Migrationskrise - Faeser und die Bundesregierung stehen unter dreifachem Druck

Innenministerin Nancy Faeser und mit ihr die Ampelregierung sind nicht nur mit der dramatischen Einwanderungswirklichkeit in den Kommunen und dem Druck der Opposition konfrontiert, sondern auch zunehmend mit der Abneigung der EU-Partnerländer.

Nancy Faeser (SPD) kommt zur Sitzung des Innenausschusses des Bundestags / dpa
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Ferdinand Knauß ist Cicero-Redakteur. Sein Buch „Merkel am Ende. Warum die Methode Angela Merkels nicht mehr in unsere Zeit passt“ ist 2018 im FinanzBuch Verlag erschienen.

 

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Als wollten sie die Dringlichkeit des Themas betonen, mit dem Bundesinnenministerin Nancy Faeser heute erneut im Innenausschuss des Bundestages konfrontiert wird: Die Oberbürgermeister von Karlsruhe, Mannheim und Freiburg sowie mehrere Kreise haben einen Brandbrief an den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann geschickt: Die steigende Zahl der unbegleiteten minderjährigen Zuwanderer (Behördenjargon: UMA) führe dazu, dass diese nicht mehr rechtmäßig untergebracht werden können. Sie „brauchen dringend eine wirksame Unterstützung aus Stuttgart“, teilte Freiburgs Oberbürgermeister Martin Horn (parteilos) mit.

Dass die besonders gute Versorgung inklusive Betreuung von UMA (die Kosten pro Monat und Person liegen bei etwa 7000 Euro) und die Aussicht auf einen Nachzug der Eltern und Geschwister besonders verlockend ist, liegt nahe. Sofern man nicht dem in politischen Kreisen immer wieder mantra-artig vorgebrachten irrealen Glaubenssatz anhängt, es gebe keinen „Pull-Faktor“ für die Asylzuwanderung nach Deutschland. Die Zugangszahlen sind jedenfalls in den betroffenen Brandbrief-Städten (und wohl nicht nur dort) seit Ende Juli und insbesondere seit Anfang August stark angestiegen, weit über die jeweiligen Kapazitätsgrenzen hinaus. „Mehrere Kommunen mussten bereits auf Schulturnhallen und teilweise auf Zelte ausweichen“, zitiert dpa. Man sei an die Grenzen des Machbaren gelangt, so der Freiburger Oberbürgermeister. Der Präsident des kommunalen Spitzenverbands, Reinhard Sager, berichtet dasselbe und fordert, dass die Bundesländer nur Menschen auf die Kommunen weiterverteilen, die eine Bleibeperspektive haben.

Angesichts der ausufernden Kosten, des schieren Wohnraummangels und längst auch des Mangels an Einheimischen, die acht Jahre nach 2015 noch bereit sind, ehrenamtlich an dieser Sisyphos-Arbeit mitzutun, erscheinen die Detaildiskussionen innerhalb der Ampelkoalition und vor allem zwischen Faeser und den Grünen immer bizarrer. Faeser wirkt dabei zunehmend hilflos, etwa wenn sie nach Angaben aus Teilnehmerkreisen im Innenausschuss sagt, die geplanten Kontrollen der Bundespolizei „entlang der Schleuserroute“ sollten „lageabhängig auch an der Grenze“, „wechselnd und flexibel“ sein. Am Vortag hatte sie schon im Deutschlandfunk die Vorbereitung von Kontrollen angekündigt und ergänzt: „Und wir müssen schauen, was das dann bringt.“

 

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Statt etwa im europäischen Ausland nach Vorbildern Ausschau zu halten, die vormachen, wie die Migrationszahlen niedrig gehalten werden können – zum Beispiel bei den regierenden Sozialdemokraten in Dänemark – und sich endlich vom Dogma „Es gibt keinen Pull-Faktor“ freizumachen (warum wohl zieht es so wenige Asyl-Bewerber nach Polen oder in andere mitteleuropäische Länder?) versteift man sich auf homöopathische Mittelchen wie Grenzkontrollen, die so lange weitgehend wirkungslos bleiben müssen, wie das Wörtchen Asyl sie zu einem Begrüßungskommittee macht. Spätestens seit 2015 wissen sicherlich sämtliche potentiellen Armutszuwanderer nach Deutschland, dass sie von deutschen Polizisten an oder hinter der Grenze keine Zurückweisung zu fürchten haben.

Hoffnung, dass sich die Krise ohne unbequeme Maßnahmen aussitzen lasse

Nichts von dem, was Faeser oder ein anderes Mitglied der Bundesregierung sagt oder tut, gibt auch nur den geringsten Anschein eines ernsten Bewusstseins vom Ausmaß der Krise, in die die Migrationswirklichkeit diesen Staat und die deutsche Gesellschaft treibt. Es sieht ganz danach aus, als ob Faeser darauf setzt, dass sich die Krise irgendwie ohne unbequeme Maßnahmen aussitzen lasse, bis sich irgendwo jenseits der Zuständigkeit der Bundesregierung etwas tut, das den Zustrom mindert. So wie 2015 die Balkanländer die Grenzen dicht machten und damit den akuten Zusammenbruch der Merkelschen Wir-schaffen-das-Politik verhinderten, wofür sie dann aus Berlin moralisierend gemaßregelt wurden.

Mit harten, entschlossenen Maßnahmen würden Faeser und andere Ampel-Regierende schließlich das ihnen nahestehenden Milieu verärgern, das sie gerade erst wieder großzügig mit Steuergeld versorgen, nämlich dem wachsenden Gewerbe der sogenannten Nichtregierungsorganisationen, die unter der Ampel immer mehr zu De-facto-Regierungsorganisationen werden. Für die Pflege dieses vorpolitischen Feldes sind vor allem Faeser und Baerbock offenbar bereit, sich sogar mit anderen europäischen Staaten anzulegen.

Deutschland bringt Italien und Frankreich gegen sich auf

Neben dem parlamentarischen und dem Druck von der kommunalen Front der akuten deutschen Migrationskrise steigt nun auch der diplomatische. Am Donnerstag wird Faeser in Brüssel auf ihre EU-Kollegen stoßen. Da wird sie vor allem Italiens Minister Matteo Piantedosi wohl auch fragen, warum die deutsche Regierung mit Steuergeld deutsche NGOs finanziert, die die illegale Migration nach Italien befördern. Und die meisten anderen Ministerkollegen werden sie auch fragen, warum ausgerechnet das unter der Migrationslast besonders ächzende Deutschland die Umsetzung des Vorschlags der spanischen EU-Ratspräsidentschaft für die Krisenverordnung medial torpedierte, die ein deutlich strengeres Regime an den Außengrenzen der EU ermöglichen soll. Erst ein Machtwort des Kanzlers in der jüngsten Kabinettsitzung musste klarstellen: Deutschland wird zustimmen. Aber natürlich bleibt auch im europäischen Ausland der Eindruck einer in Migrationsfragen irrlaufenden Bundesregierung.

Die Frage nach der außerhalb Deutschlands kaum rational nachvollziehbaren Migrationspolitik und speziell der Zuneigung der Ampel zu den NGOs ist längst auch Chefsache in Rom. Ministerpräsidentin Giorgia Meloni hat dem Bundeskanzler einen höchst verärgerten Brief geschrieben, wie am Dienstag bekannt wurde: „Ich habe mit Erstaunen erfahren, dass Ihre Regierung, ohne sich mit der italienischen Regierung abzustimmen, beschlossen hat, erhebliche Mittel für Nichtregierungsorganisationen bereitzustellen, die an der Aufnahme von irregulären Migranten auf italienischem Gebiet und in der Rettung im Mittelmeer arbeiten.“ Der Adressat dieses Briefs tut derweil, was er auch sonst am liebsten tut: nämlich so, als ob ihn das alles nur am Rande etwas anginge.

Die Bundesregierung nimmt mit ihrer sturen Politik der Verweigerung harter Maßnahmen zur Begrenzung also nicht nur die Belastung des deutschen Sozialstaats bis an die absoluten Kapazitätsgrenzen in Kauf, sondern bringt auch die europäischen Partner gegen Deutschland auf. Derweil wenden sich Paris und Rom in Migrationsfragen einander zu. Das ist durchaus erstaunlich, da Macron und Meloni sich bisher in herzlicher Abneigung begegneten. Macron scheint generell erkannt zu haben, dass Deutschland weniger als Partner geeignet ist, sondern vielmehr als abschreckendes Beispiel, ob in der Migrations- oder in der Energiepolitik. Offenkundig taugt Deutschlands migrationspolitisches Irrlaufen immerhin als Versöhnungsmittel für Außenstehende.

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