Die Linke-Bundesparteitag in Erfurt - Wie sich eine Partei selbst abschafft

Vom Bundesparteitag der Linken in Erfurt sollte eigentlich ein „Aufbruchssignal“ ausgehen. Das blieb aus. Dafür gab es erbitterte Grabenkämpfe, einen schon bei seiner Wahl geschwächten Vorstand und seltsam entrückte Debatten. Die Demokratie braucht eine starke Linke - aber so hat diese Partei keine Zukunft, meint Rainer Balcerowiak.

Von der Partei der sozialen Gerechtigkeit zur „Beutegemeinschaft aus bezahlten Funktionsträgern": Linke-Vorsitzende Janine Wissler auf dem Bundesparteitag in Erfurt / dpa
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Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Begleitet von großem medialen Interesse veranstaltete die Linke am vergangenen Wochenende ihren Bundesparteitag in Erfurt. Erwartet wurden neben der Neuwahl der Parteispitze auch Richtungsentscheidungen zum Krieg in der Ukraine und zur allgemeinen Ausrichtung der Linken. Denn die Partei steht mit dem Rücken zur Wand.

Drastische Verluste bei der Kernklientel

Die vergangenen Jahre waren geprägt von einer Serie von schweren Niederlagen bei Landtagswahlen, und auch der erneute Einzug in den Bundestag gelang nur um Haaresbreite. Gerade in ihrem identitätsstiftenden Politikfeld, der sozialen Gerechtigkeit, werden den Linken von den Wählern kaum noch Kompetenzen attestiert, entsprechend drastisch waren Verluste besonders in den alten Kernklientelen, bei Arbeitern, Kleinrentnern und anderen einkommensarmen Menschen.

In der Corona-Krise war die Partei so gut wie unsichtbar, in der Ukraine-Krise präsentierte sie sich tief zerstritten, und als Sahnehäubchen kam vor einigen Monaten noch ein handfester Skandal um sexuelle Übergriffe im Landesverband der alten und neuen Vorsitzenden Janine Wissler dazu. Die Ko-Vorsitzende Susanne Hennig-Wellsow warf entnervt das Handtuch und etliche vor allem ehemalige, aber auch noch aktive Funktionsträger verließen die Partei. Andere forderten in einem auch von Sahra Wagenknecht initiierten Aufruf eine umfassende Neuorientierung und personelle Erneuerung.

Unversöhnliche Lager

Kurz gesagt: Vor dem Parteitag stand die Linke vor einem Scherbenhaufen. In dieser misslichen Situation steckten auch schon andere Parteien. Aber die Linke steht auch nach ihrem Parteitag davor, und das könnte schnell zu einem existentiellen Problem werden. Das Partei-Establishment setzte auf „Durchregieren“: Das zuvor in Hinterzimmern ausgekungelte Personaltableau wurde durchgezogen, Änderungsanträge zum Leitantrag hatten keine Chance.

Auf der anderen Seite stand ein relativ stabiler Block von 30 bis 40 Prozent der Delegierten. Die forderten nicht nur eine personelle Erneuerung an der Spitze, sondern auch eine Positionierung zum Ukraine-Krieg, in der zwar die völkerrechtswidrige Aggression Russlands verurteilt wird, aber auch explizit auf den Anteil der Nato-Staaten an der kontinuierlichen Eskalation verwiesen wird. Auf der anderen Seite gab es aber auch Vorstöße, die auch in dem Leitantrag verankerte Ablehnung von Waffenlieferungen an die Ukraine zu korrigieren. Die Debatten um diesen Themenkomplex kann man ohne Übertreibung als teilweise hasserfüllt bezeichnen.

 

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Neues Führungsduo abgewatscht

Entsprechend miserabel war das Ergebnis für das neue Vorstandsduo. Janine Wissler erhielt lediglich 57,5 Prozent der Stimmen, ihre Gegenkandidatin, die Bundestagsabgeordnete Heidi Reichinnek, kam auf 37,5 Prozent. Der neue Ko-Vorsitzende, der Europa-Abgeordnete Martin Schirdewan, setzte sich mit 61,3 Prozent in einer Kampfabstimmung gegen den Bundestagsabgeordneten Sören Pellmann durch, der durch sein überraschend in Leipzig gewonnenes Direktmandat die Partei vor dem Ausscheiden aus dem Bundestag gerettet hatte. Damit gewann ein Kandidat des Apparats gegen einen Kontrahenten, dem eine gewisse „Wagenknecht-Nähe“ nachgesagt wird.

Pellmann kündigte unmittelbar danach an, in den nächsten Tagen und Wochen intensiv über seine künftige Arbeit für die Partei nachzudenken. Weiter demontiert wurde durch diese Wahl auch die Position der Fraktionsspitze der Partei. Amira Mohamed Ali und Dietmar Bartsch hatten auf ein neues Führungsduo Sören Pellmann/Heidi Reichinnek gesetzt.

Eine zentrale Figur der innerparteilichen Auseinandersetzung war in Erfurt nicht anwesend. Sahra Wagenknecht musste wegen einer Erkältung fernbleiben. Doch ihr Geist schwebte permanent durch die Messehalle. In etlichen Beiträgen wurde ihr „zerstörerisches Wirken“ gegeißelt und eine deutliche Ab- und Ausgrenzung seitens der Partei gefordert.  

Demokratie braucht eine starke Linke

Doch wie soll es nun weitergehen? Auf der einen Seite sind die politischen Rahmenbedingungen für eine sozialstaatlich fokussierte, linke Partei, die als einzige Fragen der Verteilungs- und Teilhabegerechtigkeit pointiert auf die Agenda setzen könnte, derzeit recht gut. Die multiplen Krisen (Corona, Energieversorgung, Krieg, galoppierende Inflation) haben zu erheblichen sozialen Verwerfungen geführt, deren Ausmaß in absehbarer Zeit noch deutlich zunehmen werden. Die jetzige Regierungskoalition wird darauf keine kohärenten Antworten finden können – zu unterschiedlich sind die ordnungs- und finanzpolitischen Grundvorstellungen.

Doch es erscheint ausgeschlossen, dass die tief zerstrittene und wie gelähmt wirkende Linke diese politische Großwetterlage nutzen könnte. Als sichtbare, kampagnenfähige Partei, bei der jeder weiß, wofür sie eigentlich steht und wofür nicht. Für eine lebendige Demokratie ist das nicht gut. Vielleicht kann eine solche Kraft auch nur entstehen, wenn der fußlahme, halbtote Gaul „Die Linke“, der eigentlich nur noch von der Beharrungskraft einer „Beutegemeinschaft“ aus bezahlten Funktionsträgern lebt, endgültig beerdigt wird und Platz für einen Neuanfang macht.  

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