Löchrige Brandmauer - CDU-Kooperationen mit der Linken regen niemanden auf

Friedrich Merz löste jüngst eine heftige Diskussion über die Brandmauer seiner Partei zur AfD aus. Die Empörung fällt jedoch auffällig schwach aus, wenn die CDU mit den Linken kooperiert. Linke Radikale sind offenbar bessere Radikale als rechte.

Mit Bodo Ramelow kann jeder: Der Ministerpräsident von Thüringen (l.) mit Thomas Fühmann (CDU), Landrat des Saale-Orla Kreises / dpa
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Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Was die CDU im Dezember 2018 zur AfD wie zur Linken beschlossen hat, ist klar und eindeutig: „Die CDU Deutschlands lehnt Koalitionen und ähnliche Formen der Zusammenarbeit sowohl mit der Linkspartei als auch mit der Alternative für Deutschland ab.“ Doch wie im wahren Leben passen Theorie und Praxis nicht immer zusammen. 

Wie die Brandmauer-Diskussion in Bezug auf die AfD gezeigt hat, ist es im kommunalpolitischen Alltag oft gar nicht so einfach, sich von der Rechtsaußenpartei klar abzugrenzen. Bürgermeister und Landräte der CDU können gar nicht verhindern, dass AfD-Vertreter ihren Anträgen zustimmen. Auch kann der stellvertretende CDU-Landrat im thüringischen Sonneberg jetzt nicht die Arbeit einstellen, weil die Bürger dort einen AfD-Mann zum Landrat gewählt haben.

Schon bevor der CDU-Bundevorsitzende Friedrich Merz mit missverständlichen Äußerungen die Brandmauer zur AfD verbal zu durchlöchern drohte, wurde stets sehr sorgfältig registriert, ob CDU-Politiker irgendwo in einer Gemeinde oder gar in einem Landtag einem Antrag zugestimmt haben, der auch von der AfD unterstützt wurde. Da waren SPD, Grüne und Linke höchst aufmerksam – und die Bereitschaft der meisten Medien zur Empörung auch. Dass Sozialdemokraten und Grüne sich hingegen gerne auf die Linke als Mehrheitsbeschafferin stützen, stört schon lange kaum noch jemanden. Linke Radikale sind nach landläufiger Meinung eben bessere Radikale als rechte.

Schwarz und Dunkelrot passen manchmal auch zusammen

Davon profitiert seltsamerweise auch die CDU. Wenn sie – was hin und wieder auch vorkommt – irgendwo mit der PDS beziehungsweise der Linken kooperierte, war das nie ein großes Thema. Ruprecht Polenz, CDU-Kurzzeit-Generalsekretär unter Angela Merkel, behauptete jüngst sogar, die CDU habe niemals mit den Linken zusammengearbeitet. Polenz: „Die CDU hat es überall, auch in Ostdeutschland, 33 Jahre lang geschafft, nicht mit der PDS / später Linkspartei zusammenzuarbeiten. Auch wenn diese über 20 oder 30 Prozent der Sitze verfügte. Kann mir jemand erklären, warum das mit der AfD unmöglich sein soll?“

Nein, das kann natürlich niemand erklären, weil es einfach nicht stimmt. Es gibt mehrere Beispiele für die Zusammenarbeit von Schwarz und Dunkelrot, und zwar im Zentrum des politischen Geschehens – in Berlin. Dort amtierte schon im Jahr 2001, also erst ein gutes Jahrzehnt nach dem Mauerfall, der Bezirksbürgermeister von Berlin-Mitte, Joachim Zeller. Dieser CDU-Politiker konnte nach den Wahlen 2001 nur deshalb im Amt bleiben, weil ein Bündnis von CDU, Grünen und PDS ihm zur Mehrheit verholfen hatte. 

 

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Der Bezirk Berlin-Mitte ist nicht vergleichbar mit einer Kleinstadt. Mit fast 400.000 Einwohnern rangierte der Bezirk, wenn er selbständig wäre, auf Platz 16 unter den deutschen Großstädten. Dennoch sorgte das Bündnis der CDU mit der Linken nicht für Aufsehen. Als die CDU bei der Wahl 2006 Einbußen erlitt, wechselten CDU und PDS die Posten. Die Linken stellten den Bürgermeister, Zeller blieb als sein Stellvertreter im Rathaus. 

Dass Zeller mit der PDS beziehungsweise der Linken paktierte, machte ihn in der Berliner CDU keineswegs zum Außenseiter. 2003 wurde er sogar für zwei Jahre CDU-Landesvorsitzender. 2009 und 2014 zog er als Spitzenkandidat der Berliner CDU ins Europaparlament ein. Bei seinem Tod im März dieses Jahres fand die Linke einfühlsame Worte für ihren ehemaligen Partner: „Joachim Zeller war einer von denen, für die das C in CDU eine Überzeugungs- und Herzensangelegenheit ist. Seine Menschlichkeit hat ihm auch parteiübergreifende Hochachtung eingebracht. Joachim Zeller war vieles, eines war er jedoch nie: Mainstream.“

CDU und Linke gemeinsam gegen die SPD

Berlin-Mitte war kein Einzelfall. 2006 lösten CDU und Linke in Marzahn-Hellersdorf eine Pattsituation auf, indem sie sich schriftlich auf eine Kooperation verständigten. Die Linke bekam die Bezirksbürgermeisterin, die CDU deren Hilfe bei einigen Projekten. Architekt dieses Bündnisses war der örtliche CDU-Chef Mario Czaja, inzwischen Bundestagsabgeordneter und bis vor kurzem CDU-Generalsekretär. 

Dieses Bündnis in Marzahn-Hellersdorf, mit 280.000 Einwohnern etwa so groß wie Wiesbaden, harmonierte so gut, dass die ins Abseits geratene SPD über das „liebende Ehepaar“ spottete. 2011 allerdings konnte die SPD das Amt des Rathauschefs zurückerobern. Doch als sich 2016 die Mehrheitsverhältnisse abermals änderten, setzen Linke und CDU ihre harmonische dunkelrot-schwarze Beziehung bis 2021 fort.

Dass CDU und Linke in Berlin zusammenarbeiten, hängt auch mit der Landesverfassung und dem Bezirksverwaltungsgesetz zusammen. Demnach sind die Stadtratssitze nach dem Stimmenverhältnis auf die einzelnen Parteien zu verteilen. So kam es, dass zwischen 2016 und 2021 CDU und Linke in fünf Bezirken hauptamtliche Stadträte stellten. Allerdings gibt es keine Vorschrift, die Parteien zu Kooperationsabkommen oder einem bestimmten Wahlverhalten bei der Bestimmung des Bezirksbürgermeisters verpflichtete. Auch kam es schon mehrfach vor, dass die AfD die ihnen zustehenden Positionen nicht einnehmen konnten, weil die anderen Parteien den AfD-Kandidaten die Zustimmung verweigerten. 

In sieben Berliner Bezirken arbeiten CDU und Linke zusammen

Nach den jüngsten Wahlen in Berlin standen in sieben der zwölf Berliner Bezirke der Linken jeweils ein hauptamtlicher Stadtrat zu. So kommt es, dass in den Bezirksämtern von Neukölln, Mitte, Pankow, Friedrichhain-Kreuzberg, Treptow-Köpenick, Marzahn-Hellersdorf und Lichtenberg CDU-Stadträte Seit an Seit mit Kollegen von der Linken ebenso zusammenarbeiten wie mit Stadträten von SPD und Grünen. 

Besonders interessant ist die Konstellation in Treptow-Köpenick. Dort regiert Bezirksbürgermeister Oliver Igel (SPD) mit zwei Stadträten von der CDU, und jeweils einem von Grünen, Linken und AfD. Da haben also auch SPD und Grüne die viel beschworene Brandmauer durchbrochen, weil sie – im Gegensatz zu Lichtenberg und Spandau – den AfD-Bewerber nicht durchfallen ließen. Der AfD-Mann hatte schon vor der Wiederholungswahl im Februar als Stadtrat amtiert.  

SPD-Bürgermeister Igel sagte dazu der Berliner Zeitung, die Zusammenarbeit mit dem AfD-Politiker verlaufe sachlich und geschäftsmäßig. Das vollziehe sich „auf einem demokratischen Niveau“, ohne dass es zu einer engen persönlichen Verbundenheit komme. Zu einem ist es jedenfalls nicht gekommen: Zu einem „Shitstorm“, weil hier SPD, Grüne und CDU gemeinsam eine Brandmauer eingerissen hatten. 

Daniel Günther warb schon 2018 für eine Öffnung nach ganz links

Die Darstellung, dass die CDU nach rechts blinke, aber gegen jede Linksabweichung gefeit sei, stimmt also nicht, auch wenn Merz-Kritiker in der CDU das Gegenteil behaupten. Schleswig-Holsteins CDU-Ministerpräsident Daniel Günther hatte übrigens schon vor fünf Jahren mit Blick auf die Landtagswahlen in den neuen Ländern der dortigen CDU zu mehr Pragmatismus geraten. „Wenn da vernünftige Menschen in der Linkspartei am Werk sind, vertut man sich nichts damit, nach vernünftigen Lösungen zu suchen“, so Günther. Sei anders keine AfD-Beteiligung an der Regierung zu verhindern, dann müsse die CDU auch mit den Linken kooperieren. In Brandenburg hatte der CDU-Spitzenkandidat für die Landtagswal 2019, Ingo Senftleben, Gespräche mit der Linkspartei wie mit der AfD befürwortet. Die Wähler quittierten das mit 15,6 Prozent nach 23,0 Prozent fünf Jahre zuvor.

Erst kürzlich zeigte sich der frühere thüringische CDU-Vorsitzende Mike Mohring offen für Gespräche seiner Partei mit der Linken. Denn in der Partei des linken Ministerpräsidenten Bodo Ramelow arbeiteten Leute, die „ihre Sache mit Sinn und Verstand machen“. Nach der Wahl müsse die Union daher im Zweifel auch mit der Linkspartei sprechen. „Die alten Bonner Koalitionsmodelle sind perdu.“

Richtig ist: In den alten Bonner Koalitionsmodellen ging es in den 1990er-Jahren um Schwarz-Gelb oder Rot-Grün. Inzwischen sind zwei weitere Parteien dazugekommen – ganz rechts und ganz links. Das macht die Suche nach Mehrheiten schwieriger – und droht Brandmauern zu unterminieren. Das gilt vor allem für die Kommunalpolitik. Bei genauem Hinschauen fällt auf, dass die Risse in der CDU-Mauer gegen die AfD kleiner sind als die Löcher in der Mauer zur Linken.  

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