Energiekrise bei Anne Will - „Die Gaspreisbremse ist grundfalsch“

Christian Lindner erklärt bei Anne Will seinen Bruch mit Robert Habecks Gasumlage und plant stattdessen eine Gaspreisbremse – und stößt in der Runde auf scharfe Kritik. Ökonom Clemens Fuest plädiert stattdessen für eine Energiepauschale, was wiederum Lindner ablehnt.

Finanzminister Christian Lindner (FDP) / Screenshot ARD Mediathek
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Ulrich Thiele ist Politik-Redakteur bei Business Insider Deutschland. Auf Twitter ist er als @ul_thi zu finden. Threema-ID: 82PEBDW9

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„Niemand soll im Winter frieren oder hungern müssen – Kann die Regierung dieses Versprechen halten?“, fragte Anne Will in ihrer Sendung unter anderem jenen Mann, der dieses Versprechen während der Haushaltsdebatte gegeben hat: Finanzminister Christian Lindner (FDP). Weitere Gäste waren Nordrhein-Westfalens Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU), der Wirtschaftsprofessor und Präsident des ifo Instituts, Clemens Fuest, sowie die Journalistin Julia Friedrichs.

Letztere hat für ihr Buch „Working Class“ zahlreiche Menschen aus dem Dienstleistungssektor begleitet, die trotz Vollzeit-Arbeit bereits vor dem Ukraine-Krieg und der frappierenden Inflation nur gerade so über die Runden kamen – etwa eine Zustellerin und ein Bahnhofsreiniger, die keine Rücklagen ansparen konnten und nun aufgrund der explodierenden Energiepreise bei gleichzeitig nicht signifikant steigenden Löhnen nicht mehr wissen, wie sie über die Runden kommen sollen.

Gerade bei diesen Menschen, die Tag für Tag wichtige Arbeit verrichten und das Land am Laufen halten, sei in der Vergangenheit kaum etwas von den Wohlstandsgewinnen angekommen, entsprechend werde es für sie nun knapp. „Uns fällt jetzt etwas auf die Füße, was wir in den letzten Jahrzehnten aufgebaut haben“, so die Reporterin. Deshalb seien wenige zielgenaue Maßnahmen aus Friedrichs Sicht besser als „eine Hilfe hier, ein Pflaster da“.

Lindners Idee für eine Gaspreisbremse

Auf der unteren Mittelschicht – die, wie Friedrichs anmerkte, nicht der Rand sei, sondern weit bis in die Mitte der Gesellschaft reiche – müsse bei den Diskussionen um Entlastungen das Hauptaugenmerk liegen, da waren sich alle Gäste einig. Für die Lösungswege, die Christian Lindner diesbezüglich vorschlug, musste der Finanzminister indes scharfe Kritik einstecken.

Lindner hatte am Sonntag gegenüber der Bild am Sonntag Robert Habecks Vorschlag einer Gasumlage eine Absage erteilt – vor einer Woche klang er noch anders. Durch die beschlossene Verstaatlichung des Energieversorgers Uniper sei die Gasumlage nicht mehr sinnvoll, rechtfertigte sich Lindner. „Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass eine Maßnahme, die am Ende die Gaspreise teurer macht, die alleinige Antwort auf ohnehin steigende Preise ist“, so der Finanzminister. „Wir müssen die gesamte Bandbreite ausnutzen, Kapazitäten ausweiten. Das gespeicherte Gas muss in den Markt zurückfließen, dann sinken die Preise.“

Lindner stellte eine Gaspreisbremse in Aussicht, gleichzeitig wolle er aber 2023 zur Schuldenbremse zurückkehren. Wie er die Gaspreisbremse dann finanzieren will, ließ er unbeantwortet. Er habe bereits eine Idee, die er aber noch nicht öffentlich machen wolle, ohne sie innerhalb der Bundesregierung diskutiert zu haben.

Scharfe Kritik vom Wirtschaftsprofessor

Lindners Schuldenbremsenappell hielten seine Diskussionspartner eher für unwahrscheinlich. „Wir werden die Schuldenbremse nur einhalten können, wenn wir uns auf das untere Drittel der Mittelschicht konzentrieren“, sagte CDU-Politiker Karl-Josef Laumann. „Leute, denen es finanziell gut geht, müssen selber sehen, dass sie mit dieser Situation klarkommen. So ist unser Sozialstaat: Erst muss man sich selbst helfen.“ Laumann betonte die Dringlichkeit, schnell effektive Lösungen zu finden: „Wenn wir nichts machen, befürchte ich, dass wir in zwei Jahren keine Bäcker mehr haben werden. Das kann niemand wollen, das wäre eine Kultur, die ausstirbt.“

Wirtschaftswissenschaftler Clemens Fuest erklärte nicht nur Lindners Plan bezüglich der Schuldenbremse für wohl nicht einhaltbar, sondern ging auch dessen Gaspreisbremse scharf an. „Die Gaspreisbremse halte ich für grundfalsch“, sagte der ifo-Chef. „Es geht nicht nur um Gas, es geht auch um Strom“, so Fuest, der für eine generelle Energiepauschale plädierte, weil diese der unteren Mittelschicht wirklich zugute käme. Die Energiepauschale müsse so aussehen, dass „sie Menschen mit höherem Einkommen nicht so zugutekommt. Menschen mit niedrigem Einkommen müssen damit durch den Winter kommen können.“ Ergänzend müsse alles ans Netz, was nur gehe – inklusive Atomkraft.
 

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Aus denselben Gründen lehnt Fuest auch die von der Regierung geplante Möglichkeit für Arbeitgeber, Angestellten eine steuerfreie Ausgleichszahlung zu geben, kategorisch ab. „Diese 3000-Euro-Prämie ist ein Unding.“ Es gebe für eine Steuerfreiheit in diesem Fall nicht den geringsten Anlass. CDU-Politiker Laumann pflichtete Fuest bei: Die Entlastungspakete während der Corona-Krise hätten gezeigt, dass ein solcher Bonus vor allem bei denjenigen ankomme, „die heute schon zu den privilegierten Arbeitnehmern gehören, die gute Tarifverträge haben, die gute Betriebsrenten haben.“ Fuest schlug eine steuerpflichtige Energiepauschale von 1000 Euro vor, ein Vorschlag, für den auch Laumann und Friedrichs sind. Aber Christian Lindner nicht, weil er „enorm teuer“ sei und den Sportvereinen und Bäckereien nicht helfe.

Reichensteuer ja oder nein?

Zum Schluss sprach Julia Friedrichs den Finanzminister auf die Möglichkeit einer Reichensteuer an – beispielsweise einer Sondersteuer oder einer Erbschaftsteuer. Zumal Lindner für die Schuldenbremse plädiert, müsse er doch überlegen, wo das Geld herkommen soll. Lindner lehnt eine Reichensteuer vehement ab. „Deutschland ist bereits ein Höchststeuerland“, so der FDP-Politiker. Ein Höchststeuerland für Arbeit, wand Will ein. Rund 300 Milliarden Euro werden laut Schätzungen pro Jahr in Deutschland vererbt, aber die Erbschafts- und Schenkungssteuer machen gerade einmal 0,52 Prozent des gesamten Steueraufkommens aus.

Lindner ging auf Wills Einwand nicht ein. „Wir befürchten, dass wir über längere Zeit eine wirtschaftliche Abkühlung haben werden“, sagte Lindner. „Ich sehe schlicht keinen Spielraum, auch auf Gemeinwohlperspektive, die Steuern massiv zu erhöhen. Das würde unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit massiv verschlechtern.“ Außerdem würden viele Menschen Betriebe erben. Aber längst nicht alle, wanden Will und Friedrichs ein. Natürliche stecke ein Teil der 200 bis 300 Milliarden Euro Erbschaften im Jahr operativ im Unternehmen, aber viel Unternehmenserben seien auch Poolaktionäre.

„Wir haben einfach eine große Vermögensballung in Deutschland: Die untere Mittelschicht hat gar kein Vermögen, die oberen zehn Prozent haben zwei Drittel des Vermögens“, sagte Friedrichs und fügte hinzu, man müsse einsehen, dass viel gegen eine sukzessive Vermögenssteuer spreche, die an die Substanz gehe. „Wir hatten wirtschaftlich tolle Jahre, aber wir haben es nicht geschafft, den Wohlstand breiter zu verteilen und das fällt uns jetzt auf die Füße.“ Warum jetzt nicht die Zeit sei, Vermögenden zu sagen, es sei die Zeit, etwas zurückzugeben, „das verstehe ich einfach nicht“, so Friedrichs.

Der Schuss muss sitzen

Es sei falsch, zu sagen, der Staat zahlt jetzt die gesamte Energierechnung und sammelt das dann mit Riesenverlusten wieder ein, wand Wirtschaftsprofessor Fuest ein. „Es gibt kein Land, das seinen Haushalt signifikant über Vermögenssteuer finanziert.“ Deutschland sei bereits ein Höchststeuerland, eine Reichensteuer führe zu Steuerflucht. Fuest plädierte für Sparanreize, diese dürften aber eben nicht vom unteren Drittel getragen werden.

Lindner stimmte zu und plädierte nochmals für seine nicht näher erläuterte Gaspreisbremse als Lösung des Problems. Dass das untere Drittel, um das es in der Sendung hauptsächlich ging, bereits vor der Energiekrise Probleme trotz Vollzeitarbeit hatte, ging dabei etwas unter. Die Lage sei jedenfalls ernst, darin war man sich einig, deswegen müsse Lindners „Schuss mit der Gaspreisbremse dann natürlich am Ende auch sitzen“, wie CDU-Politiker Laumann befand.

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