Internationales Literaturfestival - Toxische Männlichkeit: Woke vs. Woke

Ein linker Verlag gibt ein Buch über „toxische Männlichkeit“ heraus und zieht es gleich wieder zurück - weil einer der Autoren offenbar zu toxisch ist. Auch eine Veranstaltung zu dem Buch auf dem Internationalen Literaturfestival Berlin wurde abgesagt. Stattdessen gab es „eine Bühne für Aktivist:innen“.

Ist Literatur brandgefährlich? Plakat zum 23. Internationalen Literaturfestival Berlin vor dem Haus der Berliner Festspiele / dpa
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Autoreninfo

Eva C. Schweitzer arbeitet als freie Journalistin für verschiedene Zeitungen in New York und Berlin. Ihr neuestes Buch ist „Links blinken, Rechts abbiegen“.

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Der Mann von heute hat es nicht leicht, vor allem der weiße, binäre, deutsch-westliche, linke Cis-Mann. Er ist generell Täter und kann nie Opfer sein, und wenn er reumütig in sich geht und sich bessern will, dann ist es auch falsch. 

So ergeht es gerade Valentin Moritz und mit ihm Donat Blum und dem Kanon-Verlag. Der Verlag hat vor zwei Monaten das Buch „Oh Boy – Männlichkeit*en heute“ herausgebracht, vielgelobt von Rezensenten. Aber schon Tage später wurde Kanon von anonymen Boykottaufrufen, auch von nicht personalisierten Instagram-Accounts attackiert. Das Literaturhaus Rostock sagte eine Veranstaltung zu dem Buch ab, gefolgt von anderen Veranstaltern. Daraufhin stoppte Kanon die Auslieferung des bereits gedruckten Werkes. Wer weiß, mit welchen finanziellen Herausforderungen ein junger Verlag zu kämpfen hat, der ja auch eine Verantwortung gegenüber allen Autoren hat, hat eine Idee, was so etwas kostet. 

Worum geht es? Zankapfel war der Beitrag „Ein glücklicher Mensch“ von Valentin Moritz. Er beschreibt darin recht gefühlig, wie er gegenüber einer Frau in einem Club übergriffig wurde. Darin erkannte sich eine Frau wieder, die sich „Josy“ nennen lässt (und anonym bleiben will). Wütend ging sie an die Öffentlichkeit: Der Beitrag sei gegen ihren ausdrücklichen Willen veröffentlicht worden. Das habe sie dem Autor bereits 2022 erklärt und dem Verlag vorher mitgeteilt (der Verlag bestreitet das). 

Josy brachte die feministischen Aktivist:innen von „Keine Show für Täter_Berlin“ hinter sich; die setzten durch, dass eine Veranstaltung zu dem Buch auf dem Internationalen Literaturfestival Berlin abgesagt wurde. Im Einverständnis mit dem Kanon-Verlag, wie es hieß, aber was blieb dem schon übrig? Stattdessen gab es nun eine andere Veranstaltung: „Oh Boy, are you serious? – Eine Bühne für Aktivist:innen, Autor:innen und das Publikum“. Josy selber ist natürlich nicht auf dem Podium. Sandra Reichert verliest an ihrer Stelle das Gedicht „Weiß wie Schnee“, und später trägt sie einen länglichen Beitrag vor, den Josy verfasst hat. 

Ein Autor dürfe nicht einfach dichten, was er wolle

Der Verlag hatte zunächst versucht, die Wogen zu glätten („auf Zeit spielen“, wie es vom Podium hieß), und beteuerte, dass hinter dem Buch die gute Absicht stecke, toxische Männlichkeit zu analysieren und zu kritisieren. Aber, erste Frage: Darf ein Verlag, ein Autor überhaupt ein Buch veröffentlichen, in dem er sich über den Willen des Gegenstandes seiner Beschreibung hinweggesetzt hat? 

Nein, das darf er nicht, meint Ila Mägdefrau, eine Feministin, die ihren Master in Authentizität in der Kunst gemacht hat. Ein Autor dürfe sich nicht auf seinen privilegierten Standpunkt als Künstler zurückziehen, der einfach dichten dürfe, was er wolle. Das sei neoliberal-patriarchalisch-westlich-profitorientiert, desgleichen, dass überhaupt persönliche Erlebnisse in einem Buch verarbeitet würden. Hat diese Frau jemals ein Buch in der Hand gehabt und gelesen; sagen wir, „Tod in Venedig“ oder „Angst vorm Fliegen“ oder irgendetwas von Salman Rushdie

Ein berühmter Präzedenzfall ist Maxim Biller. Dem wurde es gerichtlich bis in die höchste Instanz verboten, seinen Roman „Esra“ zu veröffentlichen, in dem er seine Beziehung zu seiner Exfreundin und deren Mutter verwurstet hat. Letztlich unterlag er, weil beide Frauen zwar anonymisiert seien, aber erkennbar. Dieser Fall hier ist anders, denn Josy ist nicht enttarnbar, und ob der Autor wirklich sie gemeint hat, ist noch nicht einmal klar. Vielleicht grabscht er ja alle paar Wochen eine Frau in einem Club an, und die Figur in seiner Geschichte ist, wie man in Amerika sagt, kumuliert.  

Aber was ist denn überhaupt passiert? Hat Moritz auf der Tanzfläche Josy grob am Arm gepackt? An die Brust gefasst? Zwischen die Beine gegriffen? Sie vergewaltigt? Wir erfahren nur, welche Gefühle der Vorgang und seine Nachbereitung in Josy auslöst. Jedes Lob für einen fortschrittlichen Diskurs, jede Buchvorstellung oder Rezension sei für sie ein Schlag ins Gesicht, sagt sie zum RBB. In der Veranstaltung hieß es, sie habe mit Moritz vorher eine Beziehung gehabt. Leider wird dieser Handlungsstrang nicht vertieft, und bei mir schleicht sich der Verdacht ein, dass diese Beziehung ein paar ungelöste Probleme in ihren Trümmern zurückgelassen hat. 

Ärgerlich, dass ein Verlag mit Büchern Geld verdienen will

Ich möchte wirklich Mitgefühl für Josy aufbringen, und es ist tatsächlich ein Problem, wenn ein Autor erst grabscht und dann einen Text aus vorgeblicher Betroffenheit schreibt, aber nur seine Karriere im Auge hat (andererseits, deswegen ist er Autor und nicht Instagramer). Aber mir ist der Fall zu halbseiden und heckenschützenartig.  

Während sich die Frauen auf dem Podium voll hinter Josie stellen, ist Toby Ashraf ein bisschen unglücklich. Er ist der einzige Mann bei der Veranstaltung (vermute ich mal, wer weiß das heute schon noch). In dem Buch seien auch viele wichtige queere und migrantische Stimmen vereint, die fielen nun ebenfalls unter den Tisch, sagt der Journalist und Moderator. Etwa Kim de l’Horizon. Andererseits haben, hieß es in der Welt, zwölf von 16 Autoren eine Erklärung unterzeichnet, wonach sie „an der Verbreitung der vorliegenden Version des Buches“ nicht weiter mitwirken wollen.  

 

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Während die Ratten das angeschlagene Schiff verlassen, ärgern sich die Aktivist:innen auf dem Podium über den Schweizer Tagesanzeiger, der in den Chor der deutschen Mainstreampresse nicht miteingestimmt hat. Wahrscheinlich deswegen, weil Donat Blum, der Mitherausgeber, Schweizer ist, heißt es. Es klingt leichte Empörung durch, dass sich die Schweizer den deutschen Regeln nicht unterwerfen. Man könnte beinahe meinen, das sei ein selbstständiges, eigenes Land. 

Noch ärgerlicher finden es die Podiumssitzer:innen aber, dass ein Verlag mit Büchern Geld verdienen will. Das sei neoliberal. Dabei hat Moritz bereits erklärt, er habe sein Honorar an eine Organisation gespendet, die Frauen und Zugehörige anderer Geschlechtsidentitäten „in Fällen von sexualisierter Gewalt berät“. 

Eine neue Variante von „Go woke, go broke“? 

Im Prinzip prallen hier zwei Welten aufeinander, die der arbeitenden Zunft mit ihren Regeln, Vereinbarungen, Gepflogenheiten und ihren dem Kapitalismus geschuldeten Geldbedürfnissen, und die der jakobinischen Social-Media-Gefühlehaber:innen, die neue Regeln festklopfen wollen. Um so tragischer, als der Verlag und Moritz ja versucht haben, das woke Publikum zu bedienen. Der Autor hat laut Börsenblatt „gerade begonnen, sich gezielter mit Feminismus und kritischer Männlichkeit zu beschäftigen“. Eine neue Variante von „Go woke, go broke“? 

Beeindruckend noch: Mitherausgeber Blum hat mehr woke Credentials als ein sowjetischer Apparatschik Medaillen auf der Brust. Der Schweizer benutzt das Pronomen *ens, nach seinen eigenen Angaben ein „Neopronomen, das binäre Sie-Er-Strukturen der deutschen Sprache überwinden und so mehr Platz für weibliche und non-binäre Perspektiven schaffen will“. Und weiter: „Blum identifiziert sich als non-binär, freut sich aber über Anreden ohne Pronomen und ganz allgemein über das lustvolle Spiel mit Sprache, Gender, Pronomen und Endungen.“ 

Zuletzt greift das Podium doch noch die Kritik von Toby Ashraf auf. Die Idee wird zirkuliert, dass der Kanon-Verlag das Buch doch neu herausgeben könne. Aber nur den Moritz-Text zu streichen, das reiche nicht, meint Jorinde, Aktivistin, Hashtag-Besitzerin und auf Instagram und Twitter unterwegs. Twitter? In Amerika hat jede:r gute Woke Twitter verlassen, seit Elon Musk dort sein Unwesen treibt, aber gut. 

Auch Donat müsse die Segel streichen. Vielleicht ein Buch nur mit migrantischen Stimmen. (Ist Donat als Schweizer nicht Migrant?) Und mit queeren Stimmen. (Ist Donat nicht auch queer, was hinterfotzigerweise nie thematisiert wird?) Vielleicht noch ein paar männliche Autoren auswechseln; Namen von Autorinnen werden in den Raum geworfen, die ich mir leider nicht gemerkt habe, weil ich keine kannte. 

Frauenbehutsam ist Kim de l’Horizon auch nicht gerade

Kurz vor Schluss kommt die Fragerunde, und nun ergreife ich flugs das Mikro: Wie wäre es, wenn die versammelte Fachkraft auf dem Podium selbst ein Buch herausgibt, genauso, wie sie gerne auf toxische Männlichkeit blicken würde? Heutzutage sei das gar nicht mehr schwer; Autorinnen seien ja offenbar vorhanden. 

Nein, nein, nein, sei gar nicht so einfach, sagt Wiese, dazu brauche man Geld, eine Vertriebsstruktur, und man müsse auch wissen, wie das überhaupt geht. Auch die anderen schütteln den Kopf bei der Aussicht, ihre Instagramplattformen gegen richtige Arbeit zu tauschen. Sie könne ja auch nicht malen, sagt Wiese, aber könne trotzdem einen Kommentar zu Picasso abgeben. Das sei auch wertvoll. Ja, oder einen Kaugummi auf das Bild kleben, das wäre sogar ein Beitrag zur Klimakrise. 

Langsam löst sich die Veranstaltung auf, weil die Hälfte des Publikums zu Werner Herzog will, der im großen Saal nebenan über sein Leben spricht. Werner Herzog? Der Regisseur, der Klaus Kinski unsterblich gemacht hat? Den Mann, der seine eigenen Töchter jahrelang vergewaltigt hat? (In Amerika, so hatte es Kinski einmal Herzog erzählt, hätte er dafür zwanzig Jahre Knast bekommen.) Ich weiß immer noch nicht, was Moritz getan hat, aber verglichen mit Kinski ist er ein Lämmchen. 

Aber nun ist Ende. Dabei hätte ich noch viele Fragen: Warum beantragt ihr nicht Senatsknete für ein Frau:innenbuch über toxische Männlichkeit? Irgendein Verlag wird sich dann schon finden. Wie unterscheidet sich die Art und Weise, wie weiße westliche Männer Fiktion und Erlebnis mischen, von der von schwarzen Frauen wie Maya Angelou oder Toni Morrison? Sind Juden immer noch weiß, und was dürfen die? Sind Transfrauen und Transmänner Teil des Patriarchats?  

Hinterher, bei dem Versuch, in die Werner-Herzog-Show zu kommen, blättere ich ein bisschen in dem Buch von Kim de l’Horizon, das vorne ausliegt. Mein lieber Scholli, also frauenbehutsam ist der auch nicht gerade. Und er ist Schweizer. Wäre das nicht auch ein Fall für die feministische Paw Patrol, oder steht der unter Nonbinärschutz? 

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