Drittes Entlastungspaket - Das Märchen von den armen Ländern gegen den reichen Bund

Die Länder wollen, dass der Bund noch viel mehr als 70 Prozent der Kosten für das dritte Entlastungspaket trägt, obwohl auf ihn weniger als 40 Prozent der Steuereinnahmen entfallen. Dass das auf Dauer schon nach den Regeln der kleinen Mathematik nicht funktionieren kann, stört die feilschenden Ministerpräsidenten wenig. In der größten Krise, die Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg gesehen hat, ist es der politischer Klasse noch immer nicht gelungen, sich zum Wohle des Ganzen unterzuhaken.

Stephan Weil, Ministerpräsident von Niedersachsen, und seine Amtskollegen feilschen mit den Bundesministern Christian Linder und Robert Habeck um Milliarden / dpa
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Mathias Brodkorb ist Cicero-Autor und war Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Er gehört der SPD an.

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Kommende Woche ist es wieder einmal so weit. Am Mittwoch tagt eine Runde, die in der deutschen Verfassung so gar nicht vorgesehen, aber während der Corona-Krise zu einer Art zweiten Bundesregierung aufgestiegen ist: die Ministerpräsidentenkonferenz.

Auf der Tagesordnung steht das so genannte „Entlastungspaket III“, also weitere Maßnahmen der Bundesregierung zur Bewältigung der Energiekrise. Es geht um die Begrenzung der Stromkosten, eine Nachfolgelösung für das „9 Euro-Ticket“ und die von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) angedachte Steuerreform zur Entlastung der privaten Haushalte. Und es wird um die Frage gehen, ab wann der Gaspreisdeckel greift und in welcher Form. Und was das alles kostet und wer das alles bezahlt.

Länder bitten den Bund zur Kasse

Die Ministerpräsidenten haben den Vorhaben der Bundesregierung außerdem noch eigene Wünsche in erklecklicher Anzahl hinzugefügt: einen Preisdeckel für Öl und Pellets, mehr Geld für den ÖPNV, einen Schutzschirm für Stadtwerke und kommunale Energieversorger, den Ausbau des Stromnetzes, einen Hochlauf bei der Windenergie und und und. Die Stoßrichtung der föderalen Gegenregierung ist daher einigermaßen klar: möglichst viel fordern und möglichst wenig selbst dazu beitragen. Die Länderchefs wollen sich sogar Gasmehrkosten in ihren eigenen Gebäuden vom Bund bezahlen lassen, als trügen sie für das Gemeinwesen selbst keine Verantwortung mehr.

65 Milliarden Euro sollte das Entlastungspaket III im nächsten Jahr eigentlich kosten. Nach Berechnungen des Bundes würden Länder und Gemeinden davon ungefähr 19 Milliarden Euro tragen müssen und den Rest der Bund. Die empörte Reaktion der Ländervertreter kam prompt. Der bayerische Ministerpräsident, Markus Söder (CSU), polterte: „Es werden zentralistische und einsame Entscheidungen getroffen, die von den Ländern im Rahmen der Schuldenbremse nicht mehr zu finanzieren sind – während der Bund in Schattenhaushalten mit gigantischen Summen hantiert.“

Reichlich verlogene Erzählung

Dabei muss man sich vergegenwärtigen, worum es eigentlich geht: Beim Großteil der 19 Milliarden Euro stehen Effekte um die von Lindner geplante Einkommensteuerreform zur Dämpfung der Effekte der kalten Progression zur Debatte. Das Geld ist also noch gar nicht da. Es geht für die Länder nicht um echte Mindereinnahmen. Genau genommen beschweren sie sich darüber, dass sie nicht noch mehr einnehmen sollen.

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Die armen Länder gegen den reichen Bund, David gegen Goliath: Ungefähr so lautet die Erzählung. Eine reichlich verlogene Erzählung. Während Länder und Gemeinden beim Entlastungspaket III weniger als 30 Prozent der Kosten „mitfinanzieren“ sollen, stehen ihnen schon heute mehr als 60 Prozent der gesamtstaatlichen Steuereinnahmen zu. Die Länder wollen dieser Tage also vom Bund, dass dieser noch viel mehr als 70 Prozent der Kosten für das Entlastungspaket III trägt, obwohl auf ihn weniger als 40 Prozent der Steuereinnahmen entfallen. Dass das auf Dauer schon nach den Regeln der kleinen Mathematik nicht funktionieren kann, stört die interessierten Diskutanten wenig.

Bundeshaushalt steht auf viel wackeligeren Füßen

Auch ein Blick auf den Zustand der öffentlichen Haushalte bestätigt dabei das Gesamtbild: Der Bund verfügt nicht nur über geringere Einnahmen als die Länder, sondern nach Corona und Ukraine-Krieg steht sein Haushalt auf sehr viel wackligeren Füßen als die Haushalte der Länder. Allein bis August 2022 hat der Bund in diesem Jahr ein Haushaltsdefizit von rund 86 Milliarden. Euro aufgebaut und muss dieses mit Krediten auf dem Kapitalmarkt decken –  bei steigenden Zinsen. Die Länder hingegen wiesen zur gleichen Zeit insgesamt einen Überschuss von 24 Milliarden Euro aus. Alle Länder waren deutlich im Plus – bis auf Bremen und Mecklenburg-Vorpommern.

Diese Daten sind dabei aus zwei Gründen nicht völlig exakt: Erstens bilden sich in ihnen unterjährig mitunter Buchungsrückstände ab und zweitens haben alle staatlichen Ebenen und nicht nur der Bund, wie Söder behauptet, in den letzten Jahren so viele Sondervermögen geschaffen, dass die Kernhaushalte nur noch einen Teil der Realität abbilden. Aber auch dann, wenn man aus diesem Grund ein paar Abstriche von den Daten macht, ist die Tendenz klar: Der Bund hat sich im Verhältnis zu den Ländern in eine finanzielle Schieflage gebracht.

Mit der Gießkanne übers Land gezogen

Und er ist daran selbst nicht ganz unschuldig: Vor Corona sprudelten auf Bundesebene in einer Weise die Einnahmequellen, dass Bundestag wie Bundesregierung mit der Gießkanne übers Land ziehen konnten. Der Bund schuf, teils auf Forderung der Länder, teils aus eigenem Entschluss, immer mehr Programme für Förderzwecke, die allein in die Verantwortung von Ländern und Gemeinden fallen. Wofür sich damals Bundespolitiker feiern lassen konnten, hat in Wahrheit Abhängigkeiten und ordnungspolitische Verantwortungslosigkeiten geschaffen. Es ist, als hätte der Dealer seinen Kunden die Drogen zu Schnäppchenpreisen hinterher geworfen und als ginge ihm nun langsam der Stoff aus. Was darauf folgt, ist der kalte Entzug.

Dass Christian Lindner daher in dieser Woche mit der aktuellen Steuerschätzung für die nächsten Jahre Mehreinnahmen von rund 125 Milliarden Euro verkünden musste, dürfte ihn alles andere als gefreut haben. Es war nichts anderes als Wasser auf die Mühlen der Länder, um sich weiterhin in Forderungen gegenüber dem Bund gegenseitig überbieten zu können.

Christian Linder sitzt in der Klemme

Der Bundesfinanzminister konnte daher gar nicht anders, als all die vielen Milliarden wie ein Zauberkünstler sogleich wieder verschwinden zu lassen. Und er tat es auch. Da die steigenden Steuermehreinnahmen ja nichts mit einem gesunden Wirtschaftswachstum, sondern allein mit inflationären Effekten zu tun hätten, kündigte Lindner an, die prognostizierten Mehreinnahmen über weitere Korrekturen in der Steuergesetzgebung an die Bürger „zurückzugeben“. Sie also gar nicht erst zu erheben. Wie gewonnen, so zerronnen.

Dabei sitzen die Bundesregierung und ihr Finanzminister in der Klemme. Sowohl zur Wahrung des sozialen Friedens als auch zur weiteren Beruhigung der Energiemärkte müssen schnelle Entscheidungen her. Das macht den Bund gegenüber den Ländern erpressbar. Eigentlich gibt es daher nur zwei Lösungswege: Entweder entdecken die Länder demnächst wieder etwas mehr Gemeinsinn, wofür derzeit nicht allzu viel spricht. Oder der Bund wird trotz aller gegenteiligen Beteuerungen des amtierenden Finanzministers irgendwann erneut gezwungen sein, noch mehr Schulden aufzunehmen und die Schuldenbremse endgültig dahinfahren zu lassen. Angesichts massiv steigender Zinsen werden dadurch freilich nur die Probleme von heute auf morgen verlagert und, wenn es schlecht läuft, dadurch sogar noch vergrößert.

In der größten Krise, die das Land seit dem Zweiten Weltkrieg gesehen hat, ist es Deutschlands politischer Klasse noch immer nicht gelungen, sich zum Wohle des Ganzen einfach unterzuhaken. Vielleicht hätte der eine oder andere daher doch ganz gut daran getan, der jüngsten Rede des Staatsoberhaupts persönlich zu lauschen.

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