
- Die Kastration des Humors
Der Humor ist akut in Gefahr. In einem Interview mit der „Neuen Zürcher Zeitung” beklagt der Kabarettist Dieter Nuhr, dass er jetzt präziser formulieren müsse, um seinen Kritikern keine Angriffsfläche mehr zu bieten. Aber läuft diese „Kastration“ nicht ins Leere?
Von Loriot – Gott, hab ihn selig – stammt der schöne Spruch: „Beim Humor hört der Spaß auf.“ Es war das Eingeständnis, dass die Pointen nicht einfach so vom Himmel fielen, sondern das Ergebnis harter Arbeit und eine Frage des richtigen Timings sind. Das Publikum spielte in dieser Rechnung keine Rolle. Humor war, wenn man trotzdem lachte.
Und wer musste nicht schmunzeln, wenn der übergriffige Abteilungsleiter seine Sekretärin zum Italiener schleppt, um ihr dort einen Heiratsantrag zu machen – und wenn ihm dabei ausgerechnet eine Nudel in die Quere kam („Hildegard, sagen Sie jetzt nichts“) Voraussetzung dafür war ein unausgesprochener Konsens. Wo hört die Schadenfreude auf? Wo fängt die Beleidigung an.
Humor heißt jetzt Moral
Ist dieser Konsens zerbröckelt? Wurde der Humor durch etwas ersetzt, was man Moral oder political correctness nennt? Diese Frage hat ein Interview aufgeworfen, das Dieter Nuhr der Neuen Zürcher Zeitung gegeben hat. Nuhr gilt derzeit als der wohl am meisten gehasste Kabarettist in Deutschland. Wann immer er Kübel voller Spott über Muslime auskippt oder sich über Greta Thunberg mokiert („was macht sie eigentlich, wenn es kalt wird?”), schlägt ihm in den sozialen Netzwerken der geballte Hass entgegen.
Der Rechtfertigungsdruck sei in Zeiten des Klimawandels inzwischen so groß, dass er sich selber dabei ertappe, wie er seine Texte präziser formuliere, hat er der NZZ gesagt, „weil da auf der einen Seite die politisch Korrekten darauf warten, dass sie einem irgendwelche Vorwürfe machen können, und auf der einen Seiten die Populisten sind, die einen auf ihre Seite ziehen wollen.“ Ein Akt der Notwehr gegen Vereinnahmungsversuche von beiden Seiten? Nein, viel schlimmer, sagt Nuhr. Er spricht von der „Kastration des Humors.“
Reisen als Übung in Toleranz
Beim Humor hört der Spaß offenbar tatsächlich auf. Aber Nuhr hieße nicht Nuhr, wenn ihn dieser Gegenwind nicht noch beflügeln würde. Er reise viel in der Welt herum, um Abstand zu Deutschland und zu sich selbst zu bekommen, verriet er der NZZ. Das empfiehlt er auch seinen härtesten Kritikern. Ein Survival-Kurs in der Wüste, um wieder zu lernen, was Toleranz ursprünglich bedeutet: „Ertragen, dass jemand anders denkt und in Betracht ziehen, er könnte irgendwo recht haben.“ Notfalls, ätzt er, müssten die Leute irgendwo abgeworfen werden, und man würde sagen, hier bleibst du jetzt sechs Wochen und versuchst mal durchzukommen, dann würden sie sehen, auf welchem Level bei uns eigentlich diskutiert wird.“