Die Polen sind uns überlegen

Zumindest in politisch-kultureller Hinsicht. Denn der Nachbar jenseits der Oder hat uns Deutschen zwei Dinge voraus: Tatkraft und Zuversicht.

Eine asymmetrische Beziehung ist für eine gute Partnerschaft und ein gegenseitiges Einvernehmen nicht gerade förderlich. Das wissen wir aus privaten Erfahrungen. Es gilt aber auch für Nationen. Zwischen Polen und Deutschen geht es bisher noch nicht sehr symmetrisch zu: Viele Polen sprechen deutsch, wenige Deutsche polnisch, Polen interessieren sich für Deutschland und wissen über das Land viel mehr als umgekehrt. Umfragen zeigen, wie viel mehr Deutsche gegenüber Polen negative Vorurteile bewahren als Polen gegenüber Deutschen, und dies, obwohl man zumindest angesichts der Erfahrungen des 20. Jahrhunderts eher das Gegenteil erwarten sollte. Polen finden die Deutschen zwar nicht immer sympathisch, und ihnen fällt auf Anhieb - wenn sie danach gefragt werden - die bittere Erfahrung der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg ein, aber auch die hohe wirtschaftliche Tüchtigkeit, von der sie lernen zu können meinen. Deutschen fällt nur Negatives ein: Rückständigkeit, Unfähigkeit zu wirtschaften, religiöser Konservatismus. Von der EU-Erweiterung erwarten sich Polen mehrheitlich eine Verbesserung ihrer Lage, Deutsche sehen mit Sorge auf zusätzliche finanzielle Belastungen. Überhaupt, auch unabhängig von der EU- Osterweiterung, schauen Polen sehr viel zuversichtlicher in die Zukunft als Deutsche - eine Asymmetrie, die sich auf längere Sicht sehr zugunsten der Polen auswirken kann. Denn wir wissen, dass Zuversicht nicht nur ein zentraler Baustein einer demokratischen politischen Kultur ist, sondern auch ein wichtiger Schlüssel zu Tatkraft, nicht zuletzt zum wirtschaftlichen Erfolg. Trotz Jahrzehnten, die sie unter der kommunistischen Diktatur verbracht haben, sind die Polen den Deutschen in dieser Hinsicht politisch-kulturell überlegen. In anderer Hinsicht sind sie hinterher: Der offene und demokratisch gepflegte Austrag von Konflikten fällt ihnen nicht immer leicht. Das mag angesichts der langen und herausragenden Freiheitstradition der Polen verwundern. Denn wir assoziieren den sozialen wie den politischen Konflikt mit der freiheitlichen Tradition des Liberalismus. Das polnische Freiheitsverständnis ist eher durch eine lange individualistische Adelstradition geprägt. Konflikte sind darin nicht Ausdruck legitimer Interessengegensätze der bürgerlichen Gesellschaft, die man über einen vernünftigen Kompromiss lösen kann, sondern bezeugen eher den Verstoß gegen einen moralisch konnotierten Ehrenkodex. Solche Verstöße regelt man "unter sich", anstatt sie in die Öffentlichkeit zu tragen. Hinzu kommt eine antistaatlich-anarchische Tradition, die sich aus der Gegnerschaft gegen die fast zwei Jahrhunderte herrschenden Besatzerstaaten während der polnischen Teilungen und danach ergibt und nicht den innerstaatlichen Konfliktaustrag im Blick haben konnte. Auch im beeindruckenden antitotalitären Engagement insbesondere der polnischen kulturellen und politischen Eliten vor 1989 fand er keine günstige Atmosphäre. Der erste nach 1989 demokratisch gewählte polnische Premierminister Tadeusz Mazowiecki, der noch heute in der polnischen Gesellschaft ob seiner persönlichen Integrität eine unangefochtene Anerkennung genießt, hat dies nach der Wende klar und selbstkritisch analysiert: Es war leichter, gemeinsam gegen das kommunistische Regime zu stehen, als Konflikt und Kooperation in einer pluralistischen Demokratie zugleich zu praktizieren. Er selbst gibt allerdings immer wieder beeindruckende Beispiele für eine konstruktive Konfliktkultur. Während der Auseinandersetzung um das Engagement im Irak hat er gegen eine starke, zum Teil begeisterte öffentliche Befürwortung polnischer Truppen an der Seite der USA genaues Nachdenken über die Legitimation dieses Engagements angemahnt und damit eine Brücke zu Argumentationen gebaut, wie sie auch in Deutschland vertreten wurden. Hätte sich in den deutschen Medien genügend Interesse gefunden, die polnischen Diskussionen zum Thema Irak wiederzugeben, dann wäre auch das Bild Polens in dieser Angelegenheit in Deutschland sehr viel differenzierter ausgefallen. Die großen polnischen Zeitungen "Gazeta Wyborcza" und "Rzeczpospolita" betätigen sich nämlich als Vorreiter einer vorbildlichen demokratischen Konfliktkultur. Von ihnen sollten wir in Deutschland mehr erfahren.

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