Deutsche Flüchtlingspolitik - „Das Asylsystem ist durchlöchert und funktioniert nicht mehr“

Die neue Flüchtlingskrise wird für Städte und Kommunen zu einer schweren Belastungsprobe. Landrat Kai Zwicker (CDU) aus dem Westmünsterland beklagt vor allem mangende Unterbringungsmöglichkeiten. Von Berlin fordert er einen radikalen Kurswechsel in der Flüchtlingspolitik.

Müssen Flüchtlinge bald wieder in Turnhallen untergebracht werden, wie hier im Jahr 2015 in Schneeberg (Sachsen)? / dpa
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Autoreninfo

Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

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Der promovierte Jurist Kai Zwicker ist seit 2009 Landrat in dem ländlich geprägten Kreis Borken an der niederländischen Grenze. Zuvor war er Bürgermeister der Gemeinde Heek.

Herr Zwicker, heute findet in Berlin der Flüchtlingsgipfel statt. Wie ist die Situation bei Ihnen vor Ort im Kreis Borken?

Die Situation bei uns ist sehr angespannt. Die Kommunen, die Städte und Gemeinden, versuchen zu tun, was sie können. Aber es gibt – unabhängig von der weiteren Frage der Möglichkeiten von Beschulung und Kinderbetreuung – einfach zu wenige Wohnungen. Wir haben ja in unserer Region generell schon einen Mangel an Wohnraum, aber der wird durch die Flüchtlinge dramatisch verschärft. Allein aus der Ukraine sind 2022 rund 400.000 Menschen zu uns gekommen, allein im Kreis Borken über 4500. Weitere Flüchtlinge, vor allem aus Afghanistan, Syrien, aus dem Nahen Osten haben uns erreicht. Wir wissen jetzt auch nicht, wie sich das Erdbeben in der Türkei und in Syrien noch auswirkt.

Woran zeigt sich die Dramatisierung der Lage?

Einzelne Kommunen haben aus ihrer Not heraus bereits Turnhallen für die notwendige Unterbringung in Anspruch genommen, andere sind dabei, diese vorzubereiten und auch bezugsfertig zu machen. Das wollten wir eigentlich vermeiden, dass wir in eine solche Notsituation kommen und möglicherweise Einschränkungen etwa beim Schulsport oder Vereinssport in Kauf nehmen müssen. Durch die enormen Anstrengungen der Kommunen ist es bisher gelungen, das vielfach zu umgehen und dennoch mehr Menschen unterzubringen als zur Zeit der Flüchtlingskrise 2015/2016.

Was ist der größte Unterschied zur Flüchtlingskrise 2015/16?

Kai Zwicker / Kreis Borken

Grundsätzlich ist das Management der Krise besser geworden, aber es ist eben nicht ausreichend. Es ist momentan überall noch sehr angespannt. Durch die Schutzsuchenden aus der Ukraine und die anderen Flüchtlinge haben wir vor allem eine noch größere Zahl zu verkraften. Doch vor allem durch die große Bereitschaft der Bürgerinnen und Bürger, gerade auch Familie aus der Ukraine aufzunehmen, sind wir gut durch das Jahr gekommen. Das große Engagement, zu dem wir immer ausgerufen haben, aber das die Leute auch gezeigt haben, haben wir die Dramatik abgefedert. Aber irgendwann sind die Kapazitäten halt am Ende.

Was erwarten Sie nun vom Flüchtlingsgipfel in Berlin?

Es gibt diesen Aspekt des Wohnungsbaus. Wir müssen endlich schneller und mehr Wohnraum schaffen. Es fehlt aber an allem: Grundstücke sind knapp, Baustoffe und Baufirmen fehlen. Und hinzu kommt die Überregulierung durch den Staat. Ich wünsche mir das Signal aus Berlin, dass das Bauen endlich einfacher und schneller wird und es bei den ausufernden Bauvorschriften Erleichterungen gibt. Bislang haben wir in unserem Land immer nur Vorschriften verschärft, nun müssen wir den umgekehrten Weg gehen.

Was bedeutet das konkret?

Bei der Energieversorgung, bei der Dämmung etwa kommen immer neue Vorschriften hinzu, aber auch bei der Bauplanung und beim Ordnungsrecht gibt es viele Hürden. Das alles erschwert und verteuert natürlich das Bauen und schafft gleichzeitig zusätzliche Materialknappheit.

 

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Was erwarten Sie von der Bundesregierung in der angespannten Flüchtlingslage?

Wir brauchen ein ganz klares Signal in Richtung der kommunalen Familie, dass es vom Bund konkrete Unterstützung und Geld gibt. Es kann nicht sein, dass die Kommunen auf Kosten hängenbleiben, weil Bund und Länder sich nicht einig werden. Das können wir schlicht nicht stemmen. Und der Bund muss Liegenschaften, die vorhanden sind, schneller weitergeben. Außerdem müssen die Länder zunächst eigene Einrichtungen zur Unterbringung von Flüchtlingen schaffen, um den Kommunen ausreichend Zeit zu geben, langfristig für entsprechenden Wohnraum zu sorgen. Auch weil die europäische Solidarität – sprich die sogenannten Dublin-Verfahren – faktisch nicht funktioniert, muss der Bund dringend anpacken, um die Kommunen an dieser Stelle zu entlasten.

Wie muss sich die Migrationspolitik entwickeln?

Wir brauchen einen grundsätzlichen Kurswechsel in der Flüchtlingspolitik. Die Bundesregierung muss auf der europäischen Ebene für eine gerechtere Verteilung sorgen. Es kann nicht sein, dass Nordrhein-Westfalen mehr Flüchtlinge aufgenommen hat als beispielsweise Frankreich. Das erleben wir auch hier an der Grenze zu den Niederlanden. Die Relationen zu den anderen Ländern stimmen einfach nicht. Es braucht einen vernünftigen Verteilungsschlüssel. So kann es nicht weitergehen, die Kommunen können das nicht mehr leisten.

Wie ist die Situation im Westmünsterland hinsichtlich der illegalen Migration?

Wir haben eine große Akzeptanz in der Bevölkerung für die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine. Aber beim Asylrecht läuft einiges schief. Wir schieben hier Menschen ab, die kein dauerhaftes Bleiberecht in Deutschland haben. Doch es fehlt an den richtigen Signalen aus Berlin. Von der angekündigten Abschiebe-Offensive ist nichts zu sehen. Stattdessen werden falsche Botschaften ausgesendet, etwa durch das Bürgergeld oder Erleichterung bei der Einbürgerung. Das ist quasi eine Einladung zur Migration, ein ganz klarer Pull-Faktor. Andere Länder wie die Niederlande oder Dänemark haben längst einen anderen Kurs eingeschlagen.

Welche  Unterschiede gibt es zwischen den Ukrainern und den anderen Flüchtlingen?

Natürlich gibt es Unterschiede, auch wenn die nicht immer eindeutig zu beschreiben sind. Aber im Großen und Ganzen kommen aus der Ukraine vor allem Frauen und Familien, während aus Syrien und Afghanistan vor allem junge Männer kommen. Das macht, was die Akzeptanz angeht, schon oft eine Differenz aus. Aber wir haben für alles gute Beispiele, wie wir auch für alles schlechte Beispiele haben. Generell funktioniert das Asylsystem nicht mehr, es ist durchlöchert und muss neu geregelt werden.

Die Fragen stellte Volker Resing.

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