Skandal um Schwesigs Klimastiftung - Verbrannte Akten, verbrannte Erde

Nachdem Cicero am Mittwochabend erstmals über verbrannte Steuerunterlagen rund um die umstrittene Klimastiftung berichtet hatte, herrscht in der Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern helle Aufregung. Die Ministerpräsidentin verspricht Aufklärung, aber die Geschichte wird immer dubioser.

Seit Mittwoch im Zentrum der Affäre: das Finanzamt Ribnitz-Damgarten / dpa
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Ulrich Thiele ist Politik-Redakteur bei Business Insider Deutschland. Auf Twitter ist er als @ul_thi zu finden. Threema-ID: 82PEBDW9

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Der Fall schlägt hohe Wellen, auch wenn dessen Hintergrund reichlich kompliziert ist: Nachdem Cicero am Mittwochabend berichtet hatte, dass eine Finanzbeamtin in Mecklenburg-Vorpommern brisante Dokumente im Kamin einer Bekannten verbrannt haben soll, herrscht helle Aufregung in der Schweriner Staatskanzlei sowie in den dortigen Ministerien für Finanzen und für Justiz. Auch das Medienecho ist gewaltig.

Denn bei den Dokumenten handelt es sich um eine (möglicherweise sogar um zwei) Steuererklärungen der hochumstrittenen „Stiftung Klima- und Umweltschutz MV“, welche im Januar 2021 auf Betreiben von Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) gegründet wurde, um amerikanische Sanktionen gegen die Gaspipeline Nord Stream 2 zu umgehen. Die inzwischen unter ungeklärten Umständen gesprengte Pipeline sollte ursprünglich Erdgas von Russland nach Deutschland leiten und an der Ostseeküste des nordöstlichen Bundeslands aus dem Meer treten. Die Stiftung war vom russischen Energiekonzern Gazprom mit 20 Millionen Euro ausgestattet worden.

Dubiose Stiftung

Allein dies ist schon dubios genug: Eine Landesregierung betreibt die Gründung einer Stiftung, deren offensichtliches Ziel nicht der behauptete Umweltschutz ist, sondern die Umgehung von durch einen Bündnispartner in Aussicht gestellten Sanktionen. Dass die Amerikaner mit ihrer Warnung nicht verkehrt lagen, Moskau werde die durch Nord Stream 2 noch einmal erhöhte deutsche Abhängigkeit von russischem Gas geopolitisch ausnutzen, hat sich inzwischen gezeigt. Für Schwesig ist die Stiftung damit ohnehin zu einem politischen Klotz am Bein geworden – zumal diese auch noch von ihrem früheren Förderer und Amtsvorgänger im Ministerpräsidentenamt, Erwin Sellering (SPD), geleitet wird. Schwesig und Sellering liegen inzwischen überkreuz.

Das hat auch zu tun mit einer Frage, die fernab liegt von weltpolitischen Verwicklungen: Es geht darum, ob die Klimastiftung schenkungsteuerpflichtig ist. Denn die Stiftung ist nicht als gemeinnützig anerkannt, und die großzügige Zuwendung von Gazprom in Höhe von 20 Millionen Euro ist somit grundsätzlich schenkungsteuerpflichtig; die entsprechende Steuerschuld beliefe sich in diesem Fall auf knapp zehn Millionen Euro. An diesem Punkt beginnt es, ein wenig kompliziert zu werden, denn der Steueraspekt war bei der Stiftungskonstruktion anfangs vonseiten der Landesregierung offenbar schlicht übersehen oder nicht ernst genommen worden. Landesregierung ebenso wie die Stiftung selbst gingen ganz offenbar davon aus, dass eine Schenkungsteuer nicht anfallen würde. Bei der Stiftung herrscht die Auffassung, dass sie sogar trotz fehlender Gemeinnützigkeit keine Steuern zahlen muss, weil das Geld nur gemeinwohlorientierten Zwecken in Mecklenburg-Vorpommern zu gute komme. Die Auffassung kann aus guten juristischen Gründen bezweifelt werden.

Schwesig wünscht schnelle Abwicklung

Hinzu kommt, dass Ministerpräsidentin Schwesig die wegen des russischen Angriffs auf die Ukraine in Ungnade gefallene Stiftung möglichst schnell abwickeln möchte. Der Stiftungsvorsitzende Sellering hingegen will das nicht: Er ist Jurist ist und weiß deshalb, dass man die Stiftung nicht rechtskonform auflösen kann. Eine Stiftung ist nämlich grundsätzlich auf Ewigkeit angelegt und kann nur dann aufgelöst werden, wenn ihr Zweck überflüssig wird oder nicht mehr ausgeübt werden kann. Rechtlich gilt hier demnach nur, was in der Stiftungssatzung steht: dass nämlich Klimaschutz ihr Zweck ist. Und dieser Zweck besteht weiterhin und ist auch nicht durch die neuen weltpolitischen Umstände hinfällig geworden. Wenn die Stiftung gegen geltendes Recht aus politischen Gründen aufgelöst würde, wäre dies ein Präzedenzfall für das deutsche Stiftungswesen. Es würde bedeuten, dass Stiftungen in ihrer Existenz politischen Stimmungen unterliegen.

Bei der Stiftung vermutet man, Mecklenburg-Vorpommerns Finanzminister Heiko Geue (SPD) habe als Schwesig-Vertrauter versucht, die Schenkungsteuerfrage absichtlich in die Länge zu ziehen, um Erwin Sellering unter Druck zu setzen. Das Kalkül könnte demnach sein: Wenn sich erreichen ließe, dass die Stiftung doch zehn Millionen Euro an Steuern zahlen muss, würde ihr die Hälfte des Stiftungskapitals für den Klimaschutz fehlen. Falls das stimmt, glaubte man womöglich also, auf diese Weise dem Ziel einen Schritt näher zu kommen, das Erreichen des vermeintlichen Stiftungszwecks unmöglich zu machen. Denn ohne Geld könnten faktisch auch keine Umweltschutzprojekte umgesetzt werden.

Die Suche nach den „verlorenen“ Unterlagen

Als einigermaßen gesichert kann derzeit gelten, dass die Klimaschutzstiftung ihre Steuererklärungen rechtzeitig abgegeben hat, und zwar eine im Sommer 2021 für die erste Rate sowie eine Erklärung im darauffolgenden Herbst für die zweite Rate – jeweils ergänzt durch einen Antrag auf Befreiung von der Schenkungssteuer. Das für Schenkungssteuerfragen zuständige Finanzamt in Ribnitz-Damgarten habe die Erklärungen jedoch verloren, und zwar beide Male. Deswegen habe man laut Stiftung im März 2022 Kopien nachgereicht. Wie durch Cicero-Recherchen jetzt herausgekommen ist, sind die Steuererklärungen jedoch nicht verloren gegangen, sondern (zumindest in einem Fall) offenbar gezielt vernichtet worden. Und zwar durch eine Beamtin im Finanzamt von Ribnitz-Damgarten: Angeblich fiel der Frau bei der Suche nach den „verlorenen“ Unterlagen doch noch mindestens eine Steuererklärung in die Hände. Aus Panik – weil sich der gesamte Fall inzwischen zu einem bedeutenden Politikum ausgewachsen hatte – will sie diese im Kamin einer Bekannten verbrannt haben. Die Beamtin habe sich später gegenüber ihrem Chef offenbart. So geht es jedenfalls aus Unterlagen der Staatsanwaltschaft hervor, die Cicero vorliegen. In den Schreiben wird auffällig stark hervorgehoben, dass die Beamtin ohne fremden Einfluss und in Eigenverantwortung gehandelt habe.

Die Frage ist nun, ob diese Geschichte so überhaupt stimmt. Das Finanzamt hat die Geschichte der Staatsanwaltschaft selbst so vorgetragen. Aber sie enthält zumindest einige Ungereimtheiten. Die Beamtin nämlich war überhaupt nicht für den Fall zuständig. Wenn also beide Steuererklärungen tatsächlich dort gelandet sein sollten, und zwar in einem Abstand von sechs Monaten: warum ausgerechnet bei ihr? Als die Erklärungen per Post nach Ribnitz-Damgarten geschickt wurden, hätte es zudem beide Male einen Eingangsvermerk geben müssen. Dieser fehlt aber offenbar. Zumindest behauptet das das Finanzamt Ribnitz-Damgarten in Dokumenten, die Cicero vorliegen. Bei den Mitarbeitern, die die Post entgegennehmen, sei nichts angekommen. Und diese arbeiteten gewissenhaft, so das Finanzamt in einer internen Mail. Sind beide Steuererklärungen also ohne Eingangsvermerk direkt bei der Beamtin auf dem Tisch gelandet?

Andere Motive der Beamtin?

Die Frage ist auch: Hatte die Beamtin außer ihrer behaupteten Angst vor öffentlicher Aufregung womöglich noch andere Motive für das Verbrennen der Steuerunterlagen? Oder nahm Finanzminister Geue den Fall persönlich an sich – wodurch sich das Finanzamt noch weiter politisch unter Druck gesetzt gefühlt haben könnte? Zum Gesamtbild dieser bizarren Affäre gehört auch: Ministerpräsidentin Schwesig hat mit ihrem autokratisch anmutenden Führungsstil offenbar eine Kultur der äußersten Subordination in den Behörden etabliert, was im konkreten Fall etwa dazu geführt hat, dass der zuständige Finanzbeamte zu Protokoll gab, die Prüfung sei „eine politische Entscheidung“. Eine solche Aussage von einem erfahrenen Finanzbeamten ist höchst ungewöhnlich. Das spräche jedenfalls dafür, dass die Finanzbeamtin und auch das Finanzamt bei der Prüfung sich politisch unter Druck gesetzt gefühlt haben könnten.

Das alles bleibt noch im Rahmen des Spekulativen. Fakt ist jedoch: Die Aktenverbrennung wurde im Mai 2022 der Justizministerin Jacqueline Bernhardt (Die Linke) mitgeteilt. Und auch Heiko Geues Finanzministerium wurde in Kenntnis gesetzt. Das geht aus einem Aktenvermerk hervor, der Cicero vorliegt. Die Landtagsfraktion der Grünen teilte diesbezüglich heute in einer Pressemitteilung mit:

„Geue und Bernhardt sahen jedoch keine Veranlassung, die Öffentlichkeit oder das Parlament darüber zu informieren. Das Finanzministerium ließ den zuständigen Finanzausschuss Mitte Mai zudem wissen, dass keine Informationen über verlorengegangene oder verschwundene Steuerunterlagen vorliegen. Das zu diesem Zeitpunkt bereits eingeleitete Strafverfahren gegen die Finanzamtsbeamtin, die die Steuererklärung der sogenannten Klimastiftung verbrannt hatte, wurde laut Auskunft der Staatsanwaltschaft im September 2022 eingestellt. Spätestens dann hätten Justizministerin Bernhardt und Finanzminister Geue die Öffentlichkeit proaktiv über diesen Vorfall informieren müssen. Stattdessen wurde dieser unglaubliche Vorgang von der Landesregierung weiter geheim gehalten.“

Im Klartext bedeutet das: Heiko Geue hat den Finanzausschuss getäuscht. Der Finanzminister konzentriert sich momentan darauf, zu beteuern, es habe keinen politischen Einfluss gegeben. Die Frage des politischen Einflusses ist jedoch nur ein Aspekt in dieser Affäre. Geue muss damit konfrontiert werden, dass er beziehungsweise sein Ministerium dem Parlament die Unwahrheit sagte.

Hinzu kommt: Haben Geue und Bernhardt die Ministerpräsidentin über den Vorgang in Kenntnis gesetzt? Bei der Brisanz des gesamten Falls wäre das jedenfalls naheliegend. Manuela Schwesig behauptete jedoch an diesem Mittwoch in einer ersten Reaktion, sie habe soeben erst von der Kamin-Aktion erfahren und wolle die Geschichte jetzt aufklären. An dieser Erzählung sind jedoch Zweifel erlaubt, weil Schwesig bekannt dafür ist, die Ministerposten in ihrem Kabinett mit willfährigen Personen besetzt zu haben, um möglichst reibungsfrei „durchregieren“ zu können. Das wurde nicht zuletzt im Landtagswahlkampf 2021 deutlich, als sie etwa Pressekonferenzen auch zu solchen Themen abhielt, die eigentlich in der Verantwortung ihrer Minister standen. Die Grünen fordern deshalb: „Ministerpräsidentin Manuela Schwesig muss nun umgehend erklären, inwieweit sie persönlich über die Vorgänge informiert war. Klar ist: Die Führungsspitzen der Landesregierung haben seit Monaten wichtige Informationen zurückgehalten. Wenn die betreffenden Personen der Öffentlichkeit jetzt keine zufriedenstellenden, plausiblen Antworten geben können, muss über personelle Konsequenzen gesprochen werden.“

Kehrtwende erst nach öffentlichem Druck

Bemerkenswert ist auch, dass das Finanzamt die Klimastiftung zunächst von der Steuer befreien wollte, dann aber aufgrund der öffentlichen Berichterstattung eine Kehrtwende vollzog und auf einmal zu der Erkenntnis gelangte, dass die Stiftung zweifelsfrei Steuern zahlen müsse. Die Vermutung liegt also nahe, Finanzminister Geue könnte in das Verfahren eingegriffen haben, weil der Wind sich gedreht hatte und er mit dem Stiftungsvorsitzenden Sellering nun im Streit lag. Und nicht, weil es ihm um eine sorgfältige Prüfung der Steuerfrage ging. Warum wollte das Finanzamt noch im März 2022 die Stiftung von der Steuer befreien und kam fünf Monate später plötzlich zu dem Ergebnis, dass es keine Zweifel an der Steuerpflicht der Stiftung gäbe? Eine Möglichkeit: In den Behörden herrschte eine politikhörige Kultur (siehe die Bemerkung des zuständigen Finanzbeamten), weshalb man dort geneigt war, gegenüber der Stiftung, die zudem noch vom ehemaligen Landesvater Sellering geführt wird, großzügig zu sein. Als sich dann aber das Finanzministerium einschaltete, könnte erneut aus politischen Gründen die Kehrtwende eingeläutet worden sein.

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Auch andere Oppositionsparteien im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern reagierten auf die Cicero-Enthüllungen mit Fassungslosigkeit und Empörung. So äußerte der CDU-Fraktionsvorsitzende Franz-Robert Liskow, mit dem Vorgang um verbrannte Steuererklärungen sei in Mecklenburg-Vorpommern „erneut ein politischer Tiefpunkt erreicht“ worden. Dass Finanzminister Geue versuche, „das Vernichten von Steuerunterlagen gewissermaßen als bedauerliche Tat einer nachrangigen Beamtin herunterzuspielen, ist einfach nur unverschämt“. Liskow bezweifelt zudem, dass das Finanzministerium auf das Finanzamt keinen Druck ausgeübt habe: „Wäre es wirklich so, wie Herr Geue behauptet, dann hätte die Mitarbeiterin nicht voller Panik die Unterlagen verbrannt, statt ihren Fehler einfach einzuräumen. Ich kann mir die Tat der Beamtin nur so erklären, dass der Druck, den das Finanzministerium auf das Finanzamt ausgeübt hat, gewaltig gewesen sein muss.“

Erst aus den Medien von dem Fall erfahren

Darüber hinaus zeigte Liskow sich erstaunt darüber, von dem Fall erst aus den Medien erfahren zu haben. Er hätte erwartet, dass die Justizministerin über einen solchen Vorgang von sich aus und unaufgefordert dem Rechtsausschuss berichtet. „Dass Frau Bernhardt dies nicht getan hat, ist ein neuerlicher Beleg dafür, dass es der Landesregierung an einem Problembewusstsein und im Übrigen an jeglichem Aufklärungswillen mangelt. Dass die sogenannte Klimaschutzstiftung ein Jahr nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine nach wie vor weitgehend ungestört ihrer Arbeit nachgeht, ist zudem ein Indiz dafür, dass Frau Schwesig bis heute keinerlei individuelles Fehlverhalten zu erkennen vermag.“

Der FDP-Fraktionsvorsitzende im Landtag, René Domke, reagierte ebenfalls mit einer harschen Stellungnahme auf die neusten Entwicklungen rund um die Stiftung. Er habe ohnehin nicht so recht an die Geschichte einer zweimal verloren gegangenen Steuererklärung glauben können. „Nun stellt sich heraus, dass die Erklärung von einer Beamtin vernichtet wurde.“ Das wirft Domke zufolge, der auch Mitglied im entsprechenden Untersuchungsausschuss ist, dringende Fragen auf: „Welches Motiv kann eine Beamtin haben? War es politisch zu heikel?“ Der Untersuchungsausschuss werde eine Menge aufzuarbeiten haben, das Vertrauen in das Verwaltungshandeln könne das Gremium nicht wiederherstellen. „Hier muss nun Aufklärungsarbeit betrieben werden, und zwar von ganz oben angefangen – bei der Staatskanzlei und der Ministerpräsidentin!“

Trifft es den Finanzminister?

Ob sich aus dem Fall politische oder personelle Konsequenzen ergeben, wird sich zeigen. Treffen könnte es jedenfalls Justizministerin Bernhardt und Finanzminister Geue, weil sie von der Aktenverbrennung seit Mai 2022 wissen, dies aber nicht transparent gemacht haben. Heiko Geue muss sich als Finanzminister zudem die Frage gefallen lassen, warum unter seiner Ägide ein solches Behördenversagen vonstatten gehen konnte. Manuela Schwesig und ihrer Landesregierung stehen unruhige Zeiten bevor.

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