Debatte um längere Legislaturperioden - Mehr Demokratie und weniger Wahlen schließen sich aus

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas plädiert für eine Verlängerung der Wahlperiode des Bundestages von vier auf fünf Jahre. Dieser Vorschlag mag zwar die Lebensqualität der Parlamentarier erhöhen, beschränkt jedoch erheblich die demokratischen Mitwirkungsmöglichkeiten der Bürger.

Der Plenarsaal des Deutschen Bundestages in Berlin / picture alliance
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Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Wenn es mit Blick auf den Bundestag ein drängendes Problem gibt, dann ist es das Wahlrecht. Vor einer Wahl nicht zu wissen, ob dem Parlament 598 Abgeordnete angehören, wie es das Wahlgesetz als Regelfall vorsieht, 736 wie aktuell oder vielleicht 800 nach der nächsten Bundestagswahl, spricht allen Vorstellungen einer geordneten parlamentarischen Demokratie Hohn. Wenn Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) nach einer Aufgabe sucht, mit der sie das politische Geschehen nachhaltig prägen will, dann wäre es eine Wahlrechtsreform.

Die SPD-Politikerin hat jetzt einen Nebenkriegsschauplatz eröffnet. Sie plädiert dafür, die Wahlperiode des Bundestags von vier auf fünf Jahre zu verlängern. „Ich kann mir das gut vorstellen“, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur. „Eine fünfjährige Legislaturperiode wäre auch für den Deutschen Bundestag gut.“ In 15 von 16 Landtagen dauert die Wahlperiode bereits fünf Jahre; lediglich Bremen ist noch bei vier. Die Ampel hat im Koalitionsvertrag festgelegt, eine „Verlängerung der Legislaturperiode auf fünf Jahre“ zu prüfen. 

 

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Die Argumente für eine längere Wahlperiode sind in Bund und Land dieselben. Nach einer Wahl brauche eine Regierung fast ein Jahr, um sich zusammenzufinden. Dann könne man zwei Jahre lang halbwegs ruhig regieren. Im vierten Jahr stehe dann alles bereits im Zeichen des Wahlkampfes. Bei fünf Jahren blieben dagegen drei produktive Regierungsjahre. Das komme der Qualität politischer Entscheidungen zugute. 

Wenn das alles zuträfe, müssten die fünfzehn Bundesländer heute allesamt besser und effektiver regiert werden als das in früheren Zeiten der Fall war. Das freilich hat noch niemand behauptet. Es wäre wohl auch schwer, die Qualität politischen Handelns zu messen, um Unterschiede zwischen einer vier- und einer fünfjährigen Regierungszeit beurteilen zu können. Jedenfalls scheint sich noch kein Wissenschaftler darangemacht zu haben, dies zu belegen. 

Wer regieren will, der kann damit schnell anfangen

Die These, eine Regierung brauche das erste Jahr, um sich ordentlich einzuarbeiten, hält einer näheren Betrachtung ohnehin nicht stand. Die Ampel-Regierung hat unter dem Druck von Ereignissen wie Inflation, Energiekrise und Ukraine-Krieg sehr schnell „geliefert“, ganz gleich, wie man zu den Inhalten rot-grün-gelber Politik stehen mag. Und dass bei einer höchst schwierigen Konstellation mit zwei linken und einer liberalen Partei. Womit bewiesen wäre: Wer regieren will, der kann damit schnell anfangen.

In Wirklichkeit geht es den Befürwortern längerer Legislaturperioden über alle Parteigrenzen hinweg um etwas anderes: Sie wollen es bequemer haben. Längere Amtszeiten bedeuten weniger Wahlen. Weniger Wahlen bedeuten weniger Wahlkämpfe. Weniger Wahlkämpfe bedeuten weniger Stress und weniger Kosten. Kurz: Längere Wahlperioden erhöhen die politische Lebensqualität der Parlamentarier.

Noch weniger Mitsprache kann nicht die Lösung sein

Dabei sind sie bereit, die Rechte der Bürger einzuschränken. Bei vierjährigen Legislaturperioden, wie es in Deutschland jahrzehntelang gang und gäbe war, konnte jeder Bürger in den 60 Jahren zwischen seinem 18. und dem 78. Geburtstag dreißigmal seine Stimme abgeben, jeweils fünfzehnmal im Bund und im Land. Inzwischen sind es bereits drei Landtagswahlen weniger. Falls der Bund ebenfalls auf fünf Jahre geht, kann derselbe Bürger nur noch vierundzwanzigmal statt dreißigmal wählen. Das ist eine deutliche Beschränkung seiner demokratischen Mitwirkungsmöglichkeiten.

Das passt nicht zusammen. Einerseits beschwören die Politiker die Bedeutung von Wahlen. „Mehr Demokratie wagen“, jenes berühmte Motto von Willy Brandts erster sozial-liberaler Regierung, geht inzwischen Politikern aller Parteien leicht von den Lippen. Andererseits wollen dieselben Akteure die Wahlmöglichkeiten der Bürger einschränken. Noch weniger Mitsprache der Bürger um den Preis einer nicht nachweisbaren Verbesserung politischer Entscheidungsprozesse? Dieser Preis ist zu hoch. Ganz abgesehen davon: Abgeordnete, denen zu häufige Wahlen lästig sind, sollten sich vielleicht nach einem anderen Job umschauen. 

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