Verfassungsschutzbericht 2022 - Nancy Faeser kündigt AfD-Verbotsverfahren an

Nun ist die Katze aus dem Sack: Am Rande der Pressekonferenz zur Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes 2022 wurde klar, wohin die Reise geht. Wenn es nach Bundesinnenministerin Nancy Faeser geht, wird es demnächst ein Verbotsverfahren gegen die AfD geben.

Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang mit Innenministerin Nancy Faeser (SPD). /dpa
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Mathias Brodkorb ist Cicero-Autor und war Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Er gehört der SPD an.

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Wie im Sommer eines jeden Jahres haben der Chef des Bundesverfassungsschutzes, Thomas Haldenwang, und der zuständige Bundesinnenminister den Verfassungsschutzbericht für das Vorjahr vorgestellt.  Der Bericht dient dem Zweck, die Öffentlichkeit über Bestrebungen gegen die Demokratie zu informieren. Aber nicht der Bericht war das wirklich Interessante, sondern die dazu abgehaltene Pressekonferenz. 

Zunahme der extremistischen Gefahr

Der Bericht selbst ist schnell zusammengefasst. Der Verfassungsschutz sieht in allen Extremismus-Bereichen eine Verschärfung der Gefahrenlage. Insbesondere die Zunahme der Zahl gewaltbereiter Extremisten von links und rechts bereitet dem Präsidenten des Verfassungsschutzes Sorge. Auch das generelle Potenzial praktizierender Extremisten nehme zu. Allein im Phänomenbereich Rechtsextremismus ist ein Anstieg von rund 34.000 im Jahr 2021 auf rund 39.000 im Jahr 2022 zu verzeichnen. 

Zustande kommt das allerdings nur dadurch, dass nunmehr rund ein Drittel der AfD-Mitglieder offiziell als Rechtsextremisten ausgewiesen wird – insgesamt etwa 10.000 Personen. Ohne diese Zurechnung wäre die Zahl der Rechtsextremisten signifikant rückläufig gewesen. Die Antwort auf die Frage eines Journalisten, wie der Verfassungsschutz denn die Zahl der Rechtsextremisten innerhalb der AfD ermittelt habe, verblüfft. Man habe einfach die Eigenangaben der Partei über die Anhänger des ehemaligen „Flügels“ übernommen. Auf eigene relevante geheimdienstliche Erkenntnisse stützt sich der Verfassungsschutz dabei also nicht.

AfD: vor der Hochstufung

Aber es zeigt, dass der Verfassungsschutz entschlossen ist, die Gangart in Sachen Rechtsextremismus weiter zu verschärfen. Nach der jüngsten Hochstufung der AfD-Jugendorganisation „Junge Alternative“ (JA) sowie verschiedener Gruppierungen der „Neuen Rechten“ vom Verdachtsfall zu „erwiesen extremistischen Bestrebungen“ dürfte demnächst auch eine entsprechende Hochstufung der AfD ins Haus stehen. Darauf jedenfalls deuten alle Äußerungen des Präsidenten aus der jüngeren Vergangenheit hin. Die Zurechnung eines Drittels der Parteimitglieder zum Rechtsextremismus ist ein weiteres deutliches Anzeichen dafür.

In der Sache ergibt sich dieser Befund auch aus eigenen Äußerungen Haldenwangs. Seine Maßnahmen gegen die „JA“ und Vertreter der „Neuen Rechten“ begründete dieser ausdrücklich damit, dass von diesen Kreisen ein „ethnokulturelles Weltbild“ vertreten werde, das „letztlich doch fremdenfeindlich und einfach nur rassistisch ist“. Und auch innerhalb der AfD gebe es „wahrnehmbare Bestrebungen (…) gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“.  Es würden dort „sehr gleiche Ideologien“ vertreten.

Die Prognose, das Bundesamt für Verfassungsschutz werde demnächst eine Hochstufung der AfD vornehmen, dürfte zwingend sein. Schon die Einstufung der Partei als bloßer „Verdachtsfall“ ist ein staatlicher Eingriff in das Prinzip der Chancengleichheit der Parteien und damit ein Grundrechtseingriff. Der Status als „Verdachtsfall“ dient der weiteren Aufklärung durch die staatlichen Behörden mit geheimdienstlichen Mitteln und darf nicht beliebig lang anhalten. Ansonsten würde das Rechtsstaatsprinzip der Verhältnismäßigkeit verletzt. Thomas Haldenwang bleiben daher letztlich nur zwei Möglichkeiten: entweder die Verdachtsberichterstattung demnächst einzustellen – oder eine Hochstufung zu einer „erwiesen extremistischen Bestrebung“ vorzunehmen.

Faeser kündigt Verbotsverfahren an

Alle Entscheidungen Haldenwangs der letzten Wochen und Monate deuten dabei in dieselbe Richtung: Hochstufung der AfD-Jugendorganisation zur erwiesen extremistischen Bestrebung, Zurechnung eines Drittels der AfD-Mitglieder zum Personenpotenzial des Rechtsextremismus in Deutschland. Und hinzu kommen die wenig unzweideutigen Äußerungen Haldenwangs in der Öffentlichkeit. Nach seiner Ansicht gibt es „starke Strömungen“ in der AfD, die eindeutig „verfassungsfeindlich agieren“, sie verbreiteten „Hass und Hetze gegen Minderheiten aller Art“. Hinter diese Logik kann Haldenwang nicht mehr zurückgehen, wenn er sich nicht blamieren will.

Und was wären die Konsequenzen, wenn es demnächst so weit käme? Auf die Frage eines Journalisten, ob sie im Fall der Fälle ein Verbotsverfahren einleiten werde, gab Nancy Faeser (SPD) eine ziemlich klare Antwort: „Ich in meiner Funktion als Bundesinnenministerin verlasse mich auf meine Behörden (…). Wenn die irgendwann zu dem Ergebnis kommen, dass es genügend Gründe zur Einordnung als verfassungswidrig gibt, dann werde ich auch entsprechend vorgehen.“ Das kann man gar nicht anders als  Ankündigung verstehen, notfalls noch vor der nächsten Bundestagswahl mit dem schärfsten rechtlichen Schwert gegen die AfD vorzugehen. Die hohen Zustimmungswerte der Partei sollen offenbar auf diese Weise aus der Welt geschafft werden.

Zweifel an der rechtlichen Expertise

Dabei hat auch die Pressekonferenz Zweifel an der Frage aufkommen lassen, ob Faeser dem Gegenstand des Verfassungsschutzes vollauf gewachsen ist. Haldenwang und die Ministerin sind sich zwar ganz einig, dass der Rechtsextremismus noch immer die größte Bedrohung für die Demokratie sei. Aber die Begründung, die sie dafür gibt, dürfte nicht die Zustimmung des Präsidenten finden. Der Rechtsextremismus, so Faeser vor laufenden Kameras, sei nämlich deshalb die größte Gefahr für die Demokratie, weil er sich gegen die „demokratische Grundordnung“ richte: „Das tun die anderen Extremismusformen eben nicht.“

Was die Juristin Faeser unwidersprochen vor der Hauptstadtpresse sagte, bewegt sich allerdings außerhalb der Rechtsordnung. Das Bundesverfassungsschutzgesetz definiert in Paragraf 3 ausdrücklich, dass die Behörde ihre Beobachtungen nur auf Bestrebungen zu richten hat, „die sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“ richten. Der Verfassungsschutz wird in seinen Veröffentlichungen auch nicht müde, genau darauf immer wieder hinzuweisen: Extremist ist nur, wer Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung entfaltet. Das ist sogar die amtliche Definition von „Extremismus“. 

Folgte man Faesers Argumentation, müsste man im Verfassungsschutzbericht folglich hunderte Seiten streichen, Islamismus wie Linksextremismus würden vollends entfallen. Es bliebe nur eine relevante aus dem Inland stammende Bedrohung der Staatsordnung übrig: der Rechtsextremismus und mit ihm die AfD. Man kann sich vorstellen, wie Haldenwang gelitten haben muss, während seine Chefin sich um Kopf und Kragen redete. Er hätte eingreifen und seine Vorgesetzte korrigieren können, aber er zog es vor zu schweigen.

Haldenwang will „Umfragewerte der AfD senken“

Aber nicht nur Faeser tut sich mitunter schwer mit der Rechtslage. Das könnte auch den Präsidenten des Verfassungsschutzes selbst betreffen. Als ein Journalist ihn fragte, welche Botschaft er denn an die Anhänger der AfD hätte, schritt seine Chefin prompt ein: „Ich würde mal sagen, das nehme ich Herrn Haldenwang ab. Ich halte es nicht für geboten, dass der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz Empfehlungen an Wählerinnen und Wähler abgibt (…).“ 

 

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Wahrscheinlich ging es Faeser mit dieser Intervention gar nicht um die Tatsache, dass sich Repräsentanten des Staates mit dessen Mitteln grundsätzlich nicht in den politischen Meinungskampf einmischen dürfen. Womöglich hielt sie es eher für einen Bruch mit der politischen Etikette, dass nicht an sie als Ministerin die entsprechende Frage gerichtet worden war, sondern an einen ihrer Mitarbeiter. Als Ratschlag an die Wähler gab sie jedenfalls den Hinweis aus, sich doch einfach die Problemlösungskompetenz der Parteien anzusehen: „Und in der Frage der Problemlösung sehe ich die AfD ganz hinten im Vergleich zu allen anderen Parteien.“

Was Faeser offenbar nicht bedacht hatte: Was für Haldenwang gilt, gilt auch für sie selbst. Sie saß nicht als SPD-Politikerin mit ihrer Privatmeinung in der Bundespressekonferenz, sondern als Innenministerin und damit Repräsentantin des Staates. Sie selbst hätte sich damit in Zurückhaltung zu üben. Ihre Einlassungen waren in rechtlicher Hinsicht somit zumindest grenzwertig. 

Ohnehin ließ sich Haldenwang von seiner Chefin gar nicht davon abhalten, anschließend noch selbst etwas zu der Frage des Journalisten zu sagen. Die Wählerinnen und Wähler sollten sich die AfD schon ganz genau ansehen, riet er. Teile dieser Partei verbreiteten „jedenfalls Hass und Hetze (…) gegen alle Formen von Minderheiten“. Einzelne Akteuren scheuten sich auch nicht davor, anlässlich offizieller Empfänge die Russische Botschaft aufzusuchen, um dort „ihre Kontakte zu pflegen“. Und das seien alles Fakten, die die deutschen Wähler bei ihrer Entscheidung „im Hinterkopf behalten“ sollten. 

Noch deutlicher wurde Haldenwang dann am selben Tag noch gegenüber dem ZDF. Dort beanspruchte er sogar, es sei auch eine Aufgabe des Verfassungsschutzes, die „Umfragewerte der AfD zu senken“, also von Staats wegen von oben in die Demokratie einzugreifen. 

„Eindeutig rechtswidrig“

Der Staatsrechtler Prof. em. Dr. Dietrich Murswiek (Universität Freiburg) hält diese Äußerungen Haldenwangs für eindeutig rechtswidrig. Aufgabe des Verfassungsschutzes sei es, die Öffentlichkeit sachlich zu informieren. „Die politischen Konsequenzen daraus zu ziehen, ist Sache der Bürger. Der Verfassungsschutz darf diese nicht paternalistisch an die Hand nehmen und ihnen sagen, wen sie wählen oder nicht wählen sollen. Wahlkampf gegen eine Partei zu betreiben, überschreitet eindeutig die Aufgaben des Verfassungsschutzes.“, sagt Murswiek.

Rechtswidrig sei es außerdem, wenn der Verfassungsschutz mit Informationen gegen Parteien „Stimmung macht“, die nichts mit Fragen der Verfassungswidrigkeit zu tun hätten. „Besuche von AfD-Politikern in der russischen Botschaft oder ‚Weitergabe russischer Narrative‘ zu kritisieren, ist nicht Aufgabe des Verfassungsschutzes. Das muss er den Konkurrenzparteien überlassen“, so der Rechtsexperte.

Hätte Murswiek Recht, ergäbe sich eine bittere Pointe: Dann würde der Verfassungsschutz die Verfassung mitunter selbst mit verfassungswidrigen Methoden verteidigen.
 

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