Wahlen in der Türkei - Deutsch-Türken für Erdogan

Die Türkei wählt am 14. Mai den Präsidenten und das Parlament neu. Erstmals dürften mehr Türken den Gegenkandidaten Erdogans, Kemal Kilicdaroglu, wählen. Anders als in Deutschland, wo die Mehrheit der Deutsch-Türken Prognosen zufolge auch dieses Mal der AKP den Vorzug geben wird.

Anhänger Erdogans feierten nach der türkischen Präsidentenwahl 2018 auf den Straßen Hamburgs / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Ilgin Seren Evisen schreibt als freiberufliche Journalistin über die politischen Entwicklungen in der Türkei und im Nahen Osten sowie über tagesaktuelle Politik in Deutschland. 

So erreichen Sie Ilgin Seren Evisen:

Anzeige

Prognosen zufolge wird über die Hälfte der wahlberechtigten Deutsch-Türken bei den türkischen Wahlen eine Partei wählen, in deren Regierungszeit die Türkei innenpolitisch zunehmend autoritär und außenpolitisch immer aggressiver auftrat. Erdoǧan-Kritiker und westlich geprägte Deutsch-Türken sind sich einig: Diese Wahl wird die Türkei für immer verändern. „Welche Zivilisation wählen wir?“ So und ähnlich lauten die Überschriften in den kritischen Tageszeitungen in der Türkei. Kritiker des amtierenden Regierungspräsidenten befürchten im Falle eines Siegs der islamisch-konservativen AKP eine Zunahme der Repressalien gegenüber Kemalisten, Feministinnen, Säkularen – kurzum, allen Kritikern eines zunehmend autoritären Regierungsstils.

Wer das Krisenmanagement der Regierung und die chronische Wirtschaftskrise kritisiert, läuft Gefahr, als „Terrorist“ gebrandmarkt und geächtet zu werden. Sowohl in der Türkei als auch in Deutschland. Zwar leben die Deutsch-Türken seit ihrer Einwanderung schon viele Jahre, oft Jahrzehnte in Deutschland. Doch sie beziehen ihre Informationen und Interpretationen der aktuellen Ereignisse und politischen Entwicklungen weiterhin aus staatstreuen muttersprachlichen Zeitungen und Fernsehkanälen und nicht aus deutschsprachigen Medien.

Während sie in Deutschland mehrheitlich die SPD wählen, also eine linksorientierte Partei, die sich für die Stärkung der Rechte von Minderheiten einsetzt, bevorzugen sie in der Türkei eine Partei, die nicht für ihre Frauen- und Minderheitenfreundliche Politik bekannt ist.

In der Community herrscht Angst

Unter den demokratiefreundlichen Deutsch-Türken herrscht große Angst. Angst davor, sich kritisch zu äußern und von anderen aus der Community denunziert zu werden. Zwei ganz andere Beispiele aus dem Rhein-Main-Gebiet: „Jegliche Gewalt in der Politik ist ein Tabu“, sagt der türkischstämmige FDP-Politiker Yankı Pürsün. Seit 2019 ist der 50-jährige Frankfurter Abgeordneter im hessischen Landtag. Während seiner Zeit als Wahlbeobachter für das Außenministerium sammelte er viele Erfahrungen und wünscht sich für die Wahlen im Mai die Einhaltung internationaler Standards. Kritik müsse möglich sein, die Menschen müssten ohne Angst vor Konsequenzen wählen können, so Pürsün. Dass Anhänger einer politischen Partei Anhänger anderer Parteien bedrohen, dürfe nicht hingenommen werden und müsse von der Regierung und allen Parteien unterbunden werden.

Der FDP-Politiker stellt fest, dass viele Deutsch-Türken ein größeres Interesse an den Wahlen in der Türkei haben als an Wahlen in Deutschland. Er führt das auf die Emotionalität der Politik in der Türkei zurück. Mit Sorge beobachtet der Hesse den Rückgang der türkischen Medienvielfalt. „Jedes demokratische Land braucht eine vielfältige Medienlandschaft und unterschiedliche Perspektiven. Je mehr Perspektiven es gibt, desto besser können Bürger für sich die passendste aus mehreren heraussuchen“, so Pürsün.

 

Mehr von Ilgin Seren Evisen:

 

Dass deutsch-türkische Migranten hier eher linke Parteien und in der Türkei eher rechte Parteien wählen, hält Yankı Pürsün für ein internationales Phänomen, das auch andere migrantische Communitys betrifft. Wer hier die islamisch-konservative AKP wähle, befürchte keine Konsequenzen für sich. „Wo man lebt, braucht man mehr Toleranz“, so Pürsün. Deutsch-Türken wählen ihm zufolge hier minderheitenfreundliche Parteien, die Migranten viel versprechen, weil die Betroffenheit von politischen Entscheidungen hier größer ist als nach Wahlen in der Türkei. „Wer hier bei Wahlen in der Türkei abstimmt, ist von den politischen Folgen seiner Entscheidung nicht wirklich betroffen. Deswegen fällt es vielen türkischstämmigen Bürgern hier leicht, ihre Stimme anders abzugeben“, so Pürsün.

Zudem ist vielen hier lebenden Migranten die Sozialpolitik besonders wichtig, und sie erhoffen sich daher eine bessere Vertretung ihrer politischen Interessen durch linke Parteien. Dabei steht für den liberalen Politiker fest: Wer hier Toleranz für sich will, sollte überall Toleranz wollen. Für die Zeit nach den Wahlen wünscht sich der FDP-Abgeordnete, dass nach den Wahlen in der Türkei die Einschüchterung liberaler türkischstämmiger Bürger in Deutschland nicht weiter zunimmt.

Erdogan kommt bodenständig und nahbar rüber

Auch Arif Arslaner, Pädagoge aus Frankfurt, bereiten die politischen Entwicklungen in der Türkei Sorgen. Arslaner ist Geschäftsführer des von ihm gegründeten Instituts KUBI („Gesellschaft für Kultur und Bildung“) in Frankfurt. Seit 1993 hat sich der mit 15 Jahren aus der Türkei eingewanderte Frankfurter mit Projekten für das Empowerment der Migranten in Frankfurt eingesetzt und sein Institut als erfolgreichen Träger der Region etabliert. Die politische Entwicklung in der Türkei setzt Arif Arslaner in einen internationalen Kontext. „Der starke Führer“, so Arslaner, „einer, der mit beiden Fäusten auf den Tisch hauen kann, einer der Macht ausstrahlt.“ Diese Wirkung Erdogans erkläre seinen Erfolg bei den hier lebenden mehrheitlich konservativ geprägten Deutsch-Türken.

Gleichzeitig vermittle Erdogan in seinen emotionalen Reden den Menschen das Gefühl, er sei einer von ihnen, er verstehe sie. Erdogan reihe sich ein in eine Liste von erfolgreichen Populisten, die aktuell das Weltgeschehen dominieren. Ein ähnliches Wahlverhalten wie das der Deutsch-Türken beobachtet Arslaner auch bei in Deutschland lebenden Amerikanern, die mehrheitlich einen Populisten wie Trump wählten.

Nach einem Wahlsieg der AKP befürchtet Arslaner, dass die Meinungsfreiheit in Deutschland unter Deutsch-Türken aus Angst vor Konsequenzen, sowohl hier als auch in der Türkei, abnehmen werde. „Kemalisten, Feministinnen, säkulare Türken werden einen Schock erleiden, und sie werden leiser werden“, so Arslaner. Er wünscht sich, dass sie starke Ideologisierung und Gruppenbildung unter den Deutsch-Türken abnimmt, dass sie wieder miteinander ins Gespräch kommen und das Verständnis füreinander zunimmt. „Wir müssen lernen, einander, über alle politischen Ideen hinweg, zuzuhören“, lautet Arslaners Wunsch für die Zeit nach den Wahlen.

Anzeige