
- Boris Johnsons Euphorie der Trennung
Nach dem Brexit beschwört die britische Regierung ein goldenes Zeitalter für das ganze Land. Nur woher nimmt Boris Johnson diesen Optimismus? Ein Besuch bei der neuen Konkurrenz auf der Insel vor den Toren der EU.
Flink und nahezu lautlos schrauben zahlreiche Roboterarme die Teile des Minis in der Werkhalle von BMW in Oxford zusammen. Fast kunstvoll wirkt diese maschinelle Choreografie. Nach 36 Stunden ist das Auto fertig konstruiert. Hier in der Mitte Südenglands lässt der deutsche Autobauer bislang alle vier Varianten des englischen Kleinstwagen-Klassikers montieren, auch den neuen elektrischen Mini. Von März an soll er ausgeliefert werden. Gearbeitet wird in drei Schichten, die letzte endet morgens um 4.30 Uhr. Und es arbeiten nicht nur Roboter – 4800 Menschen sind bei Mini in Oxford angestellt. Noch.
Im Januar 2020 kündigte BMW an, die dritte Generation des Minis nicht sofort in Oxford bauen zu lassen. Für den Fall, dass Großbritannien ab 2021 mit hohen Handelsschranken zur EU konfrontiert sein sollte, überlegt die deutsche Konzernleitung, die Produktion von Oxford nach Holland aufs Festland zu verlegen. Sieht so der Beginn des von Boris Johnson beschworenen „goldenen Zeitalters“ aus? Eine weitere Deindustrialisierung ausgerechnet jener Regionen, in denen die Wähler dem Brexit besonders sehnsüchtig entgegengefiebert haben?
Drohkulisse des harten Brexits
„Der Motor für die Diesel-Minis kommt aus Österreich, der elektrische Motor aus Deutschland, nur der für Benziner kommt aus Birmingham“, sagt Leonel Rojas, als er durch die Werkhalle führt. Es gibt hier keine Lagerhallen für Ersatzteile, weil die Minis just in time produziert werden: Wenn etwa in Berlin ein Mini bestellt wird, dann setzt sich europaweit eine Produktionslinie in Gang. Einzelteile werden aus Werken in verschiedenen Ländern losgeschickt und dann in Oxford zusammengebaut. Dank des EU-Binnenmarkts geschah das bislang reibungslos. Sechs Wochen dauerte es, dann konnte der Mini seine Reise nach Berlin antreten.
Damit ist ab 1. Januar 2021 Schluss. Großbritanniens Premierminister Boris Johnson hat versprochen, das Vereinigte Königreich ohne weitere Übergangsphase Ende 2020 aus der EU-Handelszone herauszuführen. Die britische Regierung versucht so, eine ernst zu nehmende Verhandlungsposition gegenüber der EU aufzubauen. Zum Druck auf Brüssel gehört auch das Drohszenario eines harten Brexits. Denn dieser würde auch die EU hart treffen, insbesondere Deutschland wegen seiner Autoexporte auf die Insel.
Der Preis der Souveränität
„Wir müssen wie alle anderen abwarten, welches Handelsabkommen die Regierung mit der EU vereinbart“, sagt Rojas. Je weiter sich die britische Regierung von der EU entfernt, umso teurer und schwieriger wird die Anpassung an das versprochene neue goldene Zeitalter. Für die Angestellten bei Mini in Oxford würde dann ihre wirtschaftliche Existenz auf dem Spiel stehen.