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Auf dem Sonnendeck - Auf dem Sonnendeck

Von Pionieren wie Ralf Steeg lebt die deutsche Wirtschaft. Der Berliner Landschaftsarchitekt und Ingenieur hat Unterwassermodule entwickelt, die aus der stark verschmutzten Spree nach 85 Jahren erstmals wieder einen Badefluss machen könnten.

Evelyn Runge

Autoreninfo

Evelyn Runge, Dr. phil., forscht an der Hebrew University of Jerusalem, Israel, zu den Produktionsbedingungen des digitalen Fotojournalismus. Als Journalistin veröffentlicht sie u.a. in Frankfurter Allgemeine SonntagszeitungDie Zeit/Zeit OnlineSüddeutsche ZeitungDer Spiegel/Spiegel Online. 

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Seit 1925 badet niemand mehr in der Berliner Spree. Die städtischen Behörden hatten es damals verboten – wegen akuter Epidemiegefahr. Ralf Steeg, Ingenieur für Landschaftsarchitektur und Umweltplanung, will das ändern. Seine blauen Augen leuchten, wenn er von seinem Projekt „Spree 2011“ erzählt, das nicht nur die Wasserqualität der Spree, sondern von Flüssen in der ganzen Welt verbessern könnte. Er ist groß und schlank, die braunen Haare sind etwas zerzaust. Er trägt ein dunkelblaues Hemd, eine dunkelgraue Hose und schwarze Chucks. Er mag Klarheit, man merkt es an seiner leisen, höflichen Art: Erst denkt, dann spricht er. Einer der wichtigsten Gründe für die Verschmutzung des Berliner Flusses ist die veraltete Kanalisation der Stadt. Etwa 30 Mal im Jahr regnet es so stark, dass sie nicht alle Niederschläge fassen kann, die deshalb direkt in den Fluss gelangen – mitsamt Waschmitteln, Speiseresten, Hormonrückständen, Schwermetallen, Chemikalien, Staub und Reifenabrieb aus Haushalten, Gewerbebetrieben und Straßenverkehr. Seit 2002 arbeitet Steeg an einer Vorrichtung, die die Abwässer auffängt, sobald die Kanalisation überläuft. „Eimer drunter, Deckel drauf“ lautet seine Grundidee: Unterwassermodule sollen das Dreckwasser aus den Überlaufrohren auffangen. Die Module bestehen aus Glasfaserröhren von zwei Metern Durchmesser und gut zwölf Metern Länge. Sie werden mit Stahlgerüsten im Flussgrund verankert. Sobald die Niederschläge schwächer werden und die Kanalisation wieder genug Kapazitäten hat, wird das Abwasser vollautomatisch aus den Modulen zurückgepumpt. Gestank auf den Plattformen gäbe es nicht, sagt Steeg, denn die Abluft werde durch Filter gereinigt. Die Fertigteile haben die Größe eines Containers, sie sind transportabel und überall binnen sechs Monaten aufzubauen. Dass auch stark verschmutzte städtische Flüsse wieder Badequalität erlangen können, sieht man anderswo, bei der Aare in Bern etwa oder dem Rhein in Basel. Noch vor wenigen Jahrzehnten waren sie in einem katastrophalen Zustand. Heute ist die Wasserqualität in beiden Städten so gut, dass die Bürger darin schwimmen und sich unter den oft sehr erstaunten Blicken von Touristen mit der Strömung flussabwärts treiben lassen können. Auch in Berlin habe sich die Wasserqualität schon verbessert, so Steeg, trotzdem habe die Stadt „nie eine Vision um ihren Fluss entwickelt“. „In meinen Zukunftsträumen sind Stadt und Natur keine Gegensätze mehr“, sagt er. Stattdessen kämen beide in einer Kultur zusammen, „die Technologie, Ressourcenschutz und Lebensfreude vereint“. Die Plattformen auf den Unterwassermodulen sollen Bühnen des öffentlichen Lebens werden und in Open-Air-Kinos, Cafés oder Gärten die Menschen zusammenbringen. „Wasser bedeutet für mich Freiheit“, erklärt der Ingenieur. 1961 geboren, wuchs Steeg auf einem Bauernhof in Lauchhammer auf, in der Niederlausitz zwischen Cottbus und Dresden. Die erste Braunkohlefabrik der Welt wurde hier errichtet, und schwarz wie die Briketts war auch die Kleinstadt. Dicker Staub bedeckte alles, die Wäsche wurde drinnen getrocknet. Mit 17 Jahren floh er nach Westberlin und holte sein Fachabitur nach, er blieb und studierte anschließend Landschaftsarchitektur an der dortigen Technischen Fachhochschule. Steeg leitet heute sein eigenes Unternehmen mit vier Angestellten und kooperiert mit großen Institutionen wie der Technischen Universität Berlin, den Berliner Wasserbetrieben, der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Frauen, dem Karlsruher Institut für Technologie und dem Fraunhofer Heinrich-Hertz-Institut. Seine Firma trägt den Namen Luri Watersystems und liegt im vierten Stock des Deutschen Architekturzentrums, einer ehemaligen Textilfabrik in Berlin-Mitte. Grau und behäbig fließt die Spree heute vor Steegs Fenster vorbei. Der Gegensatz zur lebendigen Badekultur, die das städtische Leben am Fluss länger als ein Jahrhundert geprägt hatte, könnte nicht größer sein. Berlins erste Flussbäder eröffneten 1781, allein im Innenstadt-Bereich gab es 20. Hier erfand man die Unterwasserbeleuchtung und das Wellenbad. Hier brachte der preußische General Ernst von Pfuel seinen Rekruten das Schwimmen bei. Ralf Steegs Wasserreinigungssystem könnte dafür sorgen, dass die Berliner Badetradition wieder aufgenommen wird. Verglichen mit terrestrischen Betonspeichern, für die es in vielen Städten sowieso keinen Platz gibt, ist sein Konzept 25 Prozent billiger. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung bewilligte ihm im Frühjahr 2007 zwei Millionen Euro für den Bau einer Pilotanlage. Die Pläne für die Installation im Berliner Osthafen sind fertig und auch die Ausschreibung für den Bau der Module ist schon formuliert. Sobald die letzten Genehmigungen vorliegen, kann die Anlage noch in diesem Jahr gebaut werden. Die Plattformen der Pilotanlage möchte ein Solarbootverleih nutzen. Der nächste Badesommer an der Spree, so scheint es, liegt nun nicht mehr in allzu weiter Ferne.

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