Nachtragshaushalt bei Anne Will - „Eine Kernschmelze des Koalitionsvertrages“

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass Corona-Gelder nicht einfach für Klimaprojekte ausgegeben werden dürfen. Darüber wurde am Sonntagabend auch bei Anne Will diskutiert. CSU-Politiker Dobrindt warf der Ampel Betrug vor.

Talkrunde bei Anne Will vom 19.11.2023 / Screenshot
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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Lassen Sie uns die Besprechung der jüngsten Diskussionsrunde bei Anne Will folgendermaßen beginnen: Wenn der Autor dieser Zeilen einen Immobilienkredit bei der Bank seines Vertrauens aufnimmt, um ein kleines, aber feines Häuschen zu renovieren, das schon so lange im Besitz der Familie ist, dass die Spülung auf der Gästetoilette noch via Ziehen an einer Kette ausgelöst wird, ist eine Sache ziemlich klar. 

Ich kann das Geld dann nicht hernehmen, um die schätzungsweise 40 Übernachtungen zu bezahlen, die ich für eine Radtour inklusive Ruhephasen von München nach Athen bräuchte (was ich irgendwann in diesem, spätestens im nächsten Leben vorhabe). Ein Immobilienkredit, auch als Baufinanzierung bekannt, ist nämlich ein zweckgebundenes Darlehen, das einzig und allein für den Kauf, den Bau oder den Umbau einer Immobilie gedacht ist. 

60-Milliarden-Loch

Nun verhält es sich in jüngerer Zeit allerdings so, dass gewisse Politiker meinen, bestimmte Regeln, Vorschriften und Gesetze gälten nur für Normalsterbliche, also nur für jene Menschen, die kein Bundestagsmandat und schon gar keinen Regierungsauftrag haben. Und das wiederum führte jüngst zu einer „Vollklatsche für die Ampel“ (Jens Spahn, CDU). 

Das Bundesverfassungsgericht hat nämlich vergangenen Mittwoch entschieden, dass die Ampel 60 Milliarden Euro, die als Corona-Hilfen deklariert waren, nicht einfach für unter anderem das Zuspargeln der Bundesrepublik mit Windrädern ausgeben darf. Und weil dem so ist, fehlen der Ampel nun 60 Milliarden Euro, die, auch das sei noch einmal betont, mit dem Umdeklariungsvorgang im Prinzip erbeutet werden sollten. 

Lautere und unlautere Methoden

Welche Folgen die erwähnte Vollklatsche nun für unsere „Fortschrittskoalition“ und ihre Arbeit bedeutet, darüber wurde am Sonntagabend bei Anne Will diskutiert. Mit folgenden Gästen: Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne), Alexander Dobrindt (CSU), Johannes Vogel (FDP), Clemens Fuest, Präsident des Ifo-Instituts, sowie Spiegel-Journalistin Melanie Amann. „Hallo und herzlich willkommen. Freu mich!“ (Anne Will).

 

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„Die Bundesregierung und das Bundesverfassungsgericht werden in dieser Legislaturperiode auch keine Freunde mehr.“ Mit diesem Satz startete Will in die Sendung. Denn freilich ist das Urteil erstens alles andere als gut für die Ampelprojekte. Und zweitens ist diese Entscheidung des BVerfG tatsächlich eine historische. Denn noch nie wurde ein Nachtragshaushalt als verfassungswidrig eingestuft. 

Eine Pointe in der Sache: Die Ampel tut nun so, als wäre das Urteil eigentlich etwas Gutes, weil Rechtssicherheit, Klarstellung und so weiter. Ist es natürlich nicht, sondern, da hat Jens Spahn schon recht, eben eine „Vollklatsche“; Amann spricht gar vom „Fundament“ dieser Koalition, das damit betroffen sei. Und die Diagnose ist richtig: Denn fast alles, was die Ampel in Sachen Klimaschutz fortschrittlich nennt, hing an diesem Geld. 

Betrug ist ein großes Wort

Christian Lindner ist damit der erste Bundesfinanzminister, der einen verfassungswidrigen Nachtragshaushalt zu verantworten hat, weil er gegen die Schuldenbremse verstoßen hat, was ja eigentlich immer Lindners Lieblingsthema war; also die Einhaltung selbiger, nicht der Verstoß dagegen. Das aus gegebenem Anlass nochmal zur Klarstellung. 

„Es ist ja bekannt, dass wir von der Schuldenbremse viel halten“, so Johannes Vogel von der FDP. Die Bundesregierung, so Vogel, müsse dieses Urteil nun ernst nehmen. Na, was denn sonst, Herr Vogel, möchte man in den Flatscreen rufen. Immerhin hat er nicht gesagt, anders als Scholz, dass man stolz darauf sei, sich an Urteile des Bundesverfassungsgerichts zu halten. Na, was denn sonst, Herr ... lassen wir das. Für Vogel ist klar: Man müsse nun eine veränderte Politik machen. Immerhin. 

Nach früheren Maßstäben

Ich bin da eher bei Dobrindt. Der sagte: „Es (das Urteil) hat vor allem Klarheit über den Arbeitsstil der Ampel geschaffen. Wir haben es jetzt mit einer Kernschmelze des Koalitionsvertrages zu tun. Alles, was an Einigung in den vergangenen Jahren zwischen den drei Ampelparteien möglich war, war auf Basis eines Betrugs der Schuldengrenze möglich.“ Betrug ist ein großes Wort, ich würde eher von Trickserei sprechen, aber im Kern hat Dobrindt Recht. Das Ampelkartenhaus fällt in sich zusammen. Und eigentlich müsste die Ampel, wie mein Kollege Ferdinand Knauß kürzlich schrieb, nach früheren Maßstäben nun geschlossen zurücktreten. 

Aber früherer Maßstäbe heißen ja deshalb frühere Maßstäbe, weil die Regeln heute offensichtlich andere sind. Mini-Exkurs: Mir fiel jüngst der Rücktritt des KT zu Guttenberg wieder ein, der damals über eine Plagiatsaffäre stolperte. Eine Plagiatsaffäre hatte auch Annalena Baerbock, und die ist heute Bundesaußenministerin. Das zeigt recht gut, wo die Maßstäbe früher lagen und wo sie heute liegen. Katrin Göring-Eckardt zum verfassungswidrigen Nachtragshaushalt am Sonntag: „Alle sind davon ausgegangen, dass das funktionieren kann und dass das funktionieren wird.“ 

Ja, so ist das beim Schummeln eben. Da geht der Schummler immer davon aus, dass das Schummeln schon irgendwie funktioniert, sonst würde er es nicht versuchen. Dobrindt: „Es geht darum, dass sie versucht haben, sich Geld widerrechtlich zu beschaffen.“ Außerdem, so Dobrindt, habe man die Menschen getäuscht, die Schuldenbremse einzuhalten, indem die Ampel versucht habe, ihre Neuschulden in die alte Bundesregierung zu buchen. Und das sei verwerflich. Dobrindt an Göring-Eckardt: „Bleiben Sie bei der Wahrheit, bei der Ehrlichkeit.“

Dann wird es aber teuer

Für die Union ist diese „Vollklatsche“ selbstverständlich ein gefundenes Fressen. Wer den Ball auf den Elfmeterpunkt legt und den Torwart rausnimmt, muss sich eben nicht über den Gegentreffer wundern. Und im Falle der Ampel sind es eben ganze 60 Milliarden Gegentreffer, die von der Union dankbar verwandelt werden. Schuss für Schuss. Und nun? Ampel arbeitsunfähig? Ampel kaputt?

Clemens Fuest vom Ifo-Insitut bei Will: „Jetzt reden wir über 15 Milliarden über vier Jahre. Das ist viel Geld. Das ist aber kein Betrag, den man nicht irgendwie bewältigen kann. Man könnte zum Beispiel mehr auf den CO2-Preis setzen.“ Dann werde es aber teuer für jeden, wirft Will ein. 

Fuest: „Die Klimatransformation wird auch teuer, und das wollte man eben gerade verschleiern. (...) Das kostet etwas. Das werden die Bürger spüren. (...) Ebenso wichtig aus meiner Sicht ist aber, mal zu fragen, ist eigentlich dieser Weg mit teils der Kombination aus Subvention und sehr interventionistischen Eingriffen; ist das der Weg, der unsere Industrie erhält? Ich bin da nicht so sicher.“ Das Positive an diesem Urteil, so Fuest, sei, dass jetzt hohe politische Kompetenz gefragt sei. Denn Schulden zu machen, sei immer leicht. 

Die schwäbische Hausfrau

Hier hat Fuest einen wichtigen Punkt. Denn bisher glaubte die Ampel, man müsse nur noch mehr Geld ausgeben, dann würde man die eigenen politischen Zielsetzungen schon erreichen. Wenn Sie mich fragen – und das sieht Fuest womöglich ähnlich –, ist dieses Urteil insofern zukunftsweisend, dass auch eine Ampelregierung auf das Niveau der Normalsterblichen zurückkehrt; auf das Niveau der schwäbischen Hausfrau. (Darf man das eigentlich noch sagen? Egal.) 

Konkret: Wer mehr Geld für einzelne Vorhaben braucht – und über die enormen Steuereinnahmen ist nun wirklich genügend Geld da, muss man feststellen –, muss eben anderswo den Rotstift ansetzen. Zum Beispiel bei den vielen Millionen, die, als „humanitäre Hilfe“ deklariert, an die Hamas fließen. Oder nehmen wir das Demokratiefördergesetz, das einzig und allein dafür da sein wird, Vorfeldorganisationen der Ampelparteien zu pampern, insbesondere der Grünen. Oder nehmen wir die aufgeblasenen Parlamente im Land, insbesondere den Bundestag, der so aufgeblasen ist, dass nicht wenige Politiker eigentlich gar keinen relevanten Auftrag mehr haben. Dritte und vierte Reihe. 

Johannes Vogel machte sich bei Anne Will bereits Gedanken darüber, wo das Geld, das man für die eigenen „Fortschrittskoalition“-Projekte bräuchte, nun herkommen soll. Vogel sagt, man müsse die Sozialausgaben senken, indem man mehr Leute in Arbeit bringt. Dass das zum „Bürgergeld“ umdeklarierte und gleichzeitig gestiegene „Arbeitslosengeld“ dem eher im Weg steht – mehr dazu lesen Sie zum Beispiel hier –, steht freilich auf einem anderen Blatt. 

Eine weitere Idee Vogels: Projekte realisieren, aber nicht alle Projekte sofort. Ein durchaus vernünftiger Ansatz. Klar ist für Vogel: Den „Klima- und Transformationsfonds“ soll es weiterhin geben. Und Göring-Eckardt sagt: „Es geht um Generationengerechtigkeit.“

Einsparungen im Kernhaushalt

Am morgigen Dienstag soll es eine Anhörung zu den Folgen des Urteils geben. Es ist ein Zugeständnis an die Opposition. Zudem soll der offizielle Beschluss des Ausschusses zum Haushalt 2024 verschoben und in einer digitalen Sitzung am 23. November getroffen werden; rechtzeitig vor der dann folgenden Haushaltswoche im Plenum. 

Dobrindt: „Jetzt lasst uns darüber beraten, was können wir an Einsparungen im Kernhaushalt machen, damit der Klima- und Transformationsfonds wieder Geld zur Verfügung hat. Dazu dienen dann Fragen wie das Bürgergeld und andere.“ Mal schauen also, ob wir dann bald alle schlauer sind. Das gilt vor allem für die Ampel. Zweifel sind angebracht. 

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