliche in Finanzunternehmen wissen, dass sie nicht mehr in der Branche führen dürfen, wenn sie verantwortungslos in ihrem Bereich vorgehen.

Manchen sind Sie wiederum zu hart. Deutsche Fintech-Start-ups beschweren sich, die Bafin mutiere zur Innovationsbremse, weil die Genehmigungsverfahren zu streng seien und zu lang dauerten. Können Sie den Ärger nachvollziehen?

Zu einem gewissen Grad ja. Niemand ist ungeduldiger als junge Unternehmen, denn natürlich wollen sie schnell wachsen. Aber wenn ein innovatives Geschäftsmodell auf den Markt kommt, dürfen die Kunden nicht zu Schaden kommen. Teilweise haben wir gesehen, dass im hoch innovativen Teil des Finanzbereichs – nehmen wir den Krypto-Bereich als Beispiel – Milliarden an Vermögen abhandengekommen sind. Diese innovativen Geschäftsmodelle bringen also Risiken für die Kunden mit sich. Deswegen sind wir da: Wir wollen Innovation, aber nicht auf Kosten der Kunden und der Finanzmarktstabilität oder Integrität. Und ein Gütesiegel der Bafin muss für Seriosität stehen.

Die Start-ups beklagen, sie müssten jetzt für Wirecard bluten, weil Sie nach dem Wirecard-Desaster die Hartnäckigkeit der Finanzaufsicht demonstrieren wollen.

Die strengere Aufsicht betrifft alle Unternehmen, nicht nur Start-ups. Wir handeln nicht willkürlich, wir gehen dahin, wo Missstände sind. Unsere Tätigkeiten sind immer gut begründet. Natürlich wachsen gewisse Fintech-Unternehmen dadurch manchmal nicht so schnell, wie sie sonst könnten, aber es ist nicht unsere Aufgabe, junge Unternehmen möglichst schnell möglichst hochbewertet zu machen.

Die klassische Drohung lautet dann: Wenn die Start-ups in Länder mit weniger strengen Auflagen abwandern, schadet das dem deutschen Markt.

Das ist eine klassische Aussage, aber man kann sie nicht beantworten, indem man sagt: Es gibt irgendwo ein Land, womöglich sogar innerhalb der EU, das weniger streng ist, und um den Risiken einer Abwanderung entgegenzuwirken, müssen wir unsere Standards auf ihr Niveau senken. Das kann nicht sein, gerade in der EU muss das Gegenteil der Fall sein: Es braucht einheitlich hohe Standards bei der Finanzaufsicht. Gerade im Krypto-Bereich sind Unternehmen, die sich auf irgendeiner Insel mit laxen Auflagen niedergelassen haben, nicht besonders vertrauenswürdig. Wir stehen für einen Standort, der wächst, aber nicht auf Kosten der Integrität des Finanzsystems.

Die Politik kam bei Ihnen in diesem Interview bisher gut weg. Aber es muss Sie doch nerven, wie schlecht Deutschland – auch im internationalen Vergleich – digital aufgestellt ist. Bisher ist der politische Wille, konsequent in moderne IT-Systeme zu investieren, nicht wirklich zu sehen.

Ich teile die Diagnose, dass es ein digitales Defizit in Deutschland gibt. Nicht nur auf der Behördenseite, sondern auch im Dienstleistungssektor. Mich hat das ehrlich gesagt überrascht, wie weit weg man da von dem Level anderer europäischer Länder ist. Diese Lücken kann man nicht so schnell stopfen, es ist harte Knochenarbeit für jedes Unternehmen und jede Behörde, sich zu digitalisieren und das Personal wo nötig dafür fit zu machen. Wenn Behörden nicht modern arbeiten, sinkt über Zeit generell das Vertrauen in den Staat. Es fehlt nicht an Geld oder an politischem Willen, ich sehe das Problem eher in der Umsetzung. Viele Projekte gehen schief, weil man nicht hartnäckig dranbleibt. Aber wenn interne Prozesse manuell und arbeitsintensiv sind, dann bindet man Ressourcen, die man in andere Tätigkeiten stecken könnte – und am Ende wird man abgehängt von anderen Unternehmen oder vom Ausland. Vielleicht ist das auch eine Kulturfrage.

Als Sie zur Bafin kamen, wurde hervorgehoben, dass Sie von außen kommen. Haben Sie als Außenstehender eine Diagnose?

Ich kann nur mutmaßen. Mir wurde gesagt, dass der Datenschutz in Deutschland einen extrem hohen Stellenwert hat und die Menschen deswegen mehr Mühe haben, Vertrauen in eine digitale Entwicklung aufzubauen. Das sind berechtige Sorgen, man muss einen Weg finden, mit den Gefahren umzugehen. Aber ich glaube auch, dass in sehr großen, historisch erfolgreichen Volkswirtschaften der Drang zu mehr Effizienz nicht immer so ausgeprägt ist. Ich habe eine Zeitlang in Japan gelebt – dort gibt es hocheffiziente industrielle Unternehmen, die zur Weltspitze gehören, aber der Dienstleistungssektor war wahnsinnig ineffizient. In großen Volkswirtschaften, die lange erfolgreich waren, sind Veränderungsprozesse schwieriger, weil sie ihre Gewohnheiten haben und diese teilweise zu sehr lieben.

Die Fragen stellte Ulrich Thiele.

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