Gaskrise-Diskussion bei „Hart aber fair“ - „Alle werden lernen müssen, in diesem Winter zu verzichten“

Was kommt auf die Menschen in Deutschland zu, wenn im Winter russisches Gas fehlt? Und was bedeutet die Energie- und Gaskrise für die deutsche Wirtschaft? Über diese und weitere Fragen diskutierten bei „Hart aber fair“ die SPD-Parteivorsitzende Saskia Esken, CDU-Politiker Jens Spahn, Verena Bentele vom Sozialverband VdK Deutschland, Klaus Müller, Präsident der Bundesnetzagentur, sowie Christian Kullmann, Präsident des Verbands der chemischen Industrie. In einem waren sich die Diskutanten einig: Alle, die noch können, sollen sparen.

Wie umgehen mit der Gaskrise? Diskutanten bei „Hart aber fair“ / Screenshot
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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Endlich mal keine Journalisten in der Runde. Zugegeben, das klingt ein bisschen seltsam, wenn sich ausgerechnet ein Journalist darüber freut. Aber nach den Erfahrungen der vergangenen Monate darf ich Ihnen versichern, dass dies eine weise Entscheidung der „Hart aber fair“-Redaktion war, die sich am Montagabend aus der Sommerpause zurückmeldete.

Denn erstens ist es bisweilen überaus mühsam, als Journalist anderen Journalisten dabei zuzusehen, wie sie sich in Talkshows zu profilieren versuchen. Und zweitens verrät mir ein Blick in mein Notizbuch, dass die Gästeauswahl, was die Journalisten in den einschlägigen Talkshows betrifft, in den vergangenen Monaten doch ziemlich einseitig war. Also Aufatmen an der liberalen Meinungsfront. 

Über Tendenzen und Wahrscheinlichkeiten sprechen

Jedenfalls wurde bei „Hart aber fair“ am Montagabend über vor allem die Gaskrise diskutiert und darüber, welche Folgen da im Winter auf Deutschland zukommen könnten. Nun ist es bekanntermaßen so mit Prognosen, dass die überaus schwer zu treffen sind, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen. Aber man kann, dachte sich Frank Plasberg zu Recht, ja mal über Tendenzen und Wahrscheinlichkeiten sprechen und über das eine oder andere Szenario.

Dafür ins Studio eingeladen waren Saskia Esken, die Parteivorsitzende der SPD, der ehemalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, der mittlerweile stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist, Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbands VdK Deutschland, Klaus Müller, der Präsident der Bundesnetzagentur, und Christian Kullmann, Präsident des Verbands der Chemischen Industrie sowie Vorstandsvorsitzender der Evonik Industries AG. 
 

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Die Ausgangssituation ist diese: Durchschnittlich 75 Prozent höher als noch vor einem Jahr ist der Gaspreise heute, ab Oktober kommt dann noch die Gasumlage dazu, ein „saures Sahnehäubchen“, wie Plasberg sagte, in Höhe von 2,4 Cent pro Kilowattstunde. Und obendrauf noch die Mehrwertsteuer. Mit der Gasumlage sollen die Mehrkosten „auf alle verteilt werden“, so SPD-Chefin Esken. Ein Schelm, wer nun denkt, die Ampel-Regierung handle nach dem Motto „Gerechtigkeit ist, wenn es allen gleich schlecht ergeht“. Oder doch nicht? Plasberg bohrte nach – und Esken versprach Entlastungen für jene, die bereits am Limit seien, auch ohne Gasumlage schon. 

In der aktuellen Lage fast zynisch

Nun muss man die steigenden Gaspreise im Gesamtkontext sehen. Denn nicht nur die steigen, auch die Preise für Strom und Grundnahrungsmittel nehmen zu, wie Bentele vom Sozialverband VdK Deutschland richtigerweise anmerkte. Die Inflation lässt grüßen. Da ist das mit der Geduld, bis Entlastungen kommen, freilich eher schwierig bei jenen, die jetzt schon nicht wissen, wie sie ihre Rechnungen bezahlen und ihren Kühlschrank füllen sollen. Das sieht auch Jens Spahn so: „Ich finde es in der aktuellen Lage fast zynisch, dass der Staat bei einer Umlage, die er selbst erhebt, noch 19 Prozent Mehrwertsteuer draufschlägt.“

Den Einwand von Plasberg, dass er das nicht ganz freiwillig tue, winkte Spahn ab: „Das ist eine handwerkliche Frage.“ Und weiter: „Beim Belasten ging es ziemlich schnell, beim Entlasten hält uns diese Regierung jetzt seit Wochen hin.“ Esken sieht das anders: Man habe bereits entlastet, unter anderem mit Heizkostenzuschuss, Kinder-Bonus und 9-Euro-Ticket. Weitere Entlastungen würden derzeit beraten und bald folgen. „Bereits 30 Milliarden Entlastung sind auf dem Weg oder sind schon angekommen auf den Konten der Bürgerinnen und Bürger“, so Esken.  

Alles hat seinen Preis

Kullmann, Präsident des Verbands der Chemischen Industrie, findet die Gasumlage richtig. Nun ist es gleichwohl so, dass die Chemieindustrie zu jenen Industrien gehört, die besonders viel Gas für die Produktion benötigen. „Das gerechtestmögliche Solidarmodell ist die Umlage“, sagte Kullmann dennoch, auch wenn es noch unter „Kinderkrankheiten“ leide. Doch alles habe seinen Preis. „Hier reden wir von der sozialen Marktwirtschaft, und das bedeutet, dass wir alle aufgerufen sind, Lasten zu tragen.“

Die Umlage koste die chemische Industrie drei Milliarden Euro im Jahr. Eine Zahl, die Kullmann im Kopf hatte. Eine Zahl, die Kullmann aus dem Stand nicht wusste, ist der Jahresumsatz der Branche. Auf den hob kurz darauf Bentele ab, ebenso wie auf die hohen Dividendenausschüttungen der Branche in den vergangenen Jahren. Sie, so Bentele, könne ihren Mitgliedern jedenfalls nicht erklären, warum diejenigen, die eh schon wenig und immer weniger haben, durch die Gasumlage nun auch noch die Industrie stützen sollten. 

Spare, spare, doch nicht friere

Anschließend holte Plasberg „den wichtigsten Mann hier“ in die Runde, wie er sagte. Klaus Müller, den Präsidenten der Bundesnetzagentur nämlich. Mein Kollege Daniel Gräber hat Müller für die aktuelle Ausgabe des Cicero porträtiert. Dessen Job beschreibt er so: „Müllers Aufgabe besteht darin, Deutschland auf die kalte Jahreszeit vorzubereiten. Sein Ziel ist, dass wir im Sommer und Herbst möglichst wenig Gas verbrauchen, damit die Speicher für den Winter gut gefüllt sind.“

Heißt auch: Müllers Interesse ist, dass die Deutschen Gas sparen. Spare, spare, doch nicht friere, würde der Schwabe wohl dazu sagen. Im Prinzip könnte Müller den Gashahn abdrehen – auch der Industrie. Würde es dazu kommen, was manche bereits fürchten, dass Gas im Winter rationiert werden könnte, wären er und seine Mitarbeiter jene, die darüber zu entscheiden hätten, wer noch Gas bekommt. „Ich glaube nicht, dass es gut ist, dass eine Behörde solche Entscheidungen trifft. Aber es geht um einen Mangel an dieser Stelle“, so Müller, den seine Macht – glaubwürdig oder nicht – fast ein bisschen zu gruseln schien in dieser Sendung. 

Kullmann ist der Politik dankbar

Spahn findet Müllers Macht jedenfalls nicht gut: „Das wäre so, als hätte das Robert-Koch-Institut die Corona-Maßnahmen beschlossen.“ Schließlich sei Müller Behördenchef – und damit nicht demokratisch gewählt. „Die Kompetenz ist in der Bundesnetzagentur, aber die Entscheidung, so weitreichend, sollte aus meiner Sicht eine politische sein. Denn dort sind gewählte Repräsentanten.“ Und Kullmann sagte: „Wir wollen doch hier mal feststellen, dass wir von einer der komplexesten Volkswirtschaften der Welt sprechen. Und wir wollen doch hier einmal gemeinsam feststellen, dass keine Behörde der Bundesrepublik Deutschland auch nur annährend in der Lage ist, diese Komplexität, diese Wertschöpfungstiefen zu durchdringen.“

Daher sei er dankbar, so Kullmann, dass sich Politik und Industrie zusammensetzen, um gemeinsam zu überlegen, was wie gehe. Spahn wiederum beklagte, dass es dabei an Transparenz mangele, woher zum Beispiel die 2,4 Cent pro Kilowattstunde konkret kommen. Dies hätte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) auf Nachfrage nicht erläutern können, kritisierte Spahn. Und weiter: „Ich möchte bei Milliarden Euro zusätzlicher Belastung zumindest wissen, wie die berechnet worden sind.“

Grundbedarf muss gewährleistet sein

„Für mich ist wirklich das Wichtigste, erstmal auch den Menschen zu sagen: Im Winter wird jetzt niemand frieren müssen", sagte Bentele kurz darauf. Und vor allem solle es am Ende nicht so sein, dass jetzt einfach zum Sparen aufgerufen werde, auch in Richtung jener Menschen, die „jetzt schon sparen wie sonst was“. Für jeden Menschen müsse gewährleistet sein, dass er sich einen gewissen Grundbedarf auch weiterhin leisten könne. Darin war man sich in der Runde bei Plasberg weitgehend einig. 

Nur einer tanzte anschließend noch ein bisschen aus der Reihe: Denn freilich liegt Kullmanns Interesse als Branchenvertreter auch darin, dass die Industrie trotz Gasknappheit weiterhin arbeiten und damit die dazugehörigen Arbeitsstellen erhalten kann. „Jetzt ist keine Zeit für Wasserballett, jetzt ist Zeit für Brustschwimmen. Und da muss der Kopf über Wasser gehalten werden. Das geht nur, wenn wir mit entsprechendem Gas versorgt werden“, so Kullmann. Das heiße, dass diejenigen Menschen, die Bentele vertrete, nicht leiden sollen und entlastet werden müssen. Aber das heiße, so Kullmann, auch: „Alle werden lernen müssen, in diesem Winter zu verzichten.“ Der Appell zum Sparen hält sich also hartnäckig, aus allen Ecken.

Die Frage ist nur, ob das schon Gestalten ist, oder doch nur Verwalten. 
 

Hören Sie zum Thema Energiekrise auch den Cicero-Podcast mit der Pro-Atomkraft-Aktivistin Anna Veronika Wendland

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