Merkels Atomausstieg - Union und FDP machten 2011 mit

Das Aus der letzten drei Atommeiler gehört zum Erbe der Ära Merkel. Die Ausstiegsbeschlüsse von Schwarz-Gelb waren 2011 vor allem parteipolitisch motiviert. Und nur sieben Abgeordnete von Union und FDP hatten den Mut, damals nein zu sagen.

Bereits im Dezember 2021 stillgelegt: Atomkraftwerk Grohnde in Niedersachsen / dpa
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Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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An diesem Samstag gehen die letzten drei KernkraftwerkeIsar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland – vom Netz. Damit wird vollendet, was die schwarz-gelbe Regierung Merkel/Westerwelle vor zwölf Jahren begonnen hat: der endgültige Ausstieg Deutschlands aus der Kernenergie. Das war eigentlich bereits für den 31. Dezember letzten Jahres vorgesehen. Der kleine zeitliche Aufschub ist der unsicheren Energieversorgung nach dem Ausfall russischer Gaslieferungen geschuldet.

Was die CDU/FDP-Koalition im Frühjahr 2011 in die Wege leitete, war keineswegs das Ergebnis nüchterner oder planvoller Überlegungen. Es war vielmehr ein Paradebeispiel dafür, wie eine Regierung aus parteipolitischen, geradezu opportunistischen Erwägungen ihre eigene Energiepolitik konterkarierte. Noch im Oktober 2010 hatten die Regierungsparteien CDU, CSU und FDP die Verlängerung der Laufzeiten der damals 17 AKWs beschlossen, um acht bis 14 Betriebsjahre. Es war der Ausstieg vom Ausstieg aus der rot-grünen Anti-Atom-Politik.

Der 11. März 2011 änderte alles. Da hatte ein Seebeben an der Pazifikküste Japans das AKW in Fukushima zerstört und einen Nuklearunfall ausgelöst. Doch war die Wahrscheinlichkeit, dass ein Tsunami deutsche Kraftwerke zerstören könnte, gleich Null. Dennoch gerieten die Deutschen in Panik – und mit ihnen die Regierenden. Kurz darauf standen nämlich Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt an. Die CDU fürchtete um ihre Regierungsmehrheiten in Stuttgart und Magdeburg, die FDP – wieder einmal – ums parlamentarische Überleben.

Nur fünf der 237 Unionsabgeordneten stimmten mit Nein

In den Medien herrschte geradezu eine Anti-Atom-Hysterie. In der Bevölkerung fiel diese – allen Umfragen zufolge – auf fruchtbaren Boden. Die Deutschen wollten raus aus der Kernkraft, und zwar ganz schnell und um jeden Preis. Die Regierung versuchte erst gar nicht, dagegenzuhalten. Vielmehr zogen Angela Merkel (CDU) und ihr Vizekanzler Guido Westerwelle (FDP) die Notbremse.

Schon am 14. März beschloss das Kabinett ein Moratorium für acht Kraftwerke. Am 6. Juni folgte das endgültige Aus für diese acht und ein Stufenplan für die Stilllegung der restlichen neun bis Ende 2022. Das entsprechende Gesetz, eingebracht von den Fraktionen von CDU/CSU und FDP, wurde am 30. Juni mit 513 zu 79 Stimmen beschlossen. Selbstverständlich stimmten auch die Grünen und die SPD dafür. Die Gegenstimmen kamen überwiegend aus den Reihen der Linken.

 

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In der CDU/CSU-Fraktion war, wie so häufig in Merkels Regierungszeit, der Unmut sehr groß – der Mut, sich gegen „Mutti“ aufzulehnen, aber sehr gering. Nur fünf der 237 Unionsabgeordneten stimmten mit Nein; bei der FDP wagten es zwei von 93. Dabei waren sich vor allem die Wirtschaftspolitiker beider Parteien einig, dass der fahrlässige Ausstieg aus der Kernkraft die Energieversorgung am Wirtschaftsstandort Deutschland nachteilig verändern würde – hin zu einer größeren Abhängigkeit von Energieimporten und zu steigenden Energiekosten. Genau so ist es auch gekommen.

Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine und dem Stopp russischer Gaslieferungen haben Union und FDP schnell auf eine deutliche Verlängerung der Laufzeiten bei den verbliebenen Kernkraftwerken gedrängt. All die Klagen über uneinsichtige Grüne und kernkraftkritische Sozialdemokraten stehen freilich im Widerspruch zur katastrophalen energiepolitischen Hinterlassenschaft Merkels – möglich geworden durch schwarz-gelben Opportunismus und fehlende Courage gegenüber der eigenen Kanzlerin.

CDU und FDP hat ihr panikartiger Atomausstieg nichts genützt

Abweichler machen sich in ihren Fraktionen nicht beliebt; für sie werden auch keine Gedenktafeln im Fraktionssaal angebracht. Aber jetzt, bei der Vollendung von Merkels Ausstiegswerk, verdienen sie erwähnt zu werden. Die Mutigen innerhalb der CDU/CSU-Fraktion waren Gitta Connemann (CDU), Rolf Koschorrek (CDU), Franz Obermeier (CSU), Michael Paul (CDU) und Armin Vaatz (CDU).

Als Einzige aus dieser Fünfergruppe gehört Connemann noch immer dem Bundestag an. Wenn sie als Vorsitzende der Wirtschafts- und Mittelstandsunion unverändert für Kernenergie eintritt, ist sie glaubwürdiger als manch anderer prominenter Fraktionskollege, der damals mit Ja stimmte.

Die zwei „Widerständler“ in der FDP waren Frank Schäffler und Reiner Stinner. Schäffler hat während der Eurokrise mit seiner Kritik am Rettungsschirm ebenfalls innerparteilich wider den Stachel gelöckt. Er kehrte 2017 wieder in den Bundestag zurück, nachdem die FDP 2013 an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert war. Stinner ist dagegen 2013 nicht mehr angetreten.
Es gab in den Koalitionsfraktionen zu wenig Mutige, um die jeweiligen Parteiführungen zu einem anderen Kurs zu bewegen.

Doch das parteipolitische Kalkül von Merkel und Westerwelle, mit dem Atomausstieg zu punkten, ging nicht auf. Die CDU musste in Baden-Württemberg in die Opposition. Die FDP flog in Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt aus den Parlamenten, in Baden-Württemberg aus der Regierung.

Die großen Gewinner waren 2011 die Grünen. Sie stellten in Stuttgart mit Winfried Kretschmann den ersten grünen Ministerpräsidenten. In Rheinland-Pfalz schafften sie die Rückkehr in den Landtag und den Sprung in die Regierung. Der CDU und der FDP hat also ihr panikartiger Atomausstieg nichts genützt. Die energiepolitischen Folgen dagegen werden lange zu spüren sein.

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