
- Ein schönes, böses Märchen
Heute vor 50 Jahren wurde der Wortführer der Studentenbewegung, Rudi Dutschke, Opfer eines Attentats, an dessen Folgen er später verstarb. Die 68er polarisieren bis heute. Wie ist ihr Erbe zu beurteilen? Das fragte sich Sophie Dannenberg in der Titelgeschichte der Cicero-Ausgabe „Der Muff von 50 Jahren“
Ich bin eine gebürtige Linke. Aufgewachsen zwischen Solidaritätskonzerten der DKP und antiautoritärem Kinderladen. Beides, DDR-Kommunismus und antiautoritäre Bewegung, passte allerdings nicht zusammen. Im Rückblick erleben wir die 68er-Studentenrevolte als eine ideologisch einheitliche Bewegung, aber das war sie ganz und gar nicht. Jede Splittergruppe hatte ihre eigene Agenda, und eher kaum hätte sich ein Trotzkist zu den Maoisten, ein Spartakist zu den Spontis oder eine Feministin vom Aktionsrat zur Befreiung der Frauen zum SDS gesellt – es sei denn, um Tomaten aufs männliche Präsidium zu werfen. Aber die Freunde meiner Eltern waren kommunistische Exilchilenen und schleppten sie zu den DKP-Festen, wo es selbst gestrickte Pudel und Empanadas zu kaufen gab, und meine Eltern nahmen deren Tochter dann eben in den Kinderladen mit. Und vielleicht ging es meinen Eltern schon damals, wie vielen anderen, mehr um die Stimmung als um die Theorie. Es war ein Mix aus Aufruhr, Hoffnung, Glück und Wut.
Ohnesorgs Tod als Auslöser zur Politisierung
Der Beginn der 68er-Studentenrevolte wird meist auf 1967 datiert, also auf heute vor 50 Jahren, als während der Anti-Schah-Demo in Berlin der Student Benno Ohnesorg erschossen wurde, eben nicht von einem „faschistischen Bullen“, sondern, wie man heute weiß, vom Stasi-IM Karl-Heinz Kurras. Für viele Studenten war Ohnesorgs Tod aber der Auslöser ihrer Politisierung. Die Radikalisierung der politischen Kräfte hatte indes schon früher begonnen, 1959 mit dem großen Anti-Atomwaffen-Kongress an der Freien Universität. Damals gelang es einer Fraktion der Zeitschrift Konkret, darunter Ulrike Meinhof, den moderaten SPD-Kurs auszuhebeln und den Kongress zu kapern, um am Ende eine prokommunistische Resolution durchzusetzen. Auch wann die Revolte endete, ist nicht klar. Wohl 1980 mit ihrer endgültigen Institutionalisierung durch die Gründung der Grünen. Manchmal wundert es mich, dass wir einen so langen, intensiven Zeitraum mit einer Zahl codieren.