
- Heilige Einfalt!
In einer Runde bei Kulturstaatsministerin Monika Grütters ist gestern die Bereitschaft zur Rückgabe der berühmten Benin-Bronzen bekräftigt worden. Damit endet eine jahrzehntelange Auseinandersetzung. Dennoch bleiben Fragen.
Der politische Druck ist zu groß geworden, die Flucht nach vorn war unvermeidlich. Die berühmten Benin-Bronzen kehren also zurück. Teilweise jedenfalls.
In einer diskreten Runde bei der Staatministerin für Kultur und Medien haben die von den Restitutionsforderungen betroffenen Museen, die Vertreter der Bundesländer und des Auswärtigen Amtes ihre „grundsätzliche Bereitschaft zu substanziellen Rückgaben“ jetzt bekräftigt. Es sollen „konkrete Handlungsschritte“ bald folgen, und der „Fahrplan für die Frage der Rückführung“ wird bis zum Sommer entstehen. „Im Verlauf des Jahres 2022“ könnte es also losgehen. Das ist überraschend konkret, auch wenn an manchen Stellen des Positionspapiers noch der übliche Konjunktiv steht. Hinter diese Beschlussfassung wird man nicht mehr zurückkommen. Die Würfel sind damit gefallen.
Für das Herkunftsland Nigeria ist dieser Entschluss uneingeschränkt zu begrüßen. Er zieht einen Strich unter ein elendes Kapitel. Für weitere Manöver war nicht mehr die Zeit. Bénédicte Savoy hat die Widerstände noch in den siebziger und achtziger Jahren beschrieben. Man liest das heute mit Kopfschütteln. Ein respektvoller Umgang war das jedenfalls nicht. Mit den Benin-Bronzen erhalten die afrikanischen Länder einen besonders symbolträchtigen Teil ihres kulturellen Erbes zurück. Und die Nachfahren der alten Kolonialmächte zeigen tätige Reue. Damit könnte es sein gutes Bewenden haben.
Empfangende Länder nicht überfordern
Aber ganz so einfach ist das leider nicht. Dass Museen keine „Weltbeglückungsmaschinen“ seien, davor hat Preußenstiftungspräsident Parzinger noch zu warnen versucht. Aber da war schon nichts mehr zu halten gewesen. Denn natürlich sind solche Rückgaben weit komplizierter als es der postkoloniale Chorus so will. Sogar Bénédicte Savoy hat davor gewarnt, die empfangenden Länder zu überfordern, was keine Ausrede ist, die man besser wohl ignoriert. Denn kaum waren Peitsche und Bibel des legendären Hendrik Witbooi in Namibia zurück, stritten sich die Sprecher der Nama mit den Vertretern des namibischen Staates, wer der wahre Empfänger sei. Damit wollte man dann in Stuttgart freilich nichts mehr zu tun haben. Sollen die das doch untereinander klären. Der Stuttgarter Staatgerichtshof hat es sich einfach gemacht.
Und die berühmte Säule von Cape Cross aus dem Deutschen Historischen Museum? Wo ist die denn geblieben? Sie ist zwar nie Raubgut gewesen, dafür wurde sie in der deutschen Debatte schnell das Symbol einer „zukunftsorientierten Betrachtung“. Diese Säule liegt immer noch in einem Container im Hafen von Walvis Bay, weil nicht klar ist, wer sie wo und wie aufstellen soll. Dort, wo sie einst war, ist heute ein Robbenreservat. Es ist noch immer am Ende der Welt.
Nicht mit Ruhm bekleckert
Man solle im Falle Benin lieber den Museumsleuten in Nigeria vertrauen und sie nicht in die „Gräben hiesiger Kulturkämpfe“ jagen, heißt es in einem Kommentar der Süddeutschen Zeitung. Aber genau das wird doch seit Jahren getan. In Deutschland ist das Thema zu einer unerquicklichen Selbstfindungsdebatte um das Humboldt Forum geworden. Die Fachleute kommen nicht mehr zu Wort. Natürlich haben sich die ethnologischen Sammlungen nicht mit Ruhm bekleckert; natürlich hat man sich hinter Bedenken verschanzt. Aber Museumsleute neigen nun mal zum Horten. Was sie einmal besitzen, geben sie ungern her. Aber sie kennen zumindest den kulturellen Kontext, in den diese Objekte wieder zurückkehren sollen. Der Prozess der kulturellen Wiedereingliederung ist viel komplizierter, als man gemeinhin so denkt.
Afrika bekomme seine „kulturelle Seele“ wieder, liest man in hiesigen Kommentaren. Heilige Einfalt! Das betrifft, wenn überhaupt, ohnehin nur eine kleine Elite. Gerade Benin ist ein Ausweis für das genaue Gegenteil; für die mitunter tragische Kompliziertheit der afrikanischen Geschichte. Das ist eigentlich alles bekannt; wir müssten uns nur einmal wirklich damit befassen. In Afrika selbst hat man das sehr wohl getan.
Streit um das zurückkehrende Erbe
Benin steht auch nicht für das Urtümliche und Autochtone einer wesenhaften afrikanischen Kultur. Im Gegenteil: Das alte Königreich Benin war einer der spannendsten Kreuzungspunkte der beginnenden globalisierten Welt. Was man jetzt wieder teilen will, gehörte historisch schon einmal zusammen. Doch das passt nicht in die heute gängige Sicht.
Auch streiten sich ganz verschiedene Akteure um dieses zurückkehrende Erbe, das es dann zu verteilen gilt. Da gibt es die tatsächlichen Erben des Königs, des Obas, dessen Aufstieg und Militärmacht ohne Sklaven- und Elfenbeinhandel auch mit den Europäern gar nicht möglich gewesen wäre; da gibt es den Nation-Buildung-Prozess des Staates Nigeria, für dessen Selbstvergewisserung die Bronzen nahezu unverzichtbar sind. Und dann gibt es auch noch den Bundesstaat Edo mit der Hauptstadt Benin City, wo man ganz eigene Interessen besitzt. Dort wird jetzt das Edo-Museum für westafrikanische Kunst entstehen. Es soll der gewollte Gegenakzent werden zum Nationalmuseum in Lagos.
Um alle diese einander widerstrebenden Interessen unter einen Hut zu bringen, hat man die Benin Dialogue Group gegründet und eine unabhängige Stiftung ins Leben gerufen. Sie soll für die gerechte Verteilung der Objekte sorgen. Das ist vernünftige Politik und eben kein spektakuläres Theater. Vielleicht hätte es des Feldgeschreis in Deutschland also gar nicht bedurft; vielleicht war es aber auch nötig gewesen. Was diese Debatte um Raubkunst so ungenießbar macht, ist die missionarische Pose. Auch am deutschen Museumswesen wird die Welt nicht genesen. Wann hört dieser Quatsch endlich auf?