Öko-Gedöns im luftleeren Raum - Die Grüne Woche: Ein potemkinsches Dorf

Unser Genusskolumnist wird die Internationale Grüne Woche in den Berliner Messehallen ganz bestimmt nicht besuchen. Was soll er auch zwischen drängelnden „Häppchenjägern“ und zeitgeistaffinen Umerziehungspropheten?

Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir auf der Internationalen Grünen Woche 2023 / dpa
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Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Die gute Nachricht zuerst: Nach Corona-bedingten Absagen in beiden vergangenen Jahren findet die „Internationale Grüne Woche“ ab diesem Wochenende wieder in den Messehallen am Berliner Funkturm als Publikumsmesse statt. Und zwar ohne jegliche Restriktionen: Keine Maskenpflicht, keine Abstandsgebote. Erwartet werden auf der weltweit größten Publikumsmesse dieser Art bis zu 400.000 Besucher, die sich um die Stände von rund 1400 Ausstellern aus 60 Ländern scharen werden.

Doch die IGW ist mehr als ein beliebter Magnet für „Häppchenjäger“ und Familien mit Kindern, die dann auch mal ein echtes Nutztier streicheln können. Sie ist auch ein wichtiges Forum für die Agrar- und Verbraucherpolitik. Träger sind der Deutsche Bauernverband (DBV) und die Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE). Und natürlich ist es auch stets ein Podium für diverse Lobbyverbände und für das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft.

Wer das Veranstaltungsprogramm liest, könnte ein Eindruck bekommen, dass die viel beschworene „Agrarwende“ nunmehr Realität geworden ist. In den Präsentationen geht es fast immer um „Nachhaltigkeit“, „Klimaresilienz“, „Tierwohl“, „Artenvielfalt“ und „Trendthemen“ wie etwa Fleischalternativen. Der Name „Grüne Woche“ ist allerdings keine Erfindung der gleichnamigen Partei, sondern besteht bereits seit ihrer erstmaligen Ausrichtung im Jahr 1926.

Lebensmittelpreise nahezu explodiert

In der Branche brodelt es gewaltig! Bauern und ihre Verbände liefern sich mit den jeweiligen Landesregierung juristische Scharmützel über die Umsetzung der neuen Düngemittelverordnung und beschwören sinkende Erträge. Agrarflächen sind vielerorts zu Spekulationsobjekten für große Konzerne und Finanzinvestoren geworden, kleinere und mittlere Bauern können bei den explodierenden Bodenpreisen nicht mehr mithalten, das Höfesterben hält unvermindert an …
 

Zuletzt in „Genuss ist Notwehr“ erschienen:


Doch diese Probleme erscheinen angesichts der aktuellen Mega-Krise fast marginal. Denn Deutschland spürt nicht nur schmerzhaft die ersten Folgen des Klimawandels, sondern befindet sich auch mitten in einem Wirtschaftskrieg gegen Russland. Dabei geht es nicht nur um Energie, sondern auch um den Import von Saatgut, Vorprodukten und Düngemitteln, und um gestörte Lieferketten.

Denn gerade im Lebensmittelsektor ist Deutschland – anders als etwa Russland – alles andere als autark. Zwar kann man (noch) nicht von einer unmittelbar drohenden Versorgungskrise sprechen, aber die Lebensmittelpreise sind nahezu explodiert, und liegen weit über den ohnehin schon sehr belastenden hohen Inflationsraten. Und ein Ende dieser Entwicklung ist keineswegs abzusehen.

Bio-Segment bleibt eine Nische

Da kommt einem die vermeintliche Öko-Ausrichtung der IGW teilweise wie ziemlich absurdes Theater vor. Denn was nutzen schärfere Restriktionen für die Produzenten und der Fokus auf „nachhaltige“, höherwertige Lebensmittel, die nur noch unter dem Primat der „Klimaresilienz“, des Umwelt-und Naturschutzes und des Tierwohls produziert werden sollen, wenn die meisten Verbraucher sie nicht kaufen können, weil sie schlicht zu teuer sind?

Ohnehin verharrt der Bio-Markt trotz des ganzen Hypes und den unentwegten Umerziehungsversuchen in einer Nische. Nur 10,8 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche in Deutschland werden ökologisch bewirtschaftet. Der grüne Landwirtschaftsminister Cem Özdemir setzt aber unerschütterlich darauf, diesen Anteil bis 2030 auf 30 Prozent zu erhöhen.

Doch der Lebensmittelmarkt funktioniert nicht auf der Grundlage grüner Strategiepapiere. Der Umsatzanteil von Bio-Produkten war 2022 erstmals rückläufig und liegt bei 6,8 Prozent, bei Fleisch sind es nur knapp über 3 Prozent. Für das laufende Jahr wird ein weiterer Rückgang erwartet. Auch gutwillige Verbraucher gucken in Krisenzeiten eben mehr auf das Preisschild als auf das Öko-Siegel.

Absurde Forderungen

Diskutiert wird derweil eine Senkung oder gar Aussetzung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel, wie sie in Polen und Spanien bereits Praxis ist. Begrenzt werden soll das auf „gesunde“ Nahrungsmittel. Keinesfalls würde dies allerdings gezielt Geringverdiener entlasten, vielmehr wäre es eine weitere Subvention mit der Gießkanne. Außerdem entstünden dabei skurrile Verzerrungen. So fordert Özdemir, die Mehrwertsteuer auf Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte zu streichen, und Dirk Messner, der Präsident des Umweltbundesamtes, will im Gegenzug schrittweise die Mehrwertsteuer auf tierische Produkte wie Fleisch und Milch von sieben auf 19 Prozent erhöhen.

Begründet wird dies mit den bei der jeweiligen Produktion entstehenden Emissionen von Treibhausgasen. Was allerdings die Frage aufwirft, warum denn eine Ananas aus Südamerika, Äpfel aus Neuseeland oder Avocados (die eine katastrophale Ökobilanz aufweisen) steuerlich bessergestellt werden sollen, als Fleisch aus artgerechter, regionaler Erzeugung.

Gesucht wird jedenfalls die eierlegende Wollmilchsau: eine klima- und umweltschonende Landwirtschaft mit hohen Tierwohlstandards, die allen Bürgern eine hochwertige, gesunde Nahrung ermöglicht. Mit einer möglichst klein- und mittelbäuerlichen – also sehr kostenaufwendigen – Betriebsstruktur als Basis. Wer dafür ein schlüssiges Konzept entwickelt, das unter den gegebenen Bedingungen umsetzbar und vor allem nachhaltig wäre, hätte sich gleich mehrere Nobelpreise redlich verdient. Doch wie soll das gehen? Schon geistert die Forderung nach einem weiteren 100-Milliarden-Sondervermögen durch die Debatte, wie es längst auch schon für den Klimaschutz, die ökologische Verkehrswende und die energetische Sanierung des gesamten Wohnungsbestandes gefordert wird.

Grüner Zeitgeist als Farce

Ohnehin entwickelt sich der „grüne Zeitgeist“ immer mehr zu einer albernen, wenn auch manchmal sehr lästigen Farce. So war der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck federführend daran beteiligt, das Umweltrecht in wesentlichen Punkten zu schleifen, um die LNG-Terminals ganz schnell bauen zu lassen und den Startschuss für ein Comeback der verstärkten Braunkohleverstromung abzufeuern. Und je mehr die Ernährungssicherheit in Gefahr gerät, desto schneller kann man damit rechnen, dass auch so manch Reformvorhaben des grünen Umweltministers Cem Özdemir oder gar bestehende Standards wieder zurückgefahren werden.

Natürlich wäre bei der Landwirtschaft, der Lebensmittelproduktion, dem Handel und auch dem Konsumverhalten so einiges radikal zu verändern, auch gegen lieb gewordene Gewohnheiten und Widerstände der mächtigen Lobbyverbände. Aber doch nicht mit diesem ganzen Quatsch und dem Getue ringsherum. Vor allem nicht auf einer Publikumsmesse, auf der einige hunderttausend Menschen eigentlich nur ihren Spaß, einen vollen Bauch und anschließend vielleicht auch eine ziemlich leere Brieftasche haben wollen. Muss man nicht mögen, ist aber in Ordnung.

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