„ZDF Magazin Royale“ - Böhmermann sieht keinen muslimischen Antisemitismus

ZDF-Satiriker Jan Böhmermann verortet Antisemitismus in Deutschland hauptsächlich bei Rechten. Muslimischer Judenhass ist für ihn nichtexistent. Damit ignoriert Böhmermann Fakten sowie die Lebensrealität von Juden in Deutschland.

Musterschüler in Geschichte? Jan Böhmermann / dpa
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Autoreninfo

Alexandre Kintzinger studiert im Master Wissenschafts- philosophie an der WWU Münster und arbeitet nebenbei als freier Journalist. Er ist Stipendiat der Journalistischen Nachwuchsförderung (JONA) der Konrad-Adenauer-Stiftung. 

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In der jüngsten Ausgabe seiner Sendung „ZDF Magazin Royale“ mit dem Titel „Wie Deutschland über den Nahost-Krieg redet“ thematisierte Jan Böhmermann den Antisemitismus in Deutschland und verortete diesen hauptsächlich bei Rechtsextremen. Er benannte zwar auch linken Antisemitismus, der Antisemitismus in arabisch-muslimischen Milieus war für ihn jedoch kein Thema. Diesen zu benennen, diene nur dazu, um gegen Muslime zu hetzen. 

Direkt am Anfang der Sendung macht es sich Böhmermann extrem leicht mit der Einordnung der mittlerweile verbotenen Organisation Samidoun. Es ist ihm überaus wichtig zu bemerken, dass es sich hier nicht um islamischen Antisemitismus handele, sondern um linken antiimperialistischen Antisemitismus. Eine intellektuelle Glanzleistung für jemanden, der mit seiner Recherche bei Wikipedia aufhört. Um Samidoun und deren Mutterorganisation, die sogenannte Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP), tiefgehender zu analysieren, reichte die Zeit wohl nicht.  

Denn neben ihrer linken antiimperialistischen Ideologie ist die PFLP vor allem auch eine arabisch-nationalistische Organisation, mit eigenem Terrorkommando, den Abu-Ali-Mustafa-Brigaden, die auch schon von Gaza aus Israel angriffen haben und für zahlreiche Bluttaten verantwortlich sind. Die PFLP vertritt eine radikale Einstaatenlösung, und die vermeintlich säkulare Organisation hat kein Problem damit, Bündnisse mit der Hamas einzugehen und sich vom Iran unterstützen zu lassen. Samidoun, so schreibt der Verfassungsschutz, ist zudem nicht nur ein Sammelbecken von „extremistischen palästinensischen Einzelpersonen“, sondern findet auch Zuspruch bei türkischen Rechtsextremisten.

Zum Thema Antisemitismus in der politisch linken Szene verweist Böhmermann auf Dieter Kunzelmann, Terrorist und 68er-Ikone, später auch politisch für die Grünen tätig. Oder auf die extrem dumme Performance von Studenten der Universität der Künste in Berlin, die sich mit einer Kunstaktion ähnlich inszeniert haben wie ein palästinensischer Terrorist, der an einem bestialischen Lynchmord an zwei israelischen Soldaten beteiligt war.  

Antisemitische Vorurteile erhalten bei Muslimen „deutlich größere Zustimmung“

Um zu begreifen, dass Antisemitismus in Deutschland in allen Schichten und Milieus verankert ist, ist kein Jan Böhmermann notwendig. Und man sollte auch nicht die Augen davor verschließen, was zum Beispiel Befragungen von AfD-Mitgliedern oder -Wählern zutage fördern. Da ist die AfD allerdings nicht allein, denn auch bei Wählern anderer Parteien von der CDU bis zur Linkspartei gibt es antisemitische Stereotypen. Aber wer nur auf eine Form hinweist und zugleich einen ganzen Bereich im Dunkeln lässt, handelt unredlich. 

Böhmermann wirft in der Sendung dem Bundespräsidenten sowie Robert Habeck eine paternalistische Bevormundung vor, wenn sie sagen, dass Muslime in Deutschland sich von Antisemitismus distanzieren sollen. Wenn Deutsche entschieden, wer Antisemit ist und wer nicht, so Böhmermann, dann hätten die Deutschen nichts aus der Geschichte gelernt.

Diesen Paternalismusvorwurf muss sich die biodeutsche Kartoffel Böhmermann, um im Stil seiner eigenen Sprache zu bleiben, dann aber auch selbst gefallen lassen. Er protegiert ein Milieu und ignoriert, dass es auch dort verankerten Antisemitismus gibt. Der Deutsche Jan Böhmermann ignoriert damit die Ängste von Juden in Deutschland. Hat auch er nichts aus der Geschichte gelernt?  

 

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Entgegen der Meinung von Böhmermann gibt es nämlich sehr wohl islamischen bzw. muslimischen Antisemitismus. Das zeigen zahlreiche Studien, wie etwa eine Umfrage der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte, wo in Deutschland 41 Prozent der befragten jüdischen Bürger persönliche Diskriminierungserfahrungen bei Tätern mit „extremen muslimischen Ansichten“ gemacht haben. Eine weitere Umfrage von 2017 vom Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld, bei der 553 Jüdinnen und Juden in Deutschland befragt wurden, ergab, dass 70 Prozent sich sorgen, „dass der Antisemitismus in Deutschland zunehmen wird, weil viele Flüchtlinge antisemitisch eingestellt sind“.

Eine Befragung vom American Jewish Committee Berlin aus dem Jahr 2022 bestätigt das Bild. So heißt es in der Studie, das „Meinungsbild gegenüber Juden ist unter den in Deutschland lebenden Muslimen deutlich kritischer als in der Gesamtbevölkerung“. Von den befragten Muslimen bezeichnen „36 Prozent Juden als sympathisch, 22 Prozent jedoch als unsympathisch“. Zudem zeigt die Befragung, dass nur „Homosexuelle sowie Sinti und Roma von den in Deutschland lebenden Muslimen als weniger sympathisch eingestuft“ werden.

Bei einer ganzen Reihe von Fragen bezüglich antisemitischer Vorurteile erhalten diese in der muslimischen Bevölkerung die „deutlich größere Zustimmung“. So sagen 54 Prozent der Muslime in Deutschland, dass „Juden ihren Opferstatus ausnutzen“, und 49 Prozent, dass „Juden zu viel Macht in der Wirtschaft haben“. Und fast jeder Zweite unter den Befragten „empfindet zudem den Einfluss von Juden im Bereich der Medien bzw. in der Politik als zu groß“. Vor allem wenn es um Gewalt geht, ist folgender Punkt erschreckend. Denn der Aussage „Juden werden ungerechtfertigt angefeindet, wenn es Krisen gibt“, stimmten 60 Prozent der Gesamtbevölkerung zu, während es unter den Muslimen nur 39 Prozent sind.  

Aus Angst, die Rechte zu stärken, nicht über ein Thema zu reden, ist Realitätsverweigerung

Antisemitismus von Rechts ist nicht weg, was auch ein Björn Höcke von der AfD zeigt, der in einer Rede seine Zuhörer dazu animiert, SA-Parolen zu vervollständigen. Dieses Gespenst wird dieses Land nicht so schnell los. Und das beschränkt sich nicht nur auf Deutschland, sondern betrifft viele Staaten in Europa. Gerade deswegen sollte jede Form von Antisemitmus adressiert werden. Eine bestimmte Form bewusst auszuklammern, macht Böhmermann nicht besser als die geschichtsvergessenen Menschen, die gerne den historischen Schlussstrich ziehen möchten.  

Aus Angst, dass man die Rechte stärken könnte, nicht über ein Thema zu reden, ist aber Realitätsverweigerung. Dabei hätte Böhmermann nur mal in einen Bericht seines eigenen Senders schauen müssen. Darin warnt Zentralratspräsident Josef Schuster vor einer Zurückhaltung in der Migrationsdebatte aus Gründen falsch verstandener Toleranz und betont, dass neben rechtem Antisemitismus verstärkt auch solcher von arabischen Jugendlichen zu vermelden sei.  

Doch was der Präsident des Zentralrats der Juden sagt, interessiert den Deutschen Jan Böhmermann offensichtlich nicht, der sich lieber selbstgerecht in seiner linksliberalen Doppelmoral suhlt und das Phrasenschwein füttert. Banale Satire, gepaart mit schlechtem Journalismus, und das für ein fürstliches Gehalt, finanziert vom Gebührenzahler. Aber Böhmermann betont ja öfters, dass er kein Journalist sei ...

Auch wenn man nicht von importiertem Antisemitismus reden will oder es für banalen Populismus hält, Migranten bei der Einbürgerung auf Israels Existenzrecht schwören zu lassen – gerade wenn solche Vorschläge vonseiten der Union kommen, die während ihrer Regierungszeit die Zustände jahrelang ignorierte –, liegt das Problem keineswegs nur bei den sogenannten Bio-Deutschen, wie Böhmermann es gerne hätte. Sondern auch bei Deutschen und Nichtdeutschen mit muslimischem Migrationshintergrund, die teilweise schon seit mehreren Generationen in diesem Land leben.  

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