Keine Gastprofessur für Nancy Fraser - Philosophie des Boykotts

Die amerikanische Philosophin Nancy Fraser sollte die Albertus-Magnus-Gastprofessur der Universität Köln erhalten. Wegen ihrer israelfeindlichen Statements erhält sie diese jetzt doch nicht. Fraser sieht dadurch die akademische Freiheit in Gefahr – ein Ausdruck erstaunlicher Doppelmoral.

Teures Flugticket gekauft: Philosophin Nancy Fraser / dpa
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Der Gaza-Krieg produziert Opfer, wohin man blickt. Am meisten leiden kritische Philosophen, die doch in aller Unschuld nichts weiter wollen, als Israel Apartheid, Rassismus und Völkermord vorzuwerfen. Die nämlich werden, zumindest in Deutschland, zu Opfern eines „philosemitischen McCarthyismus“, wie es die amerikanische feministische Theoretikerin Nancy Fraser, damit eine Formulierung der Leiterin des Potsdamer Einstein-Forums, Susan Neiman, aufgreifend, im Interview mit der Frankfurter Rundschau für sich behauptet. 

Was war geschehen? Ursprünglich hatte Fraser, Professorin an der „New School“ in New York, die Albertus-Magnus-Gastprofessur der Universität zu Köln erhalten sollen. Diese Gastprofessur wurde ihr nun von der Universität wieder aberkannt. In einer Stellungnahme vom 5. April begründet die Uni Köln diesen Schritt:

Mit großem Bedauern hat die Universität zu Köln die Veranstaltungen der diesjährigen Albertus-Magnus-Professur 2024 abgesagt.

Hintergrund ist der offene Brief „Philosophy for Palestine“ vom November 2023, den die zur Wahrnehmung der Albertus-Magnus-Professur eingeladene Philosophin Prof. Nancy Fraser unterzeichnet hat. In diesem Brief wird das Existenzrecht Israels als „ethno-suprematistischer Staat“ seit seiner Gründung 1948 faktisch in Frage gestellt. Der Terrorangriff der Hamas auf Israel vom 7.10.2023 wird in rechtfertigender Weise relativiert. Die Unterzeichner*innen rufen zum akademischen und kulturellen Boykott israelischer Institutionen auf.

Die Albertus-Magnus-Professur … wird als eine mit der expliziten Unterstützung durch das Rektorat verbundene besondere Auszeichnung der Universität zu Köln wahrgenommen. Die Aussagen im Brief der Philosoph*innen sind jedoch mit den Stellungnahmen der Universität zu Köln zur Situation in Israel und im Nahen Osten vom 09.10. und 22.10.2023 sowie mit unseren intensiven Beziehungen zu israelischen Partnerinstitutionen nicht vereinbar.

Die Einladung von Frau Fraser zur Albertus-Magnus-Professur erfolgte bereits Ende 2022. Bedauerlicherweise haben wir erst im März 2024 realisiert, dass Frau Fraser zu den Unterzeichner*innen des Briefes vom November 2023 gehört. Sie wurde daraufhin gebeten, ihre Position zu erläutern und einzuordnen. Die Antwort von Frau Fraser hat keine neuen Erkenntnisse zum Sachstand und zu ihrer Position gegenüber Israel erbracht.

Nach ausführlichen Gesprächen und intensiver Abwägung ist die Entscheidung getroffen worden, die Einladung zu widerrufen. …

Wegen dieser Ausladung fühlt sich Fraser nun „gecanceled“ (sic). Denn sie sei „ein klarer Verstoß gegen die von der Universität verlautbarte Politik und gegen die Werte, auf die sie sich mit dem Namen Albertus Magnus beruft. Diese Werte lauten ja gerade akademische Freiheit, Meinungsfreiheit, Redefreiheit und offene Diskussion.“ Anscheinend besonders schmerzhaft für Fraser: „Übrigens habe ich auch ein teures Flugticket gekauft.“

Wer cancelt wen?

Die Ironie ihrer Worte scheint ihr ebenso wie dem Interviewer zu entgehen. Denn es ist ja gerade der von ihr mitunterzeichnete offene Brief „Philosophy for Palestine“, der zum Boykott israelischer akademischer Institutionen und zum Canceln israelischer Wissenschaftler aufruft, denen damit „akademische Freiheit, Meinungsfreiheit, Redefreiheit und offene Diskussion“ verweigert werden sollen. Was es mit diesem Brief, der aus der Ecke der postkolonialen Linken und der Israelboykott-Bewegung BDS kommt und auch von der unsäglichen Judith Butler unterzeichnet wurde, auf sich hat, das hat vor kurzem Alexander Grau auf Cicero Online dargelegt: Israel wird darin für das Hamas-Pogrom vom 7. Oktober selbst verantwortlich gemacht, den israelischen Opfern wird jegliche Empathie verweigert, Israel jegliches Recht auf Gegenwehr abgesprochen, und die Palästinenser stehen darin, so Grau, „stellvertretend für alle Unterdrückten dieser Welt, für Transgender, Farbige und Menschen mit was für sexuellen Orientierungen auch immer“. 

Diese Meinung kann man haben, auch wenn sie Quatsch ist. Sie begründet aber keinen Rechtsanspruch auf Gastprofessuren und andere akademische Ehrungen. Nancy Frasers Meinungsfreiheit ist davon überhaupt nicht betroffen, nicht einmal die Möglichkeit, an der Universität Köln Vorträge zu halten, wie deren Rektor Joybrato Mukherjee im Gespräch mit dem Deutschlandfunk klarstellte: „Uns geht es bei der Bewertung der Frage nicht darum, ob Frau Fraser an der Universität zu Köln auftreten kann oder nicht. Sondern die Albertus Magnus Professur ist eine besondere Ehrung der Gesamtuniversität“, so Mukherjee. „Und natürlich ist es dann schwierig, das in Übereinstimmung zu bringen mit dem Aufruf zum Boykott israelischer Partnerinstitutionen, der auch in diesem Statement ‚Philosophy for Palestine‘ drin steckt, wenn wir gerade als Universität zu Köln so viele Verbindungen zu Partnerinstitutionen in Israel haben. Insofern ist es eine Frage der Ehrung, und ob die Ehrung angemessen ist. Es geht gar nicht darum, ob Frau Fraser auf Einladung einer Kollegin oder eines Kollegen grundsätzlich eine Vorlesung halten kann, auftreten kann an unserer Universität zu Köln und auch ihre Positionen deutlich machen kann.“

„Jude“ als Metapher

Darüber hinaus ist es eben nicht nur Meinung, sondern Tatsachenverdrehung, wenn Israel als der Aggressor im derzeitigen Gaza-Krieg dargestellt und das Pogrom vom 7. Oktober wahlweise verschwiegen, kleingeredet oder mit Israels vermeintlichen Untaten gerechtfertigt wird. Und es ist projektive Schuldumkehr, wenn Israel vorgeworfen wird, einen Genozid zu verüben und Kinder zu ermorden, während die Hamas im Oktober gezielt Juden ermordete und mit besonderem sadistischen Genuss kleine Kinder abschlachtete, nur weil sie Juden sind, und mehr als einmal deutlich klargemacht hat, dass sie ähnliches bei nächster sich bietender Gelegenheit wiederholen werde. Genau deshalb besteht Israels Regierung auch darauf, die Hamas vollständig zu besiegen und ihr nicht durch einen vorzeitigen Waffenstillstand die Gelegenheit zu geben, einen neuen 7. Oktober vorzubereiten.

 

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Diese Gemengelage ist Nancy Fraser, die sich so gerne auf ihr Judentum beruft, um ihren antiisraelischen Positionen Autorität zu verleihen, obwohl ihre Mutter katholisch ist und sie damit nach jüdischer Auffassung nicht als Jüdin gelten kann, völlig egal. Der Begriff „Jude“ ist postkolonialen Linken wie Fraser oder Judith Butler lediglich Metapher für eine ewig verfolgte und unterdrückte Minderheit. Sobald Juden sich bewaffnen, um nicht mehr verfolgt und unterdrückt zu werden, und einen Staat gründen, in welchem sie keine Minderheit mehr sind, gelten sie in dieser Denke nicht mehr als „Juden“, und daher ist der Vernichtungswunsch ihnen gegenüber dann auch kein Antisemitismus mehr, sondern so etwas wie der Aufschrei der unterdrückten Kreatur.

„Believe the Women“

Dieser unterdrückten Kreatur darf man wiederum keine Vorwürfe machen, selbst dann nicht, wenn sie die bestialischsten Verbrechen begeht. „Philosophy for Palestine“ ist nicht der einzige offene Brief, den Fraser in jüngster Zeit unterschrieben hat. Sie gehört auch zu den Unterzeichnern eines von selbsterklärten „antizionistischen jüdischen Feministinnen“ initiierten Statements, in welchem dagegen protestiert wird, Vergewaltigung als Kriegswaffe einzusetzen. Wohlgemerkt, dieses Schreiben verurteilt nicht etwa die Hamas dafür, bei ihrem Pogrom am 7. Oktober massenhaft auf brutalste Weise israelische Frauen vergewaltigt zu haben und dies mit den verbliebenen weiblichen (und auch männlichen) Geiseln im Gazastreifen weiterhin zu tun. Nein, der Protest richtet sich gegen die israelische Regierung, die diese Verbrechen thematisiert, um darüber aufzuklären, mit was für einem Feind man es im Gazastreifen zu tun hat. 

Diese Thematisierung ist für die Autorinnen des offenen Briefes nichts weiter als israelische Propaganda, um den – wie der ad nauseam vorgebrachte Vorwurf lautet – „Genozid“ in Gaza zu rechtfertigen. Überflüssig, darauf hinzuweisen, dass auch in diesem Elaborat jegliche Distanzierung gegenüber dem Hamas-Terror fehlt und die implizierte Unterstellung mitschwingt, die Berichte über Vergewaltigungen israelischer Frauen durch Palästinenser könnten allesamt erfunden sein. Für Feministinnen, die üblicherweise die Maxime „Believe the Women“ hochhalten, ist dies schon ein erstaunliches Maß an Chuzpe.

Wer so agitiert, dem geht es wohl kaum um die offene akademische Diskussion. Und sollte dann vielleicht nicht ganz so laut aufheulen, wenn ihm oder ihr infolgedessen einmal eine universitäre Ehrung verwehrt bleibt.

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