PEN Berlin - „Auf jeder Baustelle geht es respektvoller zu“

Im PEN Berlin streitet man sich über Israel und Antisemitismus. Diverse Autoren sind ausgetreten. Der Schriftsteller Ralf Bönt beklagt im Interview das ungeschickte Auftreten der Vorsitzenden Deniz Yücel und Eva Menasse und erklärt, warum er trotzdem Mitglied bleibt.

PEN-Berlin-Sprecher Eva Menasse und Deniz Yücel bei der Gesprächsrunde „In Sorge um Israel“ auf der Frankfurter Buchmesse / dpa
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Ingo Way ist Chef vom Dienst bei Cicero Online.

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Ralf Bönt ist Schriftsteller und Physiker. Er ist Mitglied im PEN-Zentrum Deutschland und gehört zu den Mitgründern des PEN Berlin. Dort gründete er die „AG Sachlichkeit“. Zuletzt erschien sein Roman „Das kurze Leben des Ray Müller“ (DVA, München 2015).

Herr Bönt, beim PEN Berlin gab es in den vergangenen Wochen im Zuge der Debatte um Israel und Gaza mehrere Austritte, angefangen mit dem Verleger Ernst Piper, der seinen Austritt auf Facebook publik gemacht hat. Was ist da beim PEN Berlin eigentlich los?

Die Begründung von Ernst Piper war, dass er nicht weiter in einem Verein sein möchte, in dem Eva Menasse und Susan Neiman an vorderster Front sich ständig herablassend über Israel äußern. Anschließend sind einige jüdische Kolleginnen ausgetreten, zum Beispiel Julia Franck, und zwar, nachdem sie die Veranstaltung „,Nie wieder’ ist jetzt! Texte gegen Antisemitismus” initiiert hatte, die unter Federführung von Thea Dorn am Deutschen Theater stattgefunden hat. Dort haben wir mit Herta Müller, Ulrich Matthes, Marko Martin, Nora Bossong, Seyran Ateş und anderen jüdische Texte gelesen. An diesem Abend kam Julia auf die Problematik der Einladung von A.L. Kennedy zum PEN-Kongress zu sprechen, deren Gesicht uns von der Website der BDS-Bewegung anschaut. Auch ich war der Meinung, dass man diese Einladung nicht aufrecht erhalten sollte, und habe das Board mit der Frage angeschrieben, ob es eine Aussage von Kennedy zum Schwarzen Schabbat gibt, also zum Hamas-Massaker vom 7. Oktober, aber keine Antwort erhalten. Julia ist dann einige Tage später ausgetreten. Kurz darauf auch Richard C. Schneider, explizit mit der Begründung, als jüdischer Autor könne er nicht mehr Mitglied sein.

Auch andere jüdische Mitglieder sind ausgetreten, darunter die Autorinnen Ramona Ambs und Sara Rukaj und mein alter Kollege von der Jüdischen Allgemeinen. Außerdem noch Anna Prizkau. Gab es noch weitere Austritte als diese sieben?

Genau weiß ich es nicht, aber für eine deutsche Schriftstellervereinigung ist das eh nahe am Totalschaden.

Können Sie deren Gründe für den Austritt nachvollziehen?

Was den Tonfall und Umgang des Boards mit den Mitgliedern angeht, schon. Wenn man mit Eva Menasse und Deniz Yücel bei gemeinsamen Projekten zu tun hat, wo es auch mal ein bisschen hektisch und anstrengend wird, muss man schon mit einer ausgewachsenen Leidensfähigkeit ausgestattet sein, um das auszuhalten. Auf jeder Baustelle geht es respektvoller und demokratischer zu.

Das betrifft jetzt den internen Umgang, aber bei den Austritten ging es ja weniger um interne Auseinandersetzungen als um die öffentlichen Äußerungen von Eva Menasse und Susan Neiman zum Thema Israel.

Ralf Bönt / privat

Es ging in einem Fall auch um internen Umgang. Inhaltlich bin ich aber auch ganz bei Ernst Piper. Wobei ich zunächst den Standpunkt von Eva Menasse, wenn man ihn überhaupt identifizieren kann, bedenkenswert finde. Sie äußerst sich nicht besonders präzise, aber ich glaube, sie möchte gerne, dass man über Juden genauso redet wie über irgendwelche anderen Menschengruppen. Das ist erstmal ein guter Ansatz, das kann ich gut verstehen. Es ist nur leider so, dass normales Sprechen in diesem Fall schon stattfindet, wenn man über den noch immer vorhandenen Antisemitismus redet. Man kann ihn nicht wegdiskutieren, man muss ihn bekämpfen. Ein Gespräch über Stigma und seine Folgen würde ich ebenfalls empfehlen, offen zu führen; sie möchte schon nicht, so mein Eindruck, dass man es benennt. Das ist nicht hilfreich. Schweigespiralen ermöglichen erst Gewalttaten, das ist auch gemeint, wenn man sagt, es gebe keinen harmlosen Antisemitismus. Ein Satz, den sie ablehnt. 

Praktisch operiert sie häufig wie die schlechte Kindergärtnerin, die die Schuld auf zwei Kontrahenten einfach aufteilt und schon fertig ist, obwohl es Täter und Opfer gibt. Etwa: Ja, die Hamas ist grausam, aber schauen Sie, die Siedler sind auch böse, und es gibt eben ein politisches Problem, ohne das der Antisemitismus nicht so groß wäre. Dabei sind die Raver schlicht nicht die Siedler, es handelt sich um einen sogenannten Fehlschluss der Goldenen Mitte, der immer implizit davon ausgeht, dasss das Opfer schon irgendwas getan haben wird, um zum Opfer zu werden. Und nachdem sie den Fehlschluss implementiert hat, fängt sie gerne an – und das macht sie genauso wie Susan Neiman und Masha Gessen –, alles, was die Israelis an Mord und Totschlag erleiden mussten, wegzudiskutieren oder doch über mehrere Stufen von Scheinargumenten ins Licht der Schuld von Israelis zu rücken. 

Sie hat tatsächlich, das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen, ihren Podcast bei Zeit Online abgeschlossen mit dem Satz, dass Israel diesen Schock möglicherweise gebraucht habe, um sich wieder auf Friedensprojekte zu konzentrieren. Ich weiß nicht, wie man auf so was kommen kann, auch nicht, wenn sie selbst dazu sagt, wie fürchterlich das sei. Es bleibt der füchterliche Gedanke von Eva Menasse.  

Das Gleiche würde sie sicher nicht über die Palästinenser sagen. Dass sie den Schock des Bombardements brauchen, um wieder auf den Boden des Friedens zu kommen.

Richtig. Da kann ich auch den Schmerz von Ernst Piper nachvollziehen. Stattdessen geht es jetzt viel um die Angst der Israelkritiker, von der etwa Susan Neiman spricht. Als ob die Israelkritiker sich nicht mehr aus dem Haus trauen könnten. Ganz am Anfang in ihrem Podcast will Eva Menasse in gewundenen Sätzen offenbar nahelegen, Israel sei auch am 7. Okotber mitschuld, weil die Grenze nicht gut genug gesichert gewesen sei. Und zwar wegen der Politik Netanjahus. Also dass Israel jetzt sozusagen am Schwarzen Schabbat mitschuld sein soll wegen der von einer schlechten Regierung mangelhaft gesicherten Grenze? Das ist ein sehr seltsamer Gedanke.

Das impliziert ja auch, dass, wenn man die Grenze nicht ordentlich schützt, die Palästinenser praktisch gar nicht anders können als einzudringen und ein Massaker anzurichten.

An Terrorismus ist grundsätzlich zunächst immer erstmal der Terrorist schuld. Der entscheidet sich dafür, diese Tat durchzuführen oder nicht. Und in diesem Zusammenhang wird immer sofort das „Aber“ hinterhergeschickt: Aber auch Israel hat dies und jenes gemacht – bis man dann bei der Vertreibung der Palästinenser nach der Staatsgründung angelangt ist. Allerdings wird das nächste Aber dann immer vergessen, zum Beispiel der Umstand, dass aus den arabischen Staaten nach 1948 mehr Juden vertrieben wurden als Palästinenser aus Israel, dass fast zwei Millionen Palästinenser israelische Staatsbürgerschaft haben und in Israel studieren, leben, arbeiten, während quasi keine Juden mehr in den umliegenden Ländern leben, die sich zudem weigern, Menschen aus Gaza aufzunehmen. Und man bleibt dann doch mit dem Eindruck zurück, dass sich alle drei – Menasse, Neiman und Gessen – sehr klar gegen Israel positionieren, wenn auch nicht argumentativ, sondern emotional.  

Jene Masha Gessen, die gerade den Hannah-Arendt-Preis bekommen hat und in einem Essay für den New Yorker Gaza mit dem Warschauer Ghetto gleichgesetzt hat …

Gessen hat zum Beispiel in ihrem Essay geschrieben, wir könnten ja den 7. Oktober noch gar nicht richtig verstehen und einordnen. Wieso denn nicht, frage ich. Was hindert sie denn daran? Und warum kommt sie dann mit der Beschreibung einer Szene aus dem Jahr 1948, wo palästinensische Bürger von Juden aus ihrem Haus vertrieben werden? Diese gewalttätige, jahrzehntelang zurückliegende Szene wird im Detail ausgeführt, aber vorher sagt sie, wir könnten den 7. Oktober noch gar nicht verstehen. Und Eva Menasse sagt, sie könne es nicht aushalten, wie man in den Grausamkeiten des siebten Oktobers schwelgen und sich dabei an den Holocaust erinnert fühlen könne. Ich halte das für eine nicht akzeptable Unterstellung, dass irgendjemand in diesen Gewalttätigkeiten „schwelgen“ würde.

Was der PEN Berlin versäumt hat, ist, den Austritt von Ernst Piper zum Anlass zu nehmen, ein Gespräch über die Einzelheiten zu führen. Es war sehr schnell so, dass bei Ernst Piper Anwaltsbriefe einliefen statt Diskussionsangebote.

Anwaltsbriefe von wem?

Von Eva Menasse und Susan Neiman. Neiman wollte, dass Piper sein Facebook-Posting entfernt. Hat er natürlich nicht gemacht. Es hat übrigens niemand erwartet, dass Pipers Posting so überwältigend unterstützt wird. Was wiederum nicht aggressiv machen sollte, sondern nachdenklich.

So viel zum Thema Meinungsfreiheit, das die beiden beim Thema Israel ja jetzt hochhalten …

Sie sind nicht besonders gelenkig auf die Situation eingegangen. Und selbstverständlich ist es auch schwierig, wenn jemand wie Eva Menasse Sprecherin von über 600 Autoren und Autorinnen ist und diese Funktion nicht von ihrer im Verband nicht mehrheitsfähigen und für viele auch inakzeptablen politischen Haltung trennt. Ich denke schon, dass es möglich sein muss, dass Menasse dem PEN Berlin weiter zur Verfügung steht; dass ihre Haltung zu Israel dabei kein Problem ist, wird man nicht behaupten wollen.  

Wie ist denn eigentlich die Stimmung unter den 600 Mitgliedern in Bezug auf Israel und Palästina? Gibt es da irgendeine Mehrheitsposition, die sich da herauskristallisiert?

Mein Eindruck ist, dass man da inhaltlich mehr bei Ernst Piper ist. Ich bin vielleicht auch eher mit jenen Kollegen in Kontakt, die ähnlich denken wie ich, glaube aber kaum, dass Eva Menasses Position mehrheitsfähig ist. Und wenn in der Öffentlichkeit der Eindruck erweckt wird, das sei so, dann ist das natürlich sehr schlecht. Man hätte zum Beispiel den Antrag stellen können, dass der PEN Berlin klarstellt, dass die Äußerungen von Eva Menasse zum Nahostkonflikt nicht die Meinung des PEN Berlin darstellen. Dann hätte man das Problem mit der politischen Resolution umgangen. Ich war leider während der „kleinen Aussprache“ offline, man hatte mich wegen eines Softwarefehlers für einen Darmstädter Spion gehalten und aus dem Zoom entfernt. 

 

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Übrigens gibt es noch eine sachlich schlicht falsche Aussage von Eva Menasse, und zwar in dem Artikel von Sonja Zekri in der Süddeutschen Zeitung. Da sagt sie, es habe im PEN Berlin nie einen Vorstoß für eine Solidaritätserklärung mit Israel gegeben. Ich habe am 12. Oktober Eva Menasse und zwei andere prominente Mitglieder angeschrieben und gefragt, ob man so etwas vielleicht machen sollte. Ich war zwar selbst der Meinung, dass eine solche Solidaritätsadresse merkwürdig wirken könnte und unnötig ist. Aber wenn antiisraelische Demonstrationen auf deutschen Straßen stattfinden, sollte man das vielleicht doch machen. Wenn wir uns auch zu diesem Zeitpunkt nicht dafür entschieden haben, so gab es diesen Vorstoß. Mein Eindruck war dabei, dass Eva Menasse auch inhaltlich nicht dafür zu haben ist.    

Zu Susan Neimans Rede bei den Feierlichkeiten zu 50 Jahren SPD-Grundwertekommission haben Sie ja selbst in der Süddeutschen Zeitung etwas geschrieben. Neiman beklagte dort, dass in Deutschland „verordneter Philosemitismus“ herrsche, der verhindere, dass man offen über Israel reden könne.

Das war für mich ein echter Schock. Der rabiate Tonfall, in dem sie dort über Israel redet, so kurz nach diesem kriegerischen Überfall, das war mir völlig unverständlich. Am Ende missbrauchte sie einen Satz Einsteins, der so fiel, als ob Israelis verdient haben könnten, was ihnen widerfuhr. Und Gesine Schwan bedankt sich auch noch für die „schöne Rede“.

Was mich übrigens auch extrem stört, ist deren Versuch, ihre Argumente zu immunisieren mit dem Hinweis auf ihr eigenes Judentum. Bei Menasse, die keine jüdische Mutter hat, könnte man es ihr sogar absprechen, wenn man auf das Niveau herunter wollte. Ihr jüdischer Vater war auf einem Kindertransport, das wurde dann in einer Mail an alle Vereinsmitglieder des PEN Berlin zur Unterstützung und zur Legitimation ihrer Position herumgeschickt. Deniz Yücel hat vom „Zuchtmeister jüdischer Autorinnen“ gesprochen, gemeint war wohl Piper. Stärker danebengreifen kann man kaum. Ich, der ich Piper sehr gut kenne, kann sagen, es war ganz bestimmt nicht sein Wunsch, „15 Minuten Ruhm“ zu ergattern, wie Menasse ihm im DLF an den Kopf warf. Das hat er nun wirklich nicht nötig, und diese ganze Aufmerksamkeit ist ihm persönlich eher unangenehm. Aber was er geschrieben hat, war absolut authentisch. Genau so empfindet er das, und das kann ich sehr gut nachvollziehen.

Warum soll sich zum Beispiel Susan Neiman denn nicht auf ihr Judentum berufen?

Spielt es eine Rolle für ihr Argument? Behauptet umgekehrt jemand, dass sie als Jüdin mit israelischem Pass ein psychologisches Problem mit dem Holocaust und dem Antisemitismus hat und deshalb Israel besonders hart kritisiert? Im Grunde widersprechen die Leute sich selbst, wenn sie gegen Identitätspolitik sind und dann gleichzeitig sagen: Wir dürfen das äußern, weil wir ja Jüdinnen sind. Als nächstes könnte man im Sinne der Intersektionalität sagen: Wir sind ja auch noch Frauen. Daher wohl das Wort vom Zuchtmeister, mit dem man Piper und alle ruhigstellen will, die seiner Meinung sind. 

Das sind in Stil und Inhalt sehr unbefriedigende Ablenkungen, in einer Situation, in der eine zweite Kriegseröffnung binnen anderthalb Jahren die gegenwärtigen Weltpolitik dominiert. Rückwärtsgewandte autoritäre Systeme greifen zur rohen Gewalt gegen demokratische Staaten und solche, die es werden wollen. Da muss man mich nicht lange fragen, auf welcher Seite meine Sympathie ist. Ich glaube, dass diese Pseudolinke sich immer noch von diesem alten paternalistischen Impuls leiten lässt, der in diesem Fall heißt: Die Palästinenser sind ja unterlegen und unterdrückt, die brauchen mich. Leider stehen sie aber nicht gegen die Hamas auf, wie es ihre Verantwortung wäre. Raver und Terrorist sind nicht gleich.

Im Großen und Ganzen müsste das doch Deniz Yücel eigentlich auch so sehen, oder? Da verstehe ich nicht, dass er den Ausgetretenen, Ernst Piper und den anderen, auch noch eins mitgibt. Ist ihm Vereinsmeierei wichtiger als die inhaltliche Ausrichtung?

Meine Vermutung ist, dass PEN Berlin für manche ein existenzielles Projekt ist und Widerspruch deshalb persönlich genommen wird. Viel besser wäre gewesen, Deniz hätte sich als inhaltlicher Opponent zu Eva zu erkennen gegeben, und die beiden setzten sich auf ein Podium zum Streitgespräch. Ich hätte es auch gut gefunden, wenn Eva sich mit Ernst getroffen hätte. Ein solches Gespräch war auch angesetzt, bei der Zeit, und sollte direkt vor dem Kongress erscheinen. Das hat Eva dann in letzter Minute abgesagt.

Und stattdessen lieber einen Anwaltsbrief geschickt.

Ja, und dann ihren Artikel im Zeit-Feuilleton geschrieben. Es heißt dann immer, die Deutschen seien so befangen wegen dem Holocaust und können deswegen nicht vernünftig über Israel reden. Aber sie als Jüdin sieht klar und darf dann darüber reden. Also auch wieder ad hominem. Einmal wird die Sprecherposition legitimiert, ein anderes Mal delegitimiert, beide Male mit Scheinargumenten.  

Auch die Ausgetretenen, über die wir vorhin gesprochen haben, sind größtenteils jüdisch. Für die gilt die privilegierte Sprecherposition offenbar nicht. Und dann gibt es jetzt anscheinend eine Welle von Neueintritten. Darunter ist zum Beispiel auch Per Leo, der ja nun wirklich der Enkel eines SS-Mannes ist. Dem wird aber irgendwie nicht vorgehalten, dass er deswegen nicht klar sehen könnte.

Das Ganze hat doch mit Biografien oder Sprecherpositionen gar nichts zu tun. Ist es wirklich so schwer zu verstehen, welchen Umfang der Angriff vom 7. Oktober hatte? Ist es so schwer zu verstehen, was das mit Leuten macht, die zeit ihres Lebens in Israel mit einer Terrorbedrohung leben? Ist es so schwer zu verstehen, dass die Antwort extrem ausfallen wird? Ich selber habe in Israel schon mal versehentlich Bombenalarm ausgelöst, weil ich am Busbahnhof meine Tasche habe stehen lassen. Das hat mir das Lebensgefühl damals verbildlicht. Und denken Sie an die Angst, die die israelischen Grenzposten haben, die die Palästinenser kontrollieren, weil sie nie wissen können, ob der, der vor ihnen steht, nicht gleich als Selbstmordattentäter eine Bombe zündet. Warum? Weil die andere Seite das Leben verachtet und das Leben im Himmel für wichtiger hält. Das ist ein asymmetrischer Kampf, in dem die israelische Seite keine PR-Gewinne erzielen kann. Das ist das Perfide, und das verstehen Eva Menasse und Susan Neiman nicht.

Wie beurteilen Sie die Rede, die Deniz Yücel auf dem PEN-Kongress am Samstag gehalten hat?

Die ist grundsätzlich schon gut und eines Sprechers würdig. Ich weiß nur nicht, warum man Ernst Piper als „Zuchtmeister“ bezeichnen oder warum man sich jetzt noch mal explizit für die Person Eva Menasse einsetzen muss, statt etwa die jüdischen Autoren anzusprechen, sie zum Wiedereintritt einzuladen, zu Gesprächen. 

Was auch überhaupt nicht vorkam, ist die zweite Hälfte der PEN-Charta. Wir kämpfen zwar für die Freiheit des Wortes. Wir kämpfen aber genauso gegen den Missbrauch des freien Wortes. Ohne diese zweite Hälfte ist die PEN-Charta vollkommen sinnlos. Und es ist eine Verharmlosung, wenn Deniz Yücel jetzt sagt, wir streiten auch für das dumme Wort. BDS ist zwar dumm, aber das ist nicht das Problem. BDS ist einseitig, ist in Teilen bösartig, verdrehend und falsch. Und natürlich muss sich ein Verein wie der PEN Berlin gegen das falsche Wort wenden. Insofern kommen wir um die inhaltliche Debatte dieses Nahostkonflikts in dem Moment, wo es darum geht, ob Shibli einen Preis bekommt oder nicht, ob Richard C. Schneider oder Julia Franck noch Mitglieder sein können, nicht herum. Wir müssen uns auch gegen das falsche Wort wenden. Mit dieser Argumentation hätte man zum Beispiel sehr wohl sagen können: Wir verzichten im Moment darauf, dass A.L. Kennedy spricht. Wobei ich schon finde, dass wir das aushalten können. Ich finde die Rede, die sie dann gehalten hat, kindisch, sie predigt Liebe und liefert Negativität, aber aushalten kann ich sie sehr wohl, es ist ja nur eine Rede. Doch zu sagen, wir sind gegen BDS, weil wir für die Freiheit des Wortes sind, reicht eigentlich nicht aus. Wir sind auch dagegen, weil wir gegen das falsche Wort sind und das falsche Wort die Redefreiheit des richtigen Wortes ständig versucht zu begrenzen.

Yücel sagt ja in seiner Rede, dass der PEN Berlin BDS ablehnt, aber gleichzeitig befürwortet er es, dass BDS-Mitglieder oder -Sympathisanten auf PEN-Veranstaltungen reden und Preise kriegen. Verstehe ich das richtig?

Er hat das ein bisschen weicher formuliert, dass nicht jeder, der mal irgendwann eine Unterschrift gegeben hat, deswegen für immer disqualifiziert ist. Nur prangt A.L. Kennedy immer noch auf der BDS-Website, ist also ein bisschen prominenter dabei, und dann ist die Grenze vielleicht doch überschritten. Es wäre gut gewesen, wenn Yücel zum Beispiel gesagt hätte: Wir können schon nachvollziehen, dass das für manche Kollegin hinter der roten Linie ist, wir wollten jetzt den Schaden begrenzen, indem wir die Einladungen nicht zurückziehen. Man hätte einen Opponenten eine Gegenrede halten lassen können. Und immer muss man natürlich darauf hinweisen, dass freie Rede nicht die Lüge umschließt. Wir laden doch auch keine Holocaustleugner ein. Warum? Um der Wahrheit willen. Selbstverständlich gibt es da Grenzen. Einfach so zu tun, als ob es da keine Grenzen gibt, das ist zu wenig.

Auf der Mitgliederversammlung sind gleich zwei Resolutionen verabschiedet worden. Einmal „Solidarität mit Jüd:innen in Deutschland, Israel und überall“, und dann noch eine „Gegen gesellschaftliche Polarisierung und illiberale Tendenzen im Kulturbetrieb“. Wie verhalten sich diese beiden Resolutionen zueinander?

Der große Vorsitzende hat ja gesagt, die Mitglieder sollten beiden zustimmen. Na, dann: Ich habe der zweiten nicht zugestimmt, und zwar unter anderem wegen der Formulierung, dass nur sehr wenige Palästinenser die Hamas unterstützen würden. Das ist sicherlich Blödsinn. Ein weiterer Grund, warum ich der zweiten Resolution nicht zugestimmt habe, ist, dass es die erste schon gab und weil ich mir angeschaut habe, wer die zweite eingereicht hat und was die Personen, die sie eingereicht haben, sonst publizieren. Denn daraufhin wird sie auch gelesen werden.

Wer hat die denn eingereicht?

Susan Neiman unter anderem. Und es wurde dann in der Vollversammlung auch von den Antragstellern der ersten Resolution berichtet, dass die zweite erst als Antwort auf die erste zustande kam. Offenbar wollte man den Eindruck vermeiden, dass PEN Berlin ein proisraelischer Verein ist. Ich war aber auch froh, dass die erste Entschließung deutlich mehr Stimmen hatte.

Sie selber bleiben aber im Verein?

Auf jeden Fall. Schließlich bin ich Gründungsmitglied. Ich werde aber weiter dafür sein, dass die beiden PENs, PEN Berlin und das PEN-Zentrum in Darmstadt, wieder zusammenkommen. Ich halte es nicht für nötig, dass wir zwei haben. Da bin ich ganz bei Bernhard Schlink, der gesagt hat, der nächste Streit kommt doch schnell. Und soll man dann noch einen PEN gründen?

Das Gespräch führte Ingo Way.

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