Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
(picture alliance) Die Bilanz von Katharina Wagners Intendanz ist gemischt.

Katharina Wagner - Wie die Befreiung vom Vater zum Fluch wurde

Noch nie waren die Bayreuther Festspiele so offen und transparent wie heute, noch nie standen sie so sehr in der Kritik. Denn vieles von dem, was Festspielchefin Katharina Wagner als Befreiungsschlag gegen das Opernbiedermeier ihres Vaters plante, ist inzwischen zum Fluch geworden. Eine Reportage

Der „Ring des Nibelungen“ ist eine 16-stündige Parabel über den Untergang der Götterwelt. Wotans Kinder übernehmen die Macht und versuchen, eine neue Welt zu erschaffen – aber am Ende steht das Endzeitfeuer: die Götterdämmerung. Die Bayreuther Festspiele wirken in mancher Hinsicht wie ein reales Äquivalent zu Wagners berühmtestem Werk. Sie sind das deutsche Opernwallhall. Sie wurden in der 1848er Revolution erdacht, von Märchenkönig Ludwig II. ermöglicht und von Hitler missbraucht. Bis heute wird der rote Teppich auf dem Grünen Hügel als Catwalk für die bundesrepublikanische Prominenz ausgerollt: Gottschalk, Merkel und Stoiber gehören zu den Stammgästen. Aber das eigentliche Drama spielt sich derzeit hinter den Kulissen ab.

Wotan ist tot – Wolfgang Wagner starb im März 2010, ein Jahr zuvor hatte seine Tochter Katharina das Erbe angetreten. Heute stecken ihre Festspiele in einer tiefen Krise: Der Steuerzahlerbund kritisiert die Kartenvergabe, das Feuilleton die Inszenierungen, und wichtige Hauptsponsoren springen ab. Die Intendantin steht unter Beschuss, und statt zu kämpfen, zieht sie sich mit einer Cola-Light-Diät von der Bühne zurück. Steht Bayreuth vor der Apokalypse? Droht der letzten deutschen Kulturdynastie der Untergang? Immerhin haben die Festspiele die Monarchie und die Diktatur überlebt – sollten sie ausgerechnet am demokratischen Zeitalter scheitern?

Wer die aktuelle Situation des Bayreuther Operngrals verstehen will, muss in die Vergangenheit schauen. Der aktuelle Ringkampf um die Festspiele hat eine lange Vorgeschichte. Und es ist, wie sollte es bei den Wagners anders sein, eine Geschichte um Macht, Intrigen, um Revolution und Scheitern.

Im November 2008 saß Katharina Wagner mit ihrem Rechtsanwalt und Freund Stefan Müller in einem Leihwagen auf dem Weg von Berlin nach Bayreuth. In diesen Tagen schienen die größten Schlachten bereits geschlagen zu sein. Katharinas Mutter Gudrun war Ende 2007 gestorben und mit ihr die Verbissenheit, mit der Katharina auf den Thron der Festspiele gehievt werden sollte. Nach einer großen öffentlichen Debatte ernannte der Stiftungsrat, der aus Mitgliedern von Bund, Freistaat Bayern und anderen Geldgebern besteht, in einem spartanischen Bürogebäude im Bayreuther Rathaus die damals 30-jährige Katharina mit 22 Stimmen und zwei Enthaltungen zur neuen Festspielleiterin – sie sollte das Haus gemeinsam mit ihrer damals 63-jährigen Stiefschwester Eva Wagner-Pasquier übernehmen. Alles lief nach Plan.

Aber dann sackte Stefan Müller kurz nach dem Autobahnkreuz Bayerisch Vogtland zusammen. Katharina Wagner lenkte das Fahrzeug vom Beifahrersitz aus auf den Seitenstreifen der A9 und wollte den Freund wiederbeleben. Doch als der Notarzt eintraf, war Stefan Müller bereits tot. Er war mit 32 Jahren an Herzversagen gestorben. Eine Herzmuskelentzündung war nicht rechtzeitig diagnostiziert worden. Dieser Unfall ist ein Schlüsselereignis in der Geschichte der Bayreuther Festspiele. Denn Stefan Müller war der Spiritus Rector eines komplizierten Systems, das Katharina Wagner zunächst heimlich, dann offiziell zur Intendantin machte. Ein revolutionäres Konstrukt aus Gesetzen, Machtbefugnissen und organisatorischen Kompetenzen, das der Festspielchefin heute aus den Händen zu gleiten scheint.

Die beiden kannten sich bereits aus der Schule. Und weil Wolfgang Wagner sein Bayreuth mit Fränkischem Bauchgefühl leitete und ihm nichts heiliger als treue Freunde waren, engagierte er den bodenständigen Müller 2006 als Syndikus. Er sollte den Rückzug des greisen Intendanten einleiten und seine Erbfolge organisieren. Wolfgang Wagner, der gerne als Alleinherrscher regierte, war in dieser Sache auf das Votum des Stiftungsrats angewiesen. Ein Gremium, dem er zeitlebens distanziert gegenüberstand – und das nun nicht automatisch für Katharina stimmen wollte.

Für Wolfgang kam aber nur sie als Nachfolgerin infrage. Mit dem Rest des Clans war er zerstritten: Tochter Eva aus erster Ehe hatte er vom Hügel verbannt, Nichte Nike, die Tochter seines verfeindeten Bruders Wieland, wollte er schon aus Prinzip verhindern. Seit Katharinas Geburt lief alles auf ihre Erbfolgerolle hinaus: Sie spielte als Kind in den Kulissen des Festspielhauses, begleitete den Vater auf seinen Gastspielen, jubelte der Festspiel-Fußballmannschaft, dem „FC Wotan“, von der Bank aus zu und wurde tagtäglich mit Leitmotiven gefüttert. Katharina wurde zu Wolfgangs Siegfried. Sie war die letzte Hoffnung des Intendanten, die Bayreuther Götterwelt in eine neue Zukunft zu führen.

Tatsächlich stand Katharina dem Opernhelden Siegfried in revolutionärer Neuerungslust nicht nach. Schnell wurde klar, dass sie das alte Bayreuth nicht nur verwalten, sondern verändern wollte. Sie hatte vor, den Biedermeierstaub der Ära ihres Vaters wegzublasen und offenere, modernere Festspiele zu inszenieren. Ihr Bayreuth sollte aus der fränkischen Provinz in die Welt strahlen. Sie wollte Journalisten zu Proben einladen, die Festspiele neuen Publikumsschichten öffnen und sich um den Nachwuchs kümmern. Katharina wurde zum Schneewittchen. Es ging ihr um nichts weniger als die Erlösung – ihr Grüner Hügel sollte gläsern werden. Und tatsächlich nickte Wolfgang all diese Ideen milde ab.

Katharina Wagner meinte es ernst mit ihrer Revolution, und Stefan Müller sorgte dafür, dass sie in geordneten Bahnen verlief. Er goss ihre Ideen in Gesetze und verwandelte ihre Überlegungen in neue Unternehmen. Zunächst ging es darum, Katharina zu institutionalisieren. Wie konnte sie Bayreuth regieren, während ihr Vater offiziell die Geschäfte führte? Wie eine größere Rolle spielen, ohne den Stiftungsrat zu befragen? Stefan Müller erfand dafür die BF-Medien, eine hundertprozentige Tochterfirma der Bayreuther Festspiele. Katharina wurde ihre Chefin. Im Schatten der offiziellen Festspiele begann sie so, ein Team aus engagierten Freunden zusammenzustellen und die alten Strukturen hinter den Kulissen aufzubrechen. Eine begeisterte Horde 30-Jähriger übernahm die heimliche Macht auf dem Grünen Hügel. Sie alle wurden vom gleichen Gedanken getrieben: eine neue Ära in Bayreuth einzuläuten!

Die BF-Medien sorgte für all das, was in Bayreuth vernachlässigt wurde: Fernsehsender und DVD-Produzenten hatten schon lange einen Bogen um die Aufführungen gemacht, also gründete Katharina pragmatisch ein eigenes Label und gab die Bayreuther Aufführungen als DVD heraus. Für den Dirigenten Christian Thielemann ließ sie den „Ring“ auf CD brennen. Außerdem suchte sie Sponsoren, um Wagner für alle zu ermöglichen: Siemens finanzierte das sogenannte „Public Viewing“ auf dem Bayreuther Festplatz, und Audi kümmerte sich um die neu erfundene Kinderoper. Um ihre Ziele zu erreichen, wurde Katharina Wagner zur öffentlichen Person. Sie wusste: Wer Sponsoren locken will, muss strahlen. Also öffnete sie sich dem Boulevard, redete nicht allein mit dem Spiegel, sondern auch mit der Bild. Sie inszenierte sich als blonder Opern­engel und erhob die Festspiele zum Ort zwischen Tradition und Glamour.

Hinter der Bühne des Festspielhauses wurde eine Lounge eingerichtet. Natürlich in der Farbe der BF-Medien, in grellem Magenta! Nicht einmal vor den „Blauen Mädchen“ machte die Erneuerung halt. Die studentischen Kartenabreißerinnen gehören zum Bayreuther Festspielmythos, ihren Namen haben sie von der Farbe ihrer Kleider. Auch sie wurden neu angezogen. Plötzlich waren die Türsteherinnen am Grünen Hügel in BF-Medien-Magenta gekleidet.

Stefan Müllers System war als freundliche Übernahme geplant und begann schnell zu wirken. Während die Öffentlichkeit noch über die Nachfolge in Bayreuth debattierte, saß Katharina Wagner längst fest im Sattel. Hätte sich der Stiftungsrat 2008 für Nike oder irgendeinen anderen Kandidaten entschieden, wäre er nie an ihrem BF-Medien-Imperium vorbeigekommen. Hier wurde frisches Geld verdient. Hier wurde die Zukunft der Festspiele organisiert. Hier pulsierte das Bayreuther Leben. Der eigentliche Opernbetrieb war zur Schattenwirtschaft verfallen.

Natürlich begeisterte der Kurs nicht jeden. Dass Katharina die Oper auf dem Boulevard anbot, verärgerte das Feuilleton. Dass Bayreuth von der Tiefe des Mythos nun auch an die Oberfläche des Hochglanzes rutschte, erschreckte die Hardcore-Wagnerianer. Dass auf der exklusiven Veranstaltung auf dem Grünen Hügel auch Bratwurst verkauft wurde, war Puristen allerdings schon lange vorher ein Gräuel. Nike lästerte über die Kinderoper als „Krabbelgruppe“, Kulturkommentatoren warnten vor Verflachung, und Ewiggestrige wandten sich ab.

Aber Katharinas Neu-Bayreuth funktionierte. Schon in ihrer ersten Hügel-Regie mit den „Meistersingern“ hatte sie gezeigt, dass sie durchaus Grips hat, und sich reif für die Intendanz erwiesen. Nachdem sie Christoph Schlingensief und Christoph Marthaler mit Regieaufträgen in Bayreuth betreut hatte, ging auch das Regiedebüt von Hans Neuenfels’ „Lohengrin“ unter ihrer Ägide auf. Die Kinderopern wurden zu Publikumsrennern, und das Public Viewing etablierte sich als ernsthaftes Opernhappening. Selbst das ZDF kam zurück nach Bayreuth und übertrug erstmals wieder live von den Festspielen.

All das war Katharina allerdings noch nicht genug. Sie wollte die totale Revolution und scheute nicht einmal den Kampf mit den alteingesessenen Wagnerianern. Die Gesellschaft der Freunde Bayreuths ist eines der wichtigsten Gremien für die Festspiele. Der konservative Verein von 5000 Wagner-Begeisterten fror kurzweilig seine Gelder für Katharina Wagner ein. Sie polarisierte. 2010 trat zunächst Peter Gloystein als Vorsitzender zurück, dann zwei weitere Führungsmitglieder. Die Intendantin nutzte die Wirren und gründete, gemeinsam mit Christian Thielemann, einen konkurrierenden Förderverein. Das „Team aktiver Festspielförderer“, der „Taff e. V.“, warb nun unter dem Motto „Wir sind Festspiele“ für den neuen Kurs und bot der alten Gesellschaft der Freunde Paroli. Angeführt wird das Gremium bis heute von Bayreuths Bier-könig Peter Maisel. Er und seine Mitstreiter geben auf ihrer Homepage die Losung aus: „Unbürokratisch. Effektiv. Taff.“ Eine Losung wie geschaffen für Katharina Wagner.

Die meisten ihrer Kämpfe hat sie gewonnen. Aber am Rand ihres kurzen Weges an die Festspielspitze stehen lauter enttäuschte Wagnerianer: Menschen, die ihrer Erneuerung im Weg standen, die am alten Bayreuth festhalten wollten. Nun schauen sie genüsslich zu, wie Katharina Wagner damit kämpft, das alte System der BF-Medien in den laufenden Betrieb der Bayreuther Festspiele zu integrieren. Wie das Konstrukt, das Stefan Müller aus einer Not geboren hat, zu zerfallen droht. Und diesen Sommer waren die Rückschläge besonders groß: Der Bundesrechnungshof kritisierte die Vergabe der Festspielkarten, weil nur 40 Prozent in den öffentlichen Verkauf gehen würden. Angeblich warten Wagnerianer zwar zehn Jahre auf Karten, gleichzeitig sollen die Festspiele die Tickets für einige Aufführungen nicht los werden. Siemens wird sich als millionenschwerer Hauptsponsor von den Festspielen zurückziehen. Die „Tannhäuser“-Premiere von Regisseur Sebastian Baumgarten ist durchgefallen, und die Künstler meckern über die schlechten Probezeiten.Wim Wenders hat als „Ring“-Regisseur für 2013 abgesagt, und die Verträge mit Frank Castorf sind noch immer nicht unter Dach und Fach.

Die Gemengelage ist brisant. Und das Bild, das Katharina Wagner von sich selbst gezeichnet hat, ist in der Krisensituation nur bedingt hilfreich. Sie gilt als Leichtgewicht und nicht als Managerin, als Opernmodel und nicht als Intellektuelle. Diesen Festspielsommer wurde mehr über ihre 20-Kilo-Diät als über den „Tannhäuser“ geschrieben. Derweil scheint sie die Hiobsbotschaften einfach auszusitzen. Nach der Festspielzeit ist sie erst einmal in ihre Wahlheimat, nach Gran Canaria, geflogen: Finca, Swimmingpool und Strand statt Opernfreaks, Festspielhaus und Pressewelle. Auch das nehmen ihr einige übel, dass sie sich gern zurückzieht, vom Erdboden verschwindet, nicht auf Mails, Textnachrichten und Anrufe reagiert. Dass sie sich Zeit für sich selbst nimmt. Um nachzudenken. Dass sie ein Leben jenseits der Oper hat.

In Wirklichkeit ist Katharina Wagner nicht die öffentliche Frau, die sie aufgebaut hat. Ihre vier Wände bleiben Sperrgebiet für Journalisten: das Bayreuther Haus ihrer Eltern mit Fitnesskeller und goldenen Wasserhähnen im Biedermeierbadezimmer ebenso wie ihr Freund, ein Pilot, und ihre Hunde. Die Intendantin weiß genau, wie weit sie gehen will. Wo die Oper aufhört und ihr Privatleben beginnt. Und gerade in diesen Tagen scheint sie froh zu sein, sich in ihre Welt hinter dem Vorhang zurückziehen zu können.

Das Murmeln in der Opernszene wird aber immer lauter und aggressiver. Der Vorsitzende des Bayreuther Stiftungsrats, Toni Schmid, raunt über die aktuelle Kartendebatte: „2013 müssen wir uns darüber unterhalten, wie es weitergehen soll“ und lässt in etwas mitleidigem Tonschlag wissen: „Natürlich müssen wir jetzt die Sache beobachten, aber im Moment habe ich das Gefühl, dass die beiden Damen es nicht leicht haben. Sie stehen unter Beobachtung, nicht nur von den Rechnungshöfen, auch von den Geldgebern.“ Auch Nike Wagner meldet sich wieder und ballert Salven aus Weimar in Richtung Bayreuth. Und der Dirigent Thomas Hengelbrock, der diesen Sommer am „Tannhäuser“ scheiterte, erklärt öffentlich, dass sein Misserfolg an den kurzen Bayreuther Probenzeiten läge.

Katharina Wagner speist die Kritiker mit einem Interview in ihrer Hauszeitung, dem Nordbayerischen Kurier, ab. Das ist ungefähr so, als würde Angela Merkel internationale Eurokriterien im mecklenburgischen Nordkurier verkünden. Aber Katharina Wagner weiß, dass sie sich auf die fränkische Printallianz verlassen kann. Sie hat keine Lust mehr, mit Medien zu spielen, denen sie nicht traut. Sie ist zu oft enttäuscht worden, scheint verunsichert. Gerade jetzt will sie ihre Positionen ungefiltert vortragen können. Aber ihre Auftritte haben an Leichtigkeit verloren. Ihre neue Dominanz ist auch eine Form des Selbstschutzes.

Dass noch immer große Kartenkontingente an Busunternehmer gehen, sei ein Relikt aus der Nachkriegszeit, erklärt sie. Damals musste Bayreuth um jeden Besucher buhlen. Nun will sie die Sache überprüfen. Die aktuelle Ticketvergabe sei problematisch – aber sie arbeite an einer Lösung. Der Wegfall der Sponsoren würde immerhin den Spielbetrieb nicht gefährden, außerdem würden bereits neue Gespräche geführt. Ach ja, und Frank Castorf habe den Vertrag bereits bekommen – er müsse nur noch unterschreiben. Katharina Wagner schloss das Interview mit der Bitte, jetzt nicht in Hysterie zu verfallen.

Trotz ihrer demonstrativen Gelassenheit ist der Intendantin anzumerken, dass sie die neue Stimmungsmache nur schwer einschätzen kann. Früher hatte sie die Medien im Griff, hat sie nach Gutdünken gefüttert oder verhungern lassen. Während der Gegenwind stärker wird, scheinen ihr die Schritte nicht mehr so leicht zu fallen wie früher. Überall kann ein Fettnäpfchen stehen, überall lauern Heckenschützen.

Für viele wirkte die Neuerfindung der Festspielleiterin diesen Sommer wie ein Zeichen. Die Brünnhilde ist zum Vamp geschrumpft. Die Macherin zur Aussitzerin. Das Schwergewicht zur zierlichen Person. Aus der schnoddrigen Bayreuth-Revoluzzerin ist eine Opernrepräsentantin geworden. Und tatsächlich sieht man Katharina in der Festspielkantine nur noch selten genüsslich ein Hefeweizen trinken. Daseinzige Laster, das ihr geblieben ist, sind ihre Zigaretten.

Nein, Katharina Wagner ist kein It-Girl der Oper. Als Wagner-Tochter hat sie Disziplin gelernt, Ehrgeiz entwickelt und Talent geerbt. Doch all das wird derzeit unterschätzt. Sie ist durchaus bereit, wütend zu werden, wenn es um etwas geht. Sie ist da, wenn Sänger ausgebuht werden. Als die Fernsehübertragung aus Bayreuth durch ein Gewitter unterbrochen wurde und der Sender Ausschnitte aus einem Konzert mit dem Tenor Jonas Kaufmann sendete, dem Rivalen von Bayreuth-Sänger Klaus Florian Voigt, kramte sie ihr Handy aus dem Dolce-und-Gabbana-Täschchen und wütete durch alle Instanzen von Mainz bis Straßburg. Als Regisseur Wim Wenders plötzlich immer mehr Geld für seine „Ring“-Regie forderte und sich von Bayreuth einen Kinofilm finanzieren lassen wollte, war Katharina Wagner zunächst noch bemüht, die Millionen zu organisieren. Als die Forderungen komplett aus dem Ruder liefen, schmiss sie ihn hochkant hinaus.

Bei all diesen Reibereien hat sich Eva Wagner-Pasquier dezent im Hintergrund gehalten. Auf diese Rollenteilung haben sich die beiden geeinigt, als sie sich nach 30 Jahren zum ersten Mal gesehen und bei einem Abendessen beschlossen haben, Bayreuth gemeinsam zu übernehmen: Katharina ist als Außenministerin verantwortlich für das Erscheinungsbild, Eva besetzt das Innenministerium. Die beiden sind geborene Gegensätze, aber sie wissen, dass sie nicht ohne einander existieren können. Außerdem haben sie ihre familiäre Loyalität entdeckt. Katharina weiß, dass Eva als ehemalige Künstlermanagerin in Aix-en-Provence ihr Gewicht verleiht, dass sie wichtig ist, um die Kritiker zu besänftigen, und dass Eva für viele der Garant für den Burgfrieden im Wagner-Clan ist. Und Eva weiß, dass sie ohne Katharina nie nach Bayreuth zurückgekehrt wäre.

Tatsächlich haben die Festspiele für Eva eine ganz andere Bedeutung als für Katharina. Während die eine weiterkommen will, will die andere ankommen. Während Katharina das alte Bayreuth moderner machen will, scheint sich Eva gerade in der Biedermeierfamilie wohlzufühlen, die ihr Vater aufgebaut hat, und aus der sie vertrieben wurde. Bayreuth ist für Eva eine Heimkehr statt ein Aufbruch. Für sie schließt sich auf dem Grünen Hügel ein Lebensring. Kurz vor seinem Tod hat Wolfgang Milde walten lassen – und diese Milde will Eva nun weitertragen. Sie nimmt Katharina in Schutz, wenn es sein muss, und sitzt die aktuellen Debatten ohne öffentliche Auftritte aus. Vielleicht auch, weil sie weiß, dass sie derzeit die einzige Wolfgang-Erbin ist, deren Nachwuchs schon für die Zukunft bereitsteht. Ihr Sohn Antoine Amadeus ist jetzt 29 Jahre alt.

Die eigentliche Frage der Festspiele ist, wer im neuen Bayreuth derzeit die Macht hat. Natürlich steht Katharina Wagner im Zentrum, aber sie ist, anders als ihr Vater, nicht mehr allmächtig. Ihr BF-Medien-Imperium beginnt zu bröckeln. Immer mehr Menschen kommen mit immer neuen Forderungen. Und sie reagiert eher verschlossen als offen.

Inzwischen ist vieles von dem, was als Befreiung begann, zum Fluch geworden. Ihre Öffnung der Festspiele hat Bayreuth zum ersten Mal transparent gemacht. Wenn der Bundesrechnungshof nun die Kartenvergabe moniert, liegt es auch daran, dass der Grüne Hügel endlich seine Bücher offenlegt. Dabei sind die Summen, um die es geht, sowieso eher marginal. Der Bund zahlt mit 2,3 Millionen Euro ein Drittel der öffentlichen Fördermittel. Ein weiteres Drittel gibt der Freistaat Bayern, und ein Drittel verteilt sich auf Stadt, Gemeinde und Förderer. Im Vergleich zu anderen Kulturinstitutionen und gemessen an der Bedeutung Bayreuths ist das wenig Geld.

Auch ihr Plan, den künstlerischen Spielraum durch Sponsoren zu erweitern, fällt heute auf sie zurück. Dass Siemens jetzt, da es ernst wird, aus der Festspielnacht aussteigt, hat nichts mit Katharina Wagner, sondern mit der Geschäftsführung und der inhaltlichen Neuausrichtung des Weltkonzerns zu tun. Aber darüber spricht in der Öffentlichkeit niemand. Im Kreuzfeuer steht allein die Festspielchefin.

Selbst die Beschwerden über mangelnde Probezeiten sind eine Konsequenz der neuen Intendanz. Unter Wolfgang Wagner haben Gewerkschaften, Bühnen­arbeiter und Chöre jenseits aller Verträge für die Sache gearbeitet. Katharina hält sich an Tarife, Arbeitszeiten und Lohnkosten.

Wahrscheinlich hat die Intendantin diesen Sommer zum ersten Mal realisiert, wie groß ihre Revolution von 2008 wirklich war. Dass sie im Jahr, bevor sie ihr offizielles Amt antrat, mehr an den Grundfesten der Festspiele gerüttelt hat als einige ihrer Ahnen. Erst jetzt scheint sie zu merken, dass aus dem Spaß von früher Ernst geworden ist. Und dass viele alte Weggefährten nicht mehr an ihrer Seite stehen. Ihr neuer Hof besteht kaum noch aus Diskussionspartnern, sondern aus Ausführenden. Das unterscheidet eine Revolutionärin von einer Intendantin.

Das kreative Klima der Anfangszeit ist der Bewältigung des Opernalltags gewichen. Dabei bräuchte Katharina Wagner gerade jetzt ihre alten, revolutionären Freunde. Menschen, mit denen sie unbefangen planen kann, von denen Energie ausgeht, in deren Kreis die Welt hinter dem Opernhaus an zweiter Stelle steht – und eigentlich braucht sie einen neuen Stefan Müller.

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.