Politische Befangenheit - Verheimlichter SPD-Filz im NDR

Eine NDR-Journalistin porträtiert den Kanzler und stellt Rechercheanfragen zum Cum-Ex-Skandal, in den er verwickelt ist. Sie ist die Lebensgefährtin eines Hamburger SPD-Politikers. Und der ist ein enger Freund von Olaf Scholz – und sein ehemaliger Mitbewohner.

Bundeskanzler Olaf Scholz / dpa
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Ulrich Thiele ist Politik-Redakteur bei Business Insider Deutschland. Auf Twitter ist er als @ul_thi zu finden. Threema-ID: 82PEBDW9

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Es ist noch nicht lange her, dass Intendant Joachim Knuth wegen Vorwürfen politisch motivierter Berichterstattung im NDR unter Druck geriet. Mitarbeiter des Funkhauses Kiel erhoben vergangenes Jahr laut Business Insider den Vorwurf, ihre Führungskräfte würden Druck ausüben und kritische Berichte über die von Ministerpräsident Daniel Günter (CDU) geführte Landesregierung verhindern. Die kritisierten Führungskräfte ließen daraufhin ihre Ämter ruhen, Joachim Knuth kündigte eine Aufarbeitung an.

In Hamburg sah es ähnlich aus: Der Leiterin des Landesfunkhauses, Sabine Rossbach, wurde Vetternwirtschaft und ein toxischer Führungsstil vorgeworfen. Rossbach trat zurück, Knuth versprach einen Neuanfang und Kulturwandel. Ein Fall von politischer Befangenheit, den der NDR nicht transparent gemacht hat, passt allerdings nicht so ganz zu der angekündigten Aufarbeitungsoffensive.

Liiert mit engem Scholz-Freund

Anette van Koeverden, landespolitische Berichterstatterin bei NDR 90,3 im Funkhaus Hamburg, ist in einer privaten Beziehung mit dem SPD-Politiker Andreas Rieckhof. Und der wiederum ist ein langjähriger und enger Vertrauter von Bundeskanzler Olaf Scholz. In jungen Jahren lebten sie zusammen in einer Wohnung in Hamburg-Altona. Das Hamburger Abendblatt behauptet, ein Foto der beiden von einem miteinander verbrachten Spanien-Urlaub in den 1990er-Jahren zu kennen. Als Scholz 2011 Hamburgs Erster Bürgermeister wurde, holte er seinen Freund als Staatsrat in die Wirtschaftsbehörde. Dort ist er bis heute.

Im Herbst geriet Rieckhof bundesweit in die Schlagzeilen, als bekannt wurde, dass er im Aufsichtsrat des Betreibers des Hamburger Hafens sitzt, der den von Scholz durchgeboxten China-Deal auch schon bei einer gewünschten Beteiligung von 35 Prozent genehmigt hatte. Nach Kritik von FDP und Grünen erzielte der Kanzler in der Ampel-Koalition den Kompromiss, dass der chinesische Staatskonzern Cosco sich mit „nur“ 24,19 Prozent am Container-Terminal beteiligen darf.

NDR sieht kein Problem

Dass Rieckhof und die NDR-Mitarbeiterin van Koeverden ein Paar sind, ist kein Geheimnis. Denn sie machten ihre Beziehung 2018 auf einem Presseball in Hamburg öffentlich. Mehrere Medien berichteten darüber, darunter die Bild-Zeitung. Der NDR teilt auf Cicero-Anfrage mit: „Die von Ihnen genannte Mitarbeiterin ist seit 2001 landespolitische Berichterstatterin im Landesfunkhaus Hamburg. In dieser Funktion hat sie über alle in der Hamburger Bürgerschaft vertretenen Parteien objektiv und unabhängig berichtet.“

Von ihrer privaten Beziehung zu Andreas Rieckhof habe sie ihre Vorgesetzten im Landesfunkhaus Hamburg Ende 2017 ordnungsgemäß und umgehend in Kenntnis gesetzt, heißt es weiter. „Zu diesem Zeitpunkt wurde vereinbart, dass sie innerhalb der Redaktion keine Zuständigkeit für die SPD Hamburg sowie die Ressorts Wirtschaft und Verkehrspolitik übernimmt.“ Van Koeverdens Programmchefin bei NDR 90,3 ist Ilka Steinhausen, die demnach – so wie Joachim Knuth – anscheinend kein Problem sieht.

Scholz-Porträt und Hafen-Kommentar

Durchaus problematisch ist allerdings, dass die NDR-Journalistin im Wahljahr 2021 auch über Olaf Scholz berichtete. „Er ist der Mann auf den zweiten Blick“, so der Teaser eines Porträts über den „Hanseaten und Comeback-Spezialisten“ Scholz und seine „beeindruckende politische Karriere“. Der NDR teilt diesbezüglich mit: „Das von Ihnen angeführte, durchaus kritische Onlineportrait wurde von genannter Mitarbeiterin als langjähriger, landespolitischer Korrespondentin zur Unterstützung der bundespolitischen Berichterstattung aktualisiert und nach der Bundestagswahl veröffentlicht.“

Und während ihr Lebensgefährte im Aufsichtsrat des Hafenbetreibers sitzt und Staatsrat in der Wirtschaftsbehörde ist, verfasst die Journalistin einen Kommentar über den Hamburger Hafen und seine wirtschaftliche Lage. Als Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher im April vergangenen Jahres einen ökologischen Zukunftsplan für den Hafen vorstellte, forderte sie, „bei aller Zukunftsmusik“ müssten erst einmal Sanierungen finanziert werden: „Also, bitte erst mal die Hausaufgaben in der Gegenwart machen und die Lebensfähigkeit des Hafens erhalten.“ Der NDR hat den Interessenskonflikt seiner Autorin nicht transparent gemacht.

Cum-Ex-Recherchen

Besonders heikel: Offenbar hat van Koeverden trotz ihrer Nähe zu Scholz auch zum Cum-Ex-Skandal um die Hamburger Warburg Bank recherchiert, in den der Kanzler verwickelt ist. Bereits im September vergangenen Jahres twitterte der ehemalige Linken-Abgeordnete Fabio De Masi, der seit Jahren an der Aufarbeitung des Warburg-Skandals mitarbeitet, eine Person aus der NDR-Redaktion habe ihn kontaktiert und um Informationen zum Hamburger Untersuchungsausschuss Cum-Ex-Steuergeldaffäre gebeten. Diese Person habe „ein eindeutiges Näheverhältnis zum politischen und privaten Umfeld des Bundeskanzlers“. Den Namen nannte De Masi nicht. Er „vertraue darauf, dass der NDR den Fall selbst recherchiert und aufarbeitet“, schrieb er damals. Der NDR reagierte darauf nicht öffentlich.
 

Weitere Artikel über Olaf Scholz und Cum-Ex:

Ein neuer Tweet des ehemaligen Finanzpolitikers macht noch deutlicher, dass es sich bei der Journalistin und dem Politiker wohl um Rieckhof und seine Lebensgefährtin handelt. „Eine Mitarbeiterin des NDR, die Portraits über Scholz im Wahlkampf verfasste (Anm. d. Red.: De Masi bezieht sich mutmaßlich auf das bereits erwähnte Porträt, das allerdings nach dem Wahlkampf veröffentlicht wurde) und mich zu einer vertraulichen Unterlage im Warburg Skandal kontaktierte, ist übrigens Lebensgefährtin eines Hamburger SPD Politikers und langjährigen Mitbewohners von Scholz“, twitterte De Masi am Montag. Rieckhof war, wie bereits erwähnt, Scholzens Mitbewohner. „Ihr habt die Lebensgefährtin von Rieckhof die Scholz-Portraits schreiben lassen, lieber NDR?“, twitterte ein User in Reaktion auf De Masis Tweet.

Die Intransparenz der Verantwortlichen

Auf Cicero-Anfrage teilt De Masi mit:

„Der private Lebensbereich von Politikern und Journalisten sollte grundsätzlich geschützt sein. Es ist dann jedoch erforderlich, dass Interessenskonflikte vermieden werden. Es wäre sachlich geboten gewesen, auf ein Portrait von Olaf Scholz zu verzichten und Anfragen mit vertraulichem Charakter zum Thema Cum Ex/Warburg an Kolleginnen und Kollegen abzutreten. Wenn dies kurzfristig nicht möglich war, hätte ich auf die private Verbindung zum langjährigen Mitbewohner und politischen Weggefährten von Olaf Scholz mindestens hingewiesen werden müssen.“

Auf den Namen der Journalistin angesprochen, antwortet De Masi: „Ich habe den Namen nie öffentlich gemacht! Allerdings ist er kein Geheimnis. Denn ich habe von der privaten Verbindung aus der Bild-Zeitung erfahren.“ De Masi meint offenbar den bereits erwähnten Bild-Artikel aus dem Jahr 2018. Warum ließen NDR-Intendant Joachim Knuth und Programmchefin Ilka Steinhausen zu, dass eine Journalistin trotz erheblichen Interessenskonflikts Scholz porträtiert und offenbar auch Anfragen zum Warburg-Skandal stellt? Und wenn sie kein Problem darin sehen: Warum haben sie das nicht transparent gemacht?

Weitere Vorwürfe gegen den NDR

Ilka Steinhausen soll für einen transparenten Neuanfang beim krisengeschüttelten NDR stehen. Seit dem Rücktritt von Sabine Rossbach, der Vetternwirtschaft und Compliance-Verstöße vorgeworfen werden, leitet Steinhausen seit September 2022 kommissarisch das Landesfunkhaus Hamburg.

Sabine Rossbach räumte ihren Posten, nachdem Kritik an ihrem – laut Mitarbeitern – autoritären Führungsstil öffentlich wurde. Kritisiert wurde zudem, dass Rossbach nicht transparent gemacht hatte, dass ihre Tochter Miteigentümerin einer PR-Agentur ist, die in Hamburg Veranstaltungen betreut und über die auch im Programm des Landesfunkhauses berichtet wurde. Nach einem internen Bericht des NDR zur Aufarbeitung des Falls kündigte Joachim Knuth einen Neuanfang an. Gemeinsam mit der stellvertretenden Intendantin Andrea Lütke soll Ilka Steinhausen nun die Aufklärungsprozesse mit voranbringen.

Der angekündigte Neuanfang wird von weiteren Vorwürfen überschattet. Andrea Lütke, die auch Chefin des NDR-Funkhauses in Hannover ist, wurde im Oktober vom Business Insider Begünstigung vorgeworfen. Das Landesfunkhaus in Hannover beauftragt seit Jahren die Firma Cineteam mit Produktionen für den NDR. Das Unternehmen hat 2009 das Geschäft von Lütkes Ehemann übernommen und ist bis heute Mieter auf seinem Anwesen. Der NDR warf den Vorwurf der Interessenskollision zurück. Und Ilka Steinhausen kann ebenso wie Intendant Joachim Knuth vorgeworfen werden, bewusst den SPD- und Scholz-Hintergrund ihrer Mitarbeiterin nicht transparent gemacht zu haben.

Offenlegung: Ulrich Thiele hat sich 2019 erfolglos auf ein Volontariat beim NDR beworben. Mit Corona-bedingter Verspätung fand im Februar 2021 im Rahmen der Bewerbung eine Online-Gesprächsrunde mit der NDR-Kommission statt, in der auch Ilka Steinhausen und Andrea Lütke saßen.

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