
- Menschen sollen arbeiten, wann sie wollen
Wer Arbeitszeit flexibel gestalten will, wird oft reflexhaft kritisiert. Statt hinter jedem Vorschlag puren Neoliberalismus zu wittern, sollten wir neue Ideen endlich ausprobieren. Sie können nicht nur unseren Wohlstand sichern, sondern uns auch zufriedener machen
Endlich hat die FDP ein konkretes Thema gefunden, das den Alltag fast aller Menschen betrifft: die Arbeitszeit. Das Thema aufgebracht haben die sogenannten Wirtschaftsweisen. Die Experten des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung fordern in ihrem turnusgemäßen Jahresgutachten, die Arbeitszeit zu flexibilisieren. Der Vorsitzende des wissenschaftlichen Gremiums Christian Schmidt, hatte dazu in der Welt am Sonntag unter anderem gesagt: „Firmen, die in unserer neuen digitalisierten Welt bestehen wollen, müssen agil sein und schnell ihre Teams zusammenrufen können. Die Vorstellung, dass man morgens im Büro den Arbeitstag beginnt und mit dem Verlassen der Firma beendet, ist veraltet.“
So wenig überraschend wie die Luftsprünge der FDP folgten dieser Äußerung sofort die Reflexe von Seiten der Gewerkschaften und Linken-Politikern. Der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann etwa warf Schmidt umgehend vor, dieser sei „ein Realitätsverweigerer, wenn er wirklich glaubt, dass in Deutschland starr das Modell nine-to-five vorherrscht“.
Populismus ist nicht konstruktiv
Wer den (übrigens ohnehin nicht neuen und zudem sehr unkonkreten) Vorstoß von Schmidt unbedingt so auffassen will, kann ihm freilich auch vorhalten, die Realität nicht zu kennen. Der wissenschaftlichen Arbeitsweise der Wirtschaftsweisen, die für ihren Bericht auch zahlreiche Gespräche (übrigens auch mit Arbeitnehmervertretern) führen, wird solcher Populismus aber nicht gerecht.
Die Experten wissen natürlich, dass Arbeitgeber schon jetzt viele Möglichkeiten haben, je nach Branche flexible Arbeitszeiten anzubieten. Viele Arbeitnehmer kennen seit Jahrzehnten etwa das Modell der Gleitzeit. In vielen Unternehmen gibt eine sogenannte Vertrauensarbeitszeit oder Stundenkonten, nach denen Überstunden „abgefeiert“ werden können. Für viele Berufe gibt es Ausnahmeregelungen. Tatsächlich arbeiten immer weniger Menschen schon jetzt im klassischen Nine-to-five-Modus.
Aber weshalb schaffen die Diskutanten es nicht, einmal ohne Polemik und einstudierte Reflexe zu streiten? Sicher haben etwa linke Parteien oder Gewerkschaften ihre wichtige Rolle. Aber warum mit Unterstellungen argumentieren, wenn diese selbst wiederum total verkürzt sind?
Jeder Arbeitsplatz braucht eigene Modelle
Die Menschen sind nicht zu zu blöde, zu erkennen, dass der Arbeitsmarkt samt seiner Beschäftigungsarten ein extrem komplexes Gebilde ist und deshalb viele verschiedene Antworten auf die Fragen zur Zukunft der Arbeit benötigt. Nicht zuletzt die Digitalisierung mit all ihrer Datenerfassung ermöglicht es künftig, die Arbeitszeiten viel individueller zu gestalten. Dies als Fortschritt zu sehen dringt bei all dem anti-neoliberalen Gepolter kaum noch durch. Sofort die Ausbeutung ins Zentrum der Debatte zu stellen, mag vielleicht kurzen Klientel-Beifall bringen, verhindert aber, Chancen zu ergreifen.
Natürlich dürfen Unternehmen Menschen, die für sie arbeiten, nicht ausnutzen oder ihnen versteckt immer mehr Arbeit zumuten. Wer aber nur die Gefahren sieht, wird selbst zur Gefahr für die Zufriedenheit und den Wohlstand aller.
Ein wenig fehlt es mitunter an konkreter Vorstellungskraft: Natürlich wäre es beispielsweise möglich, auch außerhalb der Büroräume zu erfassen, wann, ob, wie lange und wie viel wir arbeiten. Ja, dabei entsteht sofort die nächste wichtige Diskussion: Überwachung. Auch darüber müssen wir offen diskutieren. Denn wer will schon Zustände, wie sie etwa in manchem Callcenter leider längst üblich sind. Nicht nur dort registrieren Arbeitgeber inzwischen automatisiert, wie lange sich etwa der Mauszeiger nicht bewegt, welche Internetseiten die Mitarbeiter aufrufen oder wie lange sie zum Bearbeiten eines Vorgangs benötigen.
Wer aber etwa die Vorteile eines Homeoffices nutzen will, muss Arbeitgebern auch entgegenkommen. Immerhin konnten diese in ihren Räumlichkeiten bislang zu einem gewissem Maß überprüfen, ob und wie wir arbeiten und das ist prinzipiell auch deren Recht. Sie bezahlen fürs Arbeiten, und nicht fürs Kaffeekochen, Zimmer-Aufräumen oder Facebook-Surfen. Solche Tätigkeiten dann zu erledigen, wann es den Beschäftigten am besten passt, würden aber tatsächlich allen Beteiligten nutzen. Mehr Selbstbestimmtheit, mehr Zufriedenheit, vielleicht dadurch mehr Produktivität wären die Folge.
Falsche Ängste verhindern Chancen
Keiner hat hingegen etwas davon, sofort jeden halbwegs innovativen Vorschlag zu verteufeln. Es geht bei einer Reform der Arbeitszeitregelungen nicht um den Mechaniker, der plötzlich zwölf Tage am Stück durchschuften soll. Aber wir müssen Dinge ausprobieren können mit der Möglichkeit, sie gegebenenfalls zu korrigieren.
Ähnlich wie etwa im Supermarkt sollte auch auf dem Arbeitsmarkt ein Prinzip von Angebot und Nachfrage möglich sein. Nicht nur Freischaffende, auch Angestellte und sogar Beamte sollten in der Lage sein, aus verschiedenen Arbeitszeitmodellen individuell wählen zu können. Menschen sind zwar in besonderer Weise von ihrer Arbeitsstelle abhängig und deshalb auch bereit, bestimmte Kröten zu schlucken, schlicht aus Angst, ihren Job zu verlieren. Genau darum aber braucht es ja auch nach wie vor klare Regeln und auch Flexibilität auf Seiten der Arbeitgeber. Niemand etwa sollte zu bestimmten Arbeitszeitmodelle gezwungen werden, wenn sie ihm gesundheitlich nicht gut tun oder sie nicht zum eigenen Lebensmodell passen.
Der Trend zur Selbstbestimmtheit, nicht nur in kreativen und digitalen Berufen, ist aber für die Arbeitnehmerseite längst Realität, meist gewünscht, nur leider oft ungeregelt und schlicht nicht möglich, weil auch Unternehmen oft zu unflexibel sind. Hier könnten Gewerkschafts- und Arbeitnehmerinteressen ja sogar zusammenkommen.
Die Angst vor der ständigen Erreichbarkeit ist berechtigt. Es mag Folgen haben, wenn Partner sich etwa entscheiden, statt abends nebeneinander ein Buch zu lesen oder eine Serie zu schauen lieber noch ein paar Emails zu beantworten. Aber so verschieben sich eben Prioritäten. Dafür kann vielleicht das Kind gemeinsam aus der Kita abgeholt werden und die familiäre Quality-Time findet statt abends eben nachmittags statt, was früher unmöglich war.
Freiheiten müssen von beiden Seiten gelernt werden
Solche neuen Freiheiten und Flexibilitäten müssen freilich auch gelernt werden. Sie haben auch Schattenseiten wie etwa die Vermischung von Privatem und Beruflichem. Engstirnig auf bloße Effizienz und Optimierung abzielende Vorschläge sollten deshalb zurecht kritisiert werden. Aber krampfhaft an engen Arbeitszeitkorsetten festzuhalten, verhindert im globalen Wettbewerb nicht nur Wohlstand, sondern auch privates Glück.
Die sogenannten Wirtschaftsweisen (die übrigens durchaus unterschiedliche Positionen vertreten) gehen zurecht davon aus, dass Arbeitnehmer im Zuge des Fachkräftemangels eine zunehmend gute Verhandlungsposition im Rahmen von Tarifverhandlungen haben werden. Diese könnten sie „verstärkt für nicht monetäre Forderungen nutzen”, heißt es im Bericht. Etwa durch „flexiblere Arbeitszeiten und Maßnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf”.
Gestalten statt bremsen
Tatsächlich ist es richtig, das Arbeitszeitgesetz zu reformieren, weil es für Unternehmen künftig darum geht, diese Fachkräfte auch für die Zukunft zu sichern. Man kann hinter einer Formulierung wie „um den persönlichen Bedürfnissen von Arbeitnehmern besser gerecht zu werden, sollte zudem das Arbeitszeitgesetz gelockert werden”, einen neoliberalen Geist vermuten, der Arbeitnehmerrechte am liebsten abschaffen will. Der Beweis dafür muss dann aber auch geführt werden.
Eine Tageshöchstzeit auf eine Wochenhöchstzeit anzupassen, kann Arbeitnehmern sehr entgegenkommen, wenn zugleich etwa für bessere Ganztagsbetreuung gesorgt würde. Wer gerade konzentriert an einem Projekt arbeiten möchte, hält wahrscheinlich schon jetzt die sogenannte Mindestruhezeit von elf Stunden zwischen den Arbeitstagen nicht ein. Und sei es nur, weil der Kopf einfach nicht abschalten will. Wäre es rechtlich möglich, auch legal früher wieder an die Arbeit zu gehen, würde auch legal geregelter Raum etwa für Ausgleichstage entstehen.
Sollte nun im nächsten Schritt ein Reformvorschlag konkretisiert werden, der die physische oder psychische Gesundheit von Arbeitenden gefährden sollte, darf dieser abgelehnt und sollte auch verhindert werden. Die Zukunft der Arbeit aber wird kommen, beziehungsweise sie ist längst da, mit oder ohne reflexhaftes Verdammen. Wir sollten sie konkret und individuell gestalten und nicht jeden zaghaften Versuch, „out of the box” zu denken, von vornherein ablehnen. Aber das ist natürlich die weniger leichte Übung.