Bluttests können Teil der regulären Schwangerenversorgung werden / picture alliance

Gentests bei Schwangeren - „Kinder mit solchen Behinderungen soll es nicht geben“

Ein Bluttest, der erkennt, ob Ungeborene das Down-Syndrom haben, könnte Kassenleistung werden. Die Frauenärztin Silke Koppermann über Schwangerschaftsabbrüche und Selektion

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Constantin Magnis war bis 2017 Chefreporter bei Cicero.

So erreichen Sie Constantin Magnis:

Es gibt Tests, die das Blut von schwangeren Frauen gezielt nach Hinweisen durchsuchen, ob das Ungeborene bestimmte Behinderungen hat, zum Beispiel das Down-Syndrom. Diese Tests werden bisher nur nach ausdrücklichem Wunsch der Eltern auf eigene Kosten durchgeführt. Nun hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), das höchste Gremium des deutschen Gesundheitswesens, überraschend darüber beraten, nach welchen Kriterien diese Gentests in die reguläre Schwangerenversorgung aufgenommen werden sollen. Behindertenrechtler, viele Hebammen und auch Frauenärzte sind darüber entsetzt. Sie auch?
Dass darüber beraten wird, ist im Prinzip gut, weil es für diese Art von Bluttests bisher nur einen grauen, völlig ungesteuerten Markt gibt. Vom G-BA hieß es allerdings ursprünglich, man wolle diese Tests nur sehr begrenzt machen, bei bestimmten Risiken und in einer bestimmten Region, um das Verfahren vorsichtig zu überprüfen. Nun sieht es stattdessen danach aus, dass der Bluttest Teil der regulären Schwangerenversorgung werden soll. Das ist sehr problematisch.

Silke Koppermann
Silke Koppermann

Bevor wir über die Problematik selbst sprechen: Bluttests gibt es bei uns seit 2012 auf dem Markt. Wie wurde denn bisher damit verfahren?  
Bisher gab es das sogenannte Ersttrimesterscreening als Leistung für Selbstzahler. Das sucht nach Hinweisen für genetische Besonderheiten. Erst wenn dort Auffälligkeiten aufgetreten sind, wurde in manchen Fällen zur Abklärung und wieder auf eigene Kosten, dieser Bluttest auf chromosomale Besonderheiten gemacht. Diese Schwelle soll nun entscheidend abgebaut werden.

Was genau würde eine Einführung in die Regelversorgung bedeuten? Dass solche Checks Pflicht sind? Dass Frauenärzte sie anbieten müssen? Und die Kasse sie grundsätzlich zahlt?
Das wird sich noch herausstellen. Die Hürden waren bisher auch deshalb so hoch, weil es vom G-BA immer hieß, ein Screening auf Down-Syndrom sei nicht Bestandteil der Schwangerenvorsorge. Die Fruchtwasserpunktion wurde anfangs auch nur bei besonderen Risikosituationen angewendet. Inzwischen ist dieses Verfahren in der Schwangerenvorsorge längst üblich. Wenn solche Bluttests also Kassenleistung werden, wird man sie keiner Frau verwehren können, die wissen will, ob ihr Kind ein Chromosom zu viel hat oder nicht.

Ihre Sorge und die vieler anderer ist nun, dass alles auf eine von den gesetzlichen Krankenkassen finanzierte Routineuntersuchung hinausläuft, die gezielt nach Föten mit Behinderung sucht.
Ja, wenn es das als Kassenleistung gibt, vermittelt das die Information: Von einer Schwangeren wird erwartet, dass sie nach möglichen Behinderungen gucken lässt, und letztlich auch die Konsequenzen zieht.

Damit meinen Sie: sich für oder gegen eine Abtreibung zu entscheiden.
Ja.

Aus Ihrer Praxiserfahrung: Sind junge Eltern, Frauen in der Schwangerschaft, überhaupt selbstbewusst und informiert genug, um sich gegenüber einem straff organisierten Gesundheitssystem eigenständig für oder gegen solche Maßnahmen entscheiden zu können? Und welche Rolle spielen dabei die Ärzte?
Natürlich hängt viel von den behandelnden Ärzten ab. Ich erlebe immer wieder, dass Frauen in der zweiten Schwangerschaft zu mir kommen und sagen: „Beim letzten Mal wurden diese Tests einfach so mitgemacht, der Arzt hat gesagt: Das machen wir so, sie wollen doch sicherlich kein Kind mit Trisomie.“ Durch die breite öffentliche Diskussion beraten inzwischen allerdings die meisten Ärzte differenzierter. Aber natürlich vermittelt ein Arzt sehr stark eine Botschaft darüber, was er findet, was getan werden müsste. Und viele Frauen berichten, dass sie sich zu bestimmten Untersuchungen gedrängt fühlen. Nicht nur, weil Ärzte mit solchen Untersuchungen viel Geld verdienen, sondern auch, weil viele Ärzte Angst haben, dass ein Kind geboren wird, von dem es später heißt: Hat der Arzt nicht richtig geguckt? Hat er nicht richtig aufgeklärt?

Im Deutschen Ärzteblatt stand einmal: „Pränatalmediziner sind die einzigen Vertreter unter Ärzten, die mit juristischen Folgen rechnen müssen, wenn der ihnen anvertraute Patient nicht im gegebenen Zeitraum getötet wird.“
Das ist sehr hart formuliert, aber man kann es wohl so sagen. Über eines wird bei diesen Tests erst einmal gar nicht geredet: was die Konsequenzen sind. Und auch nicht darüber, warum eigentlich schon so früh untersucht werden muss. Man könnte ja sagen: Eine Untersuchung in der 25ten oder 30ten Woche reicht, dann kann man sich die Klinik aussuchen, falls das Kind einen Herzfehler hat. Aber diese frühen Untersuchungen sind erfunden worden, damit die Frau möglichst früh die Chance hat, einen Schwangerschaftsabbruch zu machen.

Weil es bei diesen Tests nicht um therapeutische Maßnahmen geht, sondern tatsächlich in erster Linie um die präventive Selektion kranker Kinder?
Ich würde nicht jedem Arzt und jeder Frau unterstellen, dass sie bewusst Selektion betreiben wollen. Aber im Ergebnis wüsste ich nicht, wie man das anders nennen soll.

Was ist Ihre Erfahrung: Wie viel Prozent der Frauen lassen das Kind nach einer Abweichung oder Unregelmäßigkeit abtreiben?
Es wird immer berichtet, dass Frauen bei 95 Prozent aller Kinder mit der Diagnose Down-Syndrom einen Abbruch machen. Allerdings muss man dabei berücksichtigen, dass nur Frauen, die sich einen Abbruch vorstellen können, überhaupt diese Tests machen. Wenn man die abzieht, die bewusst auf eine Diagnostik verzichten, kommt man eher auf 80 Prozent. Aber solche hohen Zahlen haben natürlich auch einen Effekt auf die Frauen: Wenn 95 Prozent der Frauen die Schwangerschaft abbrechen, warum behalte ich dann das Kind?

Wie viel Information darf man, soll man, Eltern überhaupt zumuten?
Natürlich ist es ein Fluch, solche Dinge während einer Schwangerschaft entscheiden zu müssen. Die Frau ist müde, ihr ist übel, sie setzt sich mit gigantischen Fragen auseinander, und ich muss sie fragen: „Sollen wir gucken, ob wir sonst noch ein Problem finden?“

Wie präzise sind solche Tests eigentlich?
Gute Frage. Tatsächlich steigt nämlich die Zuverlässigkeit der Aussage mit der Höhe des zugrunde liegenden Risikos. Und diese Tests sind bisher an einem so genannten Risikokollektiv vorgenommen worden, also an Gruppen, in denen die Wahrscheinlichkeit hoch war, dass er positiv ausfiel. Weil sich aber gezeigt hat, dass die Genauigkeit solcher Tests nachlässt, je breiter man sie anwendet, stellt sich sehr wohl die Frage, wie genau solche Tests sind, wenn man sie bei allen anwenden würde.

Wie geht man als Ärztin mit Schwangeren um, die nach einem solchen Check ein Kind mit einer Behinderung erwarten?
Ich versuche, mit den Frauen und ihren Familien herauszufinden, was für sie der richtige Weg ist. Meine persönliche Meinung zählt da nicht. Mein Ansatz ist es auch nicht, Frauen moralisch für die Entscheidung abzutreiben zu verurteilen. Aber man kann den schwangeren Frauen schon klar machen, dass es keinesfalls einen Automatismus gibt, nach dem eine Schwangerschaft bei einer Trisomie abgebrochen werden muss.

Wie erleben Eltern von Kindern mit Behinderung solche Tests?
Es mag welche geben, die sagen: „Hätte ich mal vorher gewusst, dass es solche Tests gibt.“ Aber ich kenne vor allem solche, die das als Angriff auf ihre Existenz empfinden. Dass systematisch danach gesucht wird, bedeutet für sie: Kinder mit solchen Behinderungen soll es nicht geben. Für die ist kein Raum. Das ist die Botschaft: Wer ein behindertes Kind hat, ist selber schuld.

Müsste eine Gesellschaft, die sich angeblich für Inklusion stark macht, nicht alles dafür tun, dass Menschen mit Behinderung nicht in eine solche Situation kommen?
Natürlich. Das ist ein seltsamer Widerspruch, dass eine Gesellschaft, die für sich in Anspruch nimmt, immer inklusiver und toleranter zu werden, gleichzeitig Mechanismen fördert, die darauf abzielen, dass es diese zu inkludierenden Menschen gar nicht mehr gibt. Dabei ist der Eindruck, den die Pränataldiagnostik vermittelt, man könne alles voraussehen und verhindern, so dass am Ende nur gesunde Kinder dabei herauskommen, sowieso ganz falsch. Die meisten Behinderungen kann man eben nicht voraussehen, und die Schwangerschaft ist von Natur her einfach ein Zustand, der nur begrenzt beeinflussbar ist.

Seit der Reform des Paragraphen 218 darf die Behinderung eines Kindes gar kein Grund zum Abbruch mehr sein, sondern nur noch eine Gefahr für Leben und Gesundheit der Frau. Allerdings wird inzwischen bereits die Trisomie 21 zur unzumutbaren Beeinträchtigung für das Leben der Frau erklärt.
Auf eine gewisse Art ist das natürlich verlogen. Es ist ein großer Fortschritt, dass es in der Bundesrepublik keine eugenische Indikation mehr gibt, die ist 1992 abgeschafft worden. Das ist ein Ergebnis sowohl der Diskussion um die deutsche Geschichte und Euthanasie als auch des Engagements der Behindertenverbände. Trotzdem ändert es an der Realität gar nichts, weil es genauso gehandhabt wird wie früher. Man könnte sagen: Jetzt wird die Verantwortung auch noch den Frauen in die Schuhe geschoben, weil die sich auf die Unzumutbarkeit berufen müssen. Vorher konnten sie es wenigstens noch auf den Rat des Arztes schieben.

Was für Erfahrungen haben Sie mit Müttern von Kindern mit Down-Syndrom gemacht?
Natürlich gibt es beim Down-Syndrom die falsche Vorstellung von einem unerträglich schweren Leben, das nicht lebenswert sei. Viele dieser Kinder sind gesund und können mehr als gemeinhin angenommen wird. Andererseits ist „Dinge zu können“ auch nicht das einzige Kriterium auf dieser Welt, warum Menschen glücklich sind. Es gibt übrigens auch viele positive Vorurteile zum Beispiel, dass Menschen mit Down-Syndrom alle freundliche, musische Sonnenscheine seien. Es gab vor vielen Jahren mal ein Kampagne, da sagt ein Junge auf einem Poster über seinen Bruder mit Down-Syndrom: „Mein kleiner Bruder ist genauso schrecklich wie alle anderen kleinen Brüder auch.“ Das fand ich sehr passend.

Frau Koppermann, vielen Dank für das Gespräch!

Silke Koppermann ist Ärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe in Hamburg und Sprecherin des Netzwerks gegen Selektion durch Pränataldiagnostik.

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Georg Dallmann | So., 21. August 2016 - 12:30

Der Schutz des - ungeborenen - Lebens ist - zu RECHT(!) - ein hohes Gut und das MUSS auch so bleiben.
Das heißt aber nicht, daß das Selbstbestimmungsrecht der Eltern in jedem Fall sich diesem Schutzrecht unterzuordnen hat.
Gerade diejenigen, die bei solchen Diskussionen immer die lautesten "Moralschreie" von sich geben und sich als die "engagiertesten Ethiker" gebärden erweisen sich nicht selten als bigotte Zeitgenossen, wenn es denn wirklich zum SCHWUR kommt.
Zunächst ist das Kindesinteresse zu betrachten:

Ein SCHWERSTBEHINDERTES Kind geht vom ersten bis zum letzten Tag seiner weltlichen EXISTENZ durch die HÖLLE! Mit LEBENSWERT hat dieses "Dasein" REIN GAR NICHTS zu tun. Überall doofe Blicke, doofe Fragen, doofes Getuschel, Hilflosigkeit in jeder Hinsicht,Ausgrenzung statt gesellschaftlicher Integration, Spiessrutenlauf für Eltern und Geschwister bei jeder Gelegenheit, 1000 Klinikaufenthalte und operative Eingriffe......pp.......
DAS (und NICHTS ANDERES!) ist die Realität.

Georg Dallmann | So., 21. August 2016 - 12:36

Deshalb hat niemand, schon gar nicht all die selbsternannten Moralapostel und "Ethikfabulierer" das Recht, über - mehr als nachvollziehbare Entscheidungen betroffener Eltern zu urteilen oder diese gar zu kritisieren.
Jede Mutter und jeder Vater führen einen fürchterlichen KAMPF mit sich selbst, bevor sie sich gegen die Geburt eines solchen Kindes entscheiden.
Aber diese Entscheidung kann - unter den aufgezeigten Aspekten - ihnen NIEMAND abnehmen.
Sie gehen auch selbst durch die HÖLLE, LEBENSLANG, falls sie sich FÜR das Kind entscheiden und dann GEMEINSAM mit ihrem KIND ein LEBEN lang.........
DAS ist die REALITÄT, und so gut wie KEINER von den ganzen Moralaposteln und SchönwetterETHIKERN, die hier mit ihren geschwurbelten "Vorbehalten, Sorgen und Bedenken um die Ecke kommen, hat auch nur die leiseste Ahnung davon, was solche Eltern und solche Kinder zeitlebens DURCHMACHEN müssen.
Deshalb ist gerade denjenigen DRINGEND zu RATEN, sich gehörig zurückzunehmen.

Es ist durchaus verständlich und nachvollziehbar, wenn ein Elternpaar sich entscheidet, ein voraussichtlich behindertes Kind abzutreiben. Das ist nicht
unmoralischer als es zu behalten.
Nur: Man sollte in einer Gesellschaft b e i d e Möglichkeiten weiterhin gleich hoch achten! Darum geht es - und um nichts anderes.

Es ist nicht verständlich und keinesfalls nachzuvollziehen, sein eigenes Kind abzutreiben, zu töten. Dies steht dem Menschen nicht zu. Sollte er es trotzdem tun, wird er dafür von Gott zur Verantwortung gezogen, wenn er in die Ewigkeit kommt. Der Mensch mit solch einer Einstellung ist allzu egoistisch und denkt nur an sein eigenes Wohl. Wer fragt denn das Kind ob es leben will? Dies haben die Eltern nicht zu entscheiden.

Du sollst nicht töten, aus keinem Grund !
Gott lässt seiner nicht spotten.

Danke für Ihren wichtigen Beitrag zur Wahrheit! Auch wenn der "fundamentale" Klang der Bibel manchem nicht gefallen mag, bietet gerade sie im Gegensatz zur variablen(!) Moral der Zeit eine solide Basis. Wie nutzlos eine solche Moral ist, sieht man an obigem Beispiel nur zu gut. Dass die Bibel "die Wahrheit" ist, wird jeder allerdings durch lesen, behalten und beobachten ihrer Aussagen im Alltag selbst herausfinden müssen. Eine kleine Ergänzung meinerseits für die Leser: Jeder Mensch hat ein Gewissen (von Gott) erhalten. Daher auch der innere "Kampf" wie es in den Kommentaren beschrieben wird. Insofern kann er - deshalb - auch zur Verantwortung gezogen werden. Dennoch setzt dies selbstverständlich voraus, eine Entscheidung gegen das Gewissen (=Sünde) zu treffen. Jesus richtet nach Weisung Gottes gerecht. Und: Tun ihm seine Sünden von ganzem Herzen leid, bittet Gott um Vergebung und ist er/sie nun bemüht, mit Gottes Hilfe ein Leben ohne Sünde zu führen, wird ihm/ihr vergeben.

Unsere Tochter mit Downsyndrom ist 29 Jahre. Die “Hölle“ für sie und uns hatte so viele himmlische Momente wie ich es nie für möglich gehalten hätte. Sind da jemand die Farben ausgegangen oder warum soll alles schwarz sein?

Karola Schramm | Di., 23. August 2016 - 15:21

Antwort auf von Günter-Helmrich Lotz

Vielen Dank für diesen Hinweis. Er bringt Licht in die Diskussion. Danke.
Alles Gute und weiterhin viel Freude mit Ihrer Tochter.

Anne Meier | So., 21. August 2016 - 16:24

Wer gegen Abtreibung bei Diagnose T21 argumentiert, darf gerne ein solches Kind adoptieren um seine Aufrichtigkeit unter Beweis zu stellen.

Christa Wallau | Mo., 22. August 2016 - 12:44

Die Einführung eines regulären oder sogar verpflichtenden Tests für Schwangere, den Fötus einer pränatalen Untersuchung auf das Vorhandensein einer Trisomie 21 zu unterziehen, halte ich für höchst problematisch. Dies wird - wie Silke Koppermann zu recht prognostiziert - dazu führen, daß Eltern es nicht mehr wagen, ein behindertes Kind zu bekommen, obwohl sie größte Probleme mit einer Abtreibung haben.

Die Achtung vor dem menschlichen Leben - ob behindert oder nicht - wird gemindert, und der Selektion "unwerten" Lebens wird damit eine
weitere Tür aufgestoßen.
Wollen wir wirklich, daß irgendwann z.B. auch die Geistesschwachen, Häßlichen, Mißgebildeten von vornherein eliminiert werden? Wo endet dann eigentlich die Selektion?
Es gibt ja heute schon die Möglichkeit
f r e i w i l l i g e r und weitgehend selbstfinanzierter Tests. Dabei sollte man es belassen.

Karola Schramm | Mo., 22. August 2016 - 13:07

"Dass systematisch danach gesucht wird, bedeutet für sie: Kinder mit solchen Behinderungen soll es nicht geben. Für die ist kein Raum. Das ist die Botschaft: Wer ein behindertes Kind hat, ist selber schuld."

Tolles Interview, deutlich, ehrlich.
Und wieder kann man sehen, wohin neoliberale Ideologie und Politik führt. Ist jemand arm, hat er selber schuld. Hat jemand keine gute Schulbildung, auch selber schuld, wir jemand ab 55 entlassen, selber schuld. Alles wird auf die Person geschoben und nicht auf gesellschaftliche Zusammenhänge oder politische Willkür. Diese Ideologie des "Selber-schuld-seins" entlässt die Politiker aus ihrer Verantwortung das Beste für die Bevölkerung zu tun. Sie tut das Beste für die Wirtschaft. Auch KK leben von Gewinnen und fürchten die Kosten, die Behinderte kosten. Ein Umweg wird kreiert - um zum Ziel zu kommen. Denn war es nicht der Wunsch der Nazis, die reine, deutsche, gesunde Rasse herzustellen ? und jetzt:Eugenik durch die Hintertür.

Interessantes Weltbild, vom Neoliberalismus zur Eugenik, den ganz weiten Bogen gespannt! Die Kosten müssen betrachtet werden? Ja was denn sonst?!? Einfaches Gedankenspiel: jedes zweite Kind wird mit Trisomie 21 geboren. Wer glaubt denn, dass das Großziehen dieser Kinder die Gesellschaft nicht zerreißen würde. Das wäre einfach nicht finanzierbar (oder halt bei 75%, oder egal wo). Man erkennt leicht, daß es ab einen bestimmten Punkt nicht mehr funktionieren kann. Dann wäre die Debatte ganz schnell eine ganz andere. Das soll nicht heißen, dass man den betroffenen Eltern hier und jetzt nicht die Wahl lässt. Dem Neoliberalismus (auch wenn wir ihn leider nur rudimentär haben) sei dank, haben wir genug Wohlstand, daß wir uns die Wahlfreiheit leisten können. Glauben Sie die Leute in Afrika haben solche Probleme? Da verhungern zum Teil noch ganz gesunde (bis auf Unterernährung) Kinder. Die Kosten-Nutzen-Abwägungen so zu verteufeln, ist einfach nur billige Meinungsmache.

Hallo. Ja dachten Sie denn, dass die neoliberale Ideologie nur die Wirtschaft angeht ? weit gefehlt. Sie durchzieht jedes Gebiet menschlicher Existenz, weil es ausschließlich um materielle Werte geht.

Sie machen ein :"Einfaches Gedankenspiel: "jedes zweite Kind wird mit Trisomie 21 geboren." Wird aber nicht. Von daher ist Ihr Gedankenspiel nicht realistisch und abzulehnen.

Wie Sie aus dem Artikel deutlich lesen können, gibt es bisher Möglichkeiten in besonderen Fällen, Untersuchungen machen zu lassen und dabei sollte es auch bleiben.
Frauen oder Paare nun derartig mit einer grundsätzlichen Pflicht zur Untersuchung von Schäden bei einer Schwangerschaft unter Druck zu setzen, halte ich für unredlich.

"Die Leute" in Afrika haben die Probleme, weil die westl. Wertegesellschaft gierig ist deren Bodenschätze zu besitzen. Warum denn sonst gibt es dort Kriege ? Wer stiehlt den Bauern denn ihre mageren Einkünfte mit unseren Exporten von billigstem Hühnerfleisch und Resten ?

Die komplette neoliberale Durchdringung des Menschen war mir neu, wie ist das bei Religionen oder Sozialismus?

Das Sie mein Gedankenspiel ablehnen, ist für das Argument irrelevant. Das man die Effekte der Geschwindigkeit auf die Zeit nur mit Atomuhren messen kann, widerlegt Einstein nicht. Bei dem Erreichen der Lichtgeschwindigkeit bleibt die Zeit trotzdem stehen, das hat nichts mit der Geschwindigkeit heutiger Transportmittel zu tun.

Ich las ersteinmal Kostenübernahme durch KK, der Rest ist Spekulation.

Kein Kontinent nimmt so wenig am internationalen Handel teil wie Afrika; da soll dann die Ausbeutung durch denselben am größten sein? YouthBulge = Krieg?

Sie produzieren Hühnerfleisch für 10€/kg. Jetzt kommt jemand und verkauft es für 5/kg. Ist das schlimm für Ihre Kunden? Hindert Sie das etwas anderes mit Ihrer Zeit zu machen um Geld zu verdienen. Können Sie sich dann nicht selber eher Huhn leisten, der Preis ist ja gefallen und 5 Euro sind leichter verdient als 10?!?

Genau Herr Reuter. Auf Satre allerdings würde ich mich an Ihrer Stelle in diesem Fall nicht berufen. Helle, offene Räume, ohne billige Hintertüren sind angesagt.

Harald Meier | Mo., 22. August 2016 - 15:34

Georg Dallmann schrieb:
"Aber diese Entscheidung kann - unter den aufgezeigten Aspekten - ihnen NIEMAND abnehmen."
Es gibt Entscheidungen, über die man froh ist, sie nicht treffen zu müssen. Über das Töten seines eigenen Kindes entscheiden zu müssen, weil die reproduktive "Freiheit" dies verlangt, ist so eine. Ihre Lebenswert-Argumentation wäre i.Ü. eine Freude für die Nazis gewesen ("Ich klage an" 1941). Weil andere mein Kind hänseln etc., weil sein Leben besonders viel Mühe macht, soll ich mein Kind umbringen? Jeder hier kann das Leben anderer lebenswerter machen, an einer barmherzigen Gesellschaft mitbauen - und das tun auch die Menschenschützer (Lebensrechtler), die ich kenne.

Georg Dallmann | Di., 23. August 2016 - 09:24

Antwort auf von Harald Meier

Wer sich - wie SIE - anmaßt, vom - vermeintlich - "hohen moralischen Roß herab" anderen Menschen Entscheidungen aufzuzwingen oder - vermeintlich - " durch Nichtentscheidung abzunehmen" - spricht gerade den betroffenen Menschen jedes Recht auf Selbstbestimmung ab.
Denn jeder hat das Recht, selbst zu bestimmen und zu wissen, WAS er im Leben zu schaffen und zu leisten imstande und fähig ist, und was nicht.
Die Menschenwürde steht bekanntlich JEDEM zu, nicht verhandelbar. Wer - wie SIE - meint, betroffenen Menschen, in einer schweren Lebenskrise mit der "Nazi-Keule" freie Entscheidungen absprechen zu müssen, handelt schlicht unverschämt.
Wer - auch nur in homöopathischen Dosen - eine leise Ahnung davon hat, was es heißt, ein Leben lang einen SCHWERSTBEHINDERTEN Menschen pflegen, betreuen und auf Schritt und Tritt versorgen und unterstützen zu müssen, weiß, daß hier praktisch nahezu UNMENSCHLICHES, zu dem viele nicht schlicht nicht die Kraft haben, abverlangt wird.

Karola Schramm | Di., 23. August 2016 - 15:18

Antwort auf von Georg Dallmann

Ich verstehe nicht, warum Sie sich so aufregen. Es geht hier um die Pflicht für Schwangere sich testen zu lassen nicht nur zu T21 sondern um überhaupt genetische Veränderungen zu entdecken.

Was also, wenn ein Gen dabei ist, was man als "Verbrecher-Gen" geortet hat also ein negatives Gen wie geht man dann vor ? will man der Frau, dem Paar zum Abbruch raten, denn, wenn sie das Kind bekäme zöge, sie einen Verbrecher groß ?
Die Gen-Forschung weiß mehr als wir - obwohl die Epigentik zeigt: Alles Unsinn, das mit den Genen.
Womit ich sagen will, dass die bisherige Praxis voll ausreicht, T1 zu identifizieren bei Risikoschwangerschaften, familiären Vorbelastungen u.ä.

Bernd Fischer | Mo., 22. August 2016 - 18:39

nicht schon einmal so etwas ähnliches in Deutschland?

Georg Dallmann | Di., 23. August 2016 - 11:49

Antwort auf von Bernd Fischer

In DEM Deutschland, welches Sie meinen hat der STAAT (!) entschieden welches Leben lebensWERT ist und welches nicht.
Hier geht es jedoch zuvörderst um die FREIE (in welche Richtung auch immer) und SELBSTBESTIMMTE Entscheidung der ELTERN (und von NIEMANDEM sonst), ob sie die Kraft haben und die finanziellen Mittel, diese UNGEHEUER schwierige und belastende und kräftezehrende AUFGABE ein LEBEN LANG (!) erfüllen zu können, auch und gerade im Sinne des Kindes. Dabei müssen die Eltern u.a. auch bedenken, WER (?) diese Aufgabe übernimmt (übernehmen WILL?), falls sie vorzeitig sterben sollten, oder es - kräftemäßig einfach nicht mehr schaffen, weil sie schlicht erschöpft sind.
Noch einmal: All diejenigen, die hier mit dem moralinen Zeigefinger unterwegs sind, haben keine Ahnung davon, was diese Aufgabe im praktischen Leben bedeutet.
Deshalb muß man ALLE Eltern gleichermaßen achten, egal wie sie sich letztlich entscheiden.

Harald Meier | Di., 23. August 2016 - 14:12

Georg Dallmann schrieb:
"In DEM Deutschland, welches Sie meinen hat der STAAT (!) entschieden welches Leben lebensWERT ist und welches nicht."
Und im heutigen Deutschland masst sich der Staat die Entscheidung an, dass der uralte Grundsatz, Unschuldige nicht zu töten, nicht mehr gilt. Damit bürdet Staat/Gesellschaft Eltern eine Entscheidungslast auf, die sie nicht tragen müssten. Diese Last soll Ausdruck von Selbstbestimmung/Freiheit sein? Nein, diese Entscheidungslast des Tötens des eigenen Kindes aufgebürdet zu bekommen, ist UNMENSCHLICH! Im Grunde noch perfider als der NS-Staat.
Selbstbestimmt,frei? Hier wurden doch schon einige externe Druckfaktoren genannt, allen voran der Geiz einer unsolidarischen, entchristlichten Gesellschaft, die nicht zu Opfern, zum Teilen bereit ist und von Wahlfreiheit schwafelt, in Wahrheit aber den Tod bevorzugt (s. Kommentar von N. Wolf)
Und was ist mit der Selbstbestimmung des Kindes? Findet es sich selbst lebensunwert?

Frank Herrmann | Di., 23. August 2016 - 14:46

wir befinden uns geradewegs auf dem Marsch in Huxleys "Schöne Neue Welt":
nach der teuflischen Praxis der Euthanasie unter den Nazis - im Nachkriegsdeutschland noch vor wenigen Jahren undenkbar: die pränatale Selektion ungeborener Kinder wird bei uns zur Regel - mit dem Ziel der Ausmerzung von Menschen mit Handicap!! Einer gottlosen Welt erscheint alles machbar und legitim. Sie lebt im Wahn, ohne Grenzen und Tabus aus kommen zu können! Die grenzenlose Freiheit öffnet so den Weg ins ethisch-moralische Nirwana.

Karola Schramm | Di., 23. August 2016 - 16:25

Nachtrag.
Nachdem ich einiges im Internet zusätzlich zu diesem Artikel gesucht habe, fand ich einige Artikel, die sich mit den Testverfahren und Herstellern befassen.
Die deutsche Firma Life Codexx betreibt den Praena-Test, der Trisomien der Chromosomen 13,18,21 mit hoher Zuverlässigkeit erfasst und ab der 10.Schwangerschaftswoche durchgeführt werden kann. Nach Einführung des Test haben binnen 6 Monaten 2.000 Schwangere ihr Kind untersuchen lassen.Zugleich senkte das Unternehmen den Preis von 1.250 Euro auf 825 Euro.

In der Praenataldiagnostik tätigen Firmen in USA bekriegen sich fünf um die Marktanteile der nichtinvasiven Tests beim Screening von Hochrisikoschwangerschaften. Würden die Tests zur Routineuntersuchungen bei jeder Schwangeren, vervielfacht sich der Umsatzkuchen für die Diagnostikfirmen.

Ich schätze, dass hier Ethik und Moral übelst vermischt werden mit der Gewinnmaximierung einiger Unternehmen über das Gefühl der Angst evtl. ein behindertes Kind zu bekommen.

Harald Wieser | Di., 23. August 2016 - 17:46

... eine geistig schwerbehinderte Tochter. Jetzt 27 Jahre alt. Wurde angestarrt auf der Straße und gehänselt auf dem Spielplatz wegen Ihres Aussehens. Nein, sie hat es nicht leicht im Leben. Wird nie einen Partner haben. Wer möchte so leben?

Auf für uns war es schwer. War nicht immer leicht, sie zu lieben mit ihre Persönlichkeit. Ich denke, besser wäre es, sie wäre nie geboren worden und wir hätten ein anderes Kind gehabt. Während der frühen Schwangerschaft wäre die emotionale Bindung auch nicht so stark gewesen wie jetzt.

Harald Meier | Mi., 24. August 2016 - 11:25

Harald Wieser schrieb:
" Ich denke, besser wäre es, sie wäre nie geboren worden und wir hätten ein anderes Kind gehabt."
Sehr geehrter Herr Wieser, wie wäre es gewesen, wenn Ihr Vater einen solchen Satz über Sie gesagt hätte?
"Wer möchte so leben?" Ihre Tochter. Da bin ich mir ziemlich sicher. Geistig Behinderte sind in Hinsicht Lebens-/Liebenswillen i.d.R. weiser als die vielen seelisch behinderten "Normalos".
"War nicht immer leicht, sie zu lieben mit ihre Persönlichkeit." DANKE, dass Sie es trotzdem tun. Tun Sie es vorbehaltlos, indem Sie Gedanken wie den oben zitierten verbannen!
Und DANKE, dass Sie Ihrer Tochter leben helfen. Die Gesellschaft dankt es Ihnen kaum, Gott wird es dafür umso mehr tun. Ihre Mühe, Ihr Kreuztragen ist nicht umsonst. Das glaube ich felsenfest, das ist 2000jährige Erfahrung.

Ronny reim | Mi., 7. September 2016 - 17:31

Sie sprechen mir aus dem Herzen. Sie haben es auf den Punkt gebracht. Danke!

Axel Hüls | Mi., 14. September 2016 - 18:46

...bis hin zur Tötung (seines Kindes, oder sich selbst) auf die jeder das Recht habe und niemand die "moralische Entscheidung" zu verurteilen, während gerade sie - die Selbstbestimmung - den im Mutterleib getöteten Kindern genommen wird. Gianna Jessen ist so ein Fall. Sie wurde abgetrieben, überlebte (behindert) und ist durchaus nicht der Meinung, nicht leben zu wollen, oder dass ihre (damals sehr junge) Mutter ein "Recht" dazu gehabt hätte, über ihr Leben zu bestimmen.
youtube.com/watch?v=qjKze6eeZfw
Eigenartig, diese "Selbstbestimmung", die dem Zweck dient, über das Leben anderer (noch ungeborener, wehrloser) zu bestimmen? Wie oben die "unzumutbare Beeinträchtigung für das Leben der Frau" bzw. "Inklusion" und "Toleranz" (Antitoleranzgesetz in Vorbereitung - deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2014/01/06/eu-will-neue-behoerde-zur-ueberwachung-der-toleranz-einfuehren/) sind es eher typische verlogene Euphemismen, Zeichen einer verkommenen, boshaften Gesellschaft. Moral? Ist variabel!