Koalitionsvertrag in Bayern - Burgfrieden mit Ablaufdatum

Nach nur zweieinhalb Wochen ist der Koalitionsvertrag von CSU und Freien Wählern in Bayern unter Dach und Fach. Zwei Jahre Burgfrieden sollen nun folgen, dann will der kleinere der beiden Koalitionspartner endlich nach Berlin – und der CSU erneut Stimmen abjagen.

Freunde werden sie wohl nicht mehr: Hubert Aiwanger und Markus Söder / dpa
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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„In der Politik gibt es keine Freundschaften, nur Zweckbündnisse auf Zeit“, sagte Oskar Lafontaine einmal in einem Interview mit dem Stern. Es ist ein Satz, der einem mit Blick auf die Regierungskoalition aus CSU und Freien Wählern in Bayern in den Sinn kommen mag. Denn Markus Söder und Hubert Aiwanger werden zeit ihres Lebens sicherlich keine Freunde mehr. Aber für eine Regierungsbildung muss man bekanntermaßen auch nicht befreundet sein. Es reicht, wenn man sich „irgendwo in der Mitte“ trifft. 

Im Fall der nach nur zweieinhalb Wochen zu Ende gegangenen Koalitionsverhandlungen zwischen der CSU und den Freien Wählern im Freistaat, liegt „die Mitte“ am Oskar-von-Miller-Ring 35 in München. Dort, in einem Eckgebäude zwischen einer Zahnarztpraxis und einer Programmierschule, hat das bayerische Staatsministerium für Digitales seinen Sitz. Es ist das kleinste Ministerium des Freistaats, seit 2018 geleitet von der CSU-Politikerin Judith Gerlach. Die muss nun allerdings ausziehen. Denn Gerlach ist eine Leidtragende einer kleinen, aber folgereichen Machtverschiebung innerhalb der bayerischen Regierungskoalition. 

Und dann doch zweistärkste Kraft

Rückblick: Als am 8. Oktober, am Abend der bayerischen Landtagswahlen, die ersten Hochrechnungen über den Bildschirm flackern, ist die Freude bei den Freien Wählern ein bisschen verhalten. 14 Prozent ist dort zu lesen. Ein Plus zwar von 2,4 Prozent zur Landtagswahl von vor fünf Jahren. Allerdings wurden der Partei im Vorfeld der Wahlen bis zu 17 Prozent zugetraut. Gleichzeitig sind die Grünen nach den ersten Hochrechnungen zweitstärkste Kraft. Es ist 18 Uhr. 

Im Laufe des Abends steigt dann allerdings die Freude bei den Freien Wählern wieder, weil ihr Ergebnis Prognose für Prognose steigt. Am Ende rutschen die Grünen sogar auf den vierten Platz ab, noch hinter die AfD, und die Freien Wähler werden zweitstärkste Kraft. Das amtliche Wahlergebnis liest sich so: Die CSU bekommt 37,0 Prozent (-0,2 Prozent zu 2018). Es folgen die Freien Wähler mit 15,8 Prozent (2018: 11,6 Prozent), die AfD mit 14,6 Prozent (10,2 Prozent), die Grünen mit 14,4 Prozent (17,6 Prozent) und die SPD mit 8,4 Prozent (9,7 Prozent), während die FDP den Wiedereinzug überdeutlich verfehlt: Nur 3,0 Prozent der Stimmen bekommen die Liberalen am Ende. 

„Keine großen Sorgen“

Aber zurück zu den Freien Wählern: Die hatten im Vorfeld der bayerischen Landtagswahlen unter dem Eindruck der Umfragen, die die Partei, wie geschrieben, zeitweise bei 17 Prozent oder eventuell mehr sahen, bereits ein Auge auf das Landwirtschaftsministerium geworfen. Dafür waren diese 15,8 Prozent allerdings zu wenig. Doch weil die CSU nach dieser kleinen Machtverschiebung innerhalb der Regierungskoalition eben irgendeinen Tod sterben musste, gibt es am Oskar-von-Miller-Ring 35 demnächst eine Schlüsselübergabe.

 

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CSU-Politikerin Gerlach wird ausziehen, Fabian Mehring von den Freien Wählern wird einziehen – und seine Partei bekommt damit ein zusätzliches Ministerium. Ungeachtet dessen, dass der bayerische Wähler das Thema Digitalisierung nicht zwangsläufig als Kernkompetenz der Freien Wähler identifizieren würde. Doch sei’s drum. Denn man muss sich halt irgendwo in der Mitte treffen. Und mit diesem Kompromiss dürften alle Seiten gut leben können. Vielleicht sogar die scheidende Digitalministerin Gerlach selbst. 

Denn Gerlach müsse sich „keine großen Sorgen“ machen, ließ Markus Söder bereits verlauten. Gut möglich, dass Gerlach im Gegenzug ein anderes Ministerium bekommt. Frei wäre etwa das Gesundheitsministerium, nachdem der bisherige bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek an die Fraktionsspitze gewechselt ist. Söder will jedoch die personelle Verteilung der CSU-Ministerien sowie der Staatssekretäre erst am 8. November bekanntgeben, dem Tag der Vereidigung des Kabinetts.

Ein belastetes Verhältnis

Bei den Freien Wählern wiederum, so viel ist sicher, behalten Parteichef Hubert Aiwanger (Wirtschaft) und Umweltminister Thorsten Glauber ihre Posten. Als neuer Staatssekretär im Wirtschaftsministerium rückt der Oberpfälzer Tobias Gotthardt an die Seite Aiwangers und ersetzt den ausscheidenden Roland Weigert. Weigert muss seinen Posten räumen, obwohl er bei der Landtagswahl am 8. Oktober seinen Stimmkreis direkt gewonnen hatte. Das Verhältnis zwischen Aiwanger und Weigert galt seit einiger Zeit als belastet.

Die spektakulärste personelle Neuerung findet im weiterhin von den Freien Wählern geführten Kultusministerium statt. Minister Michael Piazolo muss nach fünf Jahren im Amt seinen Hut nehmen, die bisherige Staatssekretärin Anna Stolz rückt an die Ressortspitze und wird Dienstherrin der bayerischen Lehrer. Aiwanger schweigt derzeit noch zu der Frage, warum Piazolo gehen muss. Söder dankte dem scheidenden Minister. Er habe seine Sache gut gemacht. Aber wohl nicht gut genug, möchte man anmerken. 

„Freiheit und Stabilität für Bayern“

Vom Personal zum Inhalt des Koalitionsvertrags: Unter dem Leitmotiv „Freiheit und Stabilität für Bayern“ wolle man auf mehr Bürgernähe und einen schlanken Staat hinarbeiten. CSU-Fraktionschef Klaus Holetschek sagte: „Wir wollen nicht Ampeln alle fünf Meter, sondern mehr Leitplanken.“ 180.000 neue Kita-Plätze, 9000 neue Planstellen an Schulen und 2000 zusätzliche Polizisten gehören zu den wesentlichen Vorstellungen.

Freie-Wähler-Chef Aiwanger zeigte sich, nach vorausgegangenem aber angeblich inzwischen beigelegtem Streit mit Söder, jedenfalls zufrieden. Es sei „ein Ergebnis, das sich aus Sicht der Freien Wähler sehen lassen kann“, so Aiwanger. „Wir haben als Freie Wähler erreicht, was wir erreichen wollten.“ 

Aiwanger verhandelte dabei auch eine Herzensangelegenheit für sich selbst heraus: Die Zuständigkeit für die Jagd und das Unternehmen Bayerische Staatsforsten soll vom weiterhin bei der CSU angesiedelten Agrarministerium ins Wirtschaftsministerium von Aiwanger wechseln. Aiwanger gibt im Gegenzug die Zuständigkeit für Tourismus und Gastronomie ab. Dies sei eine „Leitökonomie“ für Bayern, sagte CSU-Fraktionschef Holetschek.

Zweckbündnis auf Zeit

In einer dreiseitigen Präambel des Koalitionsvertrages legen die beiden Partner zudem ein Bekenntnis für den Kampf um die freiheitlich demokratische Grundordnung in Bayern und Deutschland ab. Sie kündigen einen harten Kurs an gegen jegliche Form von „Antisemitismus, Intoleranz, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus“. Nachdem es in der Koalition zuletzt arg geknirscht hatte, erklären beide Seiten zudem, dass sie trotz inhaltlicher Differenzen vertrauensvolle Zusammenarbeit wollen: „Optimismus statt Streit, Anpacken statt Wegducken und Vernunft statt Ideologie ist unsere Philosophie. Wir sind zwei Parteien, aber eine Staatsregierung.“

Also Haken dran. Vorerst jedenfalls. Denn in zwei Jahren wird ein neuer Bundestag gewählt, und die Freien Wähler hoffen, den langersehnten Sprung nach Berlin endlich zu schaffen. Das heißt aber auch: Der Burgfrieden, sollte er überhaupt einkehren, hat ein Ablaufdatum. Denn damit dieser Schritt gelingt, werden die Freien Wähler der CSU dann einige Stimmen abjagen müssen, woran CSU-Chef Söder nachvollziehbar wenig Interesse hat. Aber so ist das eben bei Zweckbündnissen. Sie bleiben auf Zeit. 

mit dpa

 

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