Christoph Markschies - „Die Letzte Generation hat mit dem Wirken Jesu herzlich wenig zu tun“

Jüngst hatte der katholische Bischof Georg Bätzing die Aktivisten der „Letzten Generation“ mit den ersten Christen verglichen. Christoph Markschies, Experte für das antike Christentum, widerspricht. Allenfalls sei eine „gewisse eschatologische Ungeduld“ vergleichbar.

Mit himmlischem Zuspruch? Die Aktivisten der „Letzten Generation“ blockieren die Zufahrt zum Bundestag /dpa
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Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

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Christoph Markschies ist Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Von 2006 bis 2010 war er Präsident der Humboldt-Universität zu Berlin. Markschies ist evangelischer Theologe und Professor für antikes Christentum. 

Herr Markschies, der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, der Limburger Bischof Georg Bätzing, hat gesagt, die Aktivisten der „Letzten Generation“ würden ihn an die Urchristen erinnern. Was sagt der Fachmann für antike Kirchengeschichte dazu?

Die Menschen, die sich um Jesus von Nazareth versammelten, glaubten, dass Gott in Bälde das Ende der Welt herbeiführen würde. Die „Letzte Generation“ fürchtet sich vor einem mehr oder weniger baldigen menschengemachten Weltende. Jesus von Nazareth wollte durch Wort und Tat deutlich machen, dass das endzeitliche Gottesreich mit der Präsenz seiner Person schon in dieser Welt angebrochen ist. Seine Taten bestanden vor allem darin, an Leib und Seele kranke Menschen gesund zu machen und Ausgestoßene zu gemeinsamen Mahlzeiten zu versammeln. Mit dem zivilen Ungehorsam der „Letzten Generation“ hat das nichts zu tun. Allenfalls das Bewusstsein, zu einer „letzten Generation“ zu gehören, und eine gewisse eschatologische Ungeduld lassen sich vergleichen.

Die frühen Christen sahen das Weltenende bevorstehen, inwieweit können sie denn Vorbild für heute sein?

Als christlicher Theologe finde ich ja, dass man von den Menschen, die Jesus von Nazareth folgten, lernen kann, nicht zu viel von menschlichen Fähigkeiten zu erwarten, aber auch nicht zu wenig. Es ist höchste Zeit, dass wir vor allem in Mitteleuropa unseren Lebensstil so ändern, dass wir das Klima weniger schädigen und die natürlichen Ressourcen nicht weiter so verschwenden, aber solche Maßnahmen lösen nicht alle Weltprobleme und führen nicht paradiesische Zeiten herbei. Und wenn wir uns in Zukunft wahrscheinlich alle miteinander daran gewöhnen müssen, dass weniger mehr ist, könnte die jüdisch-christliche Tradition, in der immer wieder von der lebenssteigernden Kraft des freiwilligen Verzichts die Rede ist, noch einmal wieder mehr Bedeutung gewinnen.

Die selbsternannte „Letzte Generation“ findet in den Kirchen Gehör. Die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland hat sie eingeladen. Die Präses der Synode, Anna-Nicole Heinrich, hat die Aktionen verteidigt, man solle die Aktivisten nicht kriminalisieren. Woher kommt diese Faszination für die „Letzte Generation“?

Vielleicht spüren engagierte Christenmenschen in den letzten Jahren deutlicher, dass die jüdisch-christliche Botschaft, dass Gott diese Welt geschaffen und uns zur Pflege nur anvertraut hat, keine wirklich nachhaltige Bewahrung der Natur zur Folge hatte, sondern im Anthropozän deren radikale Vernutzung nicht verhindert hat. In der „Letzten Generation“ wird die Lebendigkeit und Energie sichtbar, die man sich eigentlich in den Kirchen für die Sache des Glaubens erhofft hat.

Gibt es Ihrer Meinung nach eine theologische Rechtfertigung für diese Protestaktionen, im Sinne eines sogenannten zivilen Ungehorsams?

Erst einmal würde ich davon abraten, politische Positionen durch theologische Rechtfertigungsversuche zu überhöhen. Ob aus Artikel 20a Grundgesetz (Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und der Tiere in Verantwortung für die natürlichen Lebensgrundlagen im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung) eine Art Notwehrrecht für Individuen folgt, die der Ansicht sind, dass der Staat diese verfassungsgemäße Staatsaufgabe nicht angemessen ausübt, ist erst einmal eine juristische Frage und dann auch eine politische. Ich glaube nicht, dass es gegenwärtig ein Recht auf ein solches Notwehrrecht gibt. Es ist aber unbedingt sinnvoll, mit der „Letzten Generation“ Gespräche zu führen, und wenn Kirche Gespräche zwischen der Politik und diesen Menschen vermitteln kann, wie jüngst Bischof Bedford-Strohm mit dem bayerischen Innenminister Joachim Hermann von der CSU, dann handelt sie im Sinne ihres Auftrags als Kirche. So kann auch deutlich werden, dass die Sorgen dieser Menschen ernst genommen werden und niemand, der einigermaßen bei Trost ist, angesichts der multiplen Krisen unserer Zeit ruhig auf dem Sofa schläft.

Auch Jesus habe sich gegen die Unterdrückung aufgelehnt, wird bisweilen gesagt. Passt der Vergleich?

Nach allem, was wir wissen, hat er empfohlen, dem Unterdrücker (dem römischen Reich) die Steuern, wie gefordert, zu zahlen, und im Unterschied zu anderen jüdischen Bewegungen seiner Zeit gerade nicht zum Widerstand gegen die Besatzungsmacht aufgerufen. Der römische Prokuratur Pontius Pilatus scheint ihn daher auch nicht für einen politisch gefährlichen Anführer einer Revolte gehalten zu haben, sondern für einen unpolitischen Wirrkopf.

Der Theologe Christoph Markschies / dpa

Die Bewahrung der Schöpfung ist im christlichen Sinne ein Auftrag Gottes. Wieviel Politik lässt sich mit diesem Auftrag machen?

Wenig. Wie man diese Erde vor der Zerstörung durch Gesundheits-, Klima- und Migrationskrisen bewahrt, ist eine Frage, in der auf der Basis wissenschaftlicher Fakten wie Prognosen bestimmte Optionen abgewogen und politische Kompromisse erzielt werden müssen. Da hilft die Bibel allenfalls als Kompass, aber nicht bei der Einzelentscheidung.

Die Kirche ist auch selbst aktiv: Der Staat finanziert nun das von der evangelischen Kirche betriebene Boot zur Rettung von Flüchtlingen auf dem Mittelmeer mit. Wie bewerten Sie dieses Agieren der Kirche?

Wenn solche Rettungsaktionen in engem Zusammenhang mit Maßnahmen in den Ländern stehen, aus denen die Flüchtlinge fliehen, dann ist Flüchtlingsrettung ein Teil des diakonischen Handelns der Kirche, vergleichbar der Sammlung für die Wasserversorgung von Dörfern in Afrika durch die kirchliche Hilfsaktion „Brot für die Welt“ in den Weihnachtsgottesdiensten.

Die Kirchen verlieren rasant an Zuspruch in der Gesellschaft und verlieren dramatisch an Mitgliedern. Was hilft ihr aus dieser Krise?

Es hilft beiden großen Kirchen, den Kern der Botschaft, die ihr anvertraut ist, unverdrossen weiterzugeben – mit Phantasie neben den alten Formen der Weitergabe auch neue finden, ohne alles neu machen zu wollen, darauf zu achten, dass möglichst viele – und auch möglichst viele junge Menschen – angesprochen werden, ohne dass die Kerngemeinden der Älteren außer Acht gelassen werden. Es hilft, wenn die Kirchen in den multiplen Krisen der Gegenwart mit den großen Hoffnungen des Christentums ängstliche Menschen trösten und stabilisieren. Und es hilft, wenn die Kirchen sich mit präzisen Stellungnahmen dort in die öffentliche Debatten einschalten, wo man anderes und mehr zu sagen hat als andere gesellschaftliche Akteure. Das wird zwar nicht zu volkskirchlichen Verhältnissen vergangener Jahrhunderte führen, aber zu einer munteren und kraftvollen Kirche. Dazu muss allerdings jedes Dementi solcher Verkündigung durch das Vertuschen vergangenen Fehlverhaltens vermieden werden. Und insbesondere die katholische Kirche wird sich fragen müssen, ob bestimmte Teile ihres Lehrbestandes wirklich göttlichen Ursprungs sind oder nicht doch menschengemacht. Aber, etwas spitz formuliert, diese Frage haben schon die Reformatoren des 16. Jahrhunderts aufgeworfen, sie hat nichts mit dem Zeitgeist unserer Tage zu tun.

 

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