Nationale Sicherheitsstrategie - Baerbock: „Sicherheit ist nicht nur die Abwesenheit von Krieg“

Die Ampelregierung hat sich vorgenommen, bis Jahresende eine Nationale Sicherheitsstrategie zu entwickeln. Ein guter Schachzug dabei ist, dass dafür nicht nur das Parlament, Experten und internationale Partner eingebunden werden, sondern auch die sogenannte Zivilgesellschaft. Dafür reiste Bundesaußenministerin Annalena Baerbock mehrere Tage durch Deutschland, um sich dem Dialog mit den Menschen im Land zu stellen. Die letzte Etappe ihrer Deutschlandreise führte sie ins Amerika-Haus in München.

„Wir alle sind als Demokratien in einem Entwicklungsprozess“: Annalena Baerbock beim Bürgerdialog im Amerika-Haus in München / dpa
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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Über 4000 Kilometer mit dem Bus liegen nach acht Tagen Deutschlandreise hinter Außenministerin Annalena Baerbock, als sie am Freitag, 22. Juli, den letzten Termin ihrer Tour durchs Land im Amerika-Haus in München antritt. Draußen auf dem Karolinenplatz – im Prinzip ein oppulenter Kreisverkehr nur einen Steinwurf vom Königsplatz entfernt –, stehen einige hundert Menschen, die für mehr Unterstützung für die Ukraine, also für mehr Waffenlieferungen protestieren. Eine Frau hält ein Schild in die Höhe: „Stop Putin and his Hunger Games“ steht darauf. Dann hallt ein lautes „Slawa Ukrajini!“ (Ruhm der Ukraine) zwischen den Gebäuden wider und ein „Danke Deutschland!“.

Eine deutlich kleinere Gruppe steht währenddessen vor dem Amerika-Haus gegenüber des Karolinenplatzes, abgeschirmt von einer Handvoll Polizisten. „Frieden schaffen, ohne Waffen!“, finden diese Demonstranten. Eine Frau hat eine Antifa-Flagge dabei und schwenkt sie über den Köpfen ihrer Mitstreiter. Sie ist gegen mehr Waffenlieferungen an die Ukraine. Auf dem Karolinenplatz tritt derweil ein Mann ans Mikrofon, der erzählt, dass er ein Linker sei, aber auch ein Realist. Er ist deshalb für mehr Waffenlieferungen. Und so wird an diesem Freitagabend im Juli jeder, der ins Amerika-Haus gekommen ist, um zu hören, was die Außenministerin zu sagen hat, schon vor Einlass in die richtige Stimmung versetzt.

Vox Populi soll gehörten werden

Die Bundesregierung will bis Ende des Jahres eine Nationale Sicherheitsstrategie entwickeln. Deshalb war die Außenministerin in den vergangenen Tagen, kurz vor der Sommerpause, auf Deutschlandreise, um nicht nur internationale Partner, das Parlament und Experten in die Entwicklung einer solchen einzubinden, sondern auch den ganz normalen Bürger, der sich derzeit redlich bemühen muss, irgendwo zwischen der Furcht vor der nächsten Heizkostenabrechnung und der Angst vor einer nuklearen Antwort aus dem Kreml nicht zu verzweifeln. Die Krisen überlagern sich. Da kann es freilich nicht schaden, als Bundesregierung auf die Menschen zuzugehen.

Dass die Bundesregierung das in Person von Annalena Baerbock nun getan hat, darf also auch als kluger Schachzug im Sinne der Öffentlichkeitsarbeit der Ampelregierung verstanden werden. Vox Populi soll gehört werden oder zumindest so getan werden als ob. Dafür hat man sich in Berlin zweierlei erdacht: Zum einen wurden in den vergangenen Wochen zufällig ausgewählte Bürger angeschrieben, die sich als Arbeitsgruppen zum Gedankentaustausch zusammenfinden sollten, um ihre Ergebnisse dann im Beisein der Außenministerin und Gästen zu präsentieren. Nicht nur in München, sondern auch anderswo im Land. Außerdem bekamen Zuhörer, die nicht Teil dieser Arbeitsgruppen waren, die Möglichkeit, sich mit einer Frage an Baerbock zu wenden.

Die Außenministerin trat nach etwas Vorgeplänkel und den üblichen Danksagungen durch Michael Scharfschwerdt, unter anderem Leiter des Arbeitsstabs Nationale Sicherheitsstrategie, vor die versammelten Gäste im Amerika-Haus. Als Kulisse waren Stehtische gewählt, drumherum die Zuhörer platziert worden. Scharfschwerdt führte als Moderator durch den Abend, womit kritische Nachfragen von vornherein ausgeschlossen waren. Aber das war, so viel Fairness darf sein, ja auch nicht der Sinn dieser Veranstaltungsreihe, sondern die Bürgernähe; eine Außenministerin (fast) zum Anfassen, die keine kritischen Pressefragen, sondern interessierte Bürgerfragen beantworten wollte.

Tête-à-Tête zum Wohlfühlen

In der Zeit seit dem 24. Februar, also seit dem russischen Überfall auf die Ukraine, habe man auf dramatische Art und Weise feststellen müssen, dass es keine Selbstverständlichkeit sei, in Frieden aufzuwachsen, so Baerbock in ihrer Begrüßungsrede. Sie sei gekommen, um zu „horchen“: „Was brauchen Sie, damit Sie sich sicher fühlen? Was, glauben Sie, sind die entscheidenden Beiträge, damit Ihr Enkelkind auch noch in Deutschland, in Europa, auf dieser Welt sicher leben kann?“ Denn: „Sicherheit ist nicht nur die Abwesenheit von Krieg.“ Sicherheitspolitik, so die Außenministerin, sei auch, dass man in einem Land lebe, wo man seine Meinung frei sagen könne, ein Land, in dem politische Lösungen für die Klimakrise, den Umweltschutz, Ernährungssicherheit und anderes gefunden werden.

 

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Der Außenministerin eilt bekanntlich der wenig schmeichelhafte Ruf voraus, nicht die allerbeste Rednerin zu sein, sich zu oft zu verhaspeln oder mitunter ein bisschen gehetzt und deshalb fahrig zu wirken. Doch im Tête-à-Tête mit den einfachen Leuten schien sie sich an diesem Abend sichtlich wohl zu fühlen. Obgleich man ihr die Strapazen freilich anmerkte, die mit einer solchen Tour und, wie Scharfschwerdt betonte, 22 Terminen in acht Tagen einhergen. Aber besondere Zeiten erfordern eben besondere Maßnahmen, auch über das Tagesgeschäft hinaus.

Was sich zudem anmerken lässt, ist, dass die jeweiligen Arbeitsgruppen einen soliden Job gemacht und auch Widersprüche herausgearbeitet hatten, die mit Blick auf die Welt, wie sie ist, zwangsläufig auftreten. Die Ambivalenz zum Beispiel zwischen der von der Bundesregierung im Koalitionsvertrag festgeschriebenen wertegeleiteten Außenpolitik hier und den unterschiedlichen Vorstellungen von Demokratie und Freiheit dort; mit Blick auf unter anderem Ungarn auch innerhalb der Europäischen Union. Baerbock sagte: „Wir alle sind als Demokratien in einem Entwicklungsprozess.“ Dennoch brauche Deutschland eine „gewisse Souveräntität“ in seinen internationalen Beziehungen, um sich nicht „erpressbar“ zu machen. 

Angenehm vielfältige Publikumsstimmen

In der anschließenden Fragerunde meldeten sich dann angenehm vielfältige Stimmen zu Wort. Darunter ein Landwirt, der die großen bürokratischen Hürden bei Hilfslieferungen in die Ukraine beklagte. Baerbock versprach, sich das genauer anzusehen. Eine junge Psychologie-Studentin, die kritisierte, dass es in Deutschland zu schwer sei, einen Therapieplatz zu bekommen. Baerbock räumte ein, dass die Finanzierung des Gesundheitssystems eben eine große Herausforderung sei. Und ein Mann, der wissen wollte, wie Deutschland und seine Verbündeten in die Lage versetzt werden könnten, eine solide Antwort auf die große Abhängigkeit der restlichen Nato-Staaten von der USA zu finden.

Schließlich könne sich, so der Fragesteller weiter, bei der nächsten US-Wahl der Wind wieder drehen und die Amerikaner sich erneut, wie unter Trump, von der Nato ab- und anderen Regionen der Welt als dem Westen zuwenden. Baerbock antwortete, dass das 100-Milliarden-Euro-Paket für die Bundeswehr eine erste richtige Antwort sei. „Wir müssen in unsere eigenen Fähigkeiten, in unsere Wehrhaftigkeit investieren“, so die Außenministerin. Europa müsse in der Lage sein, für die eigene Sicherheit zu sorgen. Und mit Blick auf Länder wie Russland oder China sagte sie: „Wir müssen diese Allianz von Ländern, die an eine internationale, regelbasierte Ordnung glauben, weiter zusammenzuhalten.“

Menschen stäker einbinden

Nein, diese letzte Etappe von Baerbocks Deutschlandreise unter dem Motto „Sicher leben“ war keine mit großem Erkenntnisgewinn. Als Beobachter hätte man sich überdies gewünscht, dass die Organisatoren noch etwas mehr Zeit für Fragen aus dem Publikum eingeplant hätten. Denn während die Veranstaltung im Amerika-Haus pünktlich um 20 Uhr und vergleichsweise ruhig begonnen hatte, endete sie abrupt um 21.21 Uhr. Gleichwohl, lässt sich festhalten, ist der Gedanke erstmal richtig, die Menschen in Zeiten wie diesen stärker in politische Prozesse und Entscheidungsfindungen einzubinden. Ansonsten gilt: Gut, dass man jetzt mal gesprochen hat.

 

Hören Sie hierzu auch den Cicero-Podcast mit Guido Steinberg (hier finden Sie die Links zu Spotify und Co) über Geopolitik: „Wir haben das strategische Denken verlernt.“

 

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