Friedrich Merz und die „Generation Wüst“ - Wie man CDU-Kanzler wird – und wie nicht

Eigentlich ist Parteichef Friedrich Merz der geborene CDU-Kanzlerkandidat für 2025. Doch die innerparteiliche Konkurrenz formiert sich. Dabei geht es weniger um die inhaltliche Ausrichtung als um eine Generationenfrage. Was treibt den „Club Wüst“ an?

Er hat Chancen aufs Kanzleramt: Parteichef Friedrich Merz oder Ministerpräsident Hendrik Wüst? /dpa
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Autoreninfo

Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

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Von Ursula von der Leyen ist eine wichtige Formel politischer Quantenmechanik überliefert. „Pro Generation wird immer nur einer Kanzler“, formulierte sie schon 2010 in der Zeit. Gemünzt war dies dereinst als Antwort auf die ihr wiederholt gestellte Frage, ob sie denn nicht selbst Ambitionen oder gar Chancen habe, Nachfolgerin von Angela Merkel zu werden. 

Die selbstbewusste und nicht ambitionslose Niedersächsin, Dreifach-Ministerin in den Merkel-Kabinetten, markierte mit ihrem Spruch keinesfalls, dass sie sich selbst für nicht geeignet hielte oder nicht gewillt sei, aber eben doch, dass es recht aussichtslos sei, sozusagen Naturgesetze aushebeln würde, in Berlin die Spitze noch zu erreichen. Und sie sollte recht behalten, Merkel war keineswegs von ihrer eigenen parteiinternen Alterskohorte zu beerben – weswegen von der Leyen selbst bekanntermaßen später nach Brüssel auswich. Merkel ist Jahrgang 1954, von der Leyen 1958. 

Generationenkonflikt statt Richtungskampf

Diese Logik führt auf eine wichtige Spur zur Erklärung der gegenwärtigen Unruhen in der Union, die um die Suche und Festlegung eines Kanzlerkandidaten für die Wahl 2025 kreisen. Natürlich kommt die Debatte viel zu früh, Medien und politische Gegner wissen Haarrisse im Machtgefüge der Union zu nutzen, um das Problem sichtbarer zu machen. Dabei wird die Logik des Lagerkampfes bemüht oder persönliche Differenzen oder inhaltlicher Streit. Doch darum geht es in der Union meist in Wirklichkeit nicht, oder nur oberflächlich. 

Viel entscheidender bei der Suche nach einem möglicherweise kommenden CDU-Kanzler im erfolgreichsten Kanzlerwahlverein der Republik als die allzu naheliegenden oder aufgeblähten Differenzen zum Umgang mit den Grünen, mit der Ex-Kanzlerin oder gar der Gendersprache sind vielmehr die generationellen. Es geht um eine größere Logik. Oder um es knapp zu sagen: Friedrich Merz ist Jahrgang 1955. Seine Generation hatte ihre Kanzlerin. Und die hieß nicht Merz. Bekanntermaßen ist er nach 20 Jahren auch deshalb zurück in die Politik gekommen, weil er dies für einen historischen Irrtum hielt, den es zu heilen gilt.

Friedrich Merz Autorität in der Partei rührt daher, dass viele an der Basis nach der Merkel-Ära einen Kurswechsel, mindestens aber einen Stilwechsel verlangten. Merz ist doch gegen die sogenannten Eliten der Partei an die Spitze gekommen und Vorsitzender geworden. Letztlich konnte er in ein Machtvakuum stoßen, das Merkel hinterlassen hat. Die natürliche Nach-Merkel-Generation selbst war nicht in der Lage, es nachhaltig zu füllen (Kramp-Karrenbauer, Jahrgang 1962; Laschet, Jg. 1961). Und die dann nachfolgende Generation war vor rund drei Jahren noch nicht bereit. Das hat sich nun geändert.

Die Generation Wüst scharrt mit den Hufen und mehr noch, sie hat längst an wesentlichen Stellen die Macht übernommen (Hendrik Wüst, Jahrgang 1975; Daniel Günther, 1973; Boris Rhein, 1973). Zunächst erheben sie Anspruch auf Führung aus der inneren Logik der Partei heraus, gar nicht so sehr wegen einer etwaigen Gegnerschaft zu Merz oder einer Sorge wegen seines Alters an sich. Die Generation ist sozusagen dran, vom eigenen Anspruch her, vom Lebensgefühl her und auch, was das Umfeld angeht. Das ist noch keine offene Illoyalität zum Vorsitzenden, aber doch eine Untergrundstimmung. 

Das Netzwerk der Jungen

Neben der Machtfrage gibt es eine weitere wichtige Kategorie in der Politik und insbesondere in der CDU, die oft unterschätzt wird: Freundschaften und Beziehungen. Es liegt also erstmal in der ganz praktischen Natur der Dinge, dass Friedrich Merz mit den Jungen kein langjähriger und gemeinsamer Weg verbindet. Das politische Geschäft lebt aber eben doch mehr, als vielleicht oft vermutet wird, von guter gegenseitiger Kenntnis, von dem, was man politische Freundschaft nennt, davon, dass man sich auch mal blind versteht, dass es sowohl echtes Vertrauen gibt als auch gesundes Misstrauen. All dieses feine und grobe Bindegewebe fehlt Merz oft noch, sowohl in den Landesparteien als auch in der Bundestagsfraktion. 

Merz bemüht sich darum, es zu knüpfen und aufzubauen, aber das dauert und es kostet Kraft und Zeit. Andere Netzwerke funktionieren derweil schon lange. Es ist eine gewisse Paradoxie, dass die Jüngeren mitunter über das bessere Netzwerk in der Partei verfügen als der Alte. Das erklärt mehr die Missverständnisse der letzten Wochen als die Frage, auf welchem Platz der Gegnerliste nun die Grünen stehen oder nicht. Merz hat seine Fans und auch Unterstützer, nur sitzen diese nicht immer an den richtigen Stellen. Er weiß, dass es derzeit keinen Aufstand gibt, aber wenn der Erfolg ausbleibt, sind Skeptiker schnell zur Stelle. Dies war in den letzten Wochen zu beobachten. 

Es ist oft geschrieben worden, ein nordrhein-westfälischer Ministerpräsident und CDU-Landesvorsitzender müsse schon qua Amt auch „Kanzler können“ und „Kanzler wollen“, aber mehr noch stehen hinter der Generation Wüst eben deutlich mehr junge Parteifunktionäre als hinter Merz. Wenn Wüst Kanzler würde, wüsste schon ein ganzer Wüst-Club, wie so eine Regierung auszusehen hätte. Das ist nichts Besonderes. So ist Politik. Da sind einige, die schon lange Politik zusammen machen und es vielleicht gerne auch (wieder) in Berlin täten. Im Zentrum steht das Trio Liminski, Ziemiak, Wiermer, aber auch Serap Güler und Karin Prien gehören zum Netzwerk. Zu den neuen Landes- bzw. Fraktionsspitzen der CDU in Stuttgart, Hannover und Erfurt etwa gibt es auch gute Verbindungen. Die Namen Manuel Hagel, Jahrgang 1988, Sebastian Lechner, 1980, und Mario Vogt, 1977, sind noch nicht so bekannt, es lohnt sich aber, sie auf dem Zettel zu haben. 

Der Wüst-Club weiß, wie regieren geht

Nathanael Liminski, der Chef der nordrhein-westfälischen Staatskanzler, ist der Mastermind am Rhein. Seine Fähigkeiten, Politik zu organisieren, Strategien zu entwickeln und vor allem im Hintergrund zu kommunizieren, sind das Geheimnis der Düsseldorfer Regierungen, schon unter Armin Laschet. Paul Ziemiak wiederum kennt schon das Hauptstadt-Pflaster, er war CDU-Generalsekretär in Berlin. Nach der Wahlniederlage 2021 und dem Wechsel zu Merz im Adenauer-Haus holte der ehemalige Junge-Union-Landesvorsitzende Wüst seinen ehemaligen Nachnachfolger und früheren Junge-Union-Bundesvorsitzenden Ziemiak nach Düsseldorf. JU-Connections halt. Dort als Generalsekretär der Landespartei ist Ziemiak nun so etwas wie der informelle Koordinator der neuen CDU-Generation. Seine Drähte in die Partei sind exzellent, auch Richtung Kiel. 

 

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Schließlich ist der Regierungssprecher Christian Wiermer, vormaliger Hauptstadtjournalist, als Laschets ehemaliger Pressechef auch ein Veteran der verlorenen Wahl. Man kann verstehen, dass er und die anderen nicht als Verlierer in die Geschichte eingehen wollen – und es gerne nochmal besser machen würden. Wiermer zumindest verfügt über Medienkontakte, die denen vom „Team Merz“ in nichts nachstehen. 

Wer über Netzwerke in der CDU nachdenkt, kommt an dem Andenpakt nicht vorbei. Es war eine Verbrüderung von Nachwuchspolitikern der Nach-Kohl-Generation. Zu den „Andinos“ gehörten unter anderem Roland Koch, Christian Wulf, Peter Müller, Günther Oettinger und: Friedrich Merz! Nun kann man gewiss nicht sagen, dass die Truppe gescheitert wäre. Immerhin waren vier der fünf Genannten Ministerpräsidenten. Aber in der Kanzlerpartei CDU ist ihnen eben etwas Entscheidendes nicht gelungen: Das Erbe von Helmut Kohl (Jahrgang 1930) konnte keiner von ihnen, auch nicht der dafür auserkorene Merz, bislang antreten. Der Andenpakt hat Angela Merkel nicht verhindert. Wie konnte das passieren? 

Wachwechsel nach Kohl und nach Merkel

Tatsächlich ist der – aus Sicht der damaligen neuen Generation – missglückte Wachwechsel nach 16 Jahren Kohl nicht völlig unähnlich dem nach den 16 Jahren Merkel. Damals sollte zunächst Wolfgang Schäuble (Jahrgang 1942) übernehmen. Aus anderen Gründen, aber doch vergleichbar, scheiterte 2000 der enge Vertraute Kohls, wie 2021 die enge Merkel-Vertraute Kramp-Karrenbauer scheiterte. Auch andere aus dem engen Umfeld Kohls, die sich für fähig hielten, kamen nicht zum Zuge, wie etwa der ehemalige Verteidigungsminister Volker Rühe (Jg. 1942). Damals schien es ebenfalls so, als würde ein Jahrgang übersprungen. Doch für die nächste Generation war es noch zu früh. Der Andenpakt griff noch nicht an. Es entstand ein Machtvakuum, in das Merkel vorstoßen konnte. 2000 wurde die ostdeutsche Protestantin Vorsitzende der CDU, 2005 dann Kanzlerin – und manche im westdeutschen Partei-Establishment verstanden die Welt nicht mehr. Oder wollten sie nicht verstehen. 

Helmut Kohl und Angela Merkel /dpa

Merkel kam von außen, sie war zwar Generalsekretärin gewesen, hatte ihr eigenes Netzwerk langsam aufgebaut. Doch war sie für viele lange noch, für manche bis heute, die Fremde, die CDU-Chefin ohne Erfahrungen in der Jungen Union, ohne Seilschaften im Flechtwerk aus Kommunal-, Landes- und Bundespolitik. In der Folge kamen auch ihre Personalentscheidungen nicht immer nur aus den üblichen Zirkeln der Partei. Wenn man so will, gibt es eine verblüffende Ähnlichkeit zur Situation von Friedrich Merz. Der einstige Andino, der zum Establishment der Partei gehörte und zusehen musste, wie Angela Merkel an ihm vorbeizog, findet sich nun in der anderen Position wieder, ist nun der Außenseiter unter den Jungen und Aufstrebenden in der Partei. Die Generation Wüst ist überzeugt, dass sie die nächsten zehn bis 20 Jahre die Politik der Union und Deutschlands mitbestimmen und prägen wird – mit und ohne Merz.  

Die Grünen als Partner – und Gegner

Doch wie bei Angela Merkel ist das mit den Bündnissen und Seilschaften kein Selbstläufer. Der Andenpakt war sich seines Siegs auch zu gewiss. Für das „Team Wüst“ ist es letztlich sehr gefährlich, offen gegen den Parteivorsitzenden zu agieren. So wie bei Merkel damals 2000 gibt es jetzt für Merz tatsächlich noch viel Sympathie an der Basis der Partei und auch bei den von der Partei Frustrierten. Merkel sammelte damals die Kohl-Gegner (und vor allem -Gegnerinnen) in der CDU ein, Merz kann heute noch immer viele konservative Merkel-Gegner mobilisieren. Und Wüst, Günther und Rhein regieren in ihren Ländern mit den Grünen. Sie wissen alle drei sehr wohl, dass sie nicht nur den liberalen und sozialen Flügel der CDU aktivieren müssen, sondern auch den eher konservativen, grünen-kritischen. Aber ihr Pragmatismus kommt in Oppositionszeiten in Berlin nicht bei allen nur gut an. Mit ihm lässt sich schlecht Wahlkampf machen. 

Dem von-der-Leyen’schen Diktum folgend kann Friedrich Merz nicht Kanzler werden. Denn für seine Generation hält Angela Merkel diesen Platz besetzt. Doch ganz so einfach ist es nicht. So wie Angela Merkel mit ihrer Biografie völlig unerwartet und überraschend die CDU-Kanzlerschaft errungen hat, könnte Merz für eine andere Art von Ausnahme von der Regel sorgen. Er ist der Anti-Establishment-Kandidat, wie es Merkel einst auch war, das ist möglicherweise in parteiverdrossenen Zeiten wie diesen doch keine schlechte Option. 

Wüst und Co. werden sich genau überlegen, ob sie noch mal eine innerparteiliche Auseinandersetzung anzetteln, um Merz zu verhindern. Darauf lauert möglicherweise in Bayern schon einer: Markus Söder. Das Ergebnis eines wieder eskalierten Machtkampfes könnte ähnlich aussehen wie nach der Laschet-Kandidatur 2021. Eine verlorene Wahl und eine zerrüttete Partei, wem nützt das? Im „Team Wüst“ gibt es einige, die möglicherweise gerne Merz als Kanzlerkandidaten verhindern würden, es gibt Talente, die als Ersatz dereinst parat stünden, meinen sie, aber sie haben letztlich (noch) keine Strategie, wie das Projekt Kanzler-Werden tatsächlich gelingen könnte.

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