Cicero im März / Illustration: Michael Pleesz

Cicero im März - Spätrömische Dekadenz?

In der politischen Debatte erfährt der Begriff der „spätrömischen Dekadenz“ eine Konjunktur. Aber sind Vergleiche mit dem späten römischen Reich überhaupt statthaft? Der Althistoriker Michael Sommer gibt in der März-Ausgabe von Cicero überraschende Antworten darauf.

Alexander Marguier

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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Im Februar 2010 brachte Guido Westerwelle einen Begriff in die politische Debatte ein, der seit einiger Zeit wieder Konjunktur hat: die „spätrömische Dekadenz“. Gemünzt waren die Worte des damaligen FDP-Vorsitzenden auf den deutschen Sozialstaat, der „anstrengungslosen Wohlstand“ verspreche und das Leistungsprinzip unterminiere. Westerwelle selbst bereute drei Jahre später in einem Interview diesen Vergleich mit angeblich antikem Schlendrian zwar ausdrücklich: „Hätte ich das gewusst, was die beiden Worte auslösen, hätte ich es gelassen.“ Aber da hatte sich sein Bonmot längst verselbstständigt.

Und es erfährt dieser Tage ein Comeback, weil auch jetzt wieder die Transferleistungen explodieren, weil das „Bürgergeld“ praktisch einem bedingungslosen Grundeinkommen gleichkommt. Weil überhaupt weithin der Eindruck entstanden ist, dass unser Staat längst nicht jene Resilienz aufbringt, die angesichts der krisenhaften Lage – von Migration über Rezession bis hin zum Ukrainekrieg – doch eigentlich so dringend nötig wäre. Bildlich gesprochen: Während um uns herum die Welt zusammenstürzt, feiert man in Berlin Ausgaben-Orgien und hofft darauf, dass einem die Tauben in den Mund fliegen.

Etliche Parallelen zwischen damals und heute

Aber sind Vergleiche mit dem späten römischen Reich überhaupt statthaft? War diese Epoche tatsächlich leistungsfeindlich oder pflichtvergessen – und wenn ja, mit welchen Folgen? Wir haben zur Beantwortung dieser Fragen einen ausgewiesenen Experten gewonnen: den Althistoriker Michael Sommer, der übrigens nicht nur über seine eigentliche Materie zahlreiche Bücher veröffentlicht hat. Sondern auch ein scharfsinniger Beobachter des aktuellen politischen Geschehens ist.

Und tatsächlich findet Sommer etliche Parallelen zwischen dem Damals und dem Heute. Die allerdings ganz anderer Art sind, als es der berühmt gewordene Vergleich von Guido Westerwelle erwarten lässt. Es fängt nämlich schon damit an, dass das späte Rom eines ganz bestimmt nicht war: dekadent. Lassen Sie sich also überraschen, was die Antike uns über unsere Gegenwart dennoch zu erzählen hat!

 


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Stefan Jarzombek | Fr., 23. Februar 2024 - 08:38

Zwar wurde Rom oftmals von auswärtigen Kräften attackiert, dennoch zerbrach es auch an Problemen im Inneren des Landes. Schuld daran war eine schwere Finanzkrise. Die andauernden Kriege und hohen Ausgaben hatten die Reichskasse empfindlich geschwächt; die ständigen Steuererhöhungen und die Inflation hatten die Kluft zwischen Arm und Reich noch vergrößert. In der Hoffnung, den Steuerzahlungen zu entgehen, waren viele reiche Bürger Roms aufs Land geflüchtet und hatten dort unabhängige Lehen errichtet. Zur gleichen Zeit fehlte es dem Imperium an Arbeitskräften. Die wirtschaftliche Stärke Roms hing von den Sklaven ab, die das Land bearbeiteten und handwerklich tätig waren. Durch die vielen militärischen Erfolge konnte Rom viele besiegte Völker zu Leibeigenen machen. Doch als die Expansion im 2. Jahrhundert nicht weiter voranschritt, versiegte der Nachschub an Sklaven und anderen Kriegsbeuten.
Ähnlich wie heutzutage in Europa und gerade in Deutschland. Stichwort: Zuwanderung.

Karl-Heinz Weiß | Fr., 23. Februar 2024 - 09:52

Antwort auf von Stefan Jarzombek

Auch ich bin gespannt auf den Beitrag von Herrn Sommer.
Imperien zerbrechen auch, wenn sich die Bürgerschaft nicht mehr mit der Kultur und den Interessen des Staates identifiziert. Wenn der oberste für Wirtschaft zuständige Minister mit "Deutschland noch nie etwas anfangen konnte",…………

Stefan Jarzombek | Fr., 23. Februar 2024 - 14:39

Antwort auf von Karl-Heinz Weiß

Stellen sie sich vor Kaiser Augustus hätte das gesagt. "Er könne mit dem Römischen Reich nix anfangen."
Augustus brachte Frieden und Stabilität in das Römische Reich, indem er die politische Struktur reformierte. Dieser Zeitraum ist als Pax Romana bekannt. Augustus war auch ein großer Förderer der Künste und der Architektur.
Der zweite Mann im deutschen Staat dagegen... wo man hinguckt offensichtlich Chaos.
Der erste Mann im Staat darf überhaupt nicht regieren nur repräsentieren sowie darstellen und der Dritte meint halt, er könne mit Deutschland nichts anfangen.
Wahrscheinlich wäre das Römische Reich mit solchen Politikern schon zu Anfang eine Todgeburt gewesen.

Urban Wil | Fr., 23. Februar 2024 - 08:48

Untertreibung.
Man darf gespannt sein, was Sommer analysiert hat.
Als „unmittelbaren Auslöser“ nennt ZEIT ONLINE die Völkerwanderung und da reicht es einem schon...
Sommer wird sicherlich Parallelen zu damals und der weiterhin unkontrollierten Zuwanderung in unser Land ziehen.
Und die Unfähigkeit, bzw. den Unwillen, dies zu beenden, bzw. in geordnete Bahnen zu lenken.

Bilder sagen viel aus:
Man sieht vier Menschen. Davon zwei Sektierer.
Zwei machen nichts und schauen nur, der Chef griesgrämig, gelangweilt, der Gelbe arrogant blickend, sich körperlich abwendend.
Die Sektierer: einer übt sich an einem Instrument, das er, wie man sieht, nicht beherrscht, er wirkt linkisch.
Die Dame glotzt dumm und vertilgt Trauben, die mit Sicherheit andere geerntet haben und von denen sich nicht mal weiß, wie viel Arbeit es macht, sie anzubauen und zu ernten.

Der Wachsamste ist der Tiger, aber der hat wohl nur da zu liegen und gut auszusehen.
Er rundet die dekadente Szene ab.

und Ihre Beschreibung auch, lieber Herr Will.

Ich möchte hinzufügen, daß ich den Tiger für die Verkörperung des Islams halte, der jetzt noch ganz still und aber hoch-wachsam dem dekadenten Treiben der verweichlichten, arroganten Gestalten zuschaut und nur auf den Moment lauert, ihnen seine Macht zu beweisen und ihnen den Garaus zu machen.

Sie haben es nicht besser verdient; denn die Lehren ihrer Philosophen galten ihnen schon lange nichts mehr, z. B. die äußerst sinnvolle Maxime:
"Quidquid agis prudenter agas et respice finem" .
(frei übersetzt: Bedenke bei allem, was du tust, wohin es führt1)

Ihre Interpretation des Tigers passt sehr gut.
Soweit habe ich gar nicht gedacht.
Er ist ein bedeutendes Symbol im Islam.
In der islamischen Traumdeutung steht er für
Stärke, Mut und Autorität.
Alles Attribute, die man bei den vier Jammergestalten auf dem Bild vergeblich sucht.

Ingofrank | Fr., 23. Februar 2024 - 09:03

Eine noch „sehr wohlwollende Beschreibung“ dieses Restgebildes eines einst reichen demokratischen Staates der auf den Scheiterhaufen der Geschichte landen wird. Verursacht durch eine Kaste von politischen moralisch überhöhten Führern die das Volk auspressen, die Welt retten wollen aber nichts für die eigene Bevölkerung übrig hat und sich völlig losgelöst sich von dieser befindet …. deren einziges Ziel ist, ihre Macht, ihre Privilegien ihre mediale Aufmerksamkeit und alle einst demokratische Institutionen sowie als wichtigste, das Volk, sich untertan zu machen.
Mit freundlichen Grüßen aus der Erfurter Republik

Stefan Jarzombek | Fr., 23. Februar 2024 - 09:10

Heutzutage lebt jeder Bürgergeldempfänger in Deutschland komfortabler als ein Bürger im damaligen Römischen Reich. 🧐
Ich weiß auch nicht mehr allzugenau den Begriff Dekadenz zu definieren, wenn ich Artikel wie z. B. diesen in der Berliner Zeitung lese:
"Baerbock in der Kritik: Außenministerin gibt 137.000 Euro an Steuergeld für Make-up und Frisur aus
Politiker der Ampel-Koalition geben im Vergleich zur Großen Koalition unter Merkel rund 80 Prozent mehr Geld für Fotografen, Friseure und Visagisten aus."

... für moderne Finanzgenies doch nur Petitessen!

Es ist kleinlich, Herr Jarzombek, wenn Sie Baerbocks Investitionen in ihr Aussehen monieren. Würde sie nicht so gut aussehen wie sie aussieht: wäre das nicht ein großer Schaden für unser Land und seine feministische Außenpolitik?!

Würde nicht Frau Faeser erfolgreicher für die Rettung der Demokratie kämpfen, wenn sie wie die eleganten, global playenden grünen Damen Baerbock und Roth einen TV-tauglicheren Anblick bieten würde?

Der Merkel-Stil, dieser Mutti-Stil, der ist endgültig out. Wenn das auch Frau Strack-Zimmermann früher begriffen hätte, wäre die Krim heute vielleicht nicht mehr russisch besetzt.

Habeck, Lindner und Merz haben zu jenem TV-Image gefunden, das für dynamische, globale Golf-Player auf der ganzen Welt (Dschungel-Camp!) typisch ist, Habeck mit feiner philosophisch-existenzialistischer Note. Sieht jetzt fast so gut aus wie der TV-Liebling Selenski.

Scholz, Putin. Biden, Trump ...??
....
Nix für ungut!

Albert Schultheis | Fr., 23. Februar 2024 - 10:56

Die neue ungebildete schimmerlose SchwarzRotGrünGelbe SED-Politesca auf jeden Fall - infantilisiert, verblödet, dekadent! Schwelgt im Luxus mit Visagisten, Stylisten, Chauffeurem und Piloten, einem Heer von Schmeichel-Schreibern und (N-)GO-Hofschranzen, die wie ehedem die Praetorianer die despotische Herrschaft der Herrschenden absichern. Die noch arbeiten werden geschröpft - es bleibt ihnen kaum was für's Alter. Ihre Kinder und Enkel marginalisiert durch kaputte Schulen in feindseliger Umgebung - immer auf der Hut vor Messern und Alahu akhbar. Während die Zugelaufenen eine neue Klasse der privilegierten Pleps bilden mit dem Privileg der leistungslosen Rundumversorgung - auf Kosten derer, die dem Sklavenstatus am nächsten kommen, all denen, die für kleinen Lohn arbeiten, Steuern zahlen und im Alter Plastikflaschen aus Müllkontainern holen und die zunehmend durch die staatliche Repression aus der Mitte der Gesellschaft verbannt werden. Nie war eine Herrscherklasse so verblödet!

Gerhard Lenz | Fr., 23. Februar 2024 - 12:22

aus der FDP (oder dem Wirtschaftsflügel der Union) kommen. Dort hält man den Menschen grundsätzlich für einen reinen "Homo Oeconomicus". Dessen einziger Lebenssinn es zu sein hat, zum Florieren der Wirtschaft beizutragen und dabei dankbar die Früchte zu ernten, die vielleicht auch für ihn noch abfallen.
Denn natürlich hatte Westerwelle damals bei mit der Bezeichnung "dekadent" nicht Leute wie einen Middelhoff oder - würde der Begriff heute fallen - einen Benko im Sinn. Oder andere als Leistungsträger gepriesene Krösuse, die mal eben auf Unternehmenskosten zum Golfen auf die Bahamas jetteten. Wer das kritisierte, so die Verbündeten aus Westerwelles Partei, wollten doch nur eine Neiddebatte in Gang setzen.
Das römische Reich ging natürlich nicht durch Dekadenz, sondern durch seine Größe und Unregierbarkeit zugrunde. Irgendwann waren die Grenzen des Imperiums gar nicht mehr zu sichern, weil überall kleine Verräter ("Armenius & Co.) zu "nationalistischen" Freiheitshelden mutierten..

Sie rufen damit die aktuelle Korruption in der SPÖ (Bundeskanzler), SPD (Bundeskanzler), CDU (Reg. Bürgermeister), CSU (Ministerpr.) und bei den Grünen (Joschka Fischer, Alt-Vize-Kanzler) in Erinnerung.

Ich kann nur den Film aus der ARD-Mediathek weiter empfehlen, dort kann man auch sehen, wie in diesen Kreisen mit einer Art Sondervermögen ("Vorabdividenden") gepflegt spätrömisch gefeiert worden ist.

In diesem Film wird aber jedoch über eine Beteiligung der FDP oder der Linken erwähnt! Wissen Sie da mehr, besonders über die FDP?

Das wäre ziemlich interessant. Dann wäre nämlich das Sittenpanorama der Bananen Republik Deutschland vollständig.

Nochmals vielen Dank für den konstruktiven Hinweis!

"Das römische Reich ging natürlich nicht durch Dekadenz, sondern durch seine Größe und Unregierbarkeit zugrunde."
Die EU, Herr Lenz, bläht sich derzeit auch auf wie ein Souffle.
Staaten die von vornherein lediglich ihre ärmlichen Verhältnisse mitbringen und ausser Korruption nichts zu bieten haben werden auch dieses "Vereinigte Staatsgebilde" zu Fall bringen. Merke: Staaten deren Fachkräfte man als einzigstes Exportmittel deklariert,werden dieselben Staaten an den Tropf von Brüssel binden. Sie "bluten" aus. Letztens las ich "Suchen Pflegekräfte am liebsten aus der Ukraine" , und das, während dort jede Hand gebraucht wird. 😉
So ist das halt. Offenbar sollen die, die die Soldaten verarzten sollten, lieber in Deutschland unseren Senioren den Hintern wischen oder bei Lidl an der Kasse sitzen.
🤷‍♀️

Marianne Bernstein | Fr., 23. Februar 2024 - 12:42

Erstaunlicherweise gibt es in der Endphase des römischen Reichs auch einen starken Geburtenrückgang (und das ohne Pille und Erwerbstätigkeit von Frauen)!
Der Zusammenbruch des (West-)Römischen Reiches lag an der inneren Aushöhlung. Der Glaube anstelle der Werte und Ideale des römischen Reiches war der Kampf um das tägliche Überleben in einer schweren Zeit multipler Krisen.

maciste rufus | Fr., 23. Februar 2024 - 14:34

maciste grüßt euch. die römer der spätantike waren nicht dekadent. battle on.

Heidemarie Heim | Fr., 23. Februar 2024 - 17:40

Klingt irgendwie so ähnlich wie "Die Iden des März;)". Das damalige Römische Imperium und seine Befindlichkeiten kenne ich allerdings in der Hauptsache lediglich aufgrund meiner Asterix & Obelix-Studien;), wo das Lagerleben der Legionäre von Aquarium, Kleinbonum, Babaorum und Laudanum nichts mit dem oben abgebildeten opulenten Dasein zu tun hatte. Besonders wenn sie den mit Zaubertrank abgefüllten und von ihnen besetzten Galliern bei der Wildschweinjagd in die Quere kamen.
Was den Harfenspieler betrifft, so fiel mir unmittelbar der unvergessene Sir Peter Ustinov ein als Kaiser Nero, der seine mit unbeweglicher Prätorianer-Miene harrenden Zuhörer mit seinen selbst komponierten Oden zu Tränen rührte.🤣 Ich hoffe Herr Sommer bietet uns ähnlich unterhaltsames! MfG

Inana | Fr., 23. Februar 2024 - 21:04

Sehr schönes Titelbild. Ich glaube aber, es geht sogar noch um etwas anderes. Es gibt in allen Imperien, Konsolidierungsphasen, Hochphasen - und spät-Phasen und die "spätrömische Dekadenz" meint ja eigentlich v.a. dieses Bild und das ist D fast überdeutlich und manifestiert sich v.a. immer schneller.
Außen droht ein imperialer Overstretch, es entsteht eine Abhängigkeit von ehemaligen "Vasallen", wie der EU - die Elite wirkt abgehoben und selbstherrlich, ist dazu oft die dritte Generation, die an die Macht schon gewöhnt ist - und dazu kommt es oft zu Geburtenrückgang und massiver Zuwanderung. Dazu gelingt es immer weniger, die Gesellschaft noch zu einen.
Man meint das schon sehr zu erkennen.

Werner Peters | Sa., 24. Februar 2024 - 11:18

Ich sehe schon viele Parallelen von heute zum Untergang Roms. Nicht nur für D sondern für ganz Europa. Die mangelnde Verteidigungsbereitschaft ist nur ein Zeichen von mehreren. Was heute woke ist, gab es damals auch, nur hat man es damals noch nicht so genannt.