Staatliche „Demokratieförderung“ - Demokratie der Lemminge

Die Bundesregierung hat das sogenannte Demokratiefördergesetz auf den Weg gebracht. Das Problem: „Demokratie“ dient nur als Schlagwort, um Interessengrüppchen und politische Vorfeldorganisationen linker Parteien auf Kosten der Allgemeinheit zu versorgen. Es ist ein Angriff auf die parlamentarische Demokratie und das Grundgesetz.

Der Staat fördert mit dreistelligem Millionenbudget Aktivisten, die an seinen Grundfesten rütteln / Alexander Glandien
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Mathias Brodkorb ist Cicero-Autor und war Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Er gehört der SPD an.

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Bei diesem Beitrag handelt es sich um die Titelgeschichte der Cicero-Ausgabe 09/22. Wir veröffentlichen ihn aus aktuellem Anlass erneut. 

„Rassismus gibt es überall, er ist mitten unter uns“, mit diesen apokalyptischen Worten stellte Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen) Mitte des Jahres den Nationalen Rassismusmonitor vor der Bundespressekonferenz vor. Gekostet hat er 3,6 Millionen Euro, und nach Angaben des zuständigen Ministeriums ist mit vergleichbaren Kosten auch künftig zu rechnen – und zwar Jahr für Jahr. Deutschland: das Land mit dem Rassismusproblem. Ungefähr so könnte man die Botschaft der Studie zusammenfassen. Für Bundesfamilienministerin Paus handelt es sich um eine „evidenzbasierte“ Grundlage für ihr Handeln. Sie hat daher gemeinsam mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) ein „Demokratiefördergesetz“ auf den Weg gebracht. 

Mit diesem Demokratiefördergesetz beginnt und endet zugleich eine lange Geschichte: Ihr Anfang liegt am 2. Oktober 2000. Infolge eines Brandanschlags auf die Synagoge von Düsseldorf rief der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) zwei Tage später den „Aufstand der Anständigen“ aus. Aber der Anschlag war nur der Auslöser. Bereits in den 1990er-Jahren breitete sich insbesondere im Osten Deutschlands ein gut organisiertes rechtsextremes Milieu aus. Eine unterentwickelte Zivilgesellschaft traf auf Massenarbeitslosigkeit, demografische Schwindsucht und Perspektivlosigkeit – bester Nährboden also, um nach Sündenböcken zu suchen.

Historie des Rechtsextremismus

Es gab im tiefen Osten damals Dörfer, in denen waren die ohnehin schon von rechts unterwanderte Feuerwehr sowie die örtliche Neonazi-Kameradschaft die einzigen funktionierenden zivilgesellschaftlichen Organisationen. Ihr Ziel war es, den öffentlichen Raum unter Kontrolle zu bringen und „national befreite Zonen“ zu schaffen, wie es in einem Strategiepapier aus der rechtsextremen Szene damals hieß. Und selbst in vergleichsweise großen Städten fraßen sich die Rechtsextremisten erfolgreich in die Mitte der Gesellschaft vor. 

Als Ende der 1990er-Jahre bekannt wurde, dass in Rostock die sogenannten „Krüger-Zwillinge“ ehrenamtlich in einem Kindergarten aushalfen und schon die Kleinsten völkisch indoktrinierten, gab es einen bundesweiten Aufschrei. Es war die Zeit, in der die NPD als parteipolitischer Arm zahlreiche Neonazi-Kameradschaften als Vorfeldorganisationen an sich band. Es entstand Schritt für Schritt eine rechtsextreme Zivilgesellschaft, die ein klares Ziel verfolgte: die Eroberung des Staates. Und das zunächst durchaus mit Erfolg: Nach jahrelanger Graswurzelarbeit zog die NPD im Jahr 2004 mit fast 10 Prozent in den Sächsischen Landtag ein, zwei Jahre später folgte Mecklenburg-Vorpommern mit 7,3 Prozent.

Im ganzen Land wurden damals „Aktionspläne“ gegen Rechtsextremismus aus dem Boden gestampft. Der Bund legte mehrere Förderprogramme für Modellprojekte auf, an deren Namen sich heute kaum noch jemand erinnert: Civitas, Entimon und Xenos zum Beispiel. Die Projekte, die damals entstanden sind, prägen bis heute die Zivilgesellschaft im „Kampf gegen rechts“: Beratungsstellen für die Opfer rechtsextremistischer Gewalt oder Beratungsnetzwerke gegen Rechtsextremismus und für Demokratie und Toleranz beispielsweise. Inzwischen werden sie über die Förderprogramme „Zusammenhalt durch Teilhabe“ durch das Bundesinnenministerium und „Demokratie leben!“ durch das Bundesfamilienministerium gefördert.

Eine halbe Million für „Drecksscheiß“

Die Finanzausstattung insbesondere von „Demokratie leben!“ ist dabei atemberaubend. Bereits im Jahr 2015 stellte der Bund rund 40 Millionen Euro zur Verfügung. Bis zum Jahr 2022 wuchs die Fördersumme auf sagenhafte 165 Millionen Euro an. Bei rund 600 geförderten Initiativen macht das etwa eine Viertelmillion Euro an Steuergeldern pro Projekt und Jahr. Beteiligt an der Auswahl der zu fördernden Projekte sind auch „externe Gutachterinnen und Gutachter aus Wissenschaft und Praxis“, wie das zuständige Ministerium mitteilt. Als Cicero in Erfahrung bringen möchte, um welche Personen es sich dabei handelt, heißt es nur: „Datenschutz“. Transparenz? Fehlanzeige!

Ohne Zweifel sind mithilfe der Förderprogramme des Bundes in den vergangenen Jahren zahlreiche wertvolle Projekte gefördert worden. Aber es gibt auch merkwürdige Dinge. Zum Beispiel das Modellprojekt „BAEM!“ aus Greifswald. Es will „queere Bildungs-, Antidiskriminierungs- und Empowermentarbeit“ leisten – unter anderem mithilfe von Podcasts. Anlässlich des Feministischen Kampftags 2021 hört sich das so an: Sie wolle mit ihrem Redebeitrag „nur Macker ankacken, Sexisten nerven“ und „transfeindlichen Leuten ans Bein pinkeln“, sagt eine junge Person. Sie nerve der „Scheiß, den ignorante Leute immer wieder verzapfen“ und „die ganze Kacke, die teils auch in feministischen Räumen reproduziert wird“. Für derlei wutentbrannte Ergüsse braucht sie nur 30 Sekunden. Nach ein paar weiteren Sekunden kommt noch eine gehörige Portion „Drecksscheiß“ hinzu – und schon ist die Einlassung zu Ende. In den Jahren 2020 bis 2022 erhielt „BAEM!“ fast eine halbe Million Euro an Steuermitteln.

„Demokratie leben!“ sei das „finanzstärkste Demokratieförderprogramm, das je eine Bundesregierung aufgelegt hat“, erklärt Bundesministerin Paus mit sichtlichem Stolz. Eine Vervierfachung der Mittel in ungefähr acht Jahren: Es gibt wohl keinen anderen Politikbereich, in dem die „Springquellen des genossenschaftlichen Reichtums voller fließen“ (Karl Marx). Zum Vergleich: Jan Holze, Stiftungsvorstand der Deutschen Stiftung für Ehrenamt und Engagement, muss sich jährlich mit 30 Millionen Euro begnügen. Und das bei mehr als 600.000 Vereinen in Deutschland. Das macht weniger als 50 Euro pro Jahr und Verein. Für Holze ist daher klar, dass ein echtes Demokratiefördergesetz die vielen Vereine im Land berücksichtigen müsste. Die seien „schließlich die Keimzellen unserer Demokratie“.

Zivilgesellschaft ist nicht Aufgabe des Staates

Eigentlich ist zivilgesellschaftliche Entwicklungshilfe durch den Staat aber eine kuriose Angelegenheit. Fragt man den Philosophen Jürgen Habermas, dann ist es umgekehrt die Zivilgesellschaft – also Kirchen, Verbände, Gewerkschaften, Vereine und eigentlich auch die Parteien –, die dem Staat Beine machen soll. Es geht darum, dass die Bürger selbstorganisiert ihre Interessen definieren und gegenüber Staat wie Mitbürgern vertreten. Eigentlich ist die Zivilgesellschaft somit ein Machtkorrektiv zur Verhinderung eines Obrigkeitsstaats. Aber was blieb der ersten rot-grünen Bundesregierung anderes übrig, als Anfang der 2000er-Jahre mit staatlichen Mitteln die Zivilgesellschaft von oben gegen rechtsextremistische Maulwürfe zu stabilisieren? Es ist eben manchmal so, dass die reine Lehre mit der Wirklichkeit nicht allzu viel zu tun hat.

 

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Der Bund ist für derartige Programme aber gar nicht zuständig. Das jedenfalls meint Linda Teuteberg (FDP), die ehemalige Generalsekretärin und heutige Innenpolitikerin der FDP-Bundestagsfraktion, im Gespräch mit Cicero. Das sei alles „ordnungspolitisch unausgegoren“. Die unvermeidbare Folge der Nichtzuständigkeit des Bundes: Er darf nur zeitlich befristete Modellprojekte finanzieren. Und deshalb muss er in regelmäßigen Abständen immer neue Förderprogramme auflegen, und die geförderten Beratungsstellen müssen sich ständig modellhaft neu erfinden. Obwohl sie eigentlich seit 20 Jahren dasselbe machen. Es sind vor allem dieser bürokratische Leerlauf und die Unsicherheit der Finanzierung, die den zivilgesellschaftlichen Initiativen Sorgen bereiten. Diese Sorge ist der Hauptgrund dafür, dass in Berlin seit ein paar Monaten erneut über ein Demokratiefördergesetz diskutiert wird.

Aber Linda Teuteberg stört nicht nur der Zuständigkeitswirrwarr. Eigentlich geht es ihr um etwas vollkommen anderes. Und die Juristin mit besonderem Interesse für das Verfassungsrecht wird sogar ein bisschen energisch: „Ich frage mich: Was ist eigentlich die Aufgabe des Staates? Und wo beginnt ein Eingriff des Staates in die politische Meinungsbildung der Bürger, der über das Konzept der wehrhaften Demokratie und bewährte Grundsätze der politischen Bildung hinausgeht – finanziert mit den Steuermitteln aller?“ Verständlich ist auf den ersten Blick kaum, warum die Politikerin so große Probleme mit den Förderprogrammen hat. Wer denn sonst sollte für die Förderung der Demokratie zuständig sein, wenn nicht der demokratisch legitimierte Rechtsstaat? „Genau das ist das Problem: Viele glauben, es ginge mit dem Gesetz bloß um die Verteilung von Fördermitteln für eine gute Sache. In Wahrheit geht es dabei auch um die Substanz unserer Demokratie“, so die FDP-Abgeordnete.

Die Demokratie-Förderungs-Sekten

Was sie damit meint, wird deutlicher, wenn man sich an der Basis der Demokratieförderer umhört. Eigentlich gibt es bei der Demokratieförderung keine Schlagworte, die so oft fallen wie „Weltoffenheit“, „Toleranz“, „Vielfalt“ und „Transparenz“. Aber wenn man reinhorcht in das Milieu, sieht es etwas anders aus. Zahlreiche Gesprächspartner wollen manches nur anonym sagen, einige ihre Argumente gleich überhaupt nicht in der Öffentlichkeit lesen. Ein wenig erinnert das alles an eine Geheimgesellschaft. Natürlich ist das ein Widerspruch, wie er größer kaum sein könnte. Aber dafür gibt es Gründe. Und genau um diese Gründe geht es Linda Teuteberg.

Da wäre zum Beispiel Martin H. Er arbeitet schon lange in einem Projekt, das vom Bundesprogramm „Demokratie leben!“ gefördert wird. H. beschreibt die Lage so: „Seit Jahren schwelt ein handfester Konflikt in der Szene. Es gibt die einen, die Aktivisten, die Volkspädagogik und Erziehung betreiben. Ihnen geht es letztlich um Gefolgschaft.“ Wo das mit Argumenten nicht gelinge, werde auch zu anderen Methoden gegriffen, öffentlicher Skandalisierung zum Beispiel. Auf der anderen Seite stünden die politischen Bildner. Für sie sei „Mündigkeit“ das Fundament der Demokratie. „Das hat dann aber zur Folge, dass man selbst reaktionäre Positionen zur Debatte stellen können muss. Echte Demokratie und über öffentlichen Druck erzwungene Gefolgschaft haben nichts miteinander zu tun. Es sei denn in einer Demokratie der Lemminge“, beschreibt Martin H. seine Position.

Besonders perfide, aber effektiv findet er, dass bestimmte Aktivisten Feigenblätter der „Vielfaltsgestaltung“ sammeln würden. Gemeint sind damit zum Beispiel Projekte aus den Bereichen Migranten-Selbsthilfeorganisationen, Diversität oder Transgender. Diese Themen seien moralisch derart aufgeladen, dass sie bei jeder grundsätzlichen Debatte über die Ausrichtung der Demokratieförderung in Stellung gebracht werden könnten. Es gehe darum, Diskussionen durch öffentlichen Druck abzuwürgen: „Im Moment ist das vor allem beim Thema Transgender so. Das funktioniert wie der Schutzschild des Raumschiffs Enterprise: Man kann ihn nach Belieben an- und wieder ausknipsen.“ Seine Weigerung, namentlich in Erscheinung zu treten, begründet Martin H. nach kurzem Nachdenken wie folgt: „Machen wir uns nichts vor: Auch in der Demokratieförderung geht es letztlich um Macht, Einfluss und Geld.“ Vor allem die aktivistischen Kräfte seien mit der Politik eng verflochten: „Und ich kann es mir schlicht nicht leisten, auf meinen Arbeitsplatz zu verzichten.“

Umständliche Doppelstrukturen

Dass an den Einschätzungen über einen handfesten Konflikt in der Szene etwas dran sein könnte, bestätigt auch der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, der Bürgerrechtler und ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete Thomas Krüger. Auch wenn der sich diplomatischer ausdrückt. Für ihn gehe es in der politischen Bildung immer um die „Freiheit des Andersdenkenden“, wie schon Rosa Luxemburg gesagt habe: „Und das kann eben bis weit hinein reichen in sehr konservative Positionen. Diese prinzipielle weltanschauliche Offenheit gibt es im Bereich der präventiv arbeitenden Aktivisten so nicht.“ Das Grundgesetz sei aber eben sehr „weit“ und nicht „eng“.

Schon im Jahr 1952 wurde die Bundeszentrale gegründet, um das demokratische Bewusstsein der Bevölkerung im außerschulischen Bereich zu fördern. Ergänzt wird diese staatliche Bildungsstruktur durch je eine Landeszentrale in jedem Bundesland – und durch viele Bildungseinrichtungen, die durch sie gefördert werden. Wenn die politische Bildung das „Rückenmark des demokratischen Rechtsstaats“ ist, wie Krüger sich ausdrückt, dann sind die Zentralen wohl so etwas wie dessen Wirbelsäule. Eigentlich müssten Krüger und Kollegen in Sachen Demokratieförderung daher in vorderster Reihe stehen. Aber sein Etat umfasst nur 100 Millionen Euro pro Jahr – für die politische Bildung insgesamt. Für „Demokratie leben!“ stehen 65 Prozent mehr Mittel zur Verfügung, obwohl es nur ein Teilsegment abdeckt.

Die Landeszentralen für politische Bildung haben sich daher mit einem Positionspapier an die Bundesministerinnen gewandt. Darin beklagen sie, dass in den vergangenen 20 Jahren wenig hilfreiche „Sonderstrukturen“ entstanden seien, und raten dazu, diese im Demokratiefördergesetz „mit den Regelstrukturen der politischen Bildung zu verzahnen“. Im Klartext: Die Landeszentralen fordern, dass der Staat seine Demokratieförderung dort hingibt, wo sie fachlich hingehört, in die politische Bildung. Damit würden nicht nur Ressourcen gebündelt, sondern noch etwas anderes erreicht: Die politischen Bildner könnten dann auf die Aktivisten aufpassen. In Mecklenburg-Vorpommern und Nordrhein-Westfalen ist das schon heute so. Die Fördermittel aus „Demokratie leben!“ werden dort durch die Landeszentralen für politische Bildung abgewickelt, in den anderen Ländern liegt die Zuständigkeit hingegen bei den fachlich eigentlich unzuständigen Familienministerien.

Die Amadeu-Antonio-Stiftung

Es war das Jahr 1976, als die Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württembergs Experten in das beschauliche Beutelsbach einlud, um sich über einen „Minimalkonsens“ in der politischen Bildung zu verständigen. Heraus kam der „Beutelsbacher Konsens“, der bis heute gilt. Dessen Kern: Staatlich finanzierte politische Bildung müsse sich aus Gründen echter Demokratieförderung jedweder „Indoktrination“ enthalten. Es könne nicht darum gehen, den Staatsbürgern ein bestimmtes Weltbild zu vermitteln, sondern nur darum, die eigene Urteilsfähigkeit und damit Mündigkeit zu stärken (Überwältigungsverbot). Das Mittel dazu: Politische Debatten müssten in aller Kontroversität geführt werden dürfen (Kontroversitätsgebot) und daher alle Argumente auf den Tisch. Aber diese demokratischen Selbstverständlichkeiten existierten bei einer Reihe von Aktivisten bisweilen nicht, meinen jedenfalls namhafte Stimmen wie Thomas Krüger, Chef der Bundeszentrale für politische Bildung.

Es ist vor allem ein Name, der immer wieder fällt, wenn es um Aktivismus und Lobbyarbeit in der Demokratieförderszene geht: der der Amadeu-Antonio-Stiftung (AAS). Sie wurde im Jahr 1998 von Anetta Kahane gegründet und gehört mit einem Jahresbudget von fast sechs Millionen Euro im Jahr 2020 zu den Big Playern im Geschäft gegen rechts. Von ihren politischen Gegnern wurde Kahane in der Vergangenheit immer wieder ihre frühere Tätigkeit für die Stasi vorgehalten. Ernsthaft geschadet hat das der Stiftung aber nie. Es gibt auch gar keinen Grund, Jugendsünden in eine Dauerschuld umzuwandeln. Es ist ja gerade einer der Vorteile der Demokratie, dass man seine Meinung ändern darf.

Geleitet wird die Amadeu-Antonio-Stiftung heute vom bestens vernetzten Timo Reinfrank. Und selbstverständlich ist er als Experte mit von der Partie, wenn die Abgeordneten des Deutschen Bundestags handverlesen zu einer Anhörung zum geplanten Demokratiefördergesetz laden. Reinfrank spricht dabei nicht nur für die AAS, sondern für eine ganze Gruppe von Organisationen, die sich in der Bundesarbeitsgemeinschaft Demokratieentwicklung (BAGD) zusammengeschlossen haben. Und deren Botschaften haben es durchaus in sich: Sie fordern für die künftige Förderung ein, vom Staat endlich „auf Augenhöhe“ behandelt zu werden. Außerdem müsse ein „zeitgemäßes Demokratieverständnis im Gesetz“ verankert werden. Als die Abgeordnete Teuteberg wissen will, was das denn eigentlich sei, verweist der Chef der AAS auf ein Bundesverfassungsgerichtsurteil aus dem Jahre 2017. Dort habe das höchste deutsche Gericht sein Demokratieverständnis „aktualisiert“ und endlich die Menschenwürde gegenüber dem Staat ins Zentrum gestellt. Eine nähere Begründung für diese Behauptung liefert Reinfrank indes auch auf Nachfrage nicht.

Staatsknete und völlige Narrenfreiheit

Darüber kann Teuteberg nur den Kopf schütteln. „Die Menschenwürde ist seit 1949 das Fundament unserer Rechtsordnung, sie ist von Anfang an Grund und Grenze staatlichen Handelns. Die Menschenwürde nun gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung und das Konzept der wehrhaften Demokratie in Stellung zu bringen, ist doch der offenkundige Versuch einer Umdeutung unseres Grundgesetzes. Das ist ein Angriff auf die Funktionsfähigkeit unserer Verfassungsordnung“, so die FDP-Bundestagsabgeordnete. Letztlich gehe es wohl darum, die Bedeutung der parlamentarischen Demokratie und ihrer Institutionen zu relativieren.

Für diese Deutung spricht jedenfalls, was die BAGD in ihrem Positionspapier sonst noch alles von der Politik fordert. Die Demokratieförderung solle aus Gründen der „Subsidiarität“ nämlich „vor allem eine zivilgesellschaftliche Aufgabe“ sein. Das müsse so gesetzlich festgeschrieben werden. Hierzu gehöre auch, die Bundeszentrale für politische Bildung der Zivilgesellschaft zu unterstellen, um künftig ihre „Staatsferne“ zu gewährleisten. Oder etwas weniger diplomatisch ausgedrückt: Wenn es um Fragen der Demokratieförderung geht, soll der Staat das Geld geben und sich ansonsten raushalten. 

Susi W., eine langjährige Mitarbeiterin im öffentlichen Dienst im Bereich politische Bildung, kennt diese Haltung schon etwas länger: „Im Prinzip wünschen sich diese Akteure Beschäftigungsbedingungen wie im öffentlichen Dienst bei gleichzeitig voller Beinfreiheit.“ Man bekommt eine Ahnung davon, was mit Zusammenarbeit „auf Augenhöhe“ eigentlich gemeint ist.

Von wegen Vielfalt

Dass der demokratische Rechtsstaat nicht zuständig ist, wenn es um die Sicherung seiner selbst und der Demokratie geht: Auf einen solchen Gedanken muss man erst einmal kommen! Richtig ist so ziemlich das Gegenteil. Aus der Ermächtigung der Bürger im Rahmen politischer Bildung ist offenbar die Selbstermächtigung einiger zivilgesellschaftlicher Organisationen geworden. Sie maßen sich an, anstelle des Staates sensible Bereiche des öffentlichen Lebens zu regulieren. Ein Beispiel dafür ist wahrscheinlich das „Zentrum Liberale Moderne“ (LibMod), eine von den ehemaligen grünen Spitzenpolitikern Ralf Fücks und Marieluise Beck gegründete gemeinnützige GmbH. Sie erhält nicht nur aus dem Bundespresseamt jährlich Zuschüsse in Höhe einer halben Million Euro. Sondern auch aus dem Programm „Demokratie leben!“ für das Projekt „Gegneranalyse“; allein im Jahr 2022 waren es rund 230.000 Euro.

Aber wer sind eigentlich die „Gegner“ in diesem Projekt? Wenn es die Verfassungsfeinde wären, handelte es sich um eine Privatisierung hoheitlicher Aufgaben, die eigentlich dem Verfassungsschutz und den Gerichten zufielen. Wenn die „Gegnerschaft“ hingegen unterhalb der Verfassungsschwelle verliefe, handelte es sich um einen staatlich finanzierten Eingriff in die unabhängige Meinungsbildung der Bürger. Das LibMod beschreibt sein Selbstverständnis am Ende so: Es gehe darum, jene unter Beobachtung zu nehmen, die sich „in Opposition zur bestehenden Medienöffentlichkeit sehen“. Die „Unterbindung“ alternativer Sichtweisen: Gerade in einer Demokratie könnte man das umgekehrt auch für ein Problem halten.

Während „normale“ Bürger tagtäglich ihrem Broterwerb nachgehen müssen und kaum Zeit haben dürften für die Teilnahme an ausufernden öffentlichen Debatten, fördert der Staat also hauptamtliche Bewusstseinsarbeiter. Sie kämpfen zum Beispiel um die öffentliche Deutungshoheit in Sachen Geschlechterpolitik. Demokratisch untadelig wäre das, wenn das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ auch gendertheoriekritische Projekte förderte. Schließlich hat es sich ja der Toleranz und Vielfalt verschrieben. Nur so könnte Waffengleichheit zwischen den zivilgesellschaftlichen Akteuren hergestellt werden, um die Bürger selbst über die besten Argumente entscheiden zu lassen. Rechtlich ist das auch gar nicht unmöglich. In den Fördergrundsätzen des Bundes heißt es, mit dem Programm solle die „Stigmatisierung und Ablehnung von LGBTIQ*-Menschen“ vermindert werden. Das wäre problemlos auch mit Projekten möglich, die die Gendertheorie begründet ablehnen. Man kann ja von der Existenz zweier biologischer Geschlechter überzeugt sein und seine Mitmenschen dennoch mit Anstand behandeln.

Staatlich finanzierte linke Stimmungsmacher

Auf mehrfache Anfrage an das Bundesfamilienministerium, ob es denn derzeit gendertheoriekritische Initiativen fördere und wenn nicht, ob dies zumindest prinzipiell möglich sei, kommen ausweichende Antworten. Überraschen kann das nicht. Hätte es auch nur eine der Fragen mit einem Ja beantwortet, hätten namhafte Aktivisten vermutlich die Schutzschilde hochgefahren und mithilfe der „bestehenden Medienöffentlichkeit“ eine öffentliche Debatte angezettelt. Hätte es aber Nein gesagt, hätte es die Bereitschaft zum rechtswidrigen Staatshandeln zugegeben. Also bleibt nur das Schwurbeln.

Das alles laufe am Ende auf eine „Entmächtigung des Staates“ hinaus, behauptet Martin H. Er hätte daher nie gedacht, einmal mit der FDP-Abgeordneten Teuteberg auf derselben Seite zu stehen. Was vor über 20 Jahren mit dem „Aufstand der Anständigen“ als eine Notlösung begonnen hat, scheint sich inzwischen verselbstständigt zu haben. Selbst Timo Reinfrank von der AAS sieht es so, dass zwischen staatlicher Förderung und zivilgesellschaftlichem Engagement „in jedem Fall“ ein Spannungsverhältnis bestehe.

Und genau das ist es, was der Innenpolitikerin Teuteberg die eigentlichen Bauchschmerzen bereitet. Sobald weltanschaulich geprägte NGOs mit Unterstützung des Staates einseitig in die öffentliche Meinungsbildung eingriffen, nehme die Demokratie in ihrer Substanz Schaden. Zumindest dann, wenn die öffentlichen Meinungskorridore entgegen dem Grundgesetz verengt würden. Mitunter kämen ihr einige zivilgesellschaftliche Akteure daher wie staatlich finanzierte „Vorfeldorganisationen“ linker Parteien vor. „Aber selbst viele Politiker erkennen diese Dimension einfach nicht!“, betont sie fast verzweifelt.

Ich mache mir die Welt ...

Wenn man in der SPD-Bundestagsfraktion nach einem Gesprächspartner zum Demokratiefördergesetz fragt, wird man auf den 31-jährigen Felix Döring verwiesen. Er hat Politikwissenschaft studiert, als „Trainer und Moderator im Bereich der politischen Bildung“ gearbeitet und zog im vorigen Jahr zum ersten Mal in den Deutschen Bundestag ein. Auf die Frage, ob er schon von dem Konflikt zwischen den Beutelsbachern und den Aktivisten gehört habe, reagiert er ratlos: „Nein, ehrlich gesagt nicht.“ Aber der Streit sei auch „unnötig“. Künftig solle durch den Haushalt ja noch mehr Geld zur Verfügung gestellt werden. „Kein Grund also, sich zu zerstreiten“, so der Abgeordnete. Und für den bestehenden Konflikt zwischen Beutelsbachern und Aktivisten hat er einen Rat: „Natürlich können das die Akteure ja weiterhin untereinander diskutieren.“ Dabei geht es bei dem Streit ja gar nicht um das Geld, sondern ausnahmsweise mal um die Sache, um den Kern der Demokratie: die Meinungsfreiheit.

Mit dem neuen Demokratiefördergesetz sollen die Förderkulissen also nicht nur verstetigt, sondern noch weiter ausgebaut werden. Auf 200 Millionen Euro dürfte die Finanzausstattung der Demokratieförderung vom nächsten Jahr an steigen. Während für Jan Holze von der vom Bund getragenen Ehrenamtsstiftung eine echte Demokratieförderung ohne Einbeziehung der vielen Vereine in Deutschland undenkbar ist, sieht Timo Reinfrank von der AAS das für das geplante Gesetz ganz anders: „Ich plädiere (…) nicht für eine breite Förderung der Zivilgesellschaft, sondern für die Förderung einer klaren Demokratie-Infra­struktur“, sagt er. Er meint damit ganz gewiss auch seine eigene Stiftung. Auf die Frage, ob denn Qualitätsstandards ähnlich denen des Beutelsbacher Konsenses geplant seien, um zumindest künftig welt­anschauliche Offenheit und Neutralität in den Förderprogrammen zu gewährleisten, antwortet das zuständige Ministerium: Das sei „noch nicht geklärt“. Zu rechnen ist damit wohl eher nicht.

Timo Reinfrank fordert für diesen Fall der Fälle jedenfalls schon einmal vorsorglich, dass dann „eine breite Interpretation“ des Beutelsbacher Konsenses im Demokratiefördergesetz möglich sein müsse. Martin H. kann da nur schmunzeln: „Genau das ist der Knackpunkt: Gilt der Beutelsbacher Konsens oder gilt er nicht? Zu sagen: ‚Ja, der gilt, aber jeder soll selbst interpretieren dürfen, was er bedeutet‘, ist ein Taschenspielertrick. Das wäre so, als wenn Russland, China und Nordkorea sagten: ‚Selbstverständlich bekennen wir uns zu den Menschenrechten. Aber was genau das heißt, bestimmen wir natürlich selbst.‘“

 

Dieser Text stammt aus der September-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

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