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Für Boris Johnson ist alles in bester Ordnung / dpa

UK nach Brexit - Boris Johnsons Euphorie der Trennung

Nach dem Brexit beschwört die britische Regierung ein goldenes Zeitalter für das ganze Land. Nur woher nimmt Boris Johnson diesen Optimismus? Ein Besuch bei der neuen Konkurrenz auf der Insel vor den Toren der EU.

Tessa Szyszkowitz

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Tessa Szyszkowitz ist Londoner Korrespondentin des österreichischen Wochenmagazins Profil. Im September 2018 erschien „Echte Engländer – Britannien und der Brexit“. Foto: Alex Schlacher

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Daniel Stelter

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Daniel Stelter ist Gründer des auf Strategie und Makroökonomie spezialisierten Diskussionsforums „Beyond the Obvious“. Zuvor war er bei der Boston Consulting Group (BCG). Zuletzt erschien sein Buch „Ein Traum von einem Land: Deutschland 2040“.

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Flink und nahezu lautlos schrauben zahlreiche Roboterarme die Teile des Minis in der Werkhalle von BMW in Oxford zusammen. Fast kunstvoll wirkt diese maschinelle Choreografie. Nach 36 Stunden ist das Auto fertig konstruiert. Hier in der Mitte Südenglands lässt der deutsche Autobauer bislang alle vier Varianten des englischen Kleinstwagen-Klassikers montieren, auch den neuen elektrischen Mini. Von März an soll er ausgeliefert werden. Gearbeitet wird in drei Schichten, die letzte endet morgens um 4.30 Uhr. Und es arbeiten nicht nur Roboter – 4800 Menschen sind bei Mini in Oxford angestellt. Noch.

Im Januar 2020 kündigte BMW an, die dritte Generation des Minis nicht sofort in Oxford bauen zu lassen. Für den Fall, dass Großbritannien ab 2021 mit hohen Handelsschranken zur EU konfrontiert sein sollte, überlegt die deutsche Konzernleitung, die Produktion von Oxford nach Holland aufs Festland zu verlegen. Sieht so der Beginn des von Boris Johnson beschworenen „goldenen Zeitalters“ aus? Eine weitere Deindustrialisierung ausgerechnet jener Regionen, in denen die Wähler dem Brexit besonders sehnsüchtig entgegengefiebert haben?

Drohkulisse des harten Brexits

„Der Motor für die Diesel-Minis kommt aus Österreich, der elektrische Motor aus Deutschland, nur der für Benziner kommt aus Birmingham“, sagt ­Leonel Rojas, als er durch die Werkhalle führt. Es gibt hier keine Lagerhallen für Ersatzteile, weil die Minis just in time produziert werden: Wenn etwa in Berlin ein Mini bestellt wird, dann setzt sich europaweit eine Produktionslinie in Gang. Einzelteile werden aus Werken in verschiedenen Ländern losgeschickt und dann in Oxford zusammengebaut. Dank des EU-Binnenmarkts geschah das bislang reibungslos. Sechs Wochen dauerte es, dann konnte der Mini seine Reise nach Berlin antreten.

Damit ist ab 1. Januar 2021 Schluss. Großbritanniens Premierminister Boris Johnson hat versprochen, das Vereinigte Königreich ohne weitere Übergangsphase Ende 2020 aus der EU-Handelszone herauszuführen. Die britische Regierung versucht so, eine ernst zu nehmende Verhandlungsposition gegenüber der EU aufzubauen. Zum Druck auf Brüssel gehört auch das Droh­szenario eines harten Brexits. Denn dieser würde auch die EU hart treffen, insbesondere Deutschland wegen seiner Autoexporte auf die Insel.

Der Preis der Souveränität

„Wir müssen wie alle anderen abwarten, welches Handelsabkommen die Regierung mit der EU vereinbart“, sagt Rojas. Je weiter sich die britische Regierung von der EU entfernt, umso teurer und schwieriger wird die Anpassung an das versprochene neue goldene Zeitalter. Für die Angestellten bei Mini in Oxford würde dann ihre wirtschaftliche Existenz auf dem Spiel stehen.

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Ernst-Günther Konrad | Fr., 28. Februar 2020 - 07:57

Okay. Der Artikel beleuchtet viele Aspekte von möglichen Vor- oder Nachteilen des Brexit und ist sehr davon geprägt: Nichts genaues, wissen wir nicht.
Es könnte so kommen, es muss es aber nicht. Manches könnte nachteiliger sein, manches könnte sich als innovativer Anschub erweisen.
Es besteht nach wie vor gegenseitige Anhängigkeit, aber für die Briten eben nicht mehr zu EU-Bedingungen.
Zwei Dinge vielen mir auf.
Die Chance dafür, das der heimische Arbeitsmarkt durch neue Impulse in der Bildungspolitik dazu führen können, viele eigene Menschen im Land zu qualifizieren, um mittelfristig dahin zu kommen, sich wirklich nur diejenigen ins Land zu lassen, die man dort haben will. Das nenne ich kontrollierte Einwanderungspolitik. Das ist das, was D nicht hat.
Die Briten vertrauen auf ihr Rechtsystem, dass von niemandem mehr versucht werden kann, auszuhöhlen.
Ein solches Vetrauen besteht in Teilen von D auch nicht mehr.
Bei allen Spekulationen werden wir warten müsssen, was wirklich kommt.

Geht mir auch so lieber Herr Konrad. Was mir trotz des Zahlen und Faktenanteils durch Herr Stelter? hierbei fehlt, ist eine wenn auch spekulative Gegenrechnung, was die Briten als bisher zweitgrößter? Nettozahler in den EU-Haushalt betrifft einsparen.
Die gescheiterten Verhandlungen von letzter Woche noch im Kopf und die Wahnsinnssummen, die da für kommende Haushalte abzüglich des britischen auf den Rest umgelegten Anteils, wie sieht da die Bilanz aus. Oder ist das schon als künftiges Plus für GB aufgerechnet? Ich denke auch das sich die Wirtschaft und das Pfund berappeln werden und solange das Sozialsystem bezahlbar bleibt, auch befreit von gewissen EU-Vorgaben, sind die Schwierigkeiten zu meistern. Arbeitsplatzverluste, der Kampf gegen die ehemals starken Gewerkschaften usw., ich glaube da ging es bei der iron Lady Mrs. Thatcher härter zu. Was auch auffällt, sind die viel weniger panischen Horrorgemälde und Drohkulissen der EU für die Briten, wie während des Austritts. Wie das?MfG

Allein die Tatsache dass mutig ein neuer Weg eingeschlagen wurde ist der Garant für den Erfolg. Das wird holprig sein, aber es wird gelingen.

Ob ausgerechnet das britische Rechtssystem vorbildlichen Charakter hat, ist doch sehr unwahrscheinlich.
Zur Erinnerung: Britannien hat nicht mal eine Verfassung. Durch den EU-Austritt verliert auch die Charta der Grundrechte, durch den Vertrag von Lissabon überall in der EU geltendes Recht, Gültigkeit. Viele Briten sind mit dem English Common Law, das auf reinem Richterrecht beruht, seit langem unzufrieden.
Was den Vorsatz angeht, "viele eigene Menschen im Land zu qualifizieren", so muss man fragen, warum die Briten das nicht längst gemacht haben. Der EU-Vertrag steht dem ja nicht entgegen. Stattdessen zeichnet sich bereits jetzt ein Arbeitskräftemangel ab, wenn die restriktiven Einwanderungsregeln in Kraft treten. Britannien braucht nun mal auch viele billigere Arbeitskräfte.
Das Land leidet unter typisch nationalistischem Denken - die "große" Vergangenheit soll eine wunderbare Zukunft garantieren.

Der typisch deutsche besserwisserische Beitrag. "Und willst du nicht mein Bruder sein, so schlag ich dir den Schädel ein!" Die Briten haben sich erdreistet die zunehmend linksgrüne EU zu verlassen. Wie böse! Man muss sie ausschimpfen. Unsere Regierung und die Parteien hätten niemals den Mumm in den Knochen, es den Briten gleichzutun. Wiewohl es im Volke gut ankäme. Ja, jetzt kommt wieder der blöde Satz, wir hätten von unserer EU-Mitgliedschaft nur Vorteile. Falsch, mal richtig durchrechnen. Auf unsere Kosten und von unserem sauer erarbeiteten Geld lebt die halbe EU, inklusive der Bürokraten und "Sesself...er". Die EU ist, dank unserer Kohle, ein "Gnadenhof" für ausrangierte Politiker. Aber wir geben ja gerne.

Uwe Dippel | Fr., 28. Februar 2020 - 12:27

... dank Daniel Stelter. Nachdem hier beim Cicero über die letzten Jahre fast ausschliesslich das Brexit-Bashing von Tessa Szyszkowitz zu lesen war, ist es erfrischend mal wieder einen faktenbasierten Beitrag lesen zu dürfen.

Er kommt, und da kann wirklich niemand etwas für, etwas zur Unzeit. Denn in der letzten Woche haben sich beide Seiten auf ihre roten Linien für die Verhandlungen geeinigt, und da sieht es derzeit nicht nach irgendeiner Möglichkeit für eine Einigung aus. 180° entgegengesetzt, könnte man besser sagen.
Und hier braucht es dringend die nächste gute Analyse. Denn die roten Linien der EU: UK muss volles alignment zu allen derzeitigen und zukünftigen EU-Bestimmungen halten, seine Fischereigebiete der EU-Fischflotte unbegrenzt öffnen, sich der Rechtssprechung des EGH unterwerfen und die Personenfreizügigkeit beibehalten, sind nichts anderes als eine Aufforderung zur bedingungslosen Unterwerfung.

Dorothee Sehrt-Irrek | Sa., 29. Februar 2020 - 12:20

vielschichtiger Artikel.
Zunächst ist mir aufgefallen, dass Johnson auch `gekämmt´ kann.
Dann der Satz, dass ein Tenorhorn besser in Deutschland repariert werden kann.
Daneben möchte ich ein Gefühl stellen, mit dem ich noch länger umgehen werde, hoffentlich offen bleibe.
Ich frohlocke nicht, wenn der Bau von Minis, Bentleys oder Jaguaren von BMW etc. gelenkt würde.
Ich gehe nicht nach England, um dort Osteuropa großzumachen oder Kontinentaleuropa.
Solange es Briten gibt, werden sie ein Wörtchen über Tranformationen mitreden wollen.
Die Idee, dass es auch nur ein Land gibt, das es nicht genauso hält, ist evtl. nicht durchdacht?
Man kann sehr wohl James Bond durch einen Briten* mit Migrationshintergrund weiterführen, evtl. nicht aber umstandslos durch einen Deutschen?
Im Dienste seiner Majestät mag sich nicht so sehr von unserem GG unterscheiden und doch?
Zwischenschritte des Zusammenwachsens sind eher Öffnungen für ANDERE Produkte?
Aber alles mit Vorbehalt.
Britons never will be slaves

Ingo Kampf | Sa., 29. Februar 2020 - 16:51

So allmählich verzieht sich der Pulverdampf der politischen Schlachten um den BREXIT der vergangenen Jahre. Es ist wohl noch komplizierter, als es scheint: Der Motor des Mini kommt laut Bericht aus England. Ja - aber woher kommen die Kolben, die Dichtungen und die Einspritzanlage?
Es kann auch sein, daß Nissan den EU-Markt riskiert um „voll auf der Insel“ zu sein! Was machen dann Toyota und Honda? Werden die Briten ihren Fisch, der zu Fügen nur ihnen zusteht, allein essen oder wollen sie exportieren? Interessant ist, daß die einfachen Industriearbeiter aus nationalem Stolz gegen ihre wirtschaftlichen Interessen den Brexir gewählt haben. Das sind auch die, die sich im TV so herrlich an den gewonnen Schlachten gegen die Krauts ergötzen können. Na klar: GB wird überleben. Aber ohne die Hilfe der USA auf niedrigem Niveau. Und die USA sind ja auf dem Trip: USA first. Auch für die Briten gilt last but not least: It‘s the economy, stupid!