Olaf Scholz und die manipulierte Aufklärung - Ein U-Boot für den Cum-Ex-Kanzler

Am 19. August muss Olaf Scholz ein zweites Mal vor dem Cum-Ex-Ausschuss in Hamburg aussagen. Die Ausgangslage ist bizarr: Für die Vorbereitung der Zeugenvernehmung ist ein ehemaliger Scholz-Mitarbeiter aus dem Finanzministerium verantwortlich. Dieser Mitarbeiter war an einer Gesetzesänderung beteiligt, die still und heimlich die Transparenz in der Cum-Ex-Aufklärung einschränkt.

Scholz’ einstiger Fachmann für Geheimhaltung, der an einer Erschwerung der Cum-Ex-Aufklärung mitgefeilt hat, soll die Cum-Ex-Verstrickung seines Ex-Chefs aufklären / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Ulrich Thiele ist Politik-Redakteur bei Business Insider Deutschland. Auf Twitter ist er als @ul_thi zu finden. Threema-ID: 82PEBDW9

So erreichen Sie Ulrich Thiele:

Anzeige

Freitag, 12. März 2021. Der erste Eklat erschüttert den Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) „Cum-Ex-Steuergeldaffäre“ in Hamburg. Dabei hat das Gremium seine Arbeit noch gar nicht richtig aufgenommen. Es ist die vierte Sitzung, Zeugen wurden bisher nicht vernommen, nicht einmal die notwendigen Unterlagen für die Aufarbeitung liegen vor. Der Senat blockiert die Herausgabe seit Wochen.

Im Zentrum steht jener Skandal, der Olaf Scholz seit seiner Zeit als Erster Bürgermeister in Hamburg verfolgt. Es geht um die Frage, warum Hamburgs Behörden der Privatbank M.M. Warburg & CO die Rückzahlung ergaunerter Cum-Ex-Millionen erlassen wollten und ob dies mit aktiver Billigung des heutigen Bundeskanzlers passiert ist.

 

Lesen Sie hier die Titelgeschichte der Cicero-Märzausgabe 2022, in der Oliver Schröm und Ulrich Thiele ausführlich Olaf Scholz' Verstrickung in den Cum-Ex-Skandal dokumentieren: „Wer verschweigt, hat etwas zu verbergen“







Eine Personalie sorgt für Unmut in der Opposition. Carsten Ernst, seit dem 1. März stellvertretender Leiter des PUA-Arbeitsstabs, steht unter Verdacht, ein U-Boot im Dienste des Hauptverdächtigen zu sein oder mindestens in einem Interessenkonflikt zu stehen.

Ein alter Bekannter von Wolfgang Schmidt

Der zwölfköpfige Arbeitsstab arbeitet den Abgeordneten zu, bereitet Sitzungen vor und nach, lädt Zeugen, fordert Akten bei Senat und Gerichten an und erstellt die Fragenkataloge für die Zeugenvernehmungen. Somit ist Ernst auch an der Vorbereitung der ersten Vernehmung von Olaf Scholz am 30. April 2021 beteiligt. Pikant ist deshalb, dass Ernst, der für den PUA von Berlin nach Hamburg abgeordnet ist, selbst seit 2004 im Bundesministerium für Finanzen (BMF) tätig ist – zuletzt als Regierungsdirektor in der Abteilung 1, die in den Zuständigkeitsbereich von Wolfgang Schmidt, Olaf Scholz’ Staatssekretär, fällt.

Was die Opposition nicht weiß: Ernst, der im Ministerium lange Fachmann für Geheimhaltungsfragen in Steuerangelegenheiten war, soll laut BMF-Insidern zur sogenannten Betriebskampfgruppe gehören, dem informellen Freundeskreis der SPD-Mitglieder im BMF, und ist ein alter Bekannter von Wolfgang Schmidt. Doch dazu später mehr.

Auch so ist die Situation bizarr: Das Finanzministerium stellt einen Beamten für den PUA ab, der dort im Arbeitsstab über die Verstrickung seines obersten Dienstherrn aufklären soll.

Empörungstheater der SPD

Die SPD verschweigt Ernsts Hintergrund, erst durch den Hinweis eines Journalisten erfährt die Opposition von seiner Vorgeschichte. Die fühlt sich getäuscht und stellt einen Antrag wegen der „Besorgnis der Befangenheit“. Er sei sich „nicht so ganz sicher, ob Herr Ernst wirklich die richtige Person dafür ist“, sagt der Linken-Abgeordnete Norbert Hackbusch zu Beginn der Sitzung im Festsaal des Hamburger Rathauses.
 

Weitere Artikel über Olaf Scholz und Cum-Ex:


Die SPD-Abgeordneten geben sich empört. „Ich finde es unter aller Kanone, sie schießen wirklich den Vogel ab“, poltert Milan Pein, der Obmann der SPD. Der PUA-Vorsitzende Mathias Petersen (SPD) schließt sich den Vorwürfen an. Hackbusch greife einen parteilosen Beamten an, sagt er. „Das finde ich unanständig, und das, finde ich, geht überhaupt nicht. Wie man menschlich so mit jemandem umgehen kann in der öffentlichen Sitzung, ihm Unterstellungen zu machen, ohne dass einmal hinterfragt zu haben.“

Der Leiter des Arbeitsstabes ist Claudio Kirch-Heim. Er sagt über seinen Stellvertreter: „Er war nicht in einem Bereich tätig, der in irgendeiner Weise sachlich mit den Themen zusammenhängt, die hier im Ausschuss besprochen werden.“

Doch das stimmt nicht, Kirch-Heim sagt die Unwahrheit. Eine weitere Vorgeschichte Ernsts kommt in dieser Sitzung nicht zur Sprache. Der Bundesbeamte war im BMF eine Zeitlang im Bereich Informationsfreiheitsgesetz (IFG) tätig. Dort war er in eine Gesetzesänderung eingebunden, die die Transparenz in der Cum-Ex-Aufklärung stark einschränkt.

Scholz’ Mann für Geheimhaltung soll aufklären

Das Informationsfreiheitsgesetz ist ein wichtiges Transparenz-Instrument zur demokratischen Kontrolle der Regierung: Journalisten, Abgeordnete und Bürger können mithilfe eines IFG-Antrags Zugang zu amtlichen Dokumenten bekommen und so Einblicke in die Behördenarbeit erhalten. Ein Beispiel zur Verdeutlichung: Dass im Jahr 2022 so viele Details über die Gazprom-Verstrickung der sogenannten Klimastiftung in Mecklenburg-Vorpommern öffentlich geworden sind, hat auch damit zu tun, dass Manuela Schwesigs Staatskanzlei nach IFG-Anfragen ihren Mailverkehr herausgeben musste.

Carsten Ernst gehört bis heute dem PUA-Arbeitsstab an. Kommende Woche, am 19. August 2022, muss Olaf Scholz ein zweites Mal vor dem Ausschuss aussagen. Der derzeitige Arbeitsstableiter Kirch-Heim ist seit dem 22. Juli in Elternzeit, sein Nachfolger tritt erst am 15. August an. In diesen drei Wochen übernimmt Ernst den Posten kommissarisch federführend.

Zusammengefasst: Scholz’ einstiger Fachmann für Geheimhaltungsfragen, der an einer Erschwerung der Cum-Ex-Aufklärung mitgefeilt hat, soll die Cum-Ex-Verstrickung seines Ex-Chefs aufklären.

Intransparenz durch die Hintertür

%paywall%

Ende 2019 verabschiedete der Bundestag nach einem Entwurf des Bundesfinanzministeriums ein Jahressteuergesetz unter anderem Namen: Das „Gesetz zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften“ (kurz: Elektromobilitätsgesetz) soll Steuervergünstigungen für Elektromobilität bewirken. Doch in den Paragrafen versteckt sich eine Einschränkung der Transparenzpflicht, die auf den ersten Blick nicht sichtbar ist.

Ein Absatz im Finanzverwaltungsgesetz (FVG) regelt die Sitzungen zwischen Bundes- und Landesfinanzbehörden. Die Beamten aus Scholz’ Finanzministerium hatten dem Paragrafen zwei Absätze hinzugefügt: „Die Vertraulichkeit der Sitzungen ist zu wahren, wenn nicht im Einzelfall einstimmig etwas anderes beschlossen wurde. Für Beratungen im schriftlichen Verfahren gilt entsprechendes.“

Diese zwei harmlos anmutenden Sätze haben erhebliche Folgen: Sie sorgen dafür, dass das Finanzverwaltungsgesetz zukünftig Bereichsausnahmen für das Informationsfreiheitsgesetz schafft. Beratungen zwischen den Finanzbehörden der Länder und dem BMF sind dadurch vom Informationsfreiheitsgesetz ausgenommen, die Herausgabe diesbezüglicher Dokumente kann Journalisten oder anderen interessierten Bürgern oder Abgeordneten fortan verweigert werden. Das gilt auch für Besprechungen zum Cum-Ex-Skandal. Einen Verweis auf diese Auswirkungen findet man in der Gesetzesbegründung nicht – sie wird durch die Hintertür eingeführt.

„Argumentationshilfe“ bei unangenehmen Anfragen

Im internen Mailverkehr des Finanzministeriums lassen sich die ersten Schritte der Gesetzesänderung auf April 2018 datieren. Scholz ist zu diesem Zeitpunkt seit wenigen Wochen Finanzminister. Er leitet nun jenes Ministerium, dass seiner Stadt Hamburg wenige Monate zuvor, im November 2017, eine Weisung erteilen musste, damit die Hamburger Behörden die ergaunerten Cum-Ex-Gelder von Warburg zurückfordern. Weil Hamburgs Behörden sich selbst danach noch weigerten, erteilte das Finanzministerium sogar ein zweite Weisung. Allein schon die erste Weisung war ein historisch höchst seltener Vorgang, normalerweise mischt der Bund sich nicht derartig in Länderangelegenheiten ein. Von der zweiten Weisung wissen bis heute die Wenigsten. Cicero machte die Info in der diesjährigen März-Ausgabe erstmals öffentlich, allerdings ging sie in der Öffentlichkeit aufgrund des Krieges in der Ukraine weitgehend unter.

Wenige Monate nach seiner Amtseinführung schickt Scholz den Spitzenbeamten Michael Sell in den einstweiligen Ruhestand. Sell hatte die Weisung des BMF an die Hamburger Behörden angeordnet. Später im Hamburger Untersuchungsausschuss darauf angesprochen, ob er einen Zusammenhang sehe, antwortet Sell, er habe das Gerücht gehört, er sei „nicht aus fachlichen Gründen“ in den Ruhestand geschickt worden.

Anfang Oktober erscheint im Ch. Links Verlag ein Enthüllungsbuch, das sich ausführlich mit Olaf Scholz und der Cum-Ex-Aufklärung auseinandersetzt: „Die Akte Scholz“ von Oliver Schröm und Oliver Hollenstein.


Anfang April 2018, kurz nach Scholz’ Amtsantritt, bringt das IFG-Referat des Finanzministeriums jene Gesetzesänderung auf den Weg, die auch Dokumente und Informationen über die Kommunikation zwischen dem BMF und der Hamburger Finanzbehörde im November 2017 betreffen wird. Korrelation ist nicht Kausalität. In diesem Fall veranschaulicht die Korrelation aber das Ausmaß der Compliance-Problematik, in der die Personalie Carsten Ernst steckt.

„Ein geeigneter Vorschlag“

Am 13. April 2018 schickt eine BMF-Mitarbeiterin eine E-Mail an Dr. Michael K., den Leiter des Referats V B 5, das für IFG-Themen zuständig und in dem auch Carsten Ernst tätig ist. Darin übermittelt sie K. eine Geschäftsordnung als „Argumentationshilfe“, wie das Nichtherausgeben von Bund-Länder-Dokumenten bei IFG-Anfragen begründet werden kann. Als Rechtsgrundlage nennt sie § 21a des Finanzverwaltungsgesetzes (FVG).

K. leitet die Mail an seine Mitarbeiter im Referat V B 5 weiter – darunter Carsten Ernst. Die Mail solle zur Kenntnis genommen werden „zur Vorbereitung einer Abstimmung mit Referat IV (…) im Hinblick auf das zukünftige Vorgehen. Mit Bezug auf die Erörterungen zwischen Frau Weber, Herrn Ernst, Herrn Mitteldorf und mir vom 17.04.2018“.

Sieben Monate später, im November 2018, schreibt K., dass die Geschäftsordnung mit Verweis auf §21a FVG einem IFG-Prozess vermutlich nicht standhalten würde. „Bisher wurde die Vertraulichkeit von Dokumenten und Informationen, die die Bund/Ländergremien zum Steuerrecht betrafen, bei der Bearbeitung von IFG-Anträgen berücksichtigt, bisher ist es dazu noch zu keinem Gerichtsverfahren gekommen. Ob die Geschäftsordnung in dieser Form vor einen Verwaltungsgericht Bestand hätte, ist jedoch zweifelhaft.“ Er und sein Referat V B 5 wollen der für eine Gesetzesänderung zuständigen Abteilung V B 4 deswegen „einen Vorschlag […] unterbreiten, der geeigneter wäre, die Vertraulichkeit der Informationen aus den Bund-/Ländergremien zu wahren“. Carsten Ernst ist mittlerweile in einer anderen Abteilung im BMF aktiv, die Gesetzesänderung wird fortan ohne sein Beisein vorangetrieben.

Am 4. Dezember 2019, als das Gesetz bereits verabschiedet ist, werden die Auswirkungen durch einen Bericht der Transparenzplattform netzpolitik.org öffentlich. Der Journalist Arne Semsrott schreibt von einer „Gesetzesänderung durch die Hintertür“, mit der der Bundestag eine „Cum-Ex-Ausnahme von Informationsfreiheit“ schaffe. Man habe mit der Gesetzesänderung nur eine ohnehin bestehende Bereichsausnahme für die Bund-Länder-Besprechungen fester gemacht, lautet die Rechtfertigung des BMF im Kern.

Der Unterschied zwischen Theorie und Praxis

„Die Praxis spricht eine andere Sprache“, sagt Martin Modlinger im Gespräch mit Cicero. Modlinger ist Vorstand bei der Stiftung Erneuerbare Freiheit. Im Mai 2019 hat er per IFG-Anfragen bei sämtlichen Landesfinanzbehörden Einsicht in die Akten zum Umgang mit Cum-Ex-Fällen beantragt. Alle Finanzministerien, auch Hamburgs Finanzbehörde, antworteten entweder gar nicht oder lehnten die Anträge ab. Bund und Länder müssten sich darauf verlassen können, dass die Protokolle zu Cum-Ex-Beratungen geheim bleiben, so die Begründung.

Modlinger klagte im Juli 2019 gegen die Ablehnung aus Bremen, weil er dort „das vielversprechendste Informationsfreiheitsgesetz“ sah, wie er sagt. Im November 2019 wurde das Elektromobilitätsgesetz vom Bundestag verabschiedet. Das Verwaltungsgericht Bremen wies Modlingers Klage im Februar 2021 unter Verweis auf die beiden hinzugefügten Sätze aus § 21a Abs. 1 rückwirkend ab. Das Vorhaben des Finanzministeriums, die Gesetzeslage so zu ändern, dass IFG-Anfragen zu Bund-Länder-Dokumenten auch bei einem Gang vor das Verwaltungsgericht abgelehnt werden, ist also aufgegangen. „Eigentlich hatte selbst nach interner Auffassung der Finanzbehörden vor dem §21a eine Auskunftspflicht bestanden. Dies wurde aber so lange gegen besseres eigenes Wissen abgewehrt, bis mit der Ergänzung von §21a nachträglich eine faktische Bereichsausnahme geschaffen werden konnte, die Transparenz dauerhaft verhindert“, sagt Modlinger.

Das Gericht wies nicht nur den Antrag auf Dokumente aus den Bund-Länder-Sitzungen ab, sondern folgte der Auffassung der Bremer Finanzverwaltung und stufte auch die interne Kommunikation der Landesfinanzbehörden vor und nach den Bund-Länder-Sitzungen als vertraulich ein. De facto werden also sämtliche Cum-Ex betreffenden Bund-Länder-Dokumente nicht herausgegeben. Auch jene, die Hamburg betreffen.

Vergangenes Jahr legte Modlinger Berufung gegen die Entscheidung ein. Der Fall liegt seitdem still. „Justiz und Behörden haben offensichtlich kein Interesse an der Aufklärung von Cum-Ex“, sagt Modlinger.

Carsten Ernst als Zeuge im Ausschuss

In der PUA-Sitzung am 12. März 2021 muss Carsten Ernst in den Zeugenstand. Norbert Hackbusch von den Linken will ihn befragen. Schließlich soll ausgerechnet Scholz’ Mitarbeiter gegen seinen eigenen Chef ermitteln. Ernst, ein großer, schlaksiger Mann mit braunem Haar, wirkt nervös, als er auf dem Zeugenstuhl Platz nimmt und in einer Eingangsrede seinen beruflichen Werdegang skizziert. Von Beruf Jurist, seit 2001 Beamter in der Bundesfinanzverwaltung, angefangen in der Oberfinanzdirektion Hamburg in der Zoll- und Verbrauchssteuerabteilung. Im Finanzministerium unter anderem im Bereich Finanzverfassung und Staatsorganisationsrecht sowie im Bereich Informationsfreiheitsgesetz tätig.

Hackbusch möchte wissen, ob Ernst „irgendwelche Beziehungen“ mit Olaf Scholz und Wolfgang Schmidt hatte. „Herr Bundesminister Scholz ist Leiter des Ressorts, insofern ist er, wenn Sie so wollen, mein Behördenchef“, sagt Ernst. 2020 sei er innerhalb des BMF für die Vorbereitung einer europaweiten Ausschreibung zuständig gewesen, „dort war in der Entscheidungskette zum Schluss auch Herr Staatssekretär Wolfgang Schmidt zuständig“.

Was zu diesem Zeitpunkt keiner weiß

Ernst und Schmidt kennen sich schon länger. Ernst ist laut Cicero-Informationen ein Verwandter des früheren SPD-Generalssekretärs Klaus Uwe Benneter, bei dem Schmidt seine Laufbahn begann. Benneter hatte auch einmal Schmidt gebeten, für Ernst einen Kontakt zur Hamburger Verwaltung herzustellen, als Schmidt noch Beauftragter der Hansestadt war. Zudem gehört Ernst laut BMF-Insidern im Ministerium zur sogenannten Betriebskampfgruppe, dem informellen Freundeskreis der SPD-Mitglieder im BMF (obwohl er laut PUA-Leiter Mathias Petersens Aussage angeblich parteilos ist).

Hackbusch weiß davon nichts. Aber ihm will nicht in den Kopf, dass Ernst von seinem Arbeitgeber an den PUA abgeordnet wurde, um dort das Verhalten seines obersten Dienstherrn in der Causa Warburg zu untersuchen. Hackbusch fragt nach: Ob Ernst in Vorbereitung auf seine Tätigkeit im Arbeitsstab entweder mit Olaf Scholz oder Wolfgang Schmidt gesprochen habe? Ernst: „Es gab weder mit Herrn Bundesminister Scholz noch mit Herrn Staatssekretär Wolfgang Schmidt Gespräche im Zusammenhang mit meiner Tätigkeit hier.“ Der Antrag der Opposition auf Befangenheit verpufft.

Carsten Ernsts Einbindung in die Gesetzesänderung kommt in diesen Tagen nicht zur Sprache.

Anfragen bleiben unbeantwortet

Mitglieder des Arbeitsstabs berichten, Ernst sei undurchsichtig und isoliert und werde als Aufpasser empfunden, der starken Einfluss nimmt und die Arbeit des Stabs verkompliziert und blockiert. Zwischen Weihnachten und Neujahr, als er offiziell Urlaub hatte, sei er in den Räumen des Arbeitsstabes hinter einem Berg von Akten „erwischt“ worden.

Am 1. Juli 2022 spricht Cicero Ernst auf der Pressetribüne während einer PUA-Sitzung auf seine Einbindung in die Gesetzesänderung an. Der Beamte blockt ab. Man solle eine offizielle Anfrage stellen. Als wir weiter nachfragen, geht er weg und kommt mit einer Mitarbeiterin der Bürgerschaft zurück, die eine Mahnung ausspricht. Wir schreiben noch im PUA eine offizielle Anfrage und geben Ernst beim Verlassen der Sitzung darüber Bescheid. Ernst beantwortet die Anfrage nicht. Auch eine weitere Anfrage mit Fragebogen, der ihm die Möglichkeit gibt, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen, lässt er unbeantwortet.

Auch Michael K., Ernsts ehemaliger Chef im IFG-Referat, der mittlerweile nicht mehr im Finanzministerium tätig ist, blockt eine Cicero-Anfrage unwirsch ab. Nach mehreren Wochen, in denen wir erfolglos versuchten, ihn zu erreichen, und unsere Anfrage auf dem Anrufbeantworter hinterließen, erreichen wir ihn endlich am 27. Juni 2022. K. unterbricht den Journalisten, der gerade den Sachverhalt erklären will. Er habe die Anfrage auf dem Anrufbeantworter gehört, wolle aber nicht darüber reden, sagt er und legt auf.

Rot-Grün duckt sich weg

Dasselbe Szenario bei den Abgeordneten der rot-grünen Koalition. Cicero wollte wissen: Ob man der Auffassung sei, dass Ernst durch seine Beteiligung an der Gesetzesänderung befangen ist? Ob die Verantwortlichen im PUA und in der Bürgerschaft darauf hingewiesen wurden? Wie man angesichts der Gesetzesänderung zur Äußerung des Arbeitsstableiters, Claudio Kirch-Heim, steht, laut dem Ernst im BMF „nicht in einem Bereich tätig“ gewesen sei, „der in irgendeiner Weise sachlich mit den Themen zusammenhängt, die hier im Ausschuss besprochen werden“? Ob man der Auffassung sei, dass Ernst die richtige Person ist, um den Arbeitsstab vor der Scholz-Befragung kommissarisch zu leiten?

Die Pressestelle der Bürgerschaft verweist auf das BMF und auf den PUA-Vorsitzenden Mathias Petersen (SPD). Das BMF möchte sich nicht zu einzelnen Mitarbeitern äußern. Arbeitsstableiter Claudio Kirch-Heim möchte sich ebenfalls nicht zu einzelnen Mitarbeitern äußern und verweist auf Mathias Petersen. Der möchte sich ebenfalls nicht zu einzelnen Mitarbeitern äußern und verweist auf Milan Pein, den Obmann der SPD. Milan Pein lässt die Anfrage unbeantwortet, ebenso wie Farid Müller von den Grünen.

Nicht die erste Groteske in Hamburg

Während Rot-Grün den Kopf einzieht, findet die Opposition klare Worte. Ja, Ernst sei seiner Auffassung nach befangen, sagt der Linken-Politiker Norbert Hackbusch. Nein, er wurde nicht über Ernsts Einbindung in die Gesetzesänderung informiert. „Mir war lediglich bewusst, dass er aus dem Bundesministerium kommt und damit sein [damals] vorgesetzter Minister im Zentrum des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses stand.“

Noch einmal: Scholz’ einstiger Fachmann für Geheimhaltungsfragen, der an einer Erschwerung der Cum-Ex-Aufklärung mitgefeilt hat, soll die Cum-Ex-Verstrickung seines Ex-Chefs aufklären.

Eine solche Groteske ist keine Ausnahme für die Verhältnisse im Hamburger Untersuchungsausschuss. 2016 erhielt der Wahlkreis des in den Skandal verstrickten Johannes Kahrs Spenden von der Warburg-Bank – mutmaßlich als Dankeschön. Kahrs hatte den Warburg-Chefs ein Gespräch mit Scholz vermittelt, nach dem der Bank eine Rückforderung der Cum-Ex-Gelder erlassen wurde. Der heutige PUA-Vorsitzende Mathias Petersen und der SPD-Obmann Milan Pein saßen damals in dem Gremium, das über die Annahmen von Parteispenden entschied. Das Gremium hatte kein Problem damit, Spenden von jener Bank anzunehmen, gegen die wegen Cum-Ex-Geschäften ermittelt wurde. Die Warburg-Spende ist Gegenstand im PUA. Bedeutet: Petersen und Pein müssen sich quasi über ihre eigene Rolle in der Spenden-Affäre aufklären.

Anzeige