
- Schäubles Ablenkungsmanöver
Wolfgang Schäuble gibt in einem Interview zu verstehen: Angela Merkel trägt eine Mitverantwortung dafür, dass die Union im Wahlkampf nicht punktet. Es ist eine elegante Methode, um eigene Versäumnisse in den Hintergrund zu rücken. In der Kandidatenfrage agierte er nämlich gegen die eigene Basis.
Wolfgang Schäuble hat soeben dem Tagesspiegel ein Interview gegeben, das aufhorchen lässt. Nun kann man sagen, das sei eigentlich immer der Fall, wenn der Bundestagspräsident sich zu Wort meldet – tatsächlich ist Schäuble eher kein Mann für nichtssagende Floskeln. Aber diesmal geht es (auch) um den laufenden Bundestagswahlkampf, der gelinde gesagt eher unglücklich verläuft. Zumindest aus Sicht der CDU. Und Wolfgang Schäuble, der seine Partei seit 1972 im Bundestag vertritt, ist so etwas wie der Grandseigneur der Christdemokraten. Man höre also genau hin.
„Angela Merkel ging 2018 ein Risiko ein, als sie vom Amt der Parteichefin zurücktrat“, so der 79-Jährige. Er sei „fest davon überzeugt, dass beides in eine Hand gehört: Parteivorsitz und Kanzleramt. Das war jetzt über fast drei Jahre nicht der Fall, und deshalb gibt es auch keinen Amtsbonus.“ Vielmehr sei das Gegenteil eingetreten: „Der CDU-Vorsitzende und Kanzlerkandidat steht neben der langjährigen erfolgreichen Bundeskanzlerin. Er kann nicht sagen, ,wir machen alles neu‘, kann aber zugleich auch nicht sagen, ,wir machen einfach weiter so‘“. Das sei „jetzt nach 16 Jahren Kanzlerschaft von Angela Merkel ein Problem für meine Partei“. Soweit Wolfgang Schäuble im Tagesspiegel.
Die Schuldfrage
Wer trägt also die Schuld an der aktuellen Misere der Christdemokraten, die sich nach einer absehbaren Wahlschlappe von CDU und CSU zu einer dauerhaften Marginalisierung der beiden Schwesterparteien verfestigen könnte? Den Worten Schäubles zufolge niemand anderes als die Bundeskanzlerin selbst. Denn nach Annegret Kramp-Karrenbauers Wahl an die Parteispitze der CDU hätte der Logik des Interviews zufolge auch ein Wechsel an der Regierungsspitze stattfinden müssen. Doch nichts dergleichen geschah. Oder Merkel hätte eben Parteivorsitzende bleiben sollen – was aber an der jetzigen misslichen Situation auch nichts geändert hätte (es sei denn, sie wäre ein weiteres Mal als Kanzlerkandidatin angetreten). Es geht Schäuble ja, wie er selbst sagt, um den „Amtsbonus“.
Die erste praktische Frage, die sich aus Schäubles Einlassung ergibt, lautet wie folgt: Hätte die SPD als kleinerer Koalitionspartner eine Auswechselung im Kanzleramt von Angela Merkel zugunsten von (nach damaligem Stand) Annegret Kramp-Karrenbauer überhaupt mitgemacht? Wohl eher nicht, denn warum sollten ausgerechnet die Sozialdemokraten Hilfestellung dabei leisten, wenn sich die politische Konkurrenz vorausschauend in eine gute Position für die Bundestagswahl bringt, indem sie der Kanzlerkandidatin in spe einen Amtsbonus verschafft? Die SPD wusste schon 2018 sehr genau, dass es der Union sehr schwer fallen würde, den Machtübergang für die Nach-Merkel-Ära zu organisieren. Genau so ist es gekommen.
Die zweite Frage: Selbst wenn Merkel ihren Stuhl im Kanzleramt für die frisch zur Parteivorsitzenden gewählte Kramp-Karrenbauer erfolgreich geräumt hätte – wie wäre dann wohl jene Thüringer Episode für sie ausgegangen, die sie bekanntlich nicht in den Griff bekam und deshalb auf das Amt als CDU-Chefin nach gut einem Jahr schon wieder verzichtete (nur die Pandemie sorgte dafür, dass AKK bis Januar dieses Jahres in dieser Position blieb)? Schwer zu sagen, und ohnehin sind solche Überlegungen müßig. Weil, wie erwähnt: Die SPD hätte sich einer Kanzlerinnen-Auswechslung ohnehin verweigert. Und die Große Koalition platzen zu lassen, daran hatte auch Union kein Interesse.
Ein Ablenkungsmanöver
Bei Lichte besehen scheinen Schäubles Interview-Einlassungen also nichts anderes als ein Ablenkungsmanöver zu sein. Denn er war es, der maßgeblich dafür gesorgt hat, dass Armin Laschet als gemeinsamer Kanzlerkandidat von CDU und CSU durchgedrückt wurde. Die Kür des richtigen Kandidaten war für die Union angesichts der strukturellen Probleme eines Machtübergangs das allesentscheidende Kriterium.
Und es gab ja zunächst auch gute Gründe für Laschet: Als Ministerpräsident von NRW brachte er eine Art „kleinen Amtsbonus“ mit ins Rennen, zudem galt und gilt er als Integrator. Aber die Rückmeldungen von der Parteibasis und auch aus der Bundestagsfraktion zeigten in eine ganz andere Richtung, nämlich auf Markus Söder. Schäuble selbst hatte ja ursprünglich keineswegs Armin Laschet favorisiert, sondern Friedrich Merz.
Ob Markus Söder als Kanzlerkandidat besser reüssiert hätte, das wissen nur die Götter. Andererseits: Viel schlechter wäre es mit dem Bayern wohl kaum gelaufen angesichts der Tatsache, dass es in vielen CDU-Wahlkreisen als kontraproduktiv gilt, Plakate mit dem Porträt Laschets aufzuhängen.
Wolfgang Schäuble aber war es, der einen Kandidaten Söder auf Biegen und Brechen verhindern wollte, weil er fürchtete, dieser werde sich die CDU so unterwerfen wie es Sebastian Kurz mit der ÖVP in Österreich gemacht hatte. Schäuble, so heißt es, habe in CDU-Gremiensitzungen sogar ausdrücklich dafür plädiert, eher eine Wahlniederlage in Kauf zu nehmen als den Durchmarsch des bayerischen Ministerpräsidenten zu riskieren.
Warum Schäuble Mitverantwortung trägt
Einmal ganz davon abgesehen, dass Schäuble sich (von sibyllinischen Andeutungen abgesehen) nicht getraut hat, der Kanzlerin während der sogenannten Flüchtlingskrise in den Arm zu fallen, trägt er eine ganz erhebliche Mitverantwortung für die jetzige Misere seiner Partei. Das Tagesspiegel-Interview will von entscheidenden Versäumnissen des amtierenden Bundestagspräsidenten zwar ablenken, aber zumindest in der CDU dürften ihm damit nicht allzu viele Mitglieder auf den Leim gehen.
Zur nächsten Bundestagswahl tritt Wolfgang Schäuble in seinem mittelbadischen Wahlkreis noch einmal an – zum vierzehnten Mal will es das Direktmandat erringen. Wahrscheinlich gelingt ihm das auch. Dennoch entsteht der Eindruck, dass er inzwischen eher das Problem ist und nicht die Lösung.